Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 99



83 III 99

26. Entscheid vom 29. August 1957 i.S. Siebenmann. Regeste

    Zahlungen an ein Betreibungsamt (Art. 12 SchKG) gelten als dem
betreibenden Gläubiger geleistet und können (z.B. wegen Irrtums)
grundsätzlich nur beim Richter angefochten werden. Bei Zahlung durch
einen Dritten, zumal wenn sie unter dem Namen des Schuldners erfolgt ist,
hat das Betreibungsamt einen nachträglichen Einspruch des letztern nicht
zu beachten, sofern sich die Intervention des Dritten nicht aus einem
besondern Grunde sofort als ungehörig erweist.

Sachverhalt

    A.- Beim Betreibungsamt Olten-Gösgen läuft eine von Dora Meyer und
ihrem Kinde gestützt auf ein Vaterschaftsurteil angehobene Betreibung
gegen Candido Pret. Am 3. Mai 1957 erfolgte auf dessen Namen als Absenders
("Pret Candido, Reservoirweg 6, Schönenwerd") eine Posteinzahlung von
Fr. 1840.-- an jenes Betreibungsamt, das sie am 6. Mai 1957 verbuchte.
Gleichen Tages (wie die Vorinstanz auf Grund des Amtsberichtes feststellt)
erhielt das Amt eine telephonische Meldung der Fräulein Siebenmann, sie
habe die Einzahlung, und zwar ohne Wissen des Schuldners, vorgenommen
und verlange nun die Rückerstattung des Betrages.

    B.- Da das Betreibungsamt dieses Ansuchen ablehnte, verlangte Fräulein
Siebenmann auf dem Beschwerdeweg die Rückerstattung des einbezahlten
Betrages und ferner die Aufrechterhaltung der gegen den Schuldner verfügten
Lohnpfändung. Sie machte geltend, sie habe das Geld von ihrem Sparguthaben
bei einer Bank abgehoben, und wies den am 2. Mai 1957 erfolgten Bezug von
Fr. 2000.-- durch eine Bankbescheinigung nach. Als Grund ihres Verhaltens
gab sie an, sie habe dem wegen der Betreibung deprimierten Schuldner
helfen und die Betreibung deshalb erledigen wollen. Erst am Tag nach der
Einzahlung habe sie ihn davon unterrichtet und nun vernehmen müssen, dass
er eine Revision des Vaterschaftsprozesses herbeizuführen beabsichtige
und ihm daher die Zahlung ungelegen komme.

    Dem Amtsbericht zur Beschwerde ist zu entnehmen, dass Fräulein
Siebenmann dem Betreibungsamt am 3. Mai 1957 telephonisch mitgeteilt
hatte, der zur Deckung der gegen Pret laufenden Lohnpfändung erforderliche
Betrag von Fr. 1840.-- werde einbezahlt, da der Schuldner hiefür ein
Darlehen erhalte.

    C.- Mit Entscheid vom 21. Juni 1957 ist die kantonale Aufsichtsbehörde
auf das Begehren um Aufrechterhaltung der Lohnpfändung mangels
Interesses der Beschwerdeführerin nicht eingetreten und hat das
Rückerstattungsbegehren abgewiesen.

    D.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Beschwerdeführerin lediglich am
Antrag auf Rückerstattung des einbezahlten Betrages fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die erst vor Bundesgericht gestellten Beweisanträge können
nach Art. 79 Abs. 1 Satz 2 OG nicht berücksichtigt werden. Ob die
Anordnung einer Schriftexpertise (wie sie im Rekurs verlangt wird als
Beweismittel für die eigenhändige Ausfüllung des Einzahlungsscheines durch
die Beschwerdeführerin) im Beschwerdeverfahren nach Art. 17 ff. SchKG
überhaupt zulässig sei, kann daher offen bleiben. Übrigens besteht zu
solcher Beweiserhebung kein Grund, da die Vorinstanz stillschweigend
davon ausgeht, die Einzahlung sei in der Tat durch die Beschwerdeführerin
vorgenommen worden, und zwar mit eigenen Mitteln, "offensichtlich" in
Schenkungsabsicht, nicht als Akt einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Dass
der Schuldner mit dieser Intervention nicht einverstanden sei, hält die
Vorinstanz dagegen nicht für bewiesen, wenn auch für glaubhaft.

Erwägung 2

    2.- Betreibungsrechtlich war die Zahlung gültig, da sie für Rechnung
einer hängigen Betreibung erfolgte und sich im Rahmen der noch unerledigt
gewesenen Betreibungssumme hielt. Solche Einzahlungen an ein Betreibungsamt
gelten nach Art. 12 SchKG als dem Gläubiger selbst geleistet und tilgen die
Forderung im entsprechenden Betrag unmittelbar. Daraus folgt einerseits,
dass der Schuldner sich, sobald die Zahlung an das Amt geleistet ist, auf
die Tilgung berufen kann, und anderseits, dass dem Gläubiger im gleichen
Zeitpunkt ein die Tilgungswirkung der Einzahlung eben rechtfertigender
fester Rechtsanspruch auf den beim Amt einbezahlten Betrag erwächst.
Dem Betreibungsamt steht nicht zu, über den ohne Vorbehalt zuhanden des
betreibenden Gläubigers eingegangenen Betrag anders als zu dessen Gunsten
zu verfügen, insbesondere ihn dem Zahlenden auf dessen einseitiges Begehren
zurückzuerstatten, es wäre denn, dass die Zahlung aus besondern Gründen
zurückgewiesen zu werden verdient.

    Ob eine vorbehaltlose Einzahlung an das Betreibungsamt vom Schuldner
selbst oder von einem Dritten vorgenommen wurde, ist grundsätzlich ohne
Belang. Die Handlung eines Dritten kann auf irgendeinem Grunde beruhen,
dem das Betreibungsamt nicht nachzuforschen hat. Zahlungspflichten braucht
der Schuldner in der Regel nicht persönlich zu erfüllen, sondern darf dies
durch einen Dritten besorgen lassen (Art. 68 OR). Zudem herrscht Einigkeit
darüber, dass die Leistung eines Dritten auch dann rechtswirksam ist,
wenn sie ohne Wissen, ja sogar gegen den Willen des Schuldners geschieht
(OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 und 3, und BECKER, N. 4 ff. zu Art. 68 OR;
v. TUHR, OR, § 59 II). Damit stimmt die Praxis zu Art. 12 SchKG überein,
wie sie bereits der Bundesrat mit einem Entscheid vom 1. August 1893
begründet hat (Archiv für Schuldbetreibung und Konkurs, Band 3, N. 37). Aus
BGE 72 III 6 ff. folgt nichts Abweichendes; denn diese Entscheidung
befasste sich mit einer (im Einverständnis mit dem Schuldner erfolgten)
Annahmeverweigerung durch den Gläubiger selbst, der ein Interesse daran
hatte, es zur Steigerung kommen zu lassen, während der Dritte dies
verhindern wollte, um die Liegenschaft an sich zu ziehen. Deshalb wurde
das Betreibungsamt, das die Zahlung nicht annahm, gegen den Dritten
geschützt. Im vorliegenden Fall ist aber von einer Annahmeverweigerung
durch die betreibenden Gläubiger nicht die Rede. Diesen ist offenbar,
wie es in der Regel zutrifft, am Empfang des Geldes gelegen, gleichgültig
ob ein Dritter bezahlt hat. In BGE 76 III 81 ff. wurde dann allerdings
ein Einspruch des Schuldners gegen Drittintervention durch Zahlung ohne
weiteres als beachtlich befunden und erklärt, auch wenn der Schuldner von
sich aus keine Erklärung abgebe, sei er zur Stellungnahme einzuladen,
sofern mit einem Widerspruch seinerseits zu rechnen sei. Diese von der
Doktrin bekämpfte Betrachtungsweise (vgl. MERZ in ZBJV 85 S. 241/2 und 90
S. 97/8; GUHL, OR, 5. Aufl. S. 184 unten) lässt sich in der Tat nicht in
solcher Allgemeinheit aufrecht erhalten. Denn es besteht kein zureichender
Grund, eine nach einmütiger Zivilrechtslehre wirksame Zahlung an den
Gläubiger nicht auch dann gelten zu lassen, wenn sie auf Rechnung einer
von ihm in Betreibung gesetzten Forderung an das Betreibungsamt geleistet
wird. Vorbehalten bleibt dem Zahlenden oder dem Schuldner (vgl. BGE 70 II
117) die Rückforderung durch Klage gegen den Empfänger, als wer nach dem
Gesagten auch bei Zahlung an das Betreibungsamt der betreibende Gläubiger
zu betrachten ist. Indessen ist der entscheidende Grund, weshalb in BGE
76 III 81 die Zahlung eines Dritten als ungültig befunden wurde, nicht
in jener zu allgemein gefassten Erwägung, sondern darin zu sehen, dass
es sich nicht um eine gewöhnliche Intervention handelte. Der Arbeitgeber
des Schuldners hatte nämlich dem Betreibungsamte mehr als den gepfändeten
Lohnanteil abgeliefert und damit in offensichtlich unzulässiger Weise über
einen eigenen Anspruch des Schuldners verfügt. Es ist daran festzuhalten,
dass derart unregelmässige Vorkehren Dritter von den Betreibungsbehörden
zurückgewiesen werden dürfen.

    Die Zahlung der Fräulein Siebenmann lässt sich jedoch unter diesem
Gesichtspunkte nicht beanstanden. Es sind gegenüber ihrer Intervention
keine Bedenken am Platze, ob sie nun im Sinn eines Darlehens geschah,
wie sie selbst es dem Betreibungsamt in Aussicht gestellt hatte, oder
schenkungsweise, wie die Vorinstanz es annimmt. Ob diese Rechtsgründe
einer Intervention aber im Verhältnis der Intervenientin zum Schuldner
gültig seien, haben die Betreibungsbehörden nicht zu entscheiden. Auch
eine Geschäftsführung ohne Auftrag ist von den Betreibungsbehörden nicht
ohne weiteres zu beanstanden, bloss weil der Schuldner, nachdem die
Zahlung ohne jeden Vorbehalt erfolgt war (vgl. JAEGER, N. 1 zu Art. 12
SchKG), sie nicht gelten lassen will. Es kann dahingestellt bleiben,
ob eine vorbehaltlose Intervention dem Gläubiger als Zahlungsempfänger
gegenüber nicht überhaupt unter allen Umständen unabhängig von der
Haltung des nachträglich dagegen aufgetretenen Schuldners rechtswirksam
und dieser auf die Auseinandersetzung mit dem Intervenienten angewiesen
sei. Jedenfalls die Betreibungsbehörden haben sich um einen erst nach
der Zahlung bekannt gewordenen, lediglich sein fehlendes Einverständnis
bekundenden Einspruch des Schuldners nicht zu kümmern, der übrigens im
vorliegenden Falle nicht selber Beschwerde geführt hat. Es liegt auf der
Hand, dass der Schuldner eine eigene Zahlung nicht widerrufen könnte mit
der Begründung, er beabsichtige eine Revision des der Zahlung zugrunde
liegenden rechtskräftigen Vaterschaftsurteils herbeizuführen. Was aber
die Intervenientin betrifft, die den Schuldner durch ihre darlehens-
oder schenkungsweise Intervention von der laufenden Lohnpfändung
befreien wollte, ist sie von den Betreibungsbehörden bei der vorbehaltlos
geleisteten Zahlung zu behaften. Sie hat damit das Risiko einer ablehnenden
Haltung des Schuldners auf sich genommen, wenn sie es unterliess, sich mit
ihm zu verständigen, bevor sie einen solchen Schritt unternahm. Übrigens
steht dahin, ob nicht anfänglich Einverständnis herrschte und erst nach
erfolgter Zahlung eine Sinnesänderung eintrat. Auf die bei der Zahlung
nicht vorbehaltene Stellungnahme des Schuldners ist um so weniger zu
achten, als die Zahlung als solche des Schuldners selbst bezeichnet
worden war. Durch diese Erklärung ist das Betreibungsamt (und wohl auch
der Empfänger) ermächtigt worden, die Zahlung als vom Schuldner selbst
ausgehend entgegenzunehmen, was den Betreibungsbehörden gegenüber jede
nachträgliche Berufung auf fehlende Zustimmung desselben ausschliesst.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.