Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 597



85 II 597

82. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Dezember 1959
i. S. Wwe Vogelsang und Zürcher Kantonalbank gegen Vogelsang. Regeste

    1.  Die Klage eines Enterbten, der die Enterbung (mangels Grundangabe
oder wegen Unrichtigkeit der Grundangabe) nicht als gerechtfertigt gelten
lässt und der auf seinem Pflichtteil beharrt (Art. 479 Abs. 3 ZGB),
ist eine Abart der Herabsetzungsklage (Art. 522 ff. ZGB).

    2.  Grundsätzlich sind Herabsetzungsstreitigkeiten unter den materiell
Beteiligten ohne Mitwirkung eines allfälligen Willensvollstreckers
auszufechten. Art. 517/18 und 522 ff. ZGB.

Sachverhalt

    A.- Der am 20. Dezember 1955 verstorbene August Vogelsang-Altenburger
hinterliess als gesetzliche Erben die Witwe Olga Vogelsang-Altenburger
und einen Sohn aus seiner frühern, geschiedenen Ehe, Arthur Gustav
Vogelsang. In seinem Testament vom 27. März 1955 hatte er den Sohn
enterbt und die zweite Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt. In einem
Testamentsnachtrag vom 10. September 1955 hatte er die Zürcher Kantonalbank
als Willensvollstreckerin bezeichnet.

    B.- Das Testament wurde am 2. Februar 1956 eröffnet. Am 5. Dezember
1956 leitete der enterbte Sohn des Erblassers, Arthur Vogelsang,
gegen dessen Witwe beim zuständigen Friedensrichteramt Klage ein mit
den Begehren:

    1. die Enterbung des Klägers sei als ungültig zu erklären;

    2. der Nachlass sei festzustellen;

    3. die Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger den Pflichtteil
auszuzahlen.

    Die Beklagte erhob den Einwand, die Klage müsste ausserdem gegen die
Willensvollstreckerin gerichtet werden. Daher leitete Arthur Vogelsang
am 24. Mai 1957 eine gleichlautende Klage gegen die Zürcher Kantonalbank
als Willensvollstreckerin ein.

    Die beiden Klagen wurden vereinigt und das Verfahren in Bezug auf die
Klagebegehren 2 und 3 eingestellt bis zur rechtskräftigen Erledigung des
Klagebegehrens 1.

    C.- Diesem Begehren gegenüber beriefen sich die Beklagten in erster
Linie auf Verjährung: Der Kläger habe von der Verletzung seiner Rechte
am 2. Februar 1956, bei der Eröffnung des seine Enterbung verfügenden
Testamentes, Kenntnis erhalten. Nun habe er zwar gegen die Beklagte 1
vor Ablauf der Verjährungsfrist des Art. 533 ZGB, gegen die Beklagte 2
dagegen erst nach Ablauf dieser Frist geklagt. Infolge der Verjährung
dieser letztern Klage sei nun aber auch die erste unwirksam, da der
Willensvollstrecker notwendig am Verfahren teilnehmen müsse, also
zwischen ihm und dem zum Nachteil des Klägers begünstigten Erben eine
notwendige Streitgenossenschaft bestehe. Die Klage gegen die Beklagte 1
allein sei nicht zulässig. Im übrigen wurden die im Testament angegebenen
Enterbungsgründe als zutreffend bezeichnet.

    D.- Das Bezirksgericht Zürich hat mit Urteil vom 20. Januar 1959
"die Herabsetzungsklage" (Begehren 1) gegen die Beklagte 2 mangels
Passivlegitimation abgewiesen, gegen die Beklagte 1 dagegen gutgeheissen
und die Enterbung des Klägers als ungültig erklärt.

    E.- Gegen dieses Urteil erklärten die Beklagten Berufung an das
Obergericht mit dem Antrag, die Klage sei gegen die Beklagte 1 mit
Bezug auf das Begehren 1 abzuweisen und demgemäss die im Testament
ausgesprochene Enterbung des Klägers als gültig zu erklären. Der Kläger
schloss sich der Berufung an mit dem Antrag, die Herabsetzungsklage sei
auch gegen die Beklagte 2 gutzuheissen. Das Obergericht befand jedoch
mit Urteil vom 23. Juni 1959 sowohl die Berufung "der Beklagten 1" wie
auch die Anschlussberufung des Klägers als unbegründet und bestätigte
das erstinstanzliche Urteil.

    F.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht halten die Beklagten
am Antrag auf Abweisung beider Klagen fest. In der Begründung wird gerügt,
das obergerichtliche Urteil verletze die Art. 518 und 533, sowie die
Art. 477, 478 und 479 ZGB.

    Der Kläger beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung des
angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Streitwert.)

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte 2, der gegenüber das Obergericht die Klage
abgewiesen hat, ist durch das Urteil nicht beschwert. Auf ihre Berufung
ist daher nicht einzutreten. Der Kläger seinerseits beharrt in der
bundesgerichtlichen Instanz nur mehr auf der Gutheissung der Klage
gegenüber der Beklagten 1, gemäss dem obergerichtlichen Urteil. Dennoch
bleibt die Rechtsstellung der Beklagten 2 zu prüfen mit Rücksicht auf den
von der Beklagten 1 in erster Linie erhobenen Einwand, die Klage hätte sich
auch gegen die Beklagte 2, als notwendige Streitgenossin neben ihr selbst,
richten müssen und sei nun wegen Verjährung der erst nachträglich gegen
die Beklagte 2 erhobenen Klage auch ihr selbst gegenüber als unwirksam
zu erachten.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht verneint die Passivlegitimation des
Willensvollstreckers in Bezug auf die Herabsetzungsklage (Art. 522 ZGB),
so dass sich eine solche Klage weder gegen ihn allein noch gegen ihn und
zugleich gegen den durch die Verfügung des Erblassers Begünstigten als
notwendige passive Streitgenossen zu richten habe. Freilich könne ein
Willensvollstrecker, der die Herausgabe der Erbschaft unter Berufung auf
ein pflichtwidriges Testament verweigere, gerichtlich zur Herausgabe
angehalten werden, "aber nicht durch Erbschaftsklage". Seine Rechte
und Pflichten seien andere als diejenigen eines mit Herabsetzungsklage
belangten Erben (wie hier der Beklagten 1); somit bestehe keine notwendige
Streitgenossenschaft.

    Dem hält der Vertreter der Beklagten vor allem entgegen, man habe es
bei dem vorderhand einzig zu beurteilenden Klagebegehren 1 nicht mit einer
Herabsetzungs-, sondern mit einer Ungültigkeitsklage zu tun. Zu Unrecht.
Gewiss lautet das Begehren 1 dahin, die vom Erblasser ausgesprochene
Enterbung des Klägers sei als "ungültig" zu erklären. Der Kläger beruft
sich jedoch auf keinen Ungültigkeitsgrund im Sinne von Art. 519 und
520 ZGB. Er ficht die Enterbung lediglich wegen Unrichtigkeit der im
Testament angegebenen Enterbungsgründe an und verlangt demgemäss, wie
es Art. 479 Abs. 3 ZGB (mit einem hier nicht zutreffenden Vorbehalt)
vorsieht, nur die Auszahlung seines Pflichtteils (laut dem zur Erläuterung
des Begehrens 1 heranzuziehenden Begehren 3). Diese Klage ist keine
Ungültigkeitsklage im Sinne der Art. 519 ff. ZGB, sondern eine besondere
Art der Herabsetzungsklage im Sinne der Art. 522 ff. ZGB. Der Grund der
Klage liegt darin, dass der Kläger die ihm gegenüber erfolgte Enterbung,
d.h. eben den Entzug des ihm zukommenden Pflichtteils (Art. 477 Abs. 1
ZGB), nicht als gerechtfertigt gelten lässt. Eine solche Klage auf
Schutz des Pflichtteils gegenüber einer mangels Grundangabe oder wegen
Unrichtigkeit der Grundangabe nicht gerechtfertigten Enterbung wird
denn auch allgemein als Herabsetzungsklage betrachtet (Erläuterungen zum
Vorentwurf des ZGB, S. 391 der 2. Ausgabe; TUOR, 2. Auflage, N. 3 und 6,
und ESCHER, 3. Auflage, N. 2 und 3 zu Art. 479 ZGB).

    In Bezug auf die Herabsetzungsklage kommt nun dem Willensvollstrecker
grundsätzlich weder die Aktiv- noch die Passivlegitimation zu, wie die
Vorinstanz im Einklang mit der herrschenden Lehre zutreffend entschieden
hat (vgl. TUOR, 2. Auflage, N. 34, und ESCHER, 3. Auflage, N. 30 zu
Art. 518 ZGB, mit weitern Literaturangaben; Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich vom 5. Juni 1956: BlZR 56 Nr. 89). Wohl kommt der
Willensvollstrecker in den Fall, für die Erbschaft als solche Prozesse
zu führen, sei es als Kläger zur Geltendmachung von Erbschaftsaktiven,
sei es als Beklagter gegenüber einer gegen die Erbschaft erhobenen
Forderungsansprache (vgl. BGE 53 II 208, 54 II 200, 59 II 119). Dabei
handelt er im gemeinsamen Interesse aller Erben. In Bezug auf eine
Testamentsungültigkeitsklage lässt sich seine Passivlegitimation
bejahen, wenn sie gerade die Anordnung der Willensvollstreckung anficht
(vgl. BGE 44 II 107 ff.; ESCHER, aaO N. 28). Unter Umständen hat der
Willensvollstrecker Veranlassung und Befugnis, gegen einen gesetzlichen
Erben auf Herausgabe von Erbschaftssachen zu klagen, um die ihm obliegenden
Verrichtungen besorgen zu können (BGE 77 II 125/26), wie anderseits
ein Erbe, um sein Erbbetreffnis zu erhalten, auf eine Klage gegen den
Willensvollstrecker angewiesen sein kann (BGE 51 II 49; Urteil vom 17.
Februar 1955 i.S. Aubry gegen Schuler, Erw. 3; solches Vorgehen kommt
auch in Frage zur Erlangung von Auskunft und Urkundeneinsicht: BGE 82
II 566/67). Herabsetzungsprozesse sind dagegen in aller Regel unter
den materiell Beteiligten selbst auszufechten. Wenn in BGE 51 II 49
ff. der Willensvollstrecker als passiv legitimiert erachtet wurde auch
gegenüber einer (in eventuellem Sinn erhobenen) Herabsetzungsklage, so
deshalb, weil ihm der Erblasser über die eigentliche Willensvollstreckung
hinaus die Vermögensverwaltung auf Lebenszeit einer Pflichtteilserbin
zugewiesen hatte und er ihr mit Berufung hierauf das Erbschaftsgut
vorenthielt. Im vorliegenden Falle hat man es aber mit einer schlichten
Willensvollstreckung zu tun, die als solche unbestritten ist. Der Streit
geht nur um die Erbberechtigung des Klägers, die ihm der Erblasser durch
Enterbung entzogen hat. Darüber hat sich der Kläger, der die Enterbung
nicht gelten lässt und daher auf seinem Pflichtteil beharrt, mit der
Witwe des Erblassers auseinanderzusetzen, die gemäss dem Testament als
Alleinerbin anerkannt sein will und ihm infolge seiner Enterbung den
Pflichtteil streitig macht. Zu diesem die Erbberechtigungen betreffenden
Streit Partei zu ergreifen, steht der Willensvollstreckerin nicht zu. Der
Kläger war somit nicht gehalten, sie als Streitgenossin neben der Witwe
des Erblassers ins Recht zu fassen.

Erwägung 4

    4.- Um ihre abweichende Ansicht zu begründen, führen die Beklagten
ein Beispiel an, das zeigen soll, dass die Auseinandersetzung über eine
Enterbung nicht füglich den materiell Beteiligten überlassen werden dürfe,
wenn der Erblasser gerade im Hinblick auf die von ihm ausgesprochene
Enterbung einen Willensvollstrecker eingesetzt hat:

    "Ein Testator enterbt einen gesetzlichen Erben. Dieser Erbe verwirkt
die Anfechtungsfrist. Die nachträgliche verspätete Anfechtung wird von den
übrigen Erben anerkannt, aber vom Willensvollstrecker, der vom Erblasser
ausdrücklich zu diesem Zweck ernannt wurde, bestritten, weil es gegen
den Willen des Testators wäre, wenn der Enterbte doch auf Grund einer
Einigung mit den übrigen Erben Erbe würde."

    Dieses Beispiel erscheint nicht als schlüssig. Wollte man dem
Willensvollstrecker die Befugnis einräumen, eine nicht binnen der Frist
des Art. 533 ZGB angefochtene Enterbung gegenüber der Gesamtheit der
Erben durchzusetzen, so würde hiefür die Zuerkennung eines auf diesen Fall
beschränkten Feststellungs- und Interventionsrechtes genügen. Daraus wäre
nicht abzuleiten, dem Willensvollstrecker komme allgemein in Bezug auf
die Herabsetzungsklage die Passivlegitimation zu. Übrigens besteht auch
kein genügender Grund, ihm ein Feststellungs- und Interventionsrecht
im erwähnten Sinne zuzuerkennen. Den nach Ablauf jener Frist belangten
Erben steht frei, von der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen
(Art. 142 OR; dass man es entsprechend dem Wortlaut von Art. 533 ZGB
mit Verjährung und nicht mit Verwirkung zu tun habe, wird entgegen
abweichenden Ansichten neuerdings von ESCHER, 3. Auflage, N. 1 am
Ende zu Art. 533 in Verbindung mit N. 1 zu Art. 521 ZGB, dargelegt und
entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts; vgl. BGE 75 II 193 Erw.
3 betreffend die Herabsetzungsklage und BGE 83 II 509/10 betreffend
die Ungültigkeitsklage). Im übrigen können sich die Erben über eine
angefochtene Enterbung gütlich verständigen und so die jedem zustehende
Erbberechtigung in einer auch vom Willensvollstrecker zu beachtenden
Weise festlegen.

Erwägung 5

    5.- (Zu den Enterbungsgründen.)

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Berufung eingetreten werden kann, wird sie abgewiesen
und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Juni 1959
bestätigt.