Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 194



83 IV 194

57. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1957
i.S. de Perrot gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, sowie Gamper
und Ochsé. Regeste

    Art. 321 StGB; VerletzungdesBerufsgeheimnisses. Begriff des "nach
Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichteten Revisors".

Sachverhalt

    A.- Roger de Perrot stellte am 2. August 1956 bei der
Bezirksanwaltschaft Zürich Strafanzeige gegen Ernst Gamper und John Ochsé
u.a. wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB). Gamper ist
Präsident des Verwaltungsrates der Schweizerischen Kreditanstalt und
Vizepräsident des Verwaltungsrates der "Fides" Treuhand-Vereinigung;
Ochsé ist Vizedirektor der "Fides". Nach der Strafanzeige soll
Gamper ein von der "Fides" für de Perrot erstattetes Gutachten vom
10. November 1955 über dessen Geschäfte mit der Schweizerischen
Schiffshypothekenbank an Dr. O. Aeppli von der Schweizerischen
Kreditanstalt zur Bearbeitung weitergegeben haben. Dadurch habe Gamper
die berufliche Geheimhaltungspflicht verletzt, zu der er als Mitglied des
Verwaltungsrates der "Fides" auf Grund der eindeutigen Instruktion des
Anzeigers verpflichtet gewesen sei, da dieser mit Schreiben vom 7. März
1956 an Direktor Rasi von der "Fides" lediglich der Aushändigung des
Berichtes an die Mitglieder des Verwaltungsrates und der Direktion der
"Fides" zugestimmt, dagegen ausdrücklich untersagt habe, "que ce rapport
soit pour le moment communiqué au Crédit Suisse ou au Crédit Hypothécaire
pour la Navigation SA".

    Ochsé wird vorgeworfen, er habe anlässlich einer Zusammenkunft mit Dr.
Aeppli mit diesem das (geheimzuhaltende) Gutachten besprochen.

    B.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich stellte am 23.  November 1956 die
Strafuntersuchung ein, mit der Begründung, das Sonderdelikt des Art. 321
StGB könne nur begehen, wer einen der in dieser Bestimmung angeführten
Berufe ausübe. Diese Voraussetzung erfüllten weder Gamper noch Ochsé. Für
sie habe daher keine gesetzliche Pflicht zur Geheimhaltung bestanden,
weshalb sie wegen der Weitergabe des Berichtes strafrechtlich nicht zur
Verantwortung gezogen werden könnten.

    Den Rekurs, den de Perrot gegen diese Verfügung erhob, wies die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 12. Februar 1957 ab. Sie nahm an,
die den Angeschuldigten vorgeworfene Handlung erfülle weder den Tatbestand
der Verletzung eines Berufsgeheimnisses im Sinne des Art. 321 StGB,
noch denjenigen des Geheimnisverrates im Sinne des Art. 162 StGB.

    C.- Gegen den Rekursentscheid führt de Perrot Nichtigkeitsbeschwerde
mit den Anträgen, er sei aufzuheben und die Sache sei zur
Vornahme ergänzender Untersuchungen und zur Anklageerhebung an die
Staatsanwaltschaft zurückzuweisen. Er macht geltend, die Rekursbehörde
habe den Begriff der Verletzung des Berufsgeheimnisses und des
Geschäftsgeheimnisses unrichtig ausgelegt und den in der Strafanzeige
behaupteten Tatbestand willkürrlich beurteilt.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Möglichkeit einer Verurteilung der Beschwerdegegner nach
Art. 321 StGB hängt davon ab, ob sie vom "Fides"-Bericht in einer der
in Ziff. 1 daselbst vorgesehenen Eigenschaft Kenntnis erhalten haben. In
Betracht kommt hiebei nur die Tätigkeit als "nach Obligationenrecht zur
Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren". Dieser Wortlaut weist indessen
eindeutig auf die Fälle gesetzlich vorgeschriebener Verschwiegenheit
hin, im Unterschied zu vertraglich vereinbarten, nicht schon von
Gesetzes wegen bestehenden Verschwiegenheitspflichten. Die Strafnorm
auf bloss vertragliche Pflichten solcher Art ausdehnen, hiesse ihren
Anwendungsbereich in einer durch den klaren Text des Gesetzes nicht mehr
gedeckten Weise erweitern. Es ist denn auch in der Literatur anerkannt
und entspricht überdies der bei der Gesetzesberatung kundgegebenen
Auffassung, dass der strafrechtliche Schutz des Berufsgeheimnisses nur
den durch das Obligationenrecht selbst, nämlich durch die Art. 730,
819 Abs. 2 und 919 OR begründeten Geheimhaltungspflichten zukommt, dass
somit nur die Revisoren der Aktiengesellschaften und der Genossenschaften,
sowie die besondern Kontrollstellen der Gesellschaften mit beschränkter
Haftung unter die erwähnte Kategorie des Art. 321 Ziff. 1 StGB fallen
(HAFTER, Bes. Teil II S. 854; LOGOZ, Kommentar, N. 3 lit. d zu Art. 321;
THORMANN-OVERBECK, N. 6 zu Art. 321; Sten.Bull. Sonderausgabe, NatR 802,
804/5; StR 392, 396, 399). Die Ansicht des Beschwerdeführers, vertragliche
Verschwiegenheitspflichten (z.B. der Revisoren der Personengesellschaften
oder der Einzelkaufleute) seien auf gleiche Linie wie gesetzliche zu
stellen, trifft somit in strafrechtlicher Hinsicht nicht zu.

    Es ist auch nicht so, dass Art. 321 Ziff. 1 als Täter nur hauptsächlich
in Betracht kommende Fälle nennen würde, denen andere, ähnliche Fälle, wie
eben der vorliegende, gleichzustellen wären. Die Strafnorm umschreibt den
Kreis der Täter abschliessend; sie lässt sich nicht anders verstehen und
wird auch in der Doktrin einmütig so verstanden (vgl. HAFTER, Bes. Teil II
S. 852, 855; LOGOZ, Kommentar, N. 3 zu Art. 321; THORMANN-OVERBECK, N. 3
zu Art. 321). Der Ständerat nahm freilich seinerzeit eine Erweiterung
des strafrechtlichen Schutzes auf alle durch Stand oder Beruf zur
Geheimniswahrung Verpflichteten in Aussicht, liess diese Lösung aber
schliesslich wieder fallen (vgl. Sten.Bull. Sonderausgabe, StR 231,
233, 333, 362, 379, 391/92, 396, 399). Ebenso wurde der weniger weit
gehende Vorschlag, neben den nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit
Verpflichteten auch die Büchersachverständigen (vgl. Art. 723 OR)
in die Strafandrohung einzubeziehen, von den eidgenössischen Räten
abgelehnt (vgl. Sten.Bull. Sonderausgabe, NatR 802, 804; StR 391, 396,
399). Bei dieser Sachlage lässt sich nicht von einer Lücke des Gesetzes
sprechen; jedenfalls ist dessen Ergänzung durch Gerichtspraxis in dem
vom Beschwerdeführer verfochtenen Sinne nicht zulässig.