Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 III 57



85 III 57

14. Entscheid vom 9. September 1959 i.S. M. Regeste

    Beschwerdeverfahren. Die kantonalen Vorschriften über die Gerichts-
und Parteikosten sind nicht anwendbar. Voraussetzungen für die Auferlegung
der Kanzleikosten und einer Busse (Art. 70 Abs. 2 GebT). Die Zusprechung
einer Parteientschädigung ist ausgeschlossen (Art. 78 GebT).

    Pfändung eines Personenversicherungsanspruchs. Das Verfahren, in
dem der Streit über die Gültigkeit einer Begünstigung auszutragen ist
(Art. 5 und 6 der Verordnung des Bundesgerichts vom 10. Mai 1910), ist
ein Widerspruchsverfahren. Das Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen
dem betreibenden Gläubiger und dem Dritten (Begünstigten) ist nur für die
Betreibung massgebend, in welcher das Widerspruchsverfahren eingeleitet
wurde. Die Pfändung eines Gegenstandes (Versicherungsanspruchs), an dem
ein Dritter ein die Verwertung ausschliessendes Recht geltend macht,
fällt kraft zwingenden Rechts dahin, wenn die Klage, mit welcher der
Gläubiger gemäss Fristansetzung des Betreibungsamtes diesen Drittanspruch
zu bestreiten hat, unterlassen, abgewiesen oder aus prozessualen Gründen
zurückgewiesen wird.

Sachverhalt

    A.- Am 5. Mai 1958 wurde in der Betreibung Nr. 6405, die J. für
eine Forderung von Fr. 500.-- nebst Kosten gegen M. führt, auf
Verlangen des Gläubigers der Rechtsanspruch des Schuldners aus einem
Lebensversicherungsvertrage gepfändet (Rückkaufswert per 5. Mai 1958 Fr.
2955.--). Da der Schuldner seine Arbeitgeberin, eine ausländische
Firma, als Begünstigte bezeichnet und behauptet hatte, dass er dieser
die Police übergeben und auf den Widerruf der Begünstigung verzichtet
habe, setzte das Betreibungsamt der Gläubigerin in der am 23. Mai 1958
versandten Pfändungsurkunde eine Frist von zehn Tagen zur Klage gegen
die Begünstigte auf Ungültigerklärung der Begünstigung. Der Gläubiger kam
dieser Aufforderung mit einer am Sitz der begünstigten Firma eingereichten
Klage nach. Gemäss einer Bescheinigung der Gerichtskanzlei war dieser
Prozess am 1. April 1959 noch hängig.

    B.- Am 29. August 1958 wurde der gleiche Versicherungsanspruch auch
in der ebenfalls von J. für eine Forderung von Fr. 1000.-- nebst Kosten
eingeleiteten Betreibung Nr. 4036 gepfändet. An dieser Pfändung nahm
J. gemäss Art. 110 SchKG auch mit der durch Betreibung Nr. 6210 geltend
gemachten weitern Forderung von Fr. 500.-- nebst Kosten teil. In der am
23. September 1958 versandten Pfändungsurkunde für die Betreibungen Nr.
4036 und 6210 (Gruppe Nr. 198) setzte das Betreibungsamt dem Gläubiger
wiederum Frist zur Klage gegen die Begünstigte auf Ungültigerklärung
der Begünstigung. Das Gericht wies die auf Grund dieser Aufforderung
eingeleitete Klage am 28. November 1958 unter Hinweis auf die noch hängige
erste Klage "wegen Vorliegens der Streitanhängigkeit" zurück. Dieser
Beschluss (der gemäss der darin enthaltenen Rechtsmittelbelehrung an eine
höhere Instanz hätte weitergezogen werden können) ist gemäss Bestätigung
der Gerichtskanzlei vom 19. Januar 1959 rechtskräftig geworden.

    C.- Unter Berufung auf diesen Beschluss ersuchte der Schuldner das
Betreibungsamt am 3. Februar 1959, die Pfändung des Versicherungsanspruchs
in den Betreibungen Nr. 4036 und 6210 als dahingefallen zu erklären
bzw. aufzuheben. Das Betreibungsamt lehnte dieses Begehren am 6. Februar
1959 ab mit der Begründung, die zweite Klage sei nur wegen Streithängigkeit
zurückgewiesen worden, die erste sei materiell noch nicht entschieden
und der Prozess über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Begünstigung
laufe weiter.

    D.- Am 23. März 1959 führte der Schuldner Beschwerde "wegen
Rechtsverweigerung" mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass in den
Betreibungen Nr. 4036 und 6210 die Pfändung des Versicherungsanspruchs
nicht mehr zu Recht bestehe; das Betreibungsamt sei anzuweisen, diese
Pfändung als weggefallen zu bezeichnen bzw. aufzuheben und dies dem
Schuldner und dem Versicherer urkundlich zu bestätigen.

    Die untere Aufsichtsbehörde entschied am 13. Mai 1959, auf die
Beschwerde werde nicht eingetreten, weil der Schuldner innert zehn
Tagen seit Zustellung der sein Begehren abweisenden Verfügung des
Betreibungsamtes vom 6. Februar 1959 hätte Beschwerde führen müssen, und
auferlegte ihm gestützt auf Art. 70 Abs. 2 GebT die Kanzleikosten und eine
Busse von Fr. 20.-, weil die Klage auf Feststellung der Ungültigerklärung
der streitigen Begünstigung noch hängig sei, was der Schuldner ganz genau
wisse, so dass die Beschwerdeführung trölerisch sei.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hat den Rekurs, mit dem der Schuldner
die Aufhebung der Kosten- und Bussenauflage verlangte, am 29. Juli
1959 abgewiesen und dem Schuldner auch die Kosten des zweitinstanzlichen
Verfahrens auferlegt und ihn zudem verpflichtet, den Gläubiger für Umtriebe
vor zweiter Instanz mit Fr. 50.- zu entschädigen.

    E.- Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht
weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz hat den erstinstanzlichen Kostenentscheid
in Anwendung einer Vorschrift der kantonalen ZPO bestätigt und sich
bei der ihrem eigenen Kostenspruch zugrunde liegenden Erwägung, dass
der unterliegende Beschwerdeführer die Kosten des Rekursverfahrens zu
tragen und überdies die Gegenpartei für Umtriebe zu entschädigen habe,
unzweifelhaft ebenfalls auf die kantonalen Vorschriften über die Gerichts-
und Parteikosten gestützt. Ob und inwieweit im Beschwerdeverfahren vor den
Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs den Beteiligten solche
Kosten auferlegt werden dürfen, ist jedoch ausschliesslich eine Frage
des Bundesrechts. Sie wird durch den Gebührentarif zum SchKG geregelt,
der in Art. 69 und 70 von den Gebühren im Beschwerdeverfahren und in
Art. 78 von der Entschädigung der Parteien handelt. Nach Art. 69/Art. 70
Abs. 2 GebT ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich kostenlos, können
aber dem Beschwerdeführer oder seinem Vertreter im Falle missbräuchlicher
oder trölerischer Beschwerdeführung die Barauslagen und Schreibgebühren
(sowie eine Busse bis zu Fr. 200.--) auferlegt werden. Art. 78 GebT
erwähnt das Beschwerdeverfahren vor den Aufsichtsbehörden nicht,
woraus nach ständiger Rechtsprechung zu schliessen ist, dass in diesem
Verfahren Parteientschädigungen nicht zugesprochen werden dürfen (BGE
76 III 83 Erw. 1; vgl. auch schon den von JAEGER in N. 2 zu Art. 21
SchKG angeführten Rekursentscheid des Bundesrates vom 18. Oktober 1892
i.S. Scala, Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs 1 Nr. 51 S. 98). Die
Bestimmung des angefochtenen Entscheides, die den Rekurrenten zur Zahlung
einer Umtriebsentschädigung an den Beschwerdegegner verpflichtet, ist
deshalb als bundesrechtswidrig aufzuheben, und die Bestimmungen des erst-
und zweitinstanzlichen Entscheides, die dem Rekurrenten die Barauslagen
und Schreibgebühren des kantonalen Verfahrens auferlegen, können wie
die von der ersten Instanz ausgefällte Busse vor dem Bundesrecht nur
Bestand haben, wenn dem Rekurrenten missbräuchliche oder trölerische
Beschwerdeführung im Sinne von Art. 70 Abs. 2 GebT vorzuwerfen ist.

Erwägung 2

    2.- Die kantonalen Instanzen betrachten die Beschwerde des Rekurrenten,
die durch den in diesem Punkt nicht weitergezogenen Entscheid der ersten
Instanz als verspätet erklärt wurde, deswegen als trölerisch, weil der
Rekurrent damit in materieller Beziehung geltend gemacht hatte, infolge der
Zurückweisung der Klage, welche der Gläubiger auf die in den Betreibungen
Nr. 4036 und 6210 ergangene Fristansetzung hin eingeleitet hatte, sei die
Pfändung des Versicherungsanspruchs in diesen Betreibungen dahingefallen.
Nach der Ansicht der kantonalen Instanzen hat die Tatsache, dass die auf
Grund der Fristansetzung in der Betreibung Nr. 6405 angehobene Klage auf
Ungültigerklärung der Begünstigung noch hängig ist, zur Folge, dass die
Pfändung des streitigen Versicherungsanspruchs auch in den Betreibungen
Nr. 4036 und 6210 bestehen geblieben ist. Die Vorinstanz hält dies für so
klar, dass auch ein Laie eine abweichende Meinung nicht in guten Treuen
habe vertreten können. Zudem bezeichnet sie die Beschwerde als gänzlich
unnütz, weil ja die Pfändung auf alle Fälle in der Betreibung Nr. 6405
bestehen bleibe.

    Die Auffassung des Rekurrenten ist jedoch nicht bloss in guten
Treuen vertretbar, sondern sogar richtig. Das Verfahren, in dem gemäss
der Verordnung des Bundesgerichtes vom 10. Mai 1910 der Streit über die
Gültigkeit der Begünstigung bei einem Versicherungsvertrag auszutragen ist,
ist nichts anderes als ein Widerspruchsverfahren (vgl. JAEGER, N. 3 zu Art.
106 SchKG). Das Ergebnis eines solchen Verfahrens ist unter Vorbehalt des
hier nicht gegebenen Falles, dass der Streit um einen im Gewahrsam des
Schuldners befindlichen Gegenstand geht und der Drittansprecher gemäss Art.
107 SchKG gegen den seine Ansprache bestreitenden Schuldner klagt, nur
für die Betreibung massgebend, in deren Verlauf es eingeleitet wurde. Das
Urteil im Prozess, der sich an die Fristansetzung in der Betreibung
Nr. 6405 anschloss, wird daher nur für diese Betreibung, nicht auch für
die Betreibungen Nr. 4036 und 6210 gelten, in denen der bereits in der
Betreibung Nr. 6405 gepfändete Versicherungsanspruch neuerdings gepfändet
wurde. Mit Recht hat deshalb das Betreibungsamt in den Betreibungen
Nr. 4036 und 6210 den Gläubiger wiederum zur Klage auf Anfechtung der
Begünstigung aufgefordert und der Gläubiger auf diese Aufforderung hin
eine neue Klage eingeleitet. Hätte er letzteres nicht getan, so wäre die
Pfändung des Versicherungsanspruchs in diesen Betreibungen gemäss der
Androhung, die entsprechend Art. 6 Abs. 3 der erwähnten Verordnung mit
der Fristansetzung verbunden worden war (vgl. das obligatorische Formular
Nr. 15), ohne weiteres dahingefallen. Gleich wie bei Unterlassung der Klage
fällt die Pfändung aber auch dann dahin, wenn die rechtzeitig eingeleitete
Klage abgewiesen oder aus prozessualen Gründen zurückgewiesen wird, wie
es hier geschehen ist. Der Umstand, dass das Gericht die zweite Klage
als mit der ersten identisch betrachtete und deshalb "wegen Vorliegens
der Streitanhängigkeit" zurückwies, kann nichts daran ändern, dass nach
schweizerischem Betreibungsrecht die zweite Klage unerlässlich war,
um die Pfändung des Versicherungsanspruchs in den Betreibungen Nr. 4036
und 6210 aufrecht zu erhalten, und dass die in Rechtskraft erwachsene
Zurückweisung dieser Klage die Pfändung des erwähnten Anspruchs in
den eben genannten Betreibungen dahinfallen liess. Diese Rechtsfolge
ist unausweichlich, und zwar gilt dies unabhängig davon, ob sich das
Gericht anhand der Klagebegehren und der Klagebegründung hätte davon
Rechenschaft geben können und sollen, dass es sich um zwei Klagen mit
verschiedenem Streitgegenstand handelte (Wirksamkeit der Begünstigung in
der Betreibung Nr. 6405 einerseits, in den Betreibungen Nr. 4036 und 6210
anderseits), oder ob es die beiden Klagen für identisch halten durfte,
weil der Gläubiger die nötige Klarstellung unterlassen hatte.

    Dass die Feststellung des Hinfalls der Pfändung des
Versicherungsanspruchs in den Betreibungen Nr. 4036 und 6210 dem
Rekurrenten wegen des Fortbestands der Pfändung in der Betreibung Nr. 6405
gar nichts nützen würde, wie die Vorinstanz annimmt, ist zweifellos
unrichtig. Es macht für den Rekurrenten, dem ein rechtliches Interesse am
Weiterbestand der von ihm abgeschlossenen Versicherung nicht abgesprochen
werden kann, selbstverständlich einen wesentlichen Unterschied aus, ob der
Versicherungsanspruch mit einem Rückkaufswert von rund Fr. 3000.-- nur für
die mit der Betreibung Nr. 6405 geltend gemachte Forderung von Fr. 500.--
oder daneben auch noch für die Forderungen von zusammen Fr. 1500.--
gepfändet sei, auf welche die Betreibungen Nr. 4036 und 6210 sich beziehen.

    Es kann also keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführung
des Rekurrenten wegen Aussichts- oder Zwecklosigkeit der Beschwerde
trölerisch sei.

Erwägung 3

    3.- Darin, dass der Rekurrent nicht binnen zehn Tagen seit Empfang
der Verfügung des Betreibungsamtes vom 6. Februar 1959, sondern erst
mehrere Wochen später Beschwerde führte, erblicken die Vorinstanzen mit
Recht keinen Grund, ihm missbräuchliche oder trölerische Beschwerdeführung
vorzuwerfen. Diese Tatsache könnte einen solchen Vorwurf um so weniger
rechtfertigen, als es trotz der formell rechtskräftig gewordenen
Verfügung des Betreibungsamtes vom 6. Februar 1959 dabei bleibt, dass
die Pfändung des Versicherungsanspruchs in den Betreibungen Nr. 4036
und 6210 dahingefallen ist. Es wird nicht etwa nur durch die Rücksicht
auf den Schuldner verlangt, sondern ist zum Schutze des von der Pfändung
mitbetroffenen Dritten und im Interesse eines geordneten Verfahrensganges
unerlässlich und muss daher als ein Satz zwingenden Rechtes gelten,
dass bei Unterlassung, Abweisung oder aus prozessualen Gründen erfolgter
Zurückweisung der Klage, mit welcher der Gläubiger gemäss Fristansetzung
des Betreibungsamtes einen die Verwertung ausschliessenden Drittanspruch
zu bestreiten hat, die Pfändung des vom Dritten beanspruchten Gegenstands
in der betreffenden Betreibung ohne weiteres hinfällig wird. Obwohl der
Rekurrent gegen die erwähnte Verfügung des Betreibungsamtes erst nach
Ablauf der Frist von Art. 17 Abs. 2 SchKG Beschwerde geführt und sich mit
dem Nichteintretensentscheid der untern Aufsichtsbehörde abgefunden hat,
wird also das Betreibungsamt die dem Versicherer gemäss Art. 99 SchKG
zugestellte Anzeige der Pfändung des Versicherungsanspruchs in den
Betreibungen Nr. 4036 und 6210 von Amtes wegen zu widerrufen haben.

    Die Busse und die Kosten der ersten und zweiten Instanz sind dem
Rekurrenten mithin wie die Parteientschädigung ohne Zweifel zu Unrecht
auferlegt worden.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    In Gutheissung des Rekurses werden der angefochtene Entscheid
und die dadurch bestätigten Bestimmungen des Entscheides der untern
Aufsichtsbehörde vom 13. Mai 1959 (Kosten- und Bussenauflage) aufgehoben.