Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 111



85 IV 111

28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. Mai 1959
i.S. Affeltranger gegen Bezirksanwaltschaft Winterthur. Regeste

    Art. 272 Abs. 1 und 2, 251 Abs. 2 BStP. Die Fristen zur Anmeldung
und Begründung der Nichtigkeitsbeschwerde beginnen von Gesetzes wegen
zu laufen; die kantonalen Behörden haben den Beginn des Fristenlaufes
weder festzustellen noch zu verfügen, sondern lediglich in der
Rechtsmittelbelehrung darauf hinzuweisen.

Sachverhalt

    A.- Am 16. August 1958 verurteilte das Bezirksgericht Winterthur
B. Affeltranger wegen Betruges zu einer Gefängnisstrafe von zehn Tagen.
Das Urteil wurde der Angeklagten in der Hauptverhandlung mündlich eröffnet
und im Dispositiv schriftlich übergeben. Dieses enthielt den Hinweis,
dass binnen fünf Tagen gegen das Urteil die Appellation eingelegt
werden könne. Am gleichen Tag erklärte der Verteidiger der Angeklagten
die Berufung.

    B.- Mit Beschluss vom 21. November 1958, zugestellt am 28. November
1958, trat das Obergericht des Kantons Zürich auf die Berufung nicht
ein, weil der Entscheid des Bezirksgerichts nach § 323 a der kantonalen
Strafprozessordnung endgültig war.

    Am 15. Januar 1959 teilte der Verteidiger dem Obergericht mit,
dass seine Berufungserklärung vom 16. August 1958 als Anmeldung der
kantonalen und eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde aufzufassen
sei. Das Obergericht wies darauf mit Beschluss vom 16. Januar 1959 das
Bezirksgericht an, das bei Anmeldung der kantonalen und eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 431 StPO und Art. 272 ff. BStP vorgesehene
Verfahren durchzuführen. Demgemäss nahm das Bezirksgericht Winterthur
mit Beschluss vom 27. Februar 1959, zugestellt am 5. März 1959, von der
Anmeldung der kantonalen und eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde Vormerk
und setzte gleichzeitig der Beschwerdeführerin Frist von zehn Tagen an,
um die kantonale Beschwerde zu begründen.

    C.- Am 21. März 1959 reichte der Verteidiger beim Bezirksgericht
begründete Nichtigkeitsbeschwerde zuhanden des Kassationshofes des
Bundesgerichts ein. Für den Fall, dass die Beschwerdeschrift verspätet sei,
ersuchte er gestützt auf Art. 35 OG um Wiederherstellung der Frist, weil
die vom Bezirksgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung falsch gewesen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Zusammengefasst). Gegen das Urteil des Bezirksgerichts, das
nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung eidgenössischen
Rechts angefochten werden konnte, war gemäss Art. 268 BStP die
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts zulässig.
Davon hat die Beschwerdeführerin innerhalb der gesetzlichen Fristen nicht
Gebrauch gemacht. Nach Art. 272 Abs. 1 und 2 BStP ist die zehntägige
Frist zur Anmeldung der Beschwerde am 26. August 1958 und die Frist von
zwanzig Tagen zu deren Begründung am 6. November 1958 abgelaufen. Die
Beschwerdeanmeldung vom 15. Januar 1959 und die Begründung vom 21. März
1959 waren somit verspätet.

Erwägung 2

    2.- (Zusammengefasst). Die Beschwerdeführerin hat durch den ihr
am 28. November 1958 zugestellten Beschluss des Obergerichts vom
21. November 1958 davon Kenntnis erhalten, dass die Berufung gegen das
Urteil des Bezirksgerichts nicht zulässig und die von diesem erteilte
Rechtsmittelbelehrung unrichtig war. Damit ist das unverschuldete
Hindernis, wenn ein solches im Sinne von Art. 35 Abs. 1 OG bestanden hat
(vgl. BGE 76 I 357), weggefallen und der Beschwerdeführerin die Möglichkeit
offen gestanden, innert der zehntägigen Frist des Art. 35 Abs. 1 OG das
Wiederherstellungsgesuch sowie die versäumte Beschwerdeanmeldung und
Begründung einzureichen. Diese Frist, welche am 8. Dezember 1958 ablief,
hat sie nicht eingehalten.

    Es ist demnach auf das Wiederherstellungsgesuch und demzufolge auch
auf die Beschwerde nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Daran ändert nichts, dass das Bezirksgericht im Sinne
der obergerichtlichen Weisung vom 16. Januar 1959, das kantonale
und eidgenössische Beschwerdeverfahren einzuleiten, am 27. Februar
1959 beide Beschwerden als angemeldet vormerkte und für die kantonale
Beschwerde Frist ansetzte, wodurch beim Vertreter der Beschwerdeführerin
die Meinung hervorgerufen wurde, die zwanzigtägige Frist zur Begründung
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde beginne mit der Zustellung
der bezirksgerichtlichen Verfügung neu zu laufen. Der Zeitpunkt, in
welchem die Fristen zur Anmeldung und Begründung der eidgenössischen
Nichtigskeitsbeschwerde zu laufen beginnen, ist in Art. 272 Abs. 1 und 2
BStP festgelegt und unabänderlich. Der Fristenlauf beginnt von Gesetzes
wegen, bedarf also weder einer Feststellung noch einer Verfügung der
kantonalen Behörden; deren Aufgabe ist es nur, die Parteien gemäss
der Vorschrift des Art. 251 Abs. 2 BStP auf die Rechtsmittelfristen
und die Behörden, an welche der Entscheid weitergezogen werden kann,
hinzuweisen. Das wurde schon im Schreiben des Kassationshofs vom
19. Februar 1958 an das Obergericht des Kantons Zürich und in dem von
diesem an die kantonalen Strafgerichte erlassenen Kreisschreiben vom
26. März 1958 dargelegt. Die erwähnten irreführenden Beschlüsse der
Vorinstanzen berührten somit den Lauf der eidgenössischen Fristen
nicht, ebensowenig aber auch die Frage, ob der Beschwerdeführerin
Wiederherstellung zu gewähren sei. Sie waren für die Fristversäumnis nicht
kausal, da, wie ausgeführt, sowohl die Fristen des Art. 270 Abs. 1 und
2 BStP als auch die Frist des Art. 35 Abs. 1 OG bereits abgelaufen waren.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Auf die Beschwerde und das Wiederherstellungsgesuch wird nicht
eingetreten.