Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 185



83 IV 185

52. Urteil des Kassationshofes vom 13. Dezember 1957 i.S. Leuenberger
gegen Leuenberger. Regeste

    Art.29StGB. Ist der letzte Tag der Antragsfrist ein Sonntag oder ein
vom zutreffenden kantonalen Recht anerkannter Feiertag, so endigt sie am
nächstfolgenden Werktag.

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 31. Oktober 1956, die gleichentags der Post
übergeben wurde und an das Amtsgericht Willisau gerichtet war, beantragte
Johann Leuenberger die Bestrafung des Franz Leuenberger wegen Verleumdung,
eventuell übler Nachrede. Der Strafantrag traf am 2. November 1956 beim
Adressaten ein und wurde von diesem am gleichen Tage dem Statthalteramt
Willisau übergeben. Gegenstand der Strafklage bilden Vorwürfe, die Franz
Leuenberger am 24. Juli 1956 erhoben und von denen der Antragsteller am
2. August 1956 Kenntnis erhalten hat.

    B.- Das Obergericht des Kantons Luzern stellte am 1.  Oktober 1957 das
Verfahren gegen Franz Leuenberger ein mit der Begründung, der Strafantrag
sei erst am Tage nach Ablauf der Frist des Art. 29 StGB der zuständigen
Behörde, dem Statthalteramt, zugegangen und daher verspätet. Dass er
innert der Antragsfrist der Post übergeben worden sei, sei unerheblich,
da er an eine unzuständige Behörde gerichtet und diese nicht verpflichtet
gewesen sei, ihn an die richtige Behörde weiterzuleiten.

    C.- Johann Leuenberger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen,
der Entscheid des Obergerichtes sei aufzuheben und es sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Franz Leuenberger beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Die Frist von drei Monaten, innert welcher das Strafantragsrecht
ausgeübt werden kann, ist eine bundesrechtliche (Art. 29, 110 Ziff. 6
StGB; BGE 81 IV 322). Ihr Beginn und Ende werden vom eidgenössischen Recht
bestimmt. Allerdings enthält das StGB keine Vorschrift darüber, wie die
Antragsfrist zu berechnen ist, wenn ihr letzter Tag ein Sonntag oder ein
vom zutreffenden kantonalen Recht anerkannter Feiertag ist. Die Lösung
ergibt sich indessen daraus, dass die in verschiedenen Bundesgesetzen -
so im OG, BZP, BStP, SchKG, OR und ZGB - enthaltene Bestimmung, wonach
Fristen um den nächstfolgenden Werktag verlängert werden, wenn ihr letzter
Tag auf einen Sonntag oder einen staatlich anerkannten Feiertag fällt,
sich zum mindesten im Bereiche des Bundesrechts derart eingelebt hat, dass
sie die Bedeutung eines allgemein gültigen Grundsatzes erlangt hat. Aus
Gründen der Rechtssicherheit drängt es sich daher auf, ihn auch bei der
Berechnung der Frist des Art. 29 StGB anzuwenden.

    Wie die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich festgestellt
hat, erhielt der Beschwerdeführer am 2. August 1956 Kenntnis von den
angeblich ehrverletzenden Äusserungen des Beschwerdegegners. Mit diesem
Tage begann daher die Antragsfrist (vgl. BGE 77 IV 209). Sie ist gewahrt,
wenn die Eingabe, durch die der Beschwerdeführer die Bestrafung des
Beschwerdegegners verlangte, am letzten Tag, somit am 1. November 1956, bei
der zuständigen Behörde einging oder zu deren Handen der schweizerischen
Post übergeben wurde (BGE 81 IV 322). Dieser Tag ist im Kanton Bern,
wo der Strafantrag der Post übergeben wurde, Werktag, im Kanton Luzern
dagegen, wo der Antrag zu stellen war, staatlich anerkannter Feiertag. In
solchen Fällen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes (vgl. BGE
40 III 132; 59 III 96) und in analoger Anwendung des Art. 78 Abs. 1 OR
auf die Feiertagsordnung jenes Kantons abzustellen, in welchem sich
der Sitz der Amtsstelle befindet, bei der die an die Frist gebundene
Handlung vorzunehmen ist. Infolgedessen ist im vorliegenden Falle die
Feiertagsordnung des Kantons Luzern massgebend.

    Ist demnach davon auszugehen, dass der 1. November 1956 ein vom
zutreffenden kantonalen Recht anerkannter Feiertag war und darum die
Antragsfrist erst am nächstfolgenden Werktag, also am 2. November 1956,
ablief, so ist der Strafantrag rechtzeitig gestellt worden, denn er ist
nach der tatsächlichen und daher verbindlichen (Art. 277bis Abs. 1 BStP)
Feststellung der Vorinstanz an diesem Tage bei der nach dem massgebenden
kantonalen Recht zuständigen Behörde eingetroffen. Auf welchem Wege er ihr
zugegangen ist, ist unter dem Gesichtspunkte des Bundesrechtes unerheblich.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des
Obergerichtes des Kantons Luzern vom 1. Oktober 1957 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.