Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 24



85 IV 24

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. März 1959 i.S. Baumann
gegen Emch und Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 264 StGB, Tierquälerei.

    1.  Begriff der Misshandlung (Erw. 2 lit. a-c);

    2.  Ist die Misshandlung auch strafbar, wenn sie fahrlässig begangen
wird? (Erw. 2 lit. d);

    3.  Fahrlässige Misshandlung eines Hundes durch einen Automobilisten,
der das neben dem Fahrzeug einherspringende Tier durch einen Schwenker
verscheuchen will und es dabei anfährt und verletzt (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Als Eugen Baumann am 14. März 1957 um 15.30 Uhr im Begriffe
war, einen Personenwagen in Biel von der Liegenschaft Murtenstrasse
4 her quer über diese Strasse zu führen, um auf der rechten Seite der
Fahrbahn gegen das Stadtzentrum zu fahren, sprang auf der linken Seite
des Personenwagens bellend ein achtjähriger Irish- Setter neben diesem
einher. Um den Hund zu verscheuchen, lenkte Baumann, als er sich noch auf
der linken Fahrbahnhälfte befand, das Fahrzeug brüsk nach links. Dabei fuhr
er den Hund an, wodurch dieser am rechten Vorderbein verletzt wurde. Die
Verletzungen, starke Quetschungen der Muskulatur des Humerus und leichte
Nervenquetschung, führten zu einer starken Lahmheit vorne rechts, von der
das Tier nach dreitägiger klinischer Pflege und mehrwöchiger tierärztlicher
Nachbehandlung anscheinend geheilt wurde.

    B.- Das Obergericht des Kantons Bern erklärte als Appellationsinstanz
mit Urteil vom 25. März 1958 Baumann der fahrlässigen Tierquälerei
(Art. 264 Ziff. 2 StGB) schuldig und verurteilte ihn unter Ansetzung
einer einjährigen Probezeit zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 30.-.

    C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen,
das Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie ihn freispreche.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- a) Der Tierquälerei im Sinne von Art. 264 StGB macht sich
schuldig, wer ein Tier misshandelt, arg vernachlässigt oder unnötig
überanstrengt. Misshandeln - was hier allein in Frage kommt - heisst,
unnötigerweise Schmerzen oder Leiden zufügen (vgl. HAFTER, Bes. Teil
II S. 477; LOGOZ, N. 2 lit. a zu Art. 264 StGB; THORMANN-OVERBECK, N. 2
zu Art. 264 StGB; ferner Prot.2 ExpK. 7 184). Dabei versteht sich von
selbst, dass nicht jede, noch so geringfügige unrechtmässige Einwirkung
auf das Tier strafbar ist; nur wenn sie eine gewisse Intensität erreicht,
fällt sie unter Art. 264 StGB (nicht veröffentlichter Entscheid des
Kassationshofes vom 8. Juni 1956 i.S. Peter; ferner HAFTER, aaO S. 477;
BAUR in ZStR 70 S. 135).

    b) Das bedeutet entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
jedoch keineswegs, dass unter Misshandlung im Sinne von Art. 264 StGB
nur die fortdauernde oder sich wiederholende unnötige Verursachung
erheblicher Schmerzen zu verstehen ist. Dass im deutschen Gesetzestext als
Randtitel die Bezeichnung "Tierquälerei" verwendet wird, besagt nichts
anderes. "Quälen" weist wie "misshandeln" allgemein auf die unnötige
Verursachung von Schmerzen oder Leiden (Qualen) hin, bedeutet aber nicht
notwendigerweise eine fortdauernde oder sich wiederholende Leidenszufügung.
Zudem ist der Randtitel nur eine allgemeine Bezeichnung für die im Artikel
selbst umschriebenen strafbaren Handlungen, vermag aber dessen Wortlaut
ebensowenig einzuschränken wie eine Titelüberschrift und ändert vor allem
auch an dem aus dem Wortlaut der Bestimmung sich ergebenden Sinn nichts
(BGE 74 IV 208; 76 IV 55 Erw. 1; 78 IV 176; 81 IV 291 Erw. 2). Sinn des
Art. 264 StGB kann jedoch - wenn dieser seinen Zweck, das Tier gegen
unnötige Leidenszufügung zu schützen, erreichen soll - nicht sein,
dass erst die fortdauernde oder sich wiederholende, nicht aber schon die
einmalige Verursachung erheblicher Schmerzen oder Leiden den Tatbestand der
Misshandlung zu erfüllen vermöge. Vielmehr ist entsprechend der bisherigen
Rechtsprechung davon auszugehen, dass auch in einer einmaligen Einwirkung
eine Misshandlung liegen kann (vgl. BGE 75 IV 172).

    c) Das Gesetz spricht - im Gegensatz zu den Vorentwürfen - auch nicht
von roher Misshandlung. Die geltende Fassung geht auf einen Antrag der
ständerätlichen Kommission zur Vorberatung des Gesetzesentwurfes zurück,
deren Berichterstatter im Ständerat die vorgeschlagene Änderung damit
begründete, es sollte die Auffassung vermieden werden, als ob nur die
krasse, qualifizierte Misshandlung strafbar sei, und u.a. noch beifügte,
die Beibehaltung des Wortes "roh" würde eine überflüssige Abschwächung
des Gedankens des Tierschutzes bedeuten, zumal die meisten kantonalen
Strafgesetzbücher gleichfalls kurzweg von Misshandlung sprächen (StenBull
StR 1931 S. 560; 1935 S. 245). Der Ständerat hiess die vorgeschlagene
Änderung ohne Diskussion gut, und der Nationalrat folgte ihm, nachdem
die beiden Berichterstatter der Kommission darauf hingewiesen hatten,
durch die abgeänderte Fassung wolle der Eindruck vermieden werden,
dass nur die schwersten Fälle der Tierquälerei Strafe nach sich ziehen
sollen (franz. Berichterstatter: "Tous les mauvais traitements et pas
seulement les mauvais traitements exceptionnels, doivent être punis";
StenBull NatR 1934 S. 408 f.). Unter diesen Umständen kann aus dem Verlauf
der parlamentarischen Beratung nicht abgeleitet werden, dass die rohe
Gesinnung des Täters notwendiges Merkmal der Misshandlung im Sinne von
Art. 264 StGB und damit der Tierquälerei sei; sie lässt, entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers, vielmehr keine Zweifel offen, dass auch
die leichten Fälle erfasst werden wollten, obwohl der Berichterstatter
der ständerätlichen Kommission ausdrücklich darauf hingewiesen hatte,
dass sie häufiger sein werden als schwere Misshandlungen (StenBull StR
1931 S. 560; vgl. ferner Votum Hoppeler in StenBull NatR 1929 S. 583).

    Der gegenteilige Schluss kann auch nicht, wie der Beschwerdeführer
meint, daraus gezogen werden, dass in der 2. Expertenkommission gegenüber
einem Antrag, neben der (rohen) Misshandlung einen selbständigen Tatbestand
des Quälens einzuführen (worunter der Antragsteller die Schmerzzufügung
aus Lust oder Freude am Schmerz des Tieres verstand), eingewendet wurde, in
der Praxis könnte das Delikt zu sehr ausgedehnt, nämlich jede Kleinigkeit
als Quälerei betrachtet und bestraft werden (Prot. 2. ExpK. 7 181, 186,
189). Damit wollte offensichtlich nicht gesagt werden, dass Quälerei,
die aus Lust am Schmerz des Tieres geschehe, an sich straflos sein und
Strafe nur nach sich ziehen solle, wenn sie ausgesprochen roher Gesinnung
entspringe.

    Auch wenn zur Auslegung des an sich klaren Gesetzestextes die
Materialien herangezogen werden, an die der Richter übrigens nicht
gebunden ist (BGE 69 IV 10; 71 IV 155; 78 IV 89 Erw. 1; 83 IV 128 und
dort angeführte Entscheidungen), ist somit die Annahme ausgeschlossen,
Art. 264 StGB sei nur auf die Taten von Rohlingen, d.h. auf ausgesprochen
rohe Misshandlungen anwendbar. Strafbar ist vielmehr jede unnötige
Verursachung von Schmerzen oder Leiden.

    d) Unbegründet ist schliesslich auch der Einwand, die Misshandlung
eines Tieres sei (im Gegensatz zur Vernachlässigung oder Überanstrengung)
nur bei vorsätzlicher Begehung strafbar, da eine fahrlässige Misshandlung
begrifflich nicht möglich sei. Der Einwand scheitert am oben angeführten
Wesen der Misshandlung als einer unnötigen Leidenszufügung, die nicht
nur vorsätzlich, d.h. wissentlich und willentlich begangen werden,
sondern auch auf pflichtwidriger Unvorsichtigkeit des Täters, somit
auf Fahrlässigkeit beruhen kann. Auch sachlich besteht kein Grund,
von der Strafdrohung auf fahrlässige Tierquälerei die Misshandlung
auszunehmen; sie ist ebenso strafwürdig wie die fahrlässig begangene
Vernachlässigung oder Überanstrengung des Tieres. Dass die fahrlässige
Tierquälerei im Vorentwurf nicht mit Strafe bedroht war, die dahingehende
Erweiterung des Straftatbestandes vielmehr erst auf eine Empfehlung der
2. Expertenkommission zurückzuführen ist (Prot. 2. ExpK. 6 S. 46; 7 S. 182,
190), ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos. Massgebend ist vielmehr,
dass in den späteren Entwürfen diesem Antrage unwidersprochen Folge gegeben
wurde und die Strafbarkeit der fahrlässig begangenen Tierquälerei auch
in der parlamentarischen Beratung unangefochten geblieben ist. Freilich
ist es im Zusammenhang mit der fahrlässigen Tierquälerei im Nationalrat
zu einer kurzen Diskussion gekommen. Diese bezog sich aber nicht auf die
Strafbarkeit als solche, sondern auf die Frage, ob auf fahrrlässiger
Tierquälerei die gleiche Höchststrafe anzudrohen sei, wie sie für die
vorsätzlich verübte Tierquälerei festgelegt worden war (StenBull NatR 1929
S. 582 f.). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich somit
auch aus der parlamentarischen Beratung nichts gegen die Strafbarkeit der
fahrlässig begangenen Misshandlung eines Tieres ableiten. Übrigens wird sie
auch in der Doktrin vorbehaltlos bejaht (vgl. THORMANN-OVERBECK, N. 16-18
zu Art. 264 StGB; LOGOZ, N. 6 zu Art. 264 StGB; HAFTER, aaO, S. 480).

Erwägung 3

    3.- Nach dem von der Vorinstanz als erwiesen angenommenen Sachverhalt,
von dem der Kassationshof auszugehen hat (Art. 277bis Abs. 1 BStP), sind
die objektiven und subjektiven Merkmale der fahrlässigen Tierquälerei im
Sinne von Art. 264 Ziff. 2 StGB erfüllt.

    a) Indem der Beschwerdeführer sein Fahrzeug gegen den Hund lenkte,
ihn anfuhr und verletzte, hat er das Tier misshandelt. Er fügte ihm auf
unnötige, zwecklose und durch keinen sachlichen Grund zu rechtfertigende
Weise in erheblichem Masse Verletzungen und Schmerzen zu, von denen
sich das Tier, das der tierärztlichen Pflege und einer mehrwöchigen
Nachbehandlung bedurfte, erst nach Wochen erholte.

    b) Fahrlässigkeit wirft die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vor,
weil er aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht habe, dass
er durch den Linksschwenker, mit dem er den Hund vertreiben wollte, das
Tier verletzen könnte. Dass der Erfolg nicht voraussehbar gewesen sei,
macht der Beschwerdeführer selber nicht geltend. Er bestreitet lediglich,
dass er pflichtwidrig unvorsichtig gehandelt habe; als er sich angeschickt
habe, sein parkiertes Fahrzeug wieder in den Verkehr einzuschalten, habe er
vor allem auf den Verkehr auf der Fahrbahn, die er habe überqueren wollen,
achten müssen; daneben habe er nicht gleichzeitig sein Augenmerk auf den
Hund richten können, wozu er übrigens auch gar nicht verpflichtet gewesen
sei. Damit setzt er sich über die tatsächliche und daher verbindliche
Feststellung der Vorinstanz hinweg, wonach er den Linksschwenker
einzig deshalb ausgeführt hat, weil er den Hund vertreiben wollte. Zur
Rücksichtnahme auf das Tier war er nach Art. 25 MFG verpflichtet, der
vorschreibt, dass der Führer darnach trachten müsse, Unfälle und selbst
das Erschrecken eines Tieres möglichst zu vermeiden. Zur Rücksichtnahme
auf den Hund war der Beschwerdeführer aber auch verpflichtet auf Grund
des allgemeinen Gebotes der Rechtsordnung, dass Rechtsgüter, zu denen auch
das Interesse der Allgemeinheit an der Unversehrtheit des Tieres gehört,
nicht ohne Not in Gefahr gebracht werden dürfen (vgl. BGE 64 II 260; 77
II 150 Erw. 2). An der Strafbarkeit seines Verhaltens ändert auch nichts,
dass das Tier, wie er geltend macht, vom Eigentümer vorschriftswidrig
frei auf der Strasse laufen gelassen wurde. Das berechtigte ihn nicht,
es mutwillig anzufahren und dadurch zu misshandeln.