Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 291



83 II 291

43. Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Juli 1957 i.S. Brügger gegen
Scheiwiler. Regeste

    Aktiengesellschaft. Haftung für vor der Eintragung der A.-G. im Namen
der Gesellschaft eingegangene Verpflichtungen, Art. 645 OR. Die Vorschrift
gilt auch im Verhältnis zwischen Gründern.

Sachverhalt

    A.- Der Beklagte Brügger kaufte im Dezember 1953 zusammen mit zwei
weiteren Beteiligten namens einer zu gründenden AG. die Liegenschaften
Neugasse 12 und 14 in St. Gallen zum Zwecke der Neuüberbauung.
Eine befriedigende Lösung setzte die Einbeziehung der hinter den beiden
Grundstücken gelegenen Liegenschaft "Taube" voraus. Die Bestrebungen
des Beklagten zum Erwerb auch dieser Liegenschaft waren indessen vorerst
erfolglos. Ihr Eigentümer hatte sich jedoch gegenüber dem Bauunternehmer
Scheiwiler (dem heutigen Kläger) und Dr. Binder von der Firma Grossenbacher
& Co., Elektrische Unternehmungen, verpflichtet, für eine Gesamtüberbauung
auch seine Liegenschaft zur Verfügung zu stellen, falls die beiden
genannten Firmen an dem Bauvorhaben beteiligt sein sollten. Auf Betreiben
des Beklagten erklärten sich der Kläger und Dr. Binder bereit, bei der
vom Beklagten geplanten Gesellschaftsgründung mitzuwirken, unter der
Bedingung, dass ihre Firmen bei der Ausführung des Bauprojekts mit den
einschlägigen Arbeiten beauftragt würden. Der Beklagte schloss deshalb
am 7. Januar 1954 "für die in Gründung begriffene Immo-Neugass AG." mit
dem Kläger und der Firma Grossenbacher eine schriftliche Vereinbarung
entsprechenden Inhalts. Danach verpflichtete sich die zu gründende AG.,
sämtliche für die geplante Neuüberbauung erforderlichen Erd-, Maurer-,
Eisenbeton-, Verputz- und Kanalisationsarbeiten mit noch abzuschliessenden
besonderen Werkverträgen an den Kläger zu vergeben. Laut einem am gleichen
Tag abgeschlossenen Zusatzvertrag hatte der Kläger diese Arbeiten "zu
den ortsüblichen mittleren Konkurrenzpreisen" zu übernehmen.

    Auf Grund dieser Vereinbarungen kam ebenfalls am 7. Januar 1954 auch
der Kaufvertrag über die Liegenschaft "Taube" zustande.

    In einer weiteren Vereinbarung vom selben Tage wurde endlich
vorgesehen, dass einer der Gründer (Kobelt) dem Kläger zwei und Dr. Binder
drei von ihm selbst zu liberierende Aktien fiduziarisch zu überlassen
habe. Diese Aktien sollten Ende Mai 1954 Kobelt wieder zurückgegeben
werden und damit der Kläger und Dr. Binder als Aktionäre ausscheiden.

    Am 11. Januar 1954 wurde die Immo AG. Neugasse gegründet. Ihre Statuten
sahen wohl die Übernahme der drei Kaufverträge über die Liegenschaften
Neugasse 12 und 14 und "Taube" wie auch eines Mietvertrages vor, den der
Beklagte und Kobelt namens der zu gründenden AG. mit einem Interessenten
abgeschlossen hatten. Die vom Beklagten mit dem Kläger und Dr. Binder
getroffenen Vereinbarungen vom 7. Januar 1954 wurden dagegen weder in
den Statuten, noch in der Gründungsurkunde, noch im Protokoll der im
Anschluss an die Gründung abgehaltenen Universalversammlung erwähnt.

    Als im Juni 1954 die Immo AG. Neugasse mit dem Abbruch der Gebäude
begann, verlangte der Kläger von ihr die Erfüllung der mit dem Beklagten
getroffenen Vereinbarungen. Die Gesellschaft lehnte jedoch die Übernahme
der Verträge vom 7. Januar 1954 und die Übertragung der fraglichen Arbeiten
an den Kläger ab.

    B.- Mit Klage vom 7. Februar/23. Mai 1955 forderte der Kläger gestützt
auf Art. 645 OR vom Beklagten Ersatz des ihm infolge der Nichtübertragung
der Arbeiten entgangenen Gewinns; dieser beträgt, wie heute nicht mehr
streitig ist, Fr. 15'763.50. Der Beklagte bestritt seine Ersatzpflicht.

    C.- Das Bezirrksgericht St. Gallen wies mit Urteil vom 25./29. November
1955 die Klage ab. Es nahm an, der Tatbestand des Art. 645 Abs. 1 OR sei
zwar an sich gegeben; eine Ersatzpflicht des Beklagten entfalle jedoch,
weil in den Vereinbarungen vom 7. Januar 1954 die Zusicherung eines
Gründervorteils liege und den Kläger selber eine Mitverantwortung dafür
treffe, dass dessen nach Art. 628 Abs. 3 OR erforderliche Erwähnung in
den Statuten unterblieben sei.

    D.- Das Kantonsgericht St. Gallen verneinte das Vorliegen eines
Gründervorteils, kam aber zum Schluss, dass selbst bei Bejahung dieser
Frage die Haftung des Beklagten aus Art. 645 OR gegeben wäre. Demgemäss
verpflichtete es den Beklagten mit Urteil vom 10. Januar 1957 zur Bezahlung
des dem Kläger erwachsenen Schadens im Betrage von Fr. 15'763.50 nebst 5%
Zins seit 23. Februar 1955.

    E.- Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten gegen diesen
Entscheid ab, im wesentlichen auf Grund folgender

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- In erster Linie ist zu prüfen, ob - unabhängig von der
Qualifizierung der Verpflichtung der AG. gegenüber dem Kläger als
Gründervorteil - die Voraussetzungen einer Haftung des Beklagten gemäss
Art. 645 OR erfüllt sind. Trifft dies zu, so erübrigen sich nämlich
Erörterungen darüber, ob die vom Beklagten mit dem Kläger abgeschlossenen
Verträge vom 7. Januar 1954 überhaupt der Ordnung des Art. 628 OR
unterstehen.

Erwägung 2

    2.- Wer vor der Eintragung einer AG. im Namen der Gesellschaft
gehandelt hat, haftet nach Art. 645 Abs. 1 OR für die dabei begründeten
Verpflichtungen persönlich. Die Ordnung bezweckt, einerseits ein
Handeln der rechtlich noch nicht zur Entstehung gelangten AG. möglichst
einzuschränken und anderseits den Vertragsgegner, der sich mit dem in ihrem
Namen Handelnden einlässt, zu schützen (BGE 49 II 192 f.). Der zuletzt
genannte Schutzzweck wurde in BGE 63 II 298 ff. bestätigt und daraus
abgeleitet, dass zu den persönlich Haftenden ausser den unmittelbar am
Vertragsschluss beteiligten Personen auch diejenigen zu rechnen seien,
mit deren Wissen und Willen jene das Geschäft namens der Gesellschaft
abgeschlossen haben, dass sich also mit anderen Worten diese Haftung sowohl
auf die direkt als die indirekt Handelnden erstrecke. In Weiterverfolgung
dieses Gedanken wurde sodann in BGE 76 II 165 die Tragweite von Art. 645
OR dahin umschrieben, dass der durch diese Bestimmung begründeten strengen
Haftung im Interesse der Rechtssicherheit jeder unterstellt werde, der
als intellektueller Urheber von Rechtshandlungen anzusehen sei, welche
für das werdende Gebilde vorgenommen werden.

    Art. 645 OR sieht somit zum Schutze dessen, der mit einer erst in
Gründung befindlichen AG. in rechtsgeschäftliche Beziehung tritt, eine
weitgezogene persönliche Haftung aller vor, die für die Gesellschaft
irgendwie tätig geworden sind. Aus dem Zweckgedanken dieser Ordnung ergibt
sich, dass sie auch im Verhältnis zwischen Gründern gelten muss. Schliesst
ein Gründer mit einem anderen für die AG. ohne jeden Vorbehalt Verträge ab,
die ihrem Inhalt nach weder mit dem Gründungsvorgang, noch mit dem Zweck
der AG. notwendig zusammenhängen, sondern ebensogut mit einem Dritten
eingegangen werden könnten, so hat der Handelnde gegenüber dem Mitgründer
in gleicher Weise wie gegenüber einem aussenstehenden Vertragsgegner dafür
einzustehen, dass die AG. die eingegangene Verpflichtung erfüllt, sei es
durch ihre Übernahme gemäss Art. 645 Abs. 2 OR, sei es durch ihre Aufnahme
in die Statuten, wo eine solche nach Art. 628 OR erforderlich ist. Der
Mitgründer, der Vertragspartner der künftigen AG. wird, darf sich wie
jeder in gleicher Lage befindliche Dritte nach Treu und Glauben darauf
verlassen, dass der im Namen der Gesellschaft Handelnde den erwähnten
Obliegenheiten nachkommt. Es besteht kein Grund, den letzteren deswegen
von der gesetzlichen Haftung nach Art. 645 OR zu befreien, weil auf der
andern Seite ebenfalls ein Gründer beteiligt ist, zumal er es in der Hand
hat, sich durch die Vereinbarung entsprechender Vorbehalte vor Risiken
zu schützen.

Erwägung 3

    3.- Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall die
Voraussetzungen der persönlichen Haftung des Beklagten gegenüber dem Kläger
zu bejahen. Die Verträge vom 7. Januar 1954 stellen rechtlich Vorverträge
im Sinne von Art. 22 OR dar, die auf den Abschluss von Werkverträgen
zwischen dem Kläger und der künftigen AG. gerichtet waren. Der Beklagte
ist die Verpflichtung zum Abschluss dieser Werkverträge ohne irgendwelchen
Vorbehalt zu seinen oder zu Gunsten der künftigen AG. eingegangen. Die
übernommenen Verpflichtungen wurden weder vom Zustandekommen der geplanten
AG. abhängig gemacht noch davon, dass diese die Verträge übernehme oder
genehmige. Eine Beschränkung der Verpflichtung der AG. oder der Haftung
des Beklagten wurde nie ins Auge gefasst. Der Beklagte zog eine solche
nach seiner Darstellung gar nicht in Betracht, weil er der irrtümlichen
Meinung war, die künftige AG. sei durch die getroffenen Vereinbarungen
ohne weiteres verpflichtet.

    Für die Haftung des Beklagten spricht auch die Abwägung der
Interessenlage der Prozessparteien. Der Anstoss zum Abschluss der
streitigen Verträge ging vom Beklagten aus. Die Gesellschaft, deren
Gründung er betrieb und für die er handelte, benötigte für die Ausführung
ihres Bauvorhabens dringend die Liegenschaft "Taube". Diese war aber
ohne die Hilfe des Klägers (und des Dr. Binder) nicht erhältlich. Als
Gegenleistung für die zur Erreichung des angestrebten Ziels unerlässliche
Mitwirkung bei der Gründung der AG. anerbot der Beklagte dem Kläger die
Übertragung der im Vertrag vom 7. Januar 1954 genannten Arbeiten. Der
Beklagte hat somit durch die Zusicherung von Verpflichtungen der künftigen
AG. den Kläger zur Erbringung von Leistungen für diese veranlasst. Es
war daher Sache des Beklagten, für die rechtsgenügliche Begründung dieser
Verpflichtungen durch die Gesellschaft zu sorgen. Hat er dies auf Grund
eines Rechtsirrtums versäumt, so hat er auch die Folgen daraus zu tragen.

    Dieses Ergebnis widerspricht entgegen der Auffassung des Beklagten
nicht Treu und Glauben. Gemäss verbindlicher Feststellung der Vorinstanz
ist der Kläger lediglich fiduziarisch und formell, ohne eigenes Interesse
an der AG. und mit zum voraus beschränkter Dauer als Gründer und Aktionär
in Erscheinung getreten. Es wurden ihm fiduziarisch zwei Aktien anvertraut,
die durch einen andern Aktionär zu liberieren waren und die er diesem
Ende Mai 1954, also ca. 4 1/2 Monate nach der Gesellschaftsgründung,
wieder herauszugeben hatte, womit er als Aktionär ausschied.

    Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, dass der Kläger
gemäss der Auffassung des Beklagten durch sein Stillschweigen anlässlich
der Gründung der AG. seine Rechte verscherzt und deshalb den erlittenen
Schaden nach den besonderen Umständen des Falles selber zu tragen habe. Die
geschilderten Umstände bestätigen im Gegenteil, dass es dem Beklagten
oblag, für die Erfüllung der dem Kläger gemachten Zusicherungen durch die
AG. besorgt zu sein. Es müsste, wie die Vorinstanz zutreffend ausführt,
gegenteils als unerträglich empfunden werden, wenn der Beklagte und die
Immo AG. Neugasse dank der Mitwirkung des Klägers ihren Zweck erreichen
konnten, der Kläger selber aber leer ausgehen würde.