Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 II 452



85 II 452

68. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. November 1959 i.S. von Boschan
gegen Blankart & Co. Regeste

    Internationales Privatrecht. Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts.

    Bestimmung des anwendbaren Rechtes in Bezug auf die Frage des
Zustandekommens eines Vertrages (Erw. 2).

    Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage: Die Würdigung von Urkunden
im Rahmen eines Indizienbeweises über das Vorliegen eines mündlichen
Vertragsschlusses ist vom Bundesgericht nicht überprüfbar (Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger verlangt von der Beklagten Fr. 20'000.-- als
Schadenersatz, mit der Begründung, der inzwischen verstorbene Teilhaber
der Beklagten, Dr. Felix Somary, habe ihm am 25. Juli 1955 an einer
mündlichen Besprechung einen der zwei Verwaltungsratssitze bei der
österreichischen AEG-Union Elektrizitätsgesellschaft angeboten, welche
die Beklagte (als Obligationärvertreterin) habe besetzen können. Der
Kläger habe dieses Angebot sofort angenommen, womit eine vertragliche
Verpflichtung der Beklagten zur Übertragung des Verwaltungsratssitzes
an ihn zur Entstehung gelangt sei. Nachträglich hätte die Beklagte dann
aber die Erfüllung der getroffenen Vereinbarung verweigert.

    Die Beklagte bestreitet, dass Dr. Somary das Angebot in ihrem Namen
gemacht habe; überdies sei es nicht rechtsverbindlich gewesen.

    Das Obergericht hat die Klage mit einer doppelten Begründung
abgewiesen: Es hat einmal die Passivlegitimation der Beklagten verneint,
weil Dr. Somary nicht in deren Namen gehandelt habe, und sodann hat es
entschieden, das Zustandekommen einer mündlichen Vereinbarung des vom
Kläger behaupteten Inhalts sei nicht erwiesen.

    Der Kläger ficht mit der Berufung den Entscheid der Vorinstanz nach
beiden Richtungen hin als bundesrechtswidrig an.

Erwägung 2

    2.- Da gemäss Art. 43 Abs. 1 OG mit der Berufung nur die Verletzung
schweizerischen Rechtes gerügt werden kann, ist in erster Linie von Amtes
wegen die Frage des anwendbaren Rechts zu prüfen.

    Streitig ist, ob zwischen den Parteien eine vertragliche Vereinbarung
zustande gekommen sei. Das Zustandekommen eines Vertrages beurteilt sich
gemäss ständiger Rechtsprechung nach dem einheitlichen Schuldstatut,
dem ein Rechtsverhältnis der in Frage stehenden Art als Ganzes untersteht
(BGE 78 II 83 ff., 79 II 297 Erw. 1b).

    Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihm die Übertragung eines
Verwaltungsratssitzes bei einer österreichischen Aktiengesellschaft
zugesichert, den sie als Obligationärvertreterin habe besetzen können. Nach
dem schweizerischen Recht, das als lex fori für die Qualifikation der
Anknüpfungsbegriffe heranzuziehen ist, stellt eine vertragliche Abmachung
des behaupteten Inhalts ein Garantieversprechen im Sinne von Art. 111 OR
dar, sofern der Beklagten ein die österreichische Gesellschaft bindendes
Vorschlagsrecht zustand. Ohne eine solche Bindung hätte man es mit
einem blossen Versprechen der Beklagten zu tun, sich für die Leistung
eines Dritten zu bemühen, wobei eine Haftung des Versprechenden erst
beim Unterbleiben der zugesagten Bemühungen einträte. Im einen wie in
andern Falle würde es sich um eine mit der geschäftlichen Tätigkeit der
Beklagten zusammenhängende Verpflichtung handeln, die dem Recht ihres
Gesellschaftssitzes, also dem schweizerischen Recht, unterstünde, wie auch
das vom Kläger ebenfalls angerufene Kassationsgericht des Kantons Zürich
in seinem Entscheid vom 11. September 1959 zutreffend angenommen hat.

    Ist somit das streitige Rechtsverhältnis vom schweizerischen Recht
beherrscht, so ist auf die Berufung einzutreten.

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorinstanz hat entschieden, die zwischen dem Kläger
und der Beklagten, bzw. Dr. Somary, gewechselten Schreiben vom 26.
August, 20. Oktober und 1. Dezember 1955, auf die der Kläger sich beruft,
vermöchten eine beidseitig verbindliche Abrede im Sinne der klägerischen
Vorbringen nicht nachzuweisen.

    Der Kläger macht geltend, der von der Vorinstanz gezogene Rückschluss
auf den Willen der Parteien beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung
der in den gewechselten Schreiben enthaltenen Willenserklärungen; diese
Auslegung sei gemäss der Rechtsprechung als Rechtsfrage vom Bundesgericht
überprüfbar (BGE 69 II 319 ff., 83 II 307).

    b) Der Kläger verkennt jedoch Sinn und Tragweite der in den genannten
Entscheiden niedergelegten Grundsätze über die Überprüfbarkeit urkundlich
festgelegter Willensäusserungen. Diese Grundsätze finden dort Anwendung, wo
es sich fragt, welcher Parteiwille dem blossen Wortlaut eines schriftlichen
Vertrages nach allgemeiner Lebenserfahrung zu entnehmen sei, und sie
gelten ferner dort, wo zur Entscheidung steht, ob dem Wortlaut von
Urkunden, die zwischen zwei Parteien gewechselt wurden, die Bedeutung
von übereinstimmenden, auf den Abschluss eines Vertrages gerichteten
Willenserklärungen beigemessen werden dürfe. Darum handelt es sich
indessen im vorliegenden Falle nicht. Der Kläger macht nicht geltend, der
Vertrag sei durch die gewechselte Korrespondenz zustande gekommen, was als
Rechtsfrage vom Bundesgericht überprüfbar wäre. Er behauptet vielmehr, der
Vertrag sei anlässlich seiner Besprechung vom 25. Juli 1955 mit Dr. Somary
mündlich abgeschlossen und diese mündliche Abmachung sei dann durch die
nachher gewechselten Schreiben bestätigt worden. Die entscheidende Frage
geht also dahin, ob die vom Kläger angerufenen Schreiben ausreichende
Indizien für die behauptete mündliche Abmachung darstellen.

    Solche Indizienwürdigung bedeutet aber, auch soweit es sich dabei
um die Auslegung von Urkunden handelt, nach der Rechtsprechung eine vom
Bundesgericht nicht überprüfbare Beweiswürdigung (BGE 61 II 40, bestätigt
in verschiedenen nicht veröffentlichten Entscheiden, so i.S. Borig
c. Dimier, vom 24. Februar 1954, Erw. 3 b, i.S. Vodoz c. Società
anonima italiana dentali, vom 18. Mai 1954, Erw. 4, i.S. Jackson
und Kons. c. Bürki, vom 27. Januar 1955, Erw. 3). Insbesondere hat
das Bundesgericht als Berufungsinstanz nicht zu untersuchen, ob die
Vorinstanz Urkunden, die als blosse Indizien in Betracht fallen, im
Lichte der allgemeinen Lebenserfahrung richtig aufgefasst und gewürdigt
hat. In diese Frage hat sich die Berufungsinstanz sowenig einzumischen
wie in die Bewertung irgendwelcher anderer Beweismittel, wie z.B. in die
Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage, der Schlüssigkeit
von Sachverständigengutachten oder von Urkunden, die nicht unmittelbar
auf den behaupteten mündlichen Vertragsschluss Bezug haben.

    c) Die Feststellung der Vorinstanz, die vom Kläger behauptete
mündliche Abmachung sei nicht bewiesen, ist somit als Ergebnis einer
Beweiswürdigung für das Bundesgericht verbindlich. Damit ist dem vom
Kläger geltend gemachten Schadenersatzanspruch der Boden entzogen. Was die
Berufung zur Widerlegung der durch die Vorinstanz aus dem Briefwechsel
gezogenen Schlussfolgerungen vorbringt, ist als unzulässige Kritik an
der Beweiswürdigung nicht zu hören.

Erwägung 4

    4.- Muss danach die Klage auf jeden Fall wegen Fehlens des Nachweises
für einen Vertrag des vom Kläger behaupteten Inhalts abgewiesen werden,
so erübrigt sich die Prüfung des von der Vorinstanz in erster Linie
eingenommenen Standpunktes, Dr. Somary habe bei der Besprechung vom
25. Juli 1955 nicht im Namen der Beklagten gehandelt, weshalb die Klage
mangels Passivlegitimation der Beklagten abzuweisen sei.