Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 149



85 IV 149

39. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juli 1959 i.S. Polizeirichteramt
der Stadt Zürich gegen Hitz. Regeste

    Art. 36 Abs. 2 Satz 3 MFG. Pflicht des an einem Unfall beteiligten
Fahrzeugführers, den Sachschaden bei Abwesenheit des Geschädigten
unverzüglich der nächsten Polizeistelle zu melden.

Sachverhalt

    A.- Am Sonntag, den 10. August 1958, um 19.00 Uhr, stiess Hitz mit
einem von ihm gesteuerten Taxameter an der Zürichhornstrasse in Zürich
8 gegen eine Fussgängerabschrankung und beschädigte sie. Nachdem
er die Scherben eines durch den Anprall in die Brüche gegangenen
Scheinwerferglases seines Wagens zusammengelesen hatte, fuhr er zur
nächsten Telephonkabine, um den für den Kreis 8 zuständigen Strassenmeister
anzurufen. Da er ihn nicht erreichen konnte, läutete er ihm am andern
Morgen nochmals auf und meldete ihm den auf Fr. 130.-- geschätzten Schaden.

    B.- Mit Verfügung vom 6. November 1958 büsste der Polizeirichter
der Stadt Zürich Hitz wegen Unterlassung der gesetzlich vorgeschriebenen
Meldepflicht (Art. 36 Abs. 2 MFG) mit Fr. 50.-.

    Hitz verlangte gerichtliche Beurteilung und wurde daraufhin am
8. Mai 1959 vom Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich
freigesprochen.

    C.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Einzelrichters sei aufzuheben und die
Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners wegen Übertretung von Art. 36
Abs. 2 MFG an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Hitz beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 36 Abs. 2 Satz 3 MFG hat der Führer eines
Motorfahrzeuges, das an einem Unfall beteiligt ist, bei dem nur Sachschaden
entstand, dem Geschädigten oder der nächsten Polizeistelle sofort Anzeige
zu machen sowie seinen Wohnsitz und Aufenthaltsort anzugeben.

    Der Beschwerdegegner bestreitet nicht, dass er nach dieser Bestimmung
gehalten war, den Schaden unverzüglich zu melden. Dagegen macht er geltend,
er habe dieser Pflicht genügt, indem er einige Minuten nach dem Unfall
versucht habe, sich mit dem Strassenmeister in Verbindung zu setzen,
und diesem den Schaden am andern Morgen auch tatsächlich angezeigt habe.

    Dass Hitz nach dem Unfall bestrebt war, den Schaden zunächst der
Geschädigten, nämlich der Stadt Zürich zu melden, indem er sich an einen
städtischen Funktionär wandte, den er zur Entgegennahme einer solchen
Anzeige für zuständig erachten konnte, ist nicht zu beanstanden; das
Gesetz lässt dem Führer die Wahl, ob er den Geschädigten oder die Polizei
benachrichtigen wolle. Dagegen ist es nicht in sein Belieben gestellt, wann
er den Schaden melden will. Vielmehr ist er von Gesetzes wegen gehalten,
diesen unverzüglich, d.h. so rasch zur Anzeige zu bringen, als ihm nach den
Umständen zuzumuten ist (BGE 83 IV 45). Er darf daher bei Abwesenheit des
Geschädigten mit der Unfallmeldung nicht zuwarten, bis er diesen erreichen
kann, sondern hat sich in einem solchen Fall sogleich an die nächste
Polizeistelle zu wenden. In diesem Sinne wurde auch die Meldepflicht des
an einem Unfall beteiligten Führers im neuen Strassenverkehrsgesetz vom 19.
Dezember 1958 verdeutlicht (Art. 51 Abs. 3). Der Beschwerdegegner behauptet
aber selber nicht, nach dem vergeblichen Versuch, den Strassenmeister
telephonisch zu erreichen, den Schaden der Polizei gemeldet zu haben,
noch macht er geltend, daran verhindert gewesen zu sein. Indem er die
Schadensanzeige ohne triftigen Grund auf den nächsten Morgen verschob,
verstiess er gegen Art. 36 Abs. 2 MFG. Dass der angerichtete Schaden
nach seiner Beschaffenheit eine sofortige Behebung nicht nötig machte,
ist unerheblich. Die Dringlichkeit der Schadensmeldung hängt nicht von
der Schwere oder der Natur des eingetretenen Schadens ab (BGE 83 IV
45 und 43 Nr. 10), sondern ist allgemein durch den Zweckgedanken des
Art. 36 Abs. 2 MFG bedingt. Denn in den Fällen, in denen Erhebungen
über den Unfallhergang, die Unfallfolgen und die beteiligten Personen
sich aufdrängen oder vom Geschädigten verlangt werden, ist es nötig,
der Polizei ein rasches Eingreifen zu ermöglichen; erste Voraussetzung
dazu aber ist eine unverzügliche Anzeige des Schadens. Ob ein solcher Fall
vorliegt, kann der meldepflichtige Führer nicht von sich aus entscheiden,
weswegen es auch nicht ihm überlassen bleiben kann, den Zeitpunkt der
Schadensmeldung zu bestimmen.

Erwägung 2

    2.- Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hat zur
Folge, dass der Beschwerdegegner wegen Übertretung von Art. 36 Abs. 2 MFG
bestraft werden muss. Dem Umstand, dass Hitz sogleich nach dem Unfall
den Strassenmeister zu benachrichtigen versuchte und dass er ihm den
Schaden auch tatsächlich meldete, bevor er davon Kenntnis erhielt, dass
der Vorfall der Polizei angezeigt worden war, wird der Vorderrichter bei
der Bemessung der Strafe gebührend Rechnung tragen können.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich vom 8. Mai 1959
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.