Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 419



83 II 419

57. Beschluss der II. Zivilabteilung vom 23. September 1957
i.S. Messerschmitt AG gegen Erben Vogelsang. Regeste

    Berufung und kantonale Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 57 Abs. 1 OG).

    Das Bundesgericht kann über die Zulässigkeit einer gestützt
auf Art. 50 OG erklärten Berufung gegen einen auch mit kantonaler
Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen Entscheid nicht vorweg entscheiden,
selbst wenn das kantonale Prozessrecht die Nichtigkeitsbeschwerde nur
insoweit zulässt, als der angefochtene Entscheid nicht der Berufung an
das Bundesgericht unterliegt.

Sachverhalt

    Am 9. März 1957 reichte Rechtsanwalt Dr. Spörri beim Bezirksgericht
Zürich "namens der Erben des August Vogelsang-Altenburger..., A.... Olga
Vogelsang geb. Altenburger..., B.... Arthur Gustav Vogelsang..., vertreten
durch die Willensvollstreckerin: Zürcher Kantonalbank..." gegen die
Messerschmitt A.-G. Klage auf Anerkennung einer Arrestforderung von
Fr. 203'100.-- nebst Zins und Kosten ein. Vom Bezirksgericht angefragt, ob
die Willensvollstreckerin in diesem Prozess als Partei auftrete, antwortete
er, die Zürcher Kantonalbank führe den Prozess für den Nachlass als
Willensvollstreckerin; sie sei daher im Rubrum als Partei aufzuführen mit
dem Bemerken: "handelnd in ihrer Eigenschaft als Willensvollstreckerin im
Nachlass des August Vogelsang-Altenburger." Darauf wies das Bezirksgericht
die Klage mangels Aktivlegitimation von der Hand. Das Obergericht des
Kantons Zürich, an das die Klägerschaft rekurrierte, hat dagegen mit
Beschluss vom 12. Juli 1957 das Bezirksgericht angewiesen, den Prozess
an Hand zu behalten.

    Diesen Entscheid hat die Beklagte mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde
und ausserdem gestützt auf Art. 50 OG mit Berufung an das Bundesgericht
angefochten. Eine mit der Berufungsschrift eingegangene Eingabe
der Beklagten vom 5. September 1957 enthält das Begehren, das
Bundesgericht möge gemäss Art. 50 Abs. 2 OG zunächst prüfen, ob
es die Voraussetzungen von Abs. 1 des gleichen Artikels als gegeben
erachte. "Je nach dem Entscheid des Bundesgerichtes dürfte sich dann das
kantonale Kassationsgericht darüber schlüssig werden, ob es gemäss § 345
zürch. ZPO die Beschwerde zur Behandlung entgegennehmen will." In einem
dem Bundesgericht in Kopie vorgelegten Schreiben an den Präsidenten des
Kassationsgerichtes vom gleichen Tage führt der Vertreter der Beklagten
aus, er sei der Auffassung, dass in diesem Falle Art. 57 OG nicht zur
Anwendung komme; das Bundesgericht werde sich gemäss Art. 50 Abs. 2
OG zunächst darüber auszusprechen haben, ob es die Voraussetzungen von
Abs. 1 dieses Artikels als gegeben erachte; er stelle deshalb das Gesuch,
das Verfahren vor Kassationsgericht wenigstens so lange einzustellen, bis
über die Anhandnahme der Berufung durch das Bundesgericht entschieden
sei. Daraufhin verfügte der Präsident des Kassationsgerichtes am
9. September 1957, das Beschwerdeverfahren werde bis zum Entscheid des
Bundesgerichtes über die Zulässigkeit der von der Beschwerdeführerin
erklärten Berufung eingestellt, weil das Bundesgericht nach Art. 50
Abs. 2 OG über das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Berufung im
Sinne von Art. 50 Abs. 1 OG "nach freiem Ermessen" entscheide, so dass
es dem Kassationsgericht nicht wohl möglich sei, den Entscheid über die
Zulässigkeit dieser Berufung vorwegzunehmen, wie es § 345 Abs. 1 ZPO
erfordern würde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Ist bezüglich eines Entscheides, gegen den beim Bundesgericht
Berufung eingelegt ist, bei der zuständigen kantonalen Behörde
eine Nichtigkeitsbeschwerde oder ein Gesuch um Erläuterung oder um
Wiederherstellung (Revision) anhängig, so wird nach Art. 57 Abs. 1 OG bis
zur Erledigung der Sache vor der kantonalen Behörde die bundesgerichtliche
Entscheidung ausgesetzt. Diese Vorschrift will nicht nur verhüten, dass
das Bundesgericht der Beurteilung eines ausserordentlichen kantonalen
Rechtsmittels durch den Erlass eines Sachentscheides vorgreift, der an
die Stelle des angefochtenen Entscheides träte, wodurch das kantonale
Rechtsmittelverfahren gegenstandslos und die Partei, die es eingeleitet
hat, in der Verfolgung ihrer Rechte beeinträchtigt würde. Sie will
vielmehr aus Gründen der Prozessökonomie auch dafür sorgen, dass sich
das Bundesgericht mit einer Berufung überhaupt nicht zu befassen hat,
solange noch die Möglichkeit besteht, dass der angefochtene Entscheid
durch eine kantonale Behörde aufgehoben werden könnte. Dem entspricht es,
dass nach ihrem zweiten Satze die Einsendung der Akten des kantonalen
Verfahrens an das Bundesgericht unterbleibt, bis die Sache vor der mit dem
ausserordentlichen kantonalen Rechtsmittel angegangenen Behörde erledigt
ist. Während der Hängigkeit eines solchen Rechtsmittels hat also das
Bundesgericht nicht nur keinen Sachentscheid zu fällen, sondern auch von
Instruktionsmassnahmen und prozessualen Entscheidungen über die Berufung
abzusehen. Vorbehalten bleibt nur das Nichteintreten auf Berufungen,
deren Unzulässigkeit oder Unwirksamkeit sich ohne Beizug der kantonalen
Akten sofort feststellen lässt.

    Daraus folgt, dass das Bundesgericht dem Begehren des Berufungsklägers
nicht stattgeben kann. Ob im vorliegenden Falle die Berufung nach Art. 50
OG zuzulassen sei oder nicht, lässt sich nur auf Grund der Prozessakten
entscheiden. Die Schwierigkeiten, die sich bei der Behandlung der
kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde daraus ergeben können, dass diese
nach § 345 der zürcherischen ZPO nur soweit zulässig ist, als der
angefochtene Entscheid nicht der Berufung unterliegt, können keinen
Grund für die Nichtanwendung von Art. 57 OG bilden. Es kann nicht Sache
des Bundesgerichtes sein, solche aus dem kantonalen Recht sich ergebende
Schwierigkeiten unter Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften aus dem
Wege zu räumen, und hievon abgesehen kann der Berufungsklägerin daraus,
dass es dem Kassationsgericht überlassen werden muss, die Frage der
Zulässigkeit einer Berufung nach Art. 50 OG als Vorfrage zu prüfen,
kaum ein nicht wiedergutzumachender prozessualer Nachteil (endgültiger
Verschluss eines Forums, das ihr offen stehen sollte) erwachsen, wie immer
der Vorfrageentscheid des Kassationsgerichtes auch ausfallen möge. Im
übrigen ist denkbar, dass das Kassationsgericht zum Schlusse kommen wird,
die Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Zwischenentscheid des Obergerichtes
sei nach dem Sinne von § 345 ZPO nicht nur insoweit ausgeschlossen, als er
gemäss Art. 50 OG unmittelbar mit der Berufung angefochten werden kann,
sondern auch insoweit, als er gemäss Art. 48 Abs. 3 OG zusammen mit dem
Endentscheid der Überprüfung im Berufungsverfahren unterliegen wird. In
diesem Falle könnte das Kassationsgericht bei der Anwendung von § 345 ZPO
dahingestellt bleiben lassen, ob im vorliegenden Falle eine Berufung nach
Art. 50 OG zulässig sei, und sich auf die Prüfung der Frage beschränken,
ob die mit der Nichtigkeitsbeschwerde erhobenen Rügen so geartet seien,
dass sie vom Bundesgericht als Berufungsinstanz geprüft werden können.

Entscheid:

             Demnach beschliesst das Bundesgericht:

    Das Begehren, die Entscheidung gemäss Art. 50 Abs. 2 OG sei vor
Erledigung des kantonalen Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens zu treffen,
wird abgelehnt.