Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 I 294



83 I 294

41. Auszug aus dem Urteil vom 20. September 1957 i.S. X. gegen
Schweiz. Bundesrat. Regeste

    Disziplinarrechtspflege:

    1.  Die während der Amtsdauer wegen Dienstpflichtverletzungen verfügte
Entlassung unterliegt, auch wenn sie vom Bundesrat angeordnet wird, der
Beschwerde an das Bundesgericht. Ob die Massnahme als Disziplinarstrafe
bezeichnet ist oder nicht, ist unerheblich.

    2.  Dem Beamten, der bei Ablauf der Amtsdauer nicht oder nur
provisorisch wiedergewählt wurde, steht die Beschwerde beim Bundesgericht
nicht zu.

Sachverhalt

    Der Beschwerdeführer war Instruktionsoffizier. Als im Herbst 1956 die
Wiederwahl der Bundesbeamten für die Amtsperiode 1957/59 fällig wurde,
war eine militärgerichtliche Untersuchung gegen ihn hängig. Der Bundesrat
wählte ihn deshalb für die neue Amtsperiode nur mit Vorbehalt wieder. In
der Folge wurde der Beschwerdeführer vom Militärgericht verurteilt,
worauf der Bundesrat gestützt auf jenen Vorbehalt beschloss, ihn mit
sofortiger Wirkung aus dem Bundesdienst zu entlassen, und feststellte,
dass die Entlassung eine selbstverschuldete im Sinne der Statuten der
Versicherungskasse sei.

    Gegen diese Verfügung erhebt X. "Disziplinarbeschwerde gemäss Art. 117
OG", unter Vorbehalt einer Klage nach Art. 110 daselbst.

    Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der angefochtene Entscheid,
durch den er mit sofortiger Wirkung entlassen wurde, spreche trotz
seiner abweichenden Begründung eine Disziplinarstrafe aus und dürfe
der richterlichen Überprüfung nicht entzogen werden. In der Tat hat
das Bundesgericht in ständiger Praxis entschieden, dass die Entlassung
eines Beamten wegen Dienstpflichtverletzungen sich als disziplinarische
Massnahme darstellt und seiner Überprüfung unterliegt, auch wenn sie
von der Verwaltung als Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen
Gründen bezeichnet oder wenn sie auf andere Gründe gestützt wird, diese
Motive aber nur vorgeschoben sind und der wirkliche Grund in Verletzungen
der Dienstpflicht liegt (BGE 80 I 84, 81 I 244).

    Die gerichtliche Beurteilung ist auch dann garantiert, wenn die
disziplinarische Entlassung vom Bundesrat verfügt wird. Art. 117 Abs. 1
OG erklärt die Disziplinarbeschwerde an das Bundesgericht allgemein
als zulässig gegen Verfügungen, durch die ein Bundesbeamter während der
Amtsdauer wegen Verletzung seiner Dienstpflichten entlassen oder in das
provisorische Dienstverhältnis versetzt wird. Nicht in diesem Gesetz,
sondern in den das Dienstverhältnis ordnenden Vorschriften ist bestimmt,
welche Behörde im einzelnen Fall zuständig ist, die Entlassung zu verfügen,
von welcher Verwaltungsinstanz also die Beschwerde ans Bundesgericht geht
(Art. 33 BtG; Botschaft des Bundesrates vom 27. März 1925 zum VDG, BBl 1925
II S. 257). Der Bundesrat leitet hier mit Recht keine Einwendung gegen
die Erhebung der Disziplinarbeschwerde daraus her, dass der angefochtene
Entscheid von ihm erlassen wurde; denn er wäre zur disziplinarischen
Entlassung zuständig gewesen (Art. 26 BO I).

Erwägung 2

    2.- Der Antrag des Bundesrates auf Nichteintreten wird vielmehr
damit begründet, dass sein Entscheid keine Disziplinarmassnahme
sei; die Entlassung beruhe zwar ausschliesslich auf den durch
das militärgerichtliche Urteil festgestellten Verfehlungen des
Beschwerdeführers, sei aber nicht während der Amtsdauer erfolgt, weil
der Beschwerdeführer infolge des an seine letzte Wiederwahl geknüpften
Vorbehalts die Garantie der Amtsdauer nicht mehr genossen habe.

    Gemäss Art. 117 OG unterliegen der Disziplinarbeschwerde nur
Entlassungen während der Amtsdauer, und die zitierte Praxis des
Bundesgerichts bezieht sich nur auf solche. Das brauchte in den einzelnen
Urteilen nicht besonders gesagt zu werden, da es sich schon aus dem
Gesetz ergibt. Dagegen kann die Nichtwiederwahl bei Ablauf der Amtsdauer
nicht mit Disziplinarbeschwerde angefochten werden. Ihre grundsätzliche
Verschiedenheit von der disziplinarischen Entlassung beruht auf dem
Wesen der Amtsdauer und ist in der zitierten Botschaft (aaO, S. 256)
ausdrücklich hervorgehoben worden: "Die Entlassung als Disziplinarstrafe
ist zunächst scharf zu scheiden von der Nichtwiederwahl nach Ablauf
der Amtsdauer. Es liegt im Begriff der Amtsdauer, dass bei jedem
Ablauf derselben die Wahlbehörde frei ist, den Beamten wiederzuwählen
oder nicht. An diesem Rechtszustand ändert die Tatsache nichts, dass
aller Regel nach die Wiederwahl erfolgt; der Beamte hat doch keinen
rechtlichen Anspruch darauf. Wird er also nach Ablauf der Amtsdauer
nicht wiedergewählt, so steht ihm die Beschwerde ans Bundesgericht nicht
zu.". Art. 117 OG schützt den Beamten nur im Genusse der Amtsdauer, nicht
aber gegen Nicht- oder nur provisorische Wiederwahl nach deren Ablauf
(nicht veröffentlichte Urteile vom 9. November 1951 i.S. Geiser, E. 5,
und vom 8. März 1957 i.S. Osterwalder). Ist somit die Nichtwiederwahl als
solche der Überprüfung durch das Bundesgericht entzogen, so können diesem
doch allfällig daraus sich ergebende vermögensrechtliche Ansprüche des
Beamten gegen den Bund oder eine seiner Versicherungskassen unterbreitet
werden, nämlich mit der verwaltungsrechtlichen Klage nach Art. 110 OG. Auf
diesem Wege kann es namentlich zur Beurteilung der Frage angerufen werden,
ob die Nichtwiederwahl vom Beamten selbst verschuldet sei oder nicht. Zur
Begründung eines solchen Selbstverschuldens genügen jedenfalls solche
Verletzungen der Dienstpflicht, welche die disziplinarische Entlassung
zu rechtfertigen vermocht hätten. Insofern kann also nicht gesagt
werden, durch Verzicht auf die disziplinarische Entlassung und durch
Nichtwiederwahl nach Ablauf der Amtsdauer umgehe die Verwaltung die
richterliche Überprüfung.