Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 78



85 IV 78

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Mai 1959 i.S. Stucki
gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 237 Ziff. 2 StGB. Nach dieser Bestimmung macht sich
nicht nur strafbar, wer selber schuldhaft eine Verkehrsstörung oder
Verkehrsgefährdung herbeiführt, sondern auch, wer auf eine von einem
Dritten geschaffene gefährliche Verkehrslage aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht genügend Rücksicht nimmt.

Sachverhalt

    Am 22. Juli 1958, um 13.50 Uhr, fuhr Stucki am Steuer seines
Personenwagens von Habstetten nach Bolligen. Als er sich der beim Eingang
dieser Ortschaft aufgestellten Innerortstafel näherte, gewahrte er auf
eine Entfernung von ungefähr 80 m auf der einen Seite der Strasse ein
ihm entgegenkommendes, landwirtschaftliches Gefährt und auf der andern,
bei der Einmündung des Privatweges Fischer, den 7-jährigen Knaben Gerber,
der bei seinem Dreirad stand und sich dem landwirtschaftlichen Fahrzeug
zuwandte. Stucki betätigte die Bremsen, setzte die Geschwindigkeit
auf 50-60 km/Std. herab und gab ein Warnsignal. Kaum hatte er mit dem
landwirtschaftlichen Gefährt innerorts vor der rechtsseitigen Einmündung
des besagten Privatweges gekreuzt, als der Knabe Gerber auf die Strasse
heraussprang. Obschon Stucki unverzüglich bremste und nach links auswich,
wurde das Kind vom vorderen rechten Kotflügel des Autos erfasst und
zur Seite geschleudert. Es erlitt infolge des Anpralls eine leichte
Hirnerschütterung.

    Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte Stucki am 10. Februar
1959 wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu einer bedingt
löschbaren Busse von Fr. 30.-.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer bestreitet, den öffentlichen Verkehr gestört,
gehindert oder gefährdet zu haben. Gegen Art. 237 StGB verstosse nur,
wer selber schuldhaft eine Verkehrsstörung oder Verkehrsgefährdung
herbeiführe, nicht auch derjenige, dessen Schuld einzig darin bestehe,
dass er auf die Möglichkeit einer von einem Dritten verschuldeten oder
zufällig herbeigeführten Störung nicht genügend Rücksicht nehme. Diese
in ZBJV 89 S. 443 vertretene und vom Beschwerdeführer übernommene
Betrachtungsweise legt das Schwergewicht zu einseitig auf die Worte
"Verkehrsstörung" und "Verkehrsgefährdung" und wird den tatsächlichen
Verhältnissen des Strassenverkehrs nicht gerecht. Bei der heutigen
Intensität des Verkehrs und der engen Verflechtung der verschiedenen,
gleichzeitig sich rasch abwickelnden Verkehrsvorgänge kann nicht zwischen
dem Strassenbenützer unterschieden werden, der eine Störung oder Gefährdung
des öffentlichen Verkehrs unmittelbar herbeiführt, und demjenigen, der
einer so herbeigeführten gefährlichen Verkehrslage aus pflichtwidriger
Unvorsichtigkeit nicht gebührend Rechnung trägt. Abgesehen davon ist
nicht einzusehen, warum der letztere besser gestellt werden sollte als
der erste. Wer nicht die Vorsicht walten lässt, zu der er nach den
Umständen verpflichtet ist, und aus diesem Grund zu einer unmittelbar
von einem Dritten bewirkten Gefahr oder Störung beiträgt, macht sich wie
dieser nach Art. 237 StGB strafbar.