Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 5



85 II 5

2. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Februar 1959 i.S. Leuch gegen
Leiser. Regeste

    Ehescheidung.

    1.  Güterrechtliche Auseinandersetzung, Vorschlag: Der Erlös
eines vom Manne eingebrachten, während der Ehe verkauften Heimwesens
wäre nur insoweit nicht Mannesgut, sondern Errungenschaft, als er
eine durch Investitionen aus Errungenschaft bewirkte Wertvermehrung
enthielte. Ersatzforderung für veräussertes Eingebrachtes bemisst sich
nach dem Wert desselben zur Zeit der Veräusserung.

    2.  Begriff der Schuldlosigkeit nach Art. 151/52 ZGB: wann kann ein
für die Zerrüttung mitursächliches Verschulden unberücksichtigt bleiben?

Sachverhalt

    A.- Bei Eheschluss im Jahre 1942 war der Mann Eigentümer eines
landwirtschaftlichen Heimwesens in Dietenwil. Im Herbst 1956 verkaufte
er das Gut für Fr. 35'000.-- und zog mit der Familie nach Fehlwies. Nach
wiederholten heftigen Streitigkeiten verliess der Ehemann am 23. Oktober
1957 die eheliche Wohnung und zog zu seiner Stieftochter.

    B.- Am 20. November 1957 leitete die Ehefrau die Scheidungsklage
ein. Mit Urteil vom 13. Juni/25. Juli 1958 sprach das Bezirksgericht
Arbon die Scheidung gemäss Art. 142 ZGB aus, teilte den Knaben der Mutter
zu und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von Fr. 10'000.-- an die
Klägerin, nämlich Fr. 700.-- für eingebrachtes Frauengut, Fr. 2000.--
Vorschlagsanteil und Fr. 7300.-- als kapitalisierte Rente gemäss
Art. 151/152 ZGB.

    Beide Parteien zogen das Urteil bezüglich der finanziellen Nebenfolgen
an das Obergericht weiter; die Klägerin verlangte einen Vorschlagsanteil
von Fr. 11'300.-- und eine monatliche Rente von Fr. 100.--, der Beklagte
Abweisung der Vorschlags- und Rentenansprüche sowie Herausgabe zweier
Inhaberobligationen von je Fr. 5000.--.

    C.- Mit Urteil vom 21. Oktober 1958 hat das Obergericht des Kantons
Thurgau in teilweiser Gutheissung der Berufung des Mannes und Abweisung
derjenigen der Frau den Beklagten zur Zahlung eines Frauengutsersatzes von
Fr. 700.-- sowie einer monatlichen Rente von Fr. 50.- gemäss Art. 151 ZGB,
die Klägerin zur Herausgabe der zwei Obligationen von je Fr. 5000.--,
eventuell des Gegenwertes von Fr. 10'000.-- nebst Zins ab 30. September
1956 verpflichtet.

    D.- Gegen dieses Urteil haben wiederum beide Parteien Berufung
eingelegt:

    die Klägerin verlangt einen Vorschlagsanteil im Betrag von
Fr. 11'300.--, eventuell nach richterlichem Ermessen, sowie eine monatliche
Rente von Fr. 100.--, eventuell nach richterlichem Ermessen, subeventuell
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung;

    der Beklagte beantragt Abweisung des Rentenbegehrens, eventuell
Herabsetzung der zugesprochenen Rente auf höchstens Fr. 25.- oder
nach richterlichem Ermessen, subeventuell Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz in diesem Punkte.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Ansicht der Klägerin soll ein ehelicher Vorschlag dadurch
entstanden sein, dass der Beklagte im Jahre 1956 aus dem Verkauf des von
ihm eingebrachten Heimwesens Fr. 34'000.--, aus dem des Viehs Fr. 8000.--,
zusammen Fr. 42'000.-- gelöst habe, während beides zusammen zur Zeit
der Heirat Fr. 8000.-- wert gewesen sei, so dass sich ein Vorschlag
von Fr. 34'000.-- ergebe, an dem sie mit einem Drittel = Fr. 11'300.--
beteiligt sei. Der Beklagte bestreitet, dass während der Ehe ein Vorschlag
erzielt worden sei, der unter den Parteien aufzuteilen wäre.

    In dieser Hinsicht stellt die Vorinstanz fest, beim Verkauf des
Heimwesens im Jahre 1956 habe der Beklagte netto Fr. 35'000.-- gelöst
und diesen Betrag in 7 Obligationen zu je Fr. 5000.-- der Darlehenskasse
Niederhelfenschwil angelegt. Diese noch vorhandenen Obligationen seien
als Ersatzanschaffung für das verkaufte Gut und daher wie dieses als
eingebrachtes Mannesgut zu betrachten. Am Erlös aus dem Verkauf könnte
die Klägerin nur dann einen Anteil beanspruchen, wenn das Heimwesen
seit der Eheschliessung eine durch Aufwendungen und Vorkehrungen
bedingte Wertsteigerung erfahren hätte. Solche Investitionen, stellt
die Vorinstanz fest, seien nicht erfolgt. Mit dem - im für die Klägerin
günstigsten Falle errechenbaren Bauaufwand von durchschnittlich Fr. 350.--
im Jahr an drei Gebäuden seien offensichtlich keine wertvermehrenden
Arbeiten zu machen. Vielmehr sei der Wertzuwachs in vollem Umfang auf das
konjunkturbedingte allgemeine Steigen der Bodenpreise zurückzuführen, wie
denn auch der Hauptwert der Liegenschaft im Land und nicht in den Gebäuden
liege. Der Verkaufserlös stelle daher als Ersatzwert eingebrachtes
Mannesgut dar und sei vorweg vom ehelichen Vermögen abzuziehen.
Der Erlös von Fr. 8000.-- aus dem Verkauf des Viehs sei glaubhaft für
eine Verkaufsprovision, für den Haushalt und als Heiratsgut für die
Tochter der Klägerin verbraucht worden. Nach Ausscheidung von Mannes-
und Frauengut bleibe kein eheliches Vermögen, also kein Vorschlag übrig.

    In der Berufungsschrift bestreitet die Klägerin vor allem die
Annahme der Vorinstanz, dass die sieben Obligationen als Ersatz für
das verkaufte Gut zu gelten hätten. Wie es sich damit verhält, ist
indessen ohne Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob ein Vorschlag
bestehe. Sachenrechtlich sind die Obligationen auf jeden Fall Eigentum des
Mannes, sei es als Surrogat des Heimwesens bzw. des Verkaufserlöses, sei es
als eheliches Vermögen. Eine Wertvermehrung ist, wenn überhaupt, nicht an
den Obligationen selbst eingetreten, sondern an der dem Ehemann gehörenden
Liegenschaft in der Zeit zwischen Heirat und Verkauf. Diese Wertvermehrung
würde nur dann nicht Mannesgut, sondern Errungenschaft darstellen, wenn
sie durch wertvermehrende Investitionen aus Errungenschaft bewirkt worden
wäre. Ob dies zutrifft oder nicht, ist eine Tatfrage, deren Verneinung
durch die Vorinstanz das Bundesgericht bindet, sofern diese Feststellung
nicht auf einer Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften oder auf
offensichtlichem Versehen beruht (Art. 63 Abs. 2 OG). Letzteres trifft
keinesfalls zu. Was den ersteren Vorbehalt betrifft, wirft zwar die
Klägerin der Vorinstanz vor, sie habe den Wert des Gutes zur Zeit der
Heirat nicht festgestellt; jedoch zu Unrecht. Die zu entscheidende Frage
war nicht, ob seit der Heirat überhaupt eine Wertvermehrung eingetreten
sei, sondern ob eine allfällige Werterhöhung durch Investition aus dem
ehelichen Vermögen herbeigeführt worden sei. Um dies zu entscheiden, war
es nicht nötig, den Wert des Gutes bei der Heirat genau zu ermitteln;
es genügten vielmehr die von der Vorinstanz angestellten Überlegungen,
die eine Wertvermehrung durch Investition als jedenfalls ausgeschlossen
erscheinen liessen.

    Die Klägerin verficht nun freilich die Meinung, die dem Ehemann
für sein nicht mehr - auch nicht in Gestalt einer Ersatzanschaffung -
vorhandenes Einbringen zustehende Ersatzforderung an das eheliche Vermögen
sei nicht nach dem Wert des Heimwesens beim Verkauf, sondern bei der
Heirat zu bemessen. Dies ist jedoch unrichtig. Nach ständiger Lehre
und Rechtsprechung bemisst sich die Ersatzforderung für veräussertes
Eingebrachtes nach dem Wert desselben zur Zeit der Veräusserung (EGGER
N. 3, GMÜR N. 12 zu Art. 210 ZGB; EGGER Art. 154 N. 8, LEMP Art. 214
N. 46; DENEREAZ, Le calcul du bénéfice de l'union conjugale, S. 105; BGE
50 II 435, 62 II 340, 81 III 43). Wenn in dem von der Berufungsklägerin
angerufenen Urteil BGE 75 II 279 allerdings auf den Wert der veräusserten
Mannesliegenschaft zur Zeit des Eheschlusses zurückgegriffen wird, so nur
weil der effektive Verkaufserlös infolge der Inzahlungnahme schlechter
Wertpapiere dem wirklichen Verkehrswert bei der Veräusserung nicht
entsprach, dieser vielmehr in dem nominellen, mit dem seinerzeitigen
Übernahmewert übereinstimmenden Verkaufspreis zu erblicken war.

    Gehören somit die 7 Obligationen dem Beklagten und besteht, wie
festgestellt, kein Vorschlag, so kann die Klägerin auch nicht die von
ihr zur Deckung ihres vermeintlichen Vorschlagsanteils behändigten 2
Obligationen für sich beanspruchen. Ihr Versuch (S. 6 ihrer Berufung),
die beiden Obligationen als ihr vom Beklagten geschenkt hinzustellen,
indem sie auf ein Testament desselben vom 17. Januar 1957 hinweist, worin
dieser das eingebrachte Gut der Klägerin mit Fr. 10'000.-- bezifferte,
geht fehl. Als Verfügung von Todes wegen entfaltet das Testament
Wirkungen erst mit dem Tode des Erblassers, der es bis dahin immer noch
aufheben oder abändern kann. Die testamentarische Verfügung lässt sich
nicht in ein Schenkungsversprechen konvertieren, und eine Schenkung von
Hand zu Hand - durch Übergabe der Sache vom Schenker an den Beschenkten,
Art. 242 Abs. 1 OR - hat nicht stattgefunden, vielmehr hat die Klägerin die
beiden Obligationen, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich
feststellt (S. 20, 6), eigenmächtig beiseiteschaffen lassen. Bezüglich
des Vorschlagsanspruchs ist daher ihre Berufung abzuweisen, und es muss
bei Dispositiv 5 des vorinstanzlichen Urteils, wonach sie zur Herausgabe,
eventuell Vergütung dieser zwei Titel verpflichtet wird, sein Bewenden
haben.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat der Klägerin eine Rente gemäss Art. 151 ZGB in
Höhe von Fr. 50.- zugesprochen, mit der Begründung, die Voraussetzung der
Schuldlosigkeit verlange nur, dass beim Ansprecher kein Verschulden von
einer gewissen Schwere, nämlich keine Verfehlung vorliege, die entweder
einen speziellen Scheidungsgrund bilde oder objektiv dazu angetan sei,
die Zerrüttung der Ehe herbeizuführen, wofür die Vorinstanz sich auf
BGE 60 II 392 und 71 II 52 beruft. Nun könne die Klägerin nicht als
absolut schuldlos an der Zerrüttung betrachtet werden; sie habe durch
ihr rechthaberisches Verhalten auch zur Zerrüttung der Gemeinschaft
beigetragen. Das überwiegende Verschulden treffe aber den Mann wegen seiner
Rücksichtslosigkeit, Rüpelhaftigkeit und seiner Drohungen. Der Frau müsse
daher die Voraussetzung der "Schuldlosigkeit" zugebilligt werden.

    Eine derart weite Auslegung des Begriffes der Schuldlosigkeit in
Art. 151/52 ZGB dahin, dass nur schwere Verfehlungen gegen die Ehe sie
ausschliessen, rechtfertigt sich indessen nur für schuldhaftes Verhalten,
das für die Zerrüttung und Scheidung nicht kausal ist (BGE 55 II 16, 71 II
52, 79 II 134). Hat jedoch ein Ehegatte, wie es im vorliegenden Falle nach
der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz bei der Klägerin zutrifft,
zur Zerrüttung der Ehe "beigetragen", sie also mitverursacht, so kann
sein Verschulden nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn es sich als im
Vergleich zu den übrigen Zerrüttungsursachen völlig untergeordnet oder als
blosse Reaktion auf eine schwere Herausforderung erweist. So leicht kann
das Verhalten der Klägerin aber nicht beurteilt werden. Hinsichtlich der
Scheidungsgründe hat die Vorinstanz keine vom Bezirksgericht abweichende
Feststellungen getroffen, sondern den von diesem angenommenen Tatbestand
implicite als zutreffend anerkannt. Demnach steht fest, dass unter den
Ehegatten ein grober Ton herrschte, dass sie sich gegenseitig lieblose
Bemerkungen machten und einander beschimpften, dass beide es "wenig"
verstanden, sich anzupassen, einander das Leben schwer gemacht haben und
die Frau den Mann mit Rechthaberei geplagt hat. Bei diesem Sachverhalt
kann die Klägerin, auch wenn den Beklagten das vorwiegende Verschulden
trifft, nicht als schuldlos gelten; es trifft sie an der Zerrüttung eine
kausale Mitschuld, die neben derjenigen des Mannes nicht als verschwindend
gering ausser Betracht gelassen werden darf und daher einem Anspruch aus
Art. 151/52 ZGB entgegensteht.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung der Klägerin wird abgewiesen. In Gutheissung der Berufung
des Beklagten wird Dispositiv 4 des Urteils der Obergerichtes des Kantons
Thurgau vom 21. Oktober 1958 insoweit aufgehoben, als der Klägerin eine
Rente nach Art. 151 ZGB zugesprochen wird, und der Anspruch der Klägerin
auf eine Rente nach Art. 151 oder 152 ZGB abgewiesen. Im übrigen wird
das angefochtene Urteil bestätigt.