Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 593



85 II 593

81. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1959
i.S. Moser-Glaser & Cie. A.-G. gegen Maschinenfabrik Oerlikon. Regeste

    Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts in Patentstreitigkeiten,
Art. 67 Ziff. 1 OG.

    Von der Vorinstanz nicht geprüfte Nichtigkeitsgründe können vom
Bundesgericht nicht beurteilt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Vorinstanz hat richtigerweise die Widerklage, mit welcher die
Beklagte die Nichtigerklärung der streitigen Patente anstrebt, vorweg
behandelt. Denn der Schutz der mit der Hauptklage geltend gemachten
Ansprüche setzt die Rechtsbeständigkeit dieser Patente voraus.

    Die Vorinstanz hat sodann ihre Beurteilung der Patente 257 218/9 auf
die Frage beschränkt, ob die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Offenbarung
und der unzureichenden Definition der im Streite liegenden Erfindungen
(Art. 16 Ziff. 7 und 8 des in dieser Hinsicht anwendbaren aPatG) gegeben
seien; ferner hat sie die Gültigkeit aller vier streitigen Patente
unter dem Gesichtspunkt der Identität im Sinne von Art. 16 Ziff. 5
aPatG geprüft. Da sie zum Ergebnis gelangte, diese Nichtigkeitsgründe
seien gegeben, brauchte sie zu den von der Beklagten weiter angerufenen
Nichtigkeitsgründen des Nichtvorhandenseins einer Erfindung wegen Fehlens
eines technischen Fortschritts sowie der Erfindungshöhe (Art. 16 Ziff. 1
aPatG) und der mangelnden Neuheit (Art. 16 Ziff. 4 aPatG) nicht Stellung
zu nehmen.

    Diese Begrenzung des Gegenstandes der Beurteilung ist auch massgebend
für die Umschreibung des Themas des Berufungsverfahrens. Auch das
Bundesgericht hat einzig zu prüfen, ob die Nichtigerklärung der Patente
257 218/9 wegen ungenügender Offenbarung, wegen unzureichender Definition
oder wegen Identität der geltend gemachten Schutzansprüche, und die
Nichtigerklärung der Patente 261 736 und 262 655 wegen Identität mit
den beiden genannten älteren Patenten den Vorschriften des Patentgesetzes
entspreche. Ergibt sich, dass dies nicht der Fall ist, die Patente also auf
Grund der von der Vorinstanz angerufenen Bestimmungen nicht als nichtig
zu erklären sind, so ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur
Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen der weiteren von der Beklagten
angerufenen, durch die Vorinstanz nicht geprüften Nichtigkeitsgründe
erfüllt sind.

    Dem Antrag der Parteien, das Bundesgericht möge im vorliegenden
Berufungsverfahren nötigenfalls auch diese weiteren Nichtigkeitsgründe
behandeln, kann nicht stattgegeben werden. Hiezu fehlt es an der
erforderlichen Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz. Die
durch Art. 64 OG für diesen Fall getroffene Regelung ist durch die in
Art. 118 PatG vorgenommene Revision des Art. 67 OG für Patentstreitigkeiten
nicht ausser Kraft gesetzt worden. Auch für solche gilt der Grundsatz,
dass die Aufgabe des Bundesgerichts als Berufungsinstanz in der Überprüfung
der Anwendung des Bundesrechts durch die kantonalen Gerichte besteht und
die Ermittlung des Sachverhalts dem kantonalen Gerichte zukommt. Art. 67
OG gestattet zwar dem Bundesgericht, die tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz über technische Verhältnisse zu überprüfen und zu diesem
Zwecke auch allenfalls notwendige Beweismassnahmen zu treffen. Daraus
kann jedoch nicht gefolgert werden, das Bundesgericht sei auch befugt
oder gar verpflichtet, den Sachverhalt abzuklären, der für die Beurteilung
weiterer, von der Vorinstanz überhaupt nicht geprüfter Fragen massgebend
ist. Das wäre nicht mehr Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz, sondern eine eigene, selbständige Entscheidung über Tatfragen
(vgl. nicht veröffentlichtes Urteil der 1. Zivilabteilung vom 21. September
1957 i.S. Klemm-Manufaktur A. Mettier c. Novoplast G.m.b.H., Erw. 1).

    Diese zurückhaltende Auslegung der Ausnahmebestimmung des Art. 67
OG drängt sich noch aus der weiteren Überlegung auf, dass Ziff. 2 Abs. 2
der genannten Bestimmung das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel
nicht unbeschränkt, sondern nur im Sinne einer Ausnahme zulässt, wenn die
Partei sie im kantonalen Verfahren nicht vorbringen konnte oder wenn dazu
kein Anlass bestand. An diese Voraussetzungen muss ein strenger Massstab
gelegt werden, um zu verhüten, dass eine Partei das kantonale Verfahren
nicht mit der nötigen Sorgfalt betreibt und erst vor Bundesgericht mit
den wesentlichen Vorbringen und Beweismitteln aufwartet. Damit liefe
der Erfinder Gefahr, dass infolge des vom Gegner geführten Prozesses ein
erheblicher Teil der Patentdauer verloren ginge und so der dem Erfinder
vom Gesetz gewährte Schutz weitgehend zunichte gemacht würde. Denn
ein Patent, das im Prozess liegt, kann vom Erfinder in der Regel nicht
durch Lizenzabgabe oder Patentverkauf ausgewertet werden. Umgekehrt muss
auch verhütet werden, dass ein nichtiges Patent sich während der langen
Prozessdauer de facto wie ein gültiges Patent auswirkt.