Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 224



83 II 224

34. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Juni 1957 i.S. Sales Affiliates
Inc. gegen Hamol AG Regeste

    Art. 5 aPatG, Auslegung von Patentansprüchen. Das Wesen der
Erfindung muss sich nicht notwendigerweise aus dem kennzeichnenden Teil
des Patentanspruches ergeben, sondern kann allenfalls dem Oberbegriff
entnommen werden.

Sachverhalt

    A.- Auf Gesuch vom 16. Juni 1942 erteilte das Eidgenössische Amt für
geistiges Eigentum der Sales Affiliates Inc. am 15. Februar 1946 das
Patent Nr. 241, 113 für eine im Hauptanspruch wie folgt umschriebene
Erfindung: "Préparation pour le traitement de fibres contenant de la
kératine, permettant de les rendre aptes à conserver la forme qui leur est
donnée, caractérisée en ce qu'elle contient, outre au moins un mercaptan,
une substance alcaline et de l'eau, et en ce que son pH n'est pas supérieur
à 10."

    Im Juli 1952 klagte die Inhaberin des Patentes gegen die Hamol AG beim
Handelsgericht des Kantons Zürich mit den Begehren, es sei festzustellen,
dass die Beklagte das Patent verletze, indem sie das zur Anfertigung von
kalten Haardauerwellen bestimmte Präparat "Semi Cold Hamol" herstelle,
verkaufe und in Verkehr bringe, es seien ihr weitere Verletzungen zu
verbieten, sie habe der Klägerin den zugefügten Schaden zu ersetzen und
die Klägerin sei zu ermächtigen, das Urteil auf Kosten der Beklagten
veröffentlichen zu lassen.

    Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und erhob Widerklage
mit dem Begehren, das Patent sei nichtig zu erklären.

    B.- Das Handelsgericht wies am 10. Dezember 1956 die Klage ab und
hiess die Widerklage gut.

    Es ging davon aus, der Patentanspruch umschreibe das Wesen
der Erfindung im kennzeichnenden Teil, wogegen die vorausgehende
Bezeichnung des Oberbegriffes nur Bekanntes enthalte. Nur nach der
Fassung des kennzeichnenden Teils beurteile sich daher, für welche Art von
Erfindung Schutz beansprucht werde. Im vorliegenden Falle umschreibe der
kennzeichnende Teil einen Stoff und enthalte keine Hinweise auf dessen
Verwendung. Liege somit ein Stoffpatent vor, so sei es nach der eigenen
Stellungnahme der Klägerin mangels Neuheit nichtig. Die Klägerin habe
im Prozesse nachträglich selber behauptet, nicht ein Präparat, sondern
dessen Anwendung für die Erzeugung von Dauerwellen im Haar sei Gegenstand
der Erfindung, für die sie Schutz beanspruche.

    C.- Die Klägerin hat die Berufung erklärt mit dem Antrag, das Urteil
sei aufzuheben und die Sache an das Handelsgericht zurückzuweisen. Sie
macht geltend, die Auslegung des Patentanspruches als Anspruch auf ein
Stoffpatent verletze Art. 1, 5 und 16 aPatG und Art. 51 PatG.

    D.- Die Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das
angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der sachliche Geltungsbereich des Patentes bestimmt sich
nach dem vom Patentbewerber aufgestellten Patentanspruch (Art. 5 Abs 2
aPatG). Dieser dient der Umschreibung (Definition) der Erfindung (Art. 5
Abs. 1 aPatG). Wird er nach Grundsätzen der Logik abgefasst, so sagt er
daher, durch welche Merkmale die Erfindung sich vom Begriff der nächst
höheren Gattung unterscheidet. In der Schweiz ist denn auch üblich, den
Patentanspruch aus einem Oberbegriff und einem sogenannten kennzeichnenden
Teil zusammenzusetzen. In der Regel ist deshalb anzunehmen, im Oberbegriff
sei gesagt, welcher Gattung die Erfindung angehört, im kennzeichnenden
Teil dagegen, durch welche Merkmale sie sich innerhalb dieser Gattung
von anderen Begriffen unterscheidet. Das Wesen der Erfindung kommt also
gewöhnlich erst in jenem Teil des Patentanspruches zum Ausdruck, der
den Worten "dadurch gekennzeichnet" folgt, während der vorausgehende
Oberbegriff sich lediglich mit schon Bekanntem, nicht zur Erfindung
Gehörendem befasst.

    Das Bundesgericht hat diese Überlegung in BGE 59 II 329 f. mit
herangezogen, um darzutun, dass im dort beurteilten Falle die vom
Patentinhaber im Berufungsverfahren vorgetragene Auffassung über das
Wesen der patentierten Erfindung keine neue, prozessual unzulässige
Behauptung sei, weil sie sich schon aus der Fassung des kennzeichnenden
Teils des Patentanspruches ergebe. Es war also nicht zu entscheiden,
ob auch Ausführungen im Oberbegriff oder nur solche im kennzeichnenden
Teil berücksichtigt werden dürften, um den sachlichen Geltungsbereich
des Patentes zu bestimmen. Indem das Handelsgericht annimmt, nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts sei für den Gegenstand der Erfindung
nur der kennzeichnende Teil des Patentanspruches massgebend, misst es dem
erwähnten Urteil eine Bedeutung bei, die es nicht hat und nicht haben
kann. BGE 59 II 329 f. enthält denn auch kein Wort der Begründung für
die Rechtsauffassung, die ihm das Handelsgericht entnimmt.

    Der Vorinstanz ist auch nicht beizupflichten, wenn sie unter
Hinweis auf "eingehende Ausführungen in BGE 70 II 238 ff." erklärt,
das Bundesgericht habe an seiner Auffassung festgehalten. Zwar hat
es in diesem Urteil auf Seite 236 gesagt, der im angefochtenen Patent
erwähnte Verwendungszweck sei nicht Gegenstand der Erfindung; er sei von
jeher bekannt gewesen und werde übrigens auch von der Patentinhaberin
als bekannt vorausgesetzt, was daraus zu schliessen sei, dass er im
Patentanspruch vor den Worten "dadurch gekennzeichnet" erwähnt werde.
Damit ist die Nennung des Verwendungszweckes im Oberbegriff des
Patentanspruches lediglich als Anzeichen dafür verwertet worden, dass
auch die Patentinhaberin selber den Zweck als bekannt betrachte und dafür
Patentschutz nicht beanspruche. Dass der Oberbegriff nie zur Ermittlung
des Gegenstandes des Patentes herangezogen werden dürfe, wurde damit
nicht entschieden. Das Bundesgericht hat denn auch im gleichen Urteil
auf Seite 240 zur Begründung, dass der betreffende Patentanspruch die
Erfindung nicht in der Verwendung des dort umschriebenen Stoffes sehe,
ausgeführt, auch in der ganz allgemeinen und vor die Worte "dadurch
gekennzeichnet" gesetzten Wendung "für Arbeitsgeräte und Werkzeuge"
könne ein solcher Hinweis nicht erblickt werden. Das zu sagen, hätte
kein Anlass bestanden, wenn das Bundesgericht der Meinung gewesen wäre,
auf den Inhalt des Oberbegriffes komme für die Bestimmung des Wesens
des Patentanspruches, insbesondere für die Frage, ob der Schutz für eine
bestimmte Verwendungsart eines schon bekannten Stoffes oder vielmehr für
den Stoff selbst beansprucht werde, überhaupt nichts an.

    In der Lehre des In- und Auslandes ist denn auch bestritten, dass nur
der kennzeichnende Teil des Patentanspruches den sachlichen Geltungsbereich
des Patentes bestimme. Verschiedentlich wird gelehrt, dass auch dem
Oberbegriff wesentliche Merkmale der Erfindung entnommen werden dürften
(z.B. WEIDLICH/BLUM, Das schweiz. Patentrecht Art. 5 Anm. 4 S. 157;
REIMER, Patentgesetz § 6 Anm. 9 S. 215; TETZNER, Komm. zum Patentgesetz,
2. Aufl., § 6 Anm. 35 a.E.; BENKARD, Patentgesetz, 3. Aufl., § 6 Anm. 8
lit. a; BUSSE, Patentgesetz, 2. Aufl., § 26 Anm. 7 S. 344; KALLER/KOCH,
Das österreichische Patentgesetz S. 380 f. N. 65). In diesem Sinne hat
auch das deutsche Reichsgericht entschieden (Markenschutz und Wettbewerb
25 40, 27/28 571, 32 199, 35 439 f., 36 4, 38 203).

    Für das schweizerische Recht ergibt sich die Richtigkeit dieser
Auffassung daraus, dass jedermann in der Ausübung seiner Rechte und
in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat
(Art. 2 Abs. 1 ZGB). Nach Treu und Glauben werden rechtsgeschäftliche
Willenserklärungen ausgelegt (BGE 69 II 322, 80 II 31 f.), und Treu und
Glauben müssen auch die Auslegung des Patentanspruches beherrschen. Wer
ihn abfasst, geht nicht immer nach Grundsätzen der Logik vor. Ein
Patentanspruch ist nicht notwendigerweise missverständlich, wenn er etwas
im Oberbegriff sagt, was, weil es das Wesen der Erfindung ausmacht,
im kennzeichnenden Teil stehen sollte. Die Interessen anderer werden
durch eine ungeschickte Abfassung des Patentanspruches insbesondere
dann nicht verletzt, wenn der Wortlaut über den Sinn hinausgeht, die
Auslegung also zu einer Einschränkung des Patentschutzes führt. Das
trifft z.B. zu, wenn der Wortlaut Schutz für ein Erzeugnis beansprucht,
der Patentbewerber aber in Wirklichkeit die Erfindung lediglich in einer
bestimmten Verwendung dieses Erzeugnisses sieht (BGE 65 II 91 ff.). Das
heisst nicht, dass jede auf ein Stoffpatent zugeschnittene Fassung
notwendigerweise auch die Verwendung decke, die dem Patentbewerber als
erfinderisch vorschwebt. Vielmehr muss sich aus dem Patentanspruch ergeben,
in welcher besonderen Verwendung er die Erfindung sieht. Ob das, wie in
dem in BGE 65 II 91 ff. veröffentlichten Falle, im kennzeichnenden Teil
des Patentanspruches oder schon im Oberbegriff geschieht, macht keinen
Unterschied. Wie in diesem Entscheide ausgeführt ist, kann auch nichts
darauf ankommen, dass das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum
der Meinung ist, Verwendungspatente seien als Verfahrenspatente zu
umschreiben. Massgebend sind nicht die Anforderungen, die das Amt an die
Fassung des Patentanspruches stellt, sondern wie dieser von Dritten nach
Treu und Glauben verstanden werden muss.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle ist der kennzeichnende Teil des
Patentanspruches so abgefasst, als sehe die Klägerin die Erfindung in
der Beschaffenheit des dort umschriebenen Stoffes; mit keiner Silbe
ist von dessen Verwendung zu bestimmten Zwecken die Rede. Auch der
Oberbegriff lässt zunächst die Meinung aufkommen, es sei der Klägerin
um den Schutz eines Stoffes ("préparation") zu tun. Der Hinweis, dass
dieser zur Behandlung von keratinhaltigen Fasern (traitement de fibres
contenant de la kératine) diene, ändert nichts. Er schränkt lediglich den
Oberbegriff auf jene Stoffe ein, mit denen man Haare zu behandeln pflegt,
ähnlich wie in der Wendung "Maschine zum Häuten von Fleischstücken"
(siehe Schweizerpatent Nr. 263'963) die vier letzten Wörter den Begriff
Maschine einschränken. Denn dass das Wesen der Erfindung nicht in der
Behandlung von Haaren im allgemeinsten Sinne bestehen soll, ist klar.

    Der Oberbegriff sagt aber weiter, dass der Stoff die Haare
instandsetze, die ihnen gegebene Form beizubehalten (permettant de les
rendre aptes à conserver la forme qui leur est donnée). Es hätte wenig
Sinn gehabt, das zu sagen, wenn die Klägerin den im kennzeichnenden
Teil umschriebenen Stoff als solchen hätte schützen lassen wollen. Es
kam ihr offensichtlich darauf an, seine Verwendung zum erwähnten
besonderen Zwecke patentieren zu lassen. Es leuchtet schon dem Laien
ein - und erfordert daher keine Begutachtung -, dass sie durch den
Patentanspruch die Meinung ausdrückt, in diesem Stoff ein Mittel gefunden
zu haben, dank dessen die Haare die ihnen gegebene Form beibehalten,
also ein Mittel zur Herstellung sogenannter Dauerwellen. Dass es ihr
tatsächlich um den Schutz dieser Verwendungsart zu tun war, bestätigt
die Patentbeschreibung, die gemäss Art. 5 Abs. 3 aPatG (Art. 50 Abs. 2
PatG) zur Auslegung des Patentanspruches herbeigezogen werden darf. Die
Patentbeschreibung führt gleich zu Beginn aus, die vorliegende Erfindung
habe einen Stoff zum Gegenstand, der keratinhaltige Fasern fähig mache,
die Form beizubehalten, die man ihnen gebe; der Stoff sei vor allem für
die Behandlung der menschlichen Haare bestimmt. In der Folge weist sie
auf die Nachteile der Behandlung der Haare mit den bis dahin bekannten
Mitteln hin, und schliesslich preist sie die grossen Vorteile des im
Patentanspruch umschriebenen Stoffes für die Haarbehandlung.

    Der Patentanspruch umschreibt demnach in seinem Oberbegriff in
Verbindung mit der zur Auslegung herangezogenen Patentbeschreibung
die Verwendungsart des Stoffes und dessen Vorteile gegenüber den vorher
bekannten Mitteln so deutlich, dass der Leser sich sagen muss, die Klägerin
wolle Patentschutz für die erwähnte Art der Verwendung.

    Das Handelsgericht hat daher zu prüfen, ob das Patent als
Verwendungspatent vor den Anbringen der Beklagten über seine angebliche
Nichtigkeit standhält.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Handelsgerichts des
Kantons Zürich vom 10. Dezember 1956 aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.