Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 73



85 IV 73

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Juni 1959 i.S. Loeser
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 28 StGB; Inhalt des Strafantrages. Der Verletzte ist frei, durch
entsprechende Umschreibung des Sachverhaltes, den er zur Verfolgung stellt,
den Strafantrag beliebig zu beschränken.

Sachverhalt

    A.- Am 22. Juli 1957 stiessen auf der Kantonsstrasse zwischen Zernez
und Brail die Personenwagen von Dr. Rudolf Schmid und von Paul Loeser
zusammen. Dabei erlitt die Ehefrau Schmid Verletzungen, denen sie auf
dem Weg ins Spital erlag; Loeser, seine Ehefrau und sein Sohn wurden
leicht verletzt.

    Das Kreisamt Obtasna führte gegen die beiden Fahrzeugführer ein
Ermittlungsverfahren durch. In einer an diese Stelle gerichteten Eingabe
vom 3. Oktober 1957 schrieb der von Loeser mit der Wahrung seiner
Interessen beauftragte Anwalt den Unfall dem alleinigen Verschulden
von Dr. Schmid zu und verlangte, dass dieser wegen Widerhandlung gegen
Art. 25 MFG und Störung des öffentlichen Verkehrs nach Art. 237 StGB
in Anklagezustand versetzt werde. Die Staatsanwaltschaft des Kantons
Graubünden fällte am 11. November 1957 einen Kompetenzentscheid, in dem
sie feststellte, dass mit Bezug auf Dr. Schmid die Straftatbestände
der fahrrlässigen Tötung im Sinne von Art. 117 StGB und der fahrlässigen
Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 2 StGB in
Betracht fallen. Mit Eingabe vom 8. November 1958 stellte der Vertreter
Loesers beim Kreisamt unter Hinweis auf den Kompetenzentscheid vom
11. November 1957 das Begehren, Dr. Schmid sei wegen Verletzung von
Art. 117 und Art. 237 StGB, sowie wegen Widerhandlung gegen Art. 25 MFG
in den Anklagezustand zu versetzen.

    B.- Durch Verfügung vom 10. April 1959 stellte das
Untersuchungsrichteramt Samedan das Verfahren sowohl gegen Dr. Schmid,
wie gegen Loeser ein. Die Staatsanwaltschaft genehmigte die Verfügung
und gab den Parteien am 15. April 1959 davon Kenntnis.

    C.- Loeser liess durch. seinen Vertreter Nichtigkeitsbeschwerde
erheben, mit der er beantragt, die Einstellungsverfügung gegenüber
Dr. Schmid sei wegen Verletzung von Art. 117, 125, 237 Ziff. 2 StGB und
Art. 25, 26 Abs. 1 und 2, eventuell Art. 17, sowie Art. 58 MFG aufzuheben
und die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, damit sie gegen
Dr. Schmid Anklage erhebe und den Fall an das zuständige Gericht überweise.

    D.- Die Staatsanwaltschaft beantragt, auf die Beschwerde sei mangels
Legitimation des Beschwerdeführers nicht einzutreten, eventuell sei
sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Ausführungen darüber, dass Loeser gemäss Art. 270 Abs. 1 und
3 BStP zur Beschwerde nicht befugt ist, soweit damit eine Verletzung
von Vorschriften des MFG, sowie Art. 117 und 237 Ziff. 2 StGB geltend
gemacht wird.)

Erwägung 2

    2.- Fragen kann sich nur noch, ob die Beschwerdelegitimation insoweit
gegeben sei, als beanstandet wird, dass gegen Dr. Schmid nicht Anklage
wegen fahrlässiger Körperverletzung nach Art. 125 StGB erhoben wird,
die Antragsdelikt ist.

    Der Beschwerdeführer hat in seiner Eingabe vom 3. Oktober 1957, mit
der er erstmals und innert der Frist des Art. 29 StGB die Anklageerhebung
gegen Dr. Schmid verlangte und die deshalb als Strafantrag in Betracht
kommt, dem Beschuldigten übersetzte Geschwindigkeit und damit Verletzung
von Art. 25 MFG, sowie Störung des öffentlichen Verkehrs nach Art. 237
StGB vorgeworfen. Von Körperverletzung ist in der Eingabe nicht die Rede.

    Freilich ist es nicht Sache des Antragstellers, den Tatbestand
rechtlich zu qualifizieren. Der Strafantrag besteht in der Willenserklärung
des Verletzten, dass für die angezeigte Handlung die Strafverfolgung
stattfinden solle (BGE 78 IV 49 Erw. 2 und ständige Rechtsprechung). Die
rechtliche Würdigung der Handlung obliegt der Strafbehörde, die dabei an
die Auffassung des Antragstellers in keiner Weise gebunden ist (vgl. BGE 68
IV 70 und zahlreiche seitherige Entscheidungen). Das schliesst aber nicht
aus, dass der Verletzte einen Sachverhalt nur teilweise zur Verfolgung
stelle. Er kann den Strafantrag in tatsächlicher Hinsicht nach Belieben
beschränken, und er kann, wenn er eine Anzeige für Strafhandlungen
einreicht, die von Amtes wegen zu verfolgen sind, darauf verzichten,
die Strafverfolgung auch zu verlangen für Antragsdelikte, die daneben
einhergehen.

    Das hat der Beschwerdeführer getan, indem er in seiner Eingabe vom 3.
Oktober 1957 an das Kreisamt Obtasna die Versetzung von Dr. Schmid in den
Anklagezustand ausschliesslich wegen der übersetzten Fahrgeschwindigkeit
(Art. 25 MFG) und der im Rammen seines Wagens liegenden Verkehrsstörung
(Art. 237 StGB) beantragte. Im Gegensatz hiezu wird in der Eingabe
nicht nur Art. 125 StGB nicht angeführt, sondern die Verletzung
des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und seines Sohnes wird auch in
tatsächlicher Hinsicht, bei der Darstellung des Unfalles, mit keinem Wort
erwähnt. Daraus durfte die Staatsanwaltschaft schliessen, dass für die
Körperverletzungen eine Strafverfolgung nicht verlangt werden wolle.

    In dieser Auffassung musste sie auch die Eingabe vom 8. November 1958
bestärken, in der als Anklagetatbestände wiederum bloss diejenigen der Art.
117 und 237 StGB genannt wurden.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.