Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 7



85 IV 7

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. Februar 1959
i.S. Haslimeier gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 42 Ziff. 5, 69 StGB.

    a)  Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine Freiheitsstrafe,
die drei Jahre nicht übersteigt, wenn der Verurteilte nach Art. 42 StGB
verwahrt wird (Erw. 2 lit. a).

    b)  Steht der Entscheid, ob die Untersuchungshaft auf die in Art. 42
Ziff. 5 Satz 1 StGB festgesetzte dreijährige Mindestdauer der Verwahrung
angerechnet werden könne, dem Richter oder der Vollzugsbehörde zu? (Erw. 2
lit b).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer ist zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt
worden. Die Dauer der gegen ihn ausgefällten Freiheitsstrafe, an deren
Stelle die Verwahrung nach Art. 42 StGB tritt, liegt also unter der in
Ziff. 5 dieser Bestimmung festgesetzten Mindestdauer dieser Massnahme. In
solchen Fällen ist der Kassationshof auf die Rüge, die Untersuchungshaft
sei zu Unrecht überhaupt nicht oder nur teilweise auf die Strafe
angerechnet worden, nicht eingetreten (nicht veröffentlichte Entscheidungen
des Kassationshofes vom 1. September 1949 i.S. Schwendimann, mit Zitaten,
und vom 27. Juni 1952 i.S. Wild; vgl. ferner BGE 69 IV 52 Erw. 2, 77 IV
82 Erw. 2), mit der Begründung, die Anrechnung der Untersuchungshaft auf
die Strafe könne die Mindestdauer der Verwahrung nur beeinflussen, wenn
die ausgesprochene Strafe drei Jahre übersteige, da der Richter an die
Bestimmung des Art. 42 Ziff. 5 StGB, dass der Verwahrte mindestens drei
Jahre in der Verwahrung bleibe, gebunden sei; durch eine Entscheidung,
welche die Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine Freiheitsstrafe,
die drei Jahre nicht übersteige, ganz oder teilweise ausschliesse, werde
der nach Art. 42 StGB Verwahrte demnach nicht beschwert (benachteiligt)
und zur blossen Änderung der Urteilsgründe sei die Nichtigkeitsbeschwerde
nach feststehender Rechtsprechung nicht gegeben.

    An dieser Rechtsprechung ist nicht festzuhalten. Sie trägt dem Umstand
nicht Rechnung, dass der Verwahrte im Anschluss an das die Massnahme
des Art. 42 StGB anordnende Urteil zu einer Zusatzstrafe im Sinne von
Art. 68 Ziff. 2 StGB verurteilt und dadurch die Strafdauer (Grundstrafe
und Zusatzstrafe) auf mehr als drei Jahre erhöht werden kann. Wird eine
solche Zusatzstrafe ausgefällt, an deren Stelle ebenfalls die Verwahrung
tritt, so hängt gemäss Art. 42 Ziff. 5 Satz 1 StGB vom Entscheid über
die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Strafen ab, wie lange der
Verwahrte über die drei Jahre hinaus mindestens in der Verwahrungsanstalt
zu bleiben hat. Im Hinblick auf diesen nicht seltenen Fall rechtfertigt
es sich, bereits bei Ausfällung einer ersten in Verwahrung umgewandelten
Strafe auch darüber zu entscheiden, ob und wieweit die Untersuchungshaft
gemäss Art. 69 StGB auf die Strafe anzurechnen sei.

    Dazu kommt, dass nach Art. 42 Ziff. 7 StGB, wenn seit der Verurteilung
mehr als zehn Jahre verflossen sind, ohne dass die Verwahrung vollzogen
werden konnte, die zuständige Behörde zu entscheiden hat, ob die Strafe
oder die Verwahrung zu vollziehen sei. Auch dieser, obgleich entfernteren
Möglichkeit entspricht es, dass der Richter im Sachurteil mit der
Strafe ohne Rücksicht auf deren Dauer gleichzeitig die anrechenbare
Untersuchungshaft bestimmt.

    b) Wenn auch, abweichend von der bisherigen Rechtsprechung, aus diesen
Gründen auf die Rüge, die Untersuchungshaft sei zu Unrecht auf die in
Verwahrung umgewandelte Zuchthausstrafe von zwei Jahren nicht angerechnet
worden, einzutreten ist, so besagt das jedoch keineswegs, dass die der
bisherigen Praxis zugrunde liegende Auffassung, die Untersuchungshaft könne
auf die in Art. 42 Ziff. 5 StGB festgesetzte dreijährige Mindestdauer nicht
angerechnet werden, aufzugeben sei. Entgegen der durch den Entscheid vom
7. Mai 1946 i.S. Walser eingeleiteten Praxis des Bundesrates (vgl. ZStR
1954 S. 80 ff. und dort angeführte Entscheidungen) ist die Frage der
Anrechnung der Untersuchungshaft auf die gesetzliche Mindestdauer der
Massnahme vom Richter, in letzter Instanz also vom Kassationshof, nicht
von der Vollzugsbehörde zu entscheiden.

    Das Gesetz sieht eine Anrechnung der Untersuchungshaft auf die
Verwahrung als solche überhaupt nicht vor. Sie ist daher nur möglich,
wenn man annehmen will, es liege eine Gesetzeslücke vor, die durch analoge
Anwendung von Art. 69 StGB auszufüllen sei. Allein Art. 69 StGB umschreibt
nicht nur die Voraussetzungen für die Anrechnung, sondern bestimmt auch,
dass diese Sache des Richters sei. Falls man die Bestimmung auf die
Verwahrung analog anwenden will, so kann daher für die Anrechnung nur
der Richter zuständig sein.

    Seine Zuständigkeit liegt auch in der Natur der Entscheidung. Entgegen
der vom Bundesrat im Meinungsaustausch mit dem Kassationshof vertretenen
Ansicht (Schreiben vom 16. Juni 1958 und vom 26. Januar 1959) und
der von V. KURT in der Schweizerischen Zeitschrift für Strafrecht
geäusserten Auffassung (ZStR 1954 S. 91) geht es bei ihr nicht bloss
um die Frage, wann die Verwahrung "rechtlich zu laufen beginne" bzw. ob
sie nur in der durch Art. 42 Ziff. 2 StGB bezeichneten oder auch in
einer anderen Anstalt, namentlich in einem Untersuchungsgefängnis,
vollzogen werden könne. Mit dem Entscheid darüber, ob der Beginn der
Verwahrung um jene Zeitspanne "vorzuverlegen" sei, die der Angeklagte
vor seiner Aburteilung in einem Untersuchungsgefängnis verbracht hat
und die ihm der Richter gemäss Art. 69 StGB auf die Strafe anrechnet,
wird festgelegt, ob bei der Berechnung der dreijährigen Mindestdauer der
Massnahme von der in der Verwahrungsanstalt selbst zugebrachten Zeit die
erlittene Untersuchungshaft (ganz oder teilweise) in Abzug zu bringen
sei. Je nach diesem Entscheid hat der Verwahrte tatsächlich noch drei
Jahre oder eine um die Dauer der Untersuchungshaft verkürzte Zeit in der
Verwahrungsanstalt zu verbringen, um die Bedingung des Art. 42 Ziff. 5
StGB zu erfüllen. Zwischen diesem Entscheid und der Feststellung des
Richters, ob gemäss Art. 69 StGB von der ausgefällten Freiheitsstrafe die
Untersuchungshaft ganz oder teilweise in Abzug gebracht werde, besteht
kein Unterschied. In beiden Fällen geht es um das Gleiche, nämlich -
entgegen der Auffassung des Bundesrates - nicht um die Feststellung des
Beginns des Straf- oder Massnahmenvollzuges, sondern darum, wie lange
die durch das Urteil angeordnete Freiheitsentziehung mit Rücksicht auf
die erstandene Untersuchungshaft noch zu dauern, bzw. mindestens noch zu
dauern hat. Dieser Entscheid kann nur dem Richter zustehen. Dass gemäss
Art. 42 Ziff. 5 StGB bei der Verwahrung nach Ablauf der gesetzlichen
Mindestdauer die Vollzugsbehörde über die bedingte Entlassung befindet,
ändert nichts, was übrigens schon daraus hervorgeht, dass in Art.
38 StGB die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, unbeschadet
der Zuständigkeit des Richters zur Anrechnung der Untersuchungshaft,
ebenfalls der Vollzugsbehörde zugewiesen ist. Für die Zuständigkeit des
Richters spricht schliesslich auch, dass der Verurteilte mit Bezug auf die
allfällige Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Verwahrung das nämliche
berechtigte Interesse an den Garantien der richterlichen Entscheidung hat
wie bei der Anrechnung auf die Strafe. Der Richter, der das Strafurteil
zu fällen hat und die Persönlichkeit des Angeklagten und sein Verhalten
im Verfahren von da her kennt, ist zweifellos auch besser in der Lage,
die Voraussetzungen einer allfälligen Anrechnung der Untersuchungshaft
zu beurteilen, als die Vollzugsbehörde es wäre.

    c) Im vorliegenden Falle braucht die Frage, ob die Untersuchungshaft,
soweit sie nach Art. 69 StGB auf die Strafe anzurechnen ist, von der
gesetzlichen Mindestdauer der Massnahme in Abzug gebracht werden könne,
nicht entschieden zu werden, da der Beschwerdeführer einen dahingehenden
Antrag nicht stellt.