Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 135



83 IV 135

36. Urteil des Kassationshofes vom 21. Juni 1957 i.S. Bucher gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 49 Ziff. 4 letzter Satz StGB. Verfehlungen, die keine
vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen sind, begründen den Widerruf der
bedingt vorzeitigen Löschung eines Busseneintrages im Strafregister nur,
wenn darin eine Täuschung des richterlichen Vertrauens liegt. Verneinung
dieses Erfordernisses im Falle einer leichten Übertretung von Art. 49 MFV.

Sachverhalt

    A.- Am 1. März 1956 verurteilte das Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt
Bucher wegen Widerhandlung gegen Art. 45 des BG über Jagd- und Vogelschutz
zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 20.-. Die Probezeit
setzte es auf ein Jahr fest.

    Am 24. September 1956 parkierte Bucher einen Personenwagen während
ca. einer halben Stunde unmittelbar vor einem Stopsignal. Er wurde am
5. November 1956 vom Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt wegen Übertretung
des Art. 49 MFV in eine Busse von Fr. 10.- verfällt.

    B.- Gestützt auf diese Verurteilung widerrief das Amtsstatthalteramt
Luzern-Stadt am 5. Februar 1957 die Anordnung auf vorzeitige Löschung
des Urteils vom 1. März 1956.

    C.- Bucher beantragt mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde,
die Verfügung des Statthalteramtes sei aufzuheben und die Sache zur
Wiederanordnung der ursprünglichen Löschungsbewilligung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern schliesst auf Gutheissung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

               Der Kassationshof ziet in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 49 Ziff. 4 (letzter Satz) StGB findet Art. 41 Ziff. 3,
der den Widerruf des bedingten Strafvollzuges regelt, "sinngemäss" auch
Anwendung auf die bedingt vorzeitige Löschung eines Busseneintrages im
Strafregister. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 41 Ziff. 3
zieht die während der Probezeit begangene Straftat den Vollzug der
bedingt aufgeschobenen Strafe nur dann zwingend nach sich, wenn die Tat
ein vorsätzliches Verbrechen oder Vergehen ist. Die sinngemässe Anwendung
dieser Bestimmung auf die bedingt vorzeitige Löschung eines Busseneintrages
führt notwendig dazu, dass auch in diesem Fall nur die vorsätzliche
Begehung eines Verbrechens oder Vergehens während der Probezeit den
Widerruf der Massnahme zwingend zur Folge hat. Dagegen genügt für sich
allein nicht die fahrlässige Verübung einer strafbaren Handlung oder die
Begehung einer blossen Übertretung, wie das Statthalteramt anzunehmen
scheint.

Erwägung 2

    2.- Verfehlungen, die keine vorsätzlichen Verbrechen oder Vergehen
sind, namentlich fahrlässig begangene strafbare Handlungen sowie
Übertretungen, können den Widerruf der bedingt vorzeitigen Löschung
eines Busseneintrages ebenso wie den Widerruf des bedingt aufgeschobenen
Strafvollzuges begründen, wenn sie das Vertrauen täuschen, das der
Richter auf den Verurteilten gesetzt hat (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1). Nach
der Rechtsprechung darf eine Täuschung des richterlichen Vertrauens aber
nicht leichthin angenommen werden; Natur und Schwere des Fehltritts wie
die Umstände, unter denen er begangen wurde, müssen von einer Schwäche
zeugen, die der Verurteilte mit Rücksicht auf die Bewährungsprobe hätte
meistern können und sollen (BGE 72 IV 148, 75 IV 158, 77 IV 3).

    Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall, den auch
das Amtsstatthalteramt als Bagatellfall bezeichnet, nicht zu. Die
objektiv leichte, einmalige Verfehlung des falschen Parkierens, zumal
sie fahrrlässig begangen wurde und ein grobes Verschulden nicht gegeben
ist, rechtfertigt den Vorwurf des Missbrauchs richterlichen Vertrauens
nicht. Der angefochtenen Widerrufsverfügung fehlt daher die gesetzliche
Grundlage.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung des
Amtsstatthalteramtes Luzern-Stadt vom 5. Februar 1957 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.