Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 1



83 II 1

1. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Februar 1957 i.S. H. gegen H.
Regeste

    Anfechtung der Ehelichkeit; Nachweis nach Art. 254 Z GB.

    Es bedarf nicht des Nachweises der Unmöglichkeit der Beiwohnung
in der kritischen Zeit; es genügt der Nachweis, dass tatsächlich keine
solche stattgefunden hat. Wird dies vom Kläger (ev. auch von der Beklagten)
geltend gemacht, so muss der Richter die Frage nach Massgabe des kantonalen
Prozessrechts prüfen und darüber eine tatsächliche Feststellung treffen.

Sachverhalt

    A.- Die seit 1946 verheirateten, in R. (Kanton Zürich) wohnhaften
Eheleute H. hatten ein 1947 geborenes Kind. Da dieses von 1949 an
wiederholt krank war und im Bündnerland kuren musste, nahm die
Mutter, um in seiner Nähe zu sein, jeweilen dort Stellen an und
weilte mehrmals monatelang, das letzte Mal über ein Jahr lang in Chur,
während der Ehemann in R. verblieb, wo in der Folge seine Mutter bei
ihm wohnte. Streitigkeiten zwischen dieser und der Ehefrau trugen dazu
bei, dass das durch die langen Absenzen der letztern ohnehin gefährdete
eheliche Verhältnis sich verschlechterte. Nachdem die Frau am Ostersamstag
(17. April) 1954 nach mehr als einjähriger Abwesenheit in die eheliche
Wohnung zurückgekehrt war, reichte sie im Juli 1954 in Winterthur
Scheidungsklage ein. Der Scheidungsprozess ist daselbst noch hängig. Am
8. November 1954 gebar die Ehefrau in der Krankenanstalt Liestal ein
Kind, das mit dem Namen M. M. H. als eheliches Kind der Eheleute H. in
die Zivilstandsregister eingetragen wurde. Der Ehemann verlangte im
Scheidungsprozess widerklageweise die Scheidung wegen Ehebruchs der Frau
und erhob sodann am 4. Januar 1955 beim Vermittleramt seines Heimatortes
Walzenhausen Klage auf Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes M. M. Zu
dessen Beistand bestellte die Waisenbehörde der Stadt Schaffhausen,
wo die Mutter wohnte, Frl. Dr. C. Etzensperger, Amtsvormund daselbst.

    Die beklagte Ehefrau anerkannte die Klage und bestätigte die
Behauptungen des Klägers, wonach sie mit ihm seit drei Jahren vor der
Geburt nicht mehr geschlechtlich verkehrt habe; sie sei bei ihrer Rückkehr
von Chur zu Ostern 1954 bereits schwanger gewesen, habe aber dem Manne
nichts davon gesagt. Den Namen des Urhebers der um die Fastnachtszeit 1954
in Chur erfolgten Schwängerung wolle sie gemäss ihm gegebenem Versprechen
nicht bekannt geben.

    Namens des beklagten Kindes opponierte Frl. Dr. Etzensperger der
Anfechtungsklage vorbehältlich eines schlüssigen Ergebnisses einer
Blutuntersuchung. Diese, erst vor Obergericht durchgeführt, liess den
Ehemann als möglichen Vater nicht ausschliessen.

    B.- Sowohl das Bezirksgericht Vorderland als das Obergericht von
Appenzell-Ausserrhoden haben die Klage abgewiesen, weil der Kläger den
Beweis der Unmöglichkeit seiner Vaterschaft nicht erbracht habe.

    C.- Mit der vorliegenden Berufung hält der Ehemann an der
Anfechtungsklage fest. Für das beklagte Kind beantragt sein Beistand
Abweisung der Berufung. Die beklagte Ehefrau, die sich von Anfang an dem
Klagebegehren angeschlossen hatte, nahm zur Berufung nicht Stellung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 254 ZGB vermag der Ehemann seine Anfechtungsklage nur
durch den Nachweis zu begründen, "dass er unmöglich der Vater des Kindes
sein könne". Absolute Unmöglichkeit der Vaterschaft liegt zunächst in
den Fällen vor, wo während der Zeit, da die Empfängnis stattgefunden
haben kann, ein ehelicher Verkehr unmöglich, also ausgeschlossen war
(wegen Abwesenheit in grosser Entfernung, strenger Internierung des
einen Gatten, Krankheit, impotentia coeundi, BGE 62 II 58). Ausser der
physischen Unmöglichkeit der Beiwohnung hat die Rechtsprechung ferner die
sog. "moralische" bzw. psychische Unmöglichkeit einer Beiwohnung als
genügend anerkannt (aaO). Da das Gesetz indessen nicht einen Nachweis
der Unmöglichkeit der Beiwohnung, sondern nur der Vaterschaft des
Ehemannes verlangt, ist der Nachweis tauglich, dass trotz erfolgtem
Geschlechtsverkehr der Ehegatten ein Dritter der Erzeuger sein muss
(impotentia generandi des Ehemannes; zurzeit des ersten Geschlechtsverkehrs
mit ihm bereits bestehende Schwangerschaft der Ehefrau; Ausschluss der
Vaterschaft des Ehemannes durch Rassemerkmale des Kindes oder durch
das Ergebnis der Blutuntersuchung in Verbindung mit anderweitiger
Glaubhaftmachung eines Ehebruches der Mutter). Endlich lässt die neuere
Rechtsprechung die Anwendung von Art. 254 auch dann zu, wenn bewiesen wird,
dass zwischen den Ehegatten um die Zeit der Empfängnis trotz allfällig
vorhandener Möglichkeit tatsächlich kein Geschlechtsverkehr stattgefunden
hat; denn auch in diesem Fall ist die Vaterschaft des Ehemannes physisch
unmöglich - wobei immerhin die Probleme ausser Betracht gelassen sind,
die sich aus der medizinisch gegebenen Möglichkeit der künstlichen
Befruchtung ergeben können (vgl. die neueste Zusammenstellung der
Rechtsprechung zu Art. 254 in BGE 82 II 501 ff.). Der Ehemann kann daher
die Anfechtungsklage auch dadurch begründen, dass er ganz allgemein und
schlechthin nachweist, dass zwischen ihm und der Ehefrau in der kritischen
Zeit kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hat (aaO 502, 71 II 58).

    Diese Frage ist eine rein tatsächliche; die Feststellung der letzten
kantonalen Instanz hierüber ist mithin für das Bundesgericht verbindlich
(Art. 63 Abs. 2, 55 Abs. 1 lit. c OG). Für diesen Nachweis gelten, da es
sich um einen Statusprozess handelt, nach der Rechtsprechung die für den
Scheidungsprozess aufgestellten bundesrechtlichen Verfahrensgrundsätze
von Art. 158 Ziff. 1 und 3, wonach Parteierklärungen für den Richter
nicht verbindlich sind und er behauptete Tatsachen nur dann als erwiesen
annehmen darf, wenn er sich von deren Vorhandensein überzeugt hat (BGE
82 II 3). Der Umstand, dass die anfechtungsbeklagte Ehefrau der Klage
zustimmt, kann somit nicht deren Abschreibung wegen Anerkennung zur Folge
haben, zumal die Ehefrau nicht über die Rechte des mitbeklagten Kindes
verfügen darf (vgl. aaO 3, 4). Aber auch das Zugeständnis der Ehefrau, sie
habe während der kritischen Zeit mit dem Ehemanne keinen Geschlechtsumgang
gehabt, wohl aber mit einem andern Manne, erlaubt dem Richter nicht, nach
der allgemeinen Beweisregel, wonach anerkannte Behauptungen als bewiesen
gelten, diese Tatsachen ohne weiteres als erstellt zu betrachten; er muss
sich von deren Richtigkeit überzeugt haben.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle gibt nun die Vorinstanz die erwähnte
Rechtsprechung zutreffend dahin wieder, Art. 254 ZGB verlange nicht
die Unmöglichkeit der Beiwohnung, sondern nur die Unmöglichkeit der
Vaterschaft; es genüge also der Nachweis, dass die Ehegatten - trotz
allfälliger Möglichkeit und Gelegenheit - tatsächlich nicht miteinander
verkehrt hätten (S. 14 unten). In den Erwägungen zum konkreten Fall
geht sie dann aber nicht von diesem Beweisthema, sondern davon aus,
der Ehemann müsse die Unmöglichkeit - physischer oder psychischer Art -
der Beiwohnung nachweisen, was der Kläger nicht getan habe. Sie führt aus,
die Parteien hätten gegen Ende der kritischen Zeit (12. Januar - 12. Mai;
bei Berücksichtigung der nach geburtsärztlichem Bericht um 14 Tage zu
früh erfolgten Geburt: 26. Januar - 26. Mai 1954), nämlich von Ostern
(17. April) bis Juli 1954 im gemeinsamen Haushalt in R. beisammengelebt;
es könne eine Beiwohnung in dieser Zeit, auch in Ansehung der kurzen
Dauer von Ostern bis zur Geburt (204 Tage), nicht als unmöglich bezeichnet
werden. Auch bestehe trotz den gegenteiligen Angaben der Parteien objektiv
durchaus die Möglichkeit, dass sie, obwohl in R. bzw. in Chur wohnhaft,
(ausser zu Weihnachten 1953) auch vor Ostern, d.h. im Februar/März 1954,
zusammengekommen seien und bei einer solchen Gelegenheit intim verkehrt
hätten.

    Nun hat die beklagte Ehefrau - im Gegensatz zur Beklagten im Falle
K. (BGE 82 II 495 ff.) - von Anfang an stetsfort, in Übereinstimmung
mit dem Kläger, erklärt, mit diesem während der kritischen Zeit keinen
Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, ja überhaupt schon seit drei Jahren vor
der Geburt nicht mehr. Sie gab an, das Kind stamme von einem Dritten, mit
dem sie während ihres Aufenthaltes in Chur um die Fastnacht (28. Februar
1954) geschlechtlich verkehrt habe, dessen Namen anzugeben sie sich aber
zufolge eines Versprechens hartnäckig weigerte, und zwar im vorliegenden
wie im Scheidungsprozess.

    Mit dieser Darstellung, nämlich dass die Eheleute während der
kritischen Zeit, ungeachtet einer allfälligen Möglichkeit hiezu, nun
einmal tatsächlich keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben, was zur
Begründung der Unmöglichkeit der Vaterschaft des Klägers genügen würde,
hat sich die Vorinstanz in keiner Weise auseinandergesetzt. Sie hat die
Frage weder positiv noch negativ beantwortet, also nicht etwa erklärt,
sie sei nicht überzeugt, dass die Parteien nicht intim verkehrt hätten,
sondern hat lediglich die - physische oder psychische - Unmöglichkeit
eines solchen Vorkommnisses verneint. Das Obergericht hat aber auch nicht
erklärt, dass und warum es auf die bezüglichen Aussagen der Eheleute
nicht abstelle. Indem die Vorinstanz auf diese prozessentscheidende
tatbeständliche Behauptung nicht einging und ohne Begründung nicht prüfte,
ob sie bewiesen sei, hat sie Bundesrecht verletzt. Der Beweislast gemäss
Art. 8 ZGB entspricht als Korrelat das Recht auf Erbringung des Beweises
für eine behauptete rechtsbegründende Tatsache.

Erwägung 3

    3.- Die Berufungsinstanz kann die Prüfung und Beantwortung jener sich
nach richtiger Betrachtung stellenden tatsächlichen Frage nicht selbst
vornehmen; denn sie hängt einerseits vom kantonalen Prozessrecht bezüglich
der Beweismittel und der Beweiswürdigung, anderseits von der Handhabung der
letztern in concreto mit Bezug auf die Aussagen der Eheleute, namentlich
der Ehefrau ab. Hinsichtlich des kantonalen Prozessrechts machte die
Vorinstanz bzw. deren Gerichtsschreiber erst in ihren Gegenbemerkungen
zur Berufung einige Ausführungen, die aber nicht als Ergänzung der
Urteilsbegründung in Betracht gezogen werden können; denn ganz allgemein
müssen die Feststellungen und beweisrechtlichen Erwägungen der letzten
kantonalen Instanz im Urteil selbst enthalten sein, wie sich aus Art. 51
Abs. 1 lit. c OG, aber auch daraus ergibt, dass jeder Partei das Recht
offen stehen muss, jene mit staatsrechtlicher Beschwerde oder mit Berufung
anzufechten (vgl. BGE 81 II 425 E. 5), was nicht möglich ist, wenn sie
nur in nachträglichen Gegenbemerkungen der Vorinstanz gemäss Art. 56 OG
stehen, die den Parteien gar nicht zu Gesichte zu kommen brauchen.

    Die Sache ist daher gemäss Art. 64 Abs. 1 OG zu neuer Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen, sofern dies nicht in Ansehung des kantonalen
Prozessrechts offenbar zwecklos ist...

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird zu neuer
Beurteilung im Sinne der Erwägungen.