Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 69



83 I 69

11. Auszug aus dem Urteil vom 8. März 1957 i. S. Eyer und
Einwohnergemelnde Thun gegen Regierungsrat des Kantons Bern. Regeste

    Einspruch gegen Liegenschaftskäufe: Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG, wonach
Rechtsgeschäfte, die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben abgeschlossen
werden, vom Einspruchsverfahren ausgenommen sind, ist nicht anwendbar
auf Käufe, durch die sich eine Gemeinde eine allgemeine Landreserve für
allfällige künftige Bedürfnisse sichern will.

Sachverhalt

    A.- Frau Rosa Luise Eyer ist Eigentümerin eines bäuerlichen Heimwesens
im Halte von 311,64 a, das auf dem Gebiete der Gemeinde Thun im "Buchholz",
ausserhalb der Bauzone, liegt. Mit Vertrag vom 29. September 1955
verkaufte sie der Einwohnergemeinde Thun einen Landabschnitt von 243,14
a. Der Grundbuchverwalter erhob gestützt auf Art. 19 Abs. 1 lit. c BG
vom 12. Juni 1951 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes (EGG)
Einspruch, der vom Regierungsstatthalter von Thun und auf Rekurs beider
Vertragsparteien hin vom Regierungsrat des Kantons Bern geschützt wurde.

    B.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen Frau Eyer und
die Einwohnergemeinde Thun, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben
und den Einspruch des Grundbuchverwalters abzuweisen.

    Sie machen vor allem geltend, der Kaufvertrag sei von der Gemeinde
zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben abgeschlossen worden, so dass
gemäss Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG das Einspruchsverfahren nicht anwendbar
sei. Die Gemeinde benötige für öffentliche Hochbauten, Strassen, Plätze
und Anlagen und zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus Grund und Boden,
könne aber mit dessen Ankauf jeweils nicht zuwarten, bis ein ausgereiftes
Projekt vorliege. Um eine dem allgemeinen Interesse entsprechende,
einer allseitigen Ortsplanung dienende Bodenpolitik verfolgen zu können,
müsse sie sich eine gewisse Landreserve sichern. Eine solche brauche sie
insbesondere auch, um den vielfach, namentlich von der Burgergemeinde
Thun, als Gegenleistung für Landabtretungen geforderten Realersatz bieten
zu können. Aus flnanziellen Gründen sei sie darauf angewiesen, Boden
ausserhalb der Bauzone zu erwerben. Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG schliesse
das Einspruchsverfahren gegenüber einer Gemeinde nicht nur dann aus,
wenn das von ihr gekaufte Land unmittelbar für einen öffentlichen Zweck
verwendet werden solle. Es gehe nicht an, die Gemeinde an der Erfüllung
ihrer Aufgaben zu hindern mit der Begründung, dass es den bäuerlichen
Grundbesitz zu erhalten gelte. Übrigens werde das in Frage stehende
Land durch den Verkauf der landwirtschaftlichen Nutzung nicht entzogen,
sondern solle weiterhin den bisherigen Pächtern überlassen bleiben.

    C.- Der Regierungsrat schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
eidg. Justiz- und Polizeidepartement teilt seinen Standpunkt.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG ist das Einspruchsverfahren nicht
anwendbar auf Rechtsgeschäfte, für die das Enteignungsrecht gegeben ist
oder die zur Erfüllung öffentlicher, gemeinnütziger oder kultureller
Aufgaben abgeschlossen werden oder dem Ersatz von Liegenschaften dienen,
die für solche Zwecke verkauft worden sind. Das Bundesgericht hat
bei Beurteilung eines Landverkaufs an eine gemeinnützige Stiftung
entschieden, dass man es mit einem zur Erfüllung öffentlicher,
gemeinnütziger oder kultureller Aufgaben abgeschlossenen Geschäft
im Sinne der Vorschrift nur dann zu tun hat, wenn das Kaufsobjekt
unmittelbar für einen solchen Zweck verwendet werden soll (BGE 80 I
413 Erw. 4). An dieser Auslegung ist festzuhalten, auch für Fälle,
wo es sich um Liegenschaftskäufe öffentlich-rechtlicher Körperschaften
oder Anstalten handelt. Landerwerbungen des Gemeinwesens dienen stets
mehr oder weniger öffentlichen Zwecken. Würde es für die Anwendung von
Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG genügen, dass der Kauf im Hinblick auf allfällige
zur Zeit des Abschlusses noch ganz unbestimmte öffentliche Bedürfnisse,
zur Schaffung einer allgemeinen Landreserve, vorgenommen wird, so wären
Landkäufe der öffentlichen Hand kraft Bundesrechts vom Einspruchsverfahren
praktisch überhaupt ausgenommen. Wäre das gewollt, so müsste es im Gesetz
zum Ausdruck kommen. Das ist nicht der Fall. Der Wortlaut von Art. 21
Abs. 1 lit. b EGG, namentlich die Erwähnung der Rechtsgeschäfte, für
die das Enteignungsrecht gegeben ist, lässt vielmehr erkennen, dass eine
Widmung für bestimmte Zwecke gemeint ist. Eine weitergehende Beschränkung
des Einspruchsverfahrens ist in der Bestimmung nicht vorgeschrieben.

    Der angefochtene Entscheid verletzt Art. 21 Abs. 1 lit. b EGG
nicht. Wohl wird in der Beschwerde auf die verschiedenen öffentlichen
Aufgaben hingewiesen, für deren Erfüllung die Einwohnergemeinde Thun Land
erwerben müsse. Aber es fehlt an konkreten Angaben, denen zu entnehmen
wäre, dass der umstrittene Landkauf unmittelbar einem bestimmten
öffentlichen Zweck zu dienen habe. Es werden lediglich unbestimmte
Möglichkeiten angeführt; die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die
Gemeinde müsse sich eine allgemeine Landreserve im Hinblick auf allfällige
künftige Bedürfnisse sichern, namentlich um gegebenenfalls Realersatz
leisten zu können. Es liegen keine Verträge oder sonstige Unterlagen vor,
aus denen zu schliessen wäre, dass der in Frage stehende Landabschnitt
bestimmten Grundeigentümern als Ersatz für Boden, der von der Gemeinde
zu bestimmten öffentlichen Zwecken beansprucht würde, abgetreten werden
soll. Dass die Gemeinde ihrerseits Boden für öffentliche, gemeinnützige
oder kulturelle Zwecke verkauft habe, welcher nun durch das Land der Frau
Eyer ersetzt werden solle, wird nicht behauptet. Unter diesen Umständen
besteht kein Grund, das Einspruchsverfahren gestützt auf Art. 21 Abs. 1
lit. b EGG auszuschliessen. Ob durch den Verkauf der landwirtschaftlich
genutzte Boden geschmälert werde oder nicht, ist unter dem Gesichtspunkt
dieser Bestimmung unerheblich.