Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 148



85 I 148

24. Urteil vom 17. Juni 1959 i.S. Delaloye gegen Obergericht des Kantons
Zürich und Warenautomaten A.-G. Regeste

    Art. 59 BV. In einer Gerichtsstandsvereinbarung liegt nur
dann ein gültiger Verzicht auf den Wohnsitzrichter, wenn ihr Inhalt
unmissverständlich ist und darin der Wille des Verzichtenden, sich einem
anderweitigen Richter zu unterwerfen, klar und deutlich zum Ausdruck kommt.

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer Gabriel Delaloye wohnt in Ardon (Kt. Wallis)
und handelt dort mit Gemüse. Am 22. Juli 1957 besuchte ihn ein
Vertreter der Warenautomaten AG Zürich. Dabei wurde ein Kaufvertrag
geschlossen, durch den Delaloye einen Zigarettenverkaufsautomaten zum
Preis von Fr. 3190.-- auf Abzahlung kaufte. Das vorgedruckte und in
französischer Sprache abgefasste Vertragsformular enthält die Bestimmung:
"For d'exécution. Le for d'exécution est Zurich 3". Delaloye erhielt den
Automaten Mitte August 1957 und entrichtete die vereinbarte Anzahlung von
Fr. 190.--, leistete aber keine weiteren Zahlungen mehr. Die Warenautomaten
AG betrieb ihn daher für den Restkaufpreis von Fr. 3000.-- und reichte nach
erhobenem Rechtsvorschlag Klage ein beim Bezirksgericht Zürich. Dieses
lud Delaloye zweimal erfolglos vor und verpflichtete ihn dann durch
Versäumnisurteil vom 31. Oktober 1958 zur Zahlung von Fr. 3000.-- nebst 5%
Zins seit 18. Februar 1958.

    Delaloye ergriff hiegegen die Berufung an das Obergericht des
Kantons Zürich mit dem Antrag, die Klage sei mangels Zuständigkeit
der zürcherischen Gerichte von der Hand zu weisen, eventuell sei sie
abzuweisen. Zur Begründung berief er sich auf Art. 59 BV und machte
geltend, dass der Ausdruck "for d'exécution" Erfüllungsort, nicht
Gerichtsstand bedeute, mindestens für einen Laien missverständlich und
nicht als Gerichtsstandsklausel erkennbar sei und daher keinen gültigen
Verzicht auf den Wohnsitzgerichtsstand darstelle.

    Durch Urteil vom 5. März 1959 wies das Obergericht die Berufung ab
und bestätigte das angefochtene Urteil, mit Bezug auf die Einrede der
Unzuständigkeit mit folgender Begründung: Nach dem französisch-deutschen
Rechtswörterbuch von Piccard/Thilo/Steiner heisse "for" in erster Linie
Gerichtsstand, dann aber auch Ort. In der Juristensprache jedoch und
insbesondere in einem Vertrag bedeute der Ausdruck Gerichtsstand. Auch ein
Laie könne das nicht anders verstehen. Erfüllungsort heisse nicht, wie der
Beklagte behaupte, "for d'exécution", sondern "lieu d'exécution". Dass
vorliegend der Gerichtsstand gemeint gewesen sei, ergebe sich auch aus
den Umständen. Nach dem Vertrag sei die Klägerin verpflichtet gewesen,
den verkauften Automaten nach Ardon zu liefern, während für den Kaufpreis
von Gesetzes wegen Zürich Erfüllungsort gewesen sei. Habe demnach die
streitige Klausel, als Vereinbarung eines Erfüllungsortes, überhaupt
keinen vernünftigen Sinn und keine innere Berechtigung, so habe sie auch
der Beklagte nicht so verstehen können; vielmehr habe sie für ihn nur
bedeuten können, dass für Streitigkeiten aus dem Vertrag der Gerichtsstand
Zürich gelte.

    B.- Gabriel Delaloye hat gegen dieses Urteil staatsrechtliche
Beschwerde erhoben mit dem Antrag, es sei wegen Verletzung von Art. 59 BV
aufzuheben. Zur Begründung wird geltend gemacht: An einen Verzicht auf den
Wohnsitzgerichtsstand seien nach konstanter Praxis strenge Anforderungen
zu stellen; er müsse eindeutig und unmissverständlich sein. Das treffe
hier nicht zu. Das Wort "for" bedeute für sich allein in erster Linie
Ort, habe selbst in Gesetzestexten diesen Sinn (Art. 46 SchKG: "for de
poursuite", Art. 376 ZGB: "for tutélaire") und lasse keinesfalls zwingend
auf "Gerichtsstand" schliessen. Der Beschwerdeführer sei ein juristisch
ungebildeter Kleinhändler. Der Ausdruck "for d'exécution", der auf den
Erfüllungsort hinweise, habe für ihn nicht die Bedeutung eines Verzichts
auf den Wohnsitzgerichtsstand gehabt.

    C.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet. Die Warenautomaten AG beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer aufrechtstehend ist,
dass er im Kanton Wallis wohnt und dass die gegen ihn geltend gemachte
Forderung der Beschwerdegegnerin eine persönliche Ansprache im Sinne
des Art. 59 BV darstellt. Für diese braucht er sich daher nur dann in
Zürich gerichtlich belangen zu lassen, wenn er gültig auf den Richter an
seinem Wohnsitz verzichtet hat.

Erwägung 2

    2.- Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt in einer
Gerichtsstandsvereinbarung nur dann ein gültiger Verzicht auf den
Wohnsitzrichter, wenn ihr Inhalt unmissverständlich ist und darin der
Wille des Verzichtenden, sich einem an sich unzuständigen Richter zu
unterwerfen, klar und deutlich zum Ausdruck kommt (BGE 84 I 36 und dort
angeführte frühere Urteile).

    In einem Fall, wo sich ebenfalls die Warenautomaten AG und ein
im Kanton Wallis ansässiger Kleinhändler gegenüberstanden, hat das
Bundesgericht kürzlich die Klausel: "Le for et lieu d'exécution est
Zurich" noch als gültigen Verzicht auf den Wohnsitzgerichtsstand und als
Verpflichtung, in Zürich Recht zu nehmen, anerkannt (nicht veröffentlichtes
Urteil vom 6. Mai 1959 i.S. Clivaz). Daraus folgt indessen nicht, dass
das Gleiche auch für die Klausel: "Le for d'exécution est Zurich 3"
gilt. Jene Bestimmung liess immerhin klar erkennen, dass Zürich nicht
nur als Erfüllungsort (lieu d'exécution), sondern auch als Gerichtsstand
(for) vereinbart war. Die vorliegende Klausel dagegen hat nach ihrem
Wortlaut keinen vernünftigen Sinn. Weist der Ausdruck "for" auch auf
die Bezeichnung eines Gerichtsstandes hin, so lässt er sich doch nicht
trennen von der zu seiner Kennzeichnung und Erklärung bestimmten Beifügung
"d'exécution", die nur mit dem vom Gerichtsstand ganz verschiedenen und
nicht damit zusammenhängenden Begriff des Erfüllungsortes in Verbindung
gebracht werden kann, wenn nicht gar mit dem Betreibungsort (for de
l'exécution forcée). Die Klausel ist demnach zweideutig und lässt
sich, je nachdem man das Gewicht auf das Wort "for" oder auf die Worte
"d'exécution" legt, verschieden auslegen. Es ist durchaus möglich, dass
der Beschwerdeführer, der keine juristischen Kenntnisse besitzt, beim
Vertragsschluss die Bedeutung der Klausel nicht verstand und sich nicht
bewusst war, damit auf den verfassungsmässig gewährleisteten Gerichtsstand
deS Wohnortes zu verzichten (vgl. BGE 34 I 58). Ein gültiger Verzicht
auf diesen Gerichtsstand liegt daher nicht vor. Diese Betrachtungsweise
rechtfertigt sich umso mehr, als die Beschwerdegegnerin den Text des für
den Vertragsschluss verwendeten vorgedruckten Formulars abgefasst hat,
also für die Unklarheit und Zweideutigkeit der Klausel verantwortlich
ist, denn nach einer allgemeinen Regel sind unklare Vertragsbestimmungen
zuungunsten desjenigen auszulegen, der sie abgefasst hat (BGE 48 II 246
Erw. 3, 50 II 543 Erw. 4, 81 II 159; VON TUHR, Obligationenrecht, § 34
I bei Anm. 26). Die Beschwerdegegnerin hat, wenn sie die Käufer ihrer
Automaten zum Verzicht auf den ordentlichen Gerichtsstand veranlassen
will, ohne weiteres die Möglichkeit, die Gerichtsstandsklausel klar
und unmissverständlich dahin zu formulieren, dass die Parteien für alle
Streitigkeiten aus dem Vertrag Zürich als Gerichtsstand vereinbaren oder
dass der Käufer für die Beurteilung solcher Streitigkeiten die Gerichte
in Zürich als zuständig anerkennt.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der I. Zivilkammer
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 5. März 1959 aufgehoben.