Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 34



83 III 34

10. Auszug aus dem Entscheid vom 11. Februar 1957 i.S.

    Meli.  Regeste

    Der Schuldner, gegen den der Gläubiger durch Faustpfandbetreibung
   das Retentionsrecht im Sinne von Art. 895 Z GB
ausübt, kann den Einwand, dass der retinierte Gegenstand unpfändbar
   sei und daher nicht retiniert werden dürfe, nur durch
Rechtsvorschlag erheben, während die Unpfändbarkeit im Falle des
Retentionsrechts des Vermieters (Art. 272 OR) durch Beschwerde gegen die
Aufnahme des betreffenden Gegenstandes in die Retentionsurkunde geltend
zu machen ist.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Gläubigerin macht am streitigen Auto das Retentionsrecht im Sinne
von Art. 895 ZGB geltend, das gemäss Art. 898 ZGB die Befugnis in sich
schliesst, die zurückbehaltene Sache wie ein Faustpfand zu verwerten,
wenn der Schuldner seiner Verpflichtung nicht nachkommt und der Gläubiger
nicht hinreichend sichergestellt wird. Zur Ausübung dieser Befugnis hat
die Gläubigerin gemäss Art. 41 in Verbindung mit Art. 37 SchKG mit Recht
den Weg der Faustpfandbetreibung beschritten.

    Will der auf Faustpfandbetreibung betriebene Schuldner das Pfandrecht
bestreiten, so hat er gegen den Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag zu erheben
und dabei, worauf das obligatorische Formular für den Zahlungsbefehl
(Form. Nr. 37) ausdrücklich hinweist, besonders zu bemerken, dass das
Pfandrecht bestritten wird (BGE 57 III 26 Erw. 2). Dieser Grundsatz
gilt auch dann, wenn der Schuldner das vom Gläubiger unter Berufung auf
Art. 895 ZGB beanspruchte Retentionsrecht mit der Begründung bestreiten
will, der retinierte Gegenstand sei gemäss Art. 92 SchKG unpfändbar
und dürfe daher nach Art. 896 ZGB nicht retiniert werden (vgl. OFTINGER
N. 20 und 20a zu Art. 898 ZGB). Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag,
um diesen Einwand geltend zu machen, so hat der vom Gläubiger zwecks
Beseitigung des Rechtsvorschlags angerufene Richter die Frage zu prüfen,
ob Art. 896 ZGB (nach dessen zweitem Absatz die Retention u.a. dann
ausgeschlossen ist, wenn die öffentliche Ordnung entgegensteht) die
Ausübung des Retentionsrechts an gemäss Art. 92 SchKG unpfändbaren
Gegenständen verbiete. Es ist nicht Sache der Betreibungsbehörden, diese
materiellrechtliche Frage zu lösen. Sie wurde denn auch in BGE 45 III
32 und 83 III 33 offen gelassen. Kommt der Richter zum Schluss, dass
unpfändbare Gegenstände dem Retentionsrecht im Sinne von Art. 895 ZGB
nicht unterliegen, so muss er, um über den Bestand des Retentionsrechts
entscheiden zu können, als Vorfrage auch prüfen, ob der Gegenstand, an
dem der Gläubiger dieses Recht im konkreten Fall ausüben will, unpfändbar
sei oder nicht. Er erhält damit eine Aufgabe, der er sich unter der
Voraussetzung, dass Art. 896 ZGB die Retention unpfändbarer Gegenstände
ausschliesst, auch dann nicht entziehen kann, wenn der Schuldner unter
Berufung auf die Unpfändbarkeit das Begehren stellt, der Gläubiger sei
zur Herausgabe des zurückbehaltenen Gegenstandes zu verpflichten.

    Unterlässt der Schuldner den Rechtsvorschlag, so hat das
Retentionsrecht gemäss der im Zahlungsbefehl enthaltenen Androhung als
anerkannt zu gelten und kann (unter Vorbehalt von Art. 77 SchKG) in der
betreffenden Betreibung wie im Falle der Aufhebung des Rechtsvorschlags
durch den Richter nicht mehr in Frage gestellt werden, insbesondere auch
nicht durch eine im Anschluss an die Mitteilung des Verwertungsbegehrens
geführte Beschwerde. Soweit in BGE 45 III 32 ausgeführt wurde, dass
über das Vorhandensein der Kompetenzqualität anlässlich der Verwertung
immer noch ein Entscheid der Aufsichtsbehörde provoziert werden könne,
falls der zur Beseitigung des Rechtsvorschlags angerufene Richter die
Retinierbarkeit von Kompetenzstücken verneinen sollte, kann an jenem
Entscheide nicht festgehalten werden. Wie dort einige Zeilen weiter oben
zutreffend hervorgehoben, ist eine Verwertung nicht möglich, solange
der Richter nicht entschieden hat, dass das behauptete Retentionsrecht
bestehe. Einen solchen Entscheid kann der Richter, wenn er annimmt, dass
die Retinierbarkeit nach Art. 896 ZGB die Pfändbarkeit voraussetze, gar
nicht fällen, ohne sich über diesen letzten Punkt auszusprechen. Hat aber
der Richter unter Verwerfung der Einrede der Unpfändbarkeit festgestellt,
dass das vom Gläubiger geltend gemachte Retentionsrecht im Sinne von
Art. 895 ZGB bestehe, und damit dem Gläubiger ermöglicht, die Verwertung zu
verlangen, so ist klar, dass jene Einrede nicht bei Anlass der Verwertung
auf dem Wege der Beschwerde an die Aufsichtsbehörde nochmals erhoben
werden kann.

    Handelt es sich um die Ausübung des Retentionsrechts des Vermieters im
Sinne von Art. 272 OR, so ist es freilich Sache der Betreibungsbehörden,
darüber zu befinden, ob die in den Mieträumen befindlichen und zu deren
Einrichtung oder Benutzung gehörenden Gegenstände wegen Unpfändbarkeit der
Retention entzogen seien (BGE 82 III 79 Erw. 2). Ihre Entscheidungsbefugnis
erstreckt sich dann auch auf die zivilrechtliche Vorfrage, welche Bedeutung
dem Art. 272 Abs. 3 OR zukommt, insbesondere ob diese Bestimmung nur die
gemäss Art. 92 Ziff. 1-6 SchKG unpfändbaren Gegenstände vom Retentionsrecht
ausnehmen will oder ob sie auch auf Art. 92 Ziff. 10 verweist (aaO). Der
Mietzinsschuldner, der im Formular für die Retentionsurkunde (Nr. 40)
darauf hingewiesen wird, dass er binnen 10 Tagen seit Zustellung dieser
Urkunde Beschwerde zu führen hat, wenn er geltend machen will, dass die
aufgezeichneten Gegenstände wegen Unpfändbarkeit dem Retentionsrecht
nicht unterliegen, hat dementsprechend nicht die Möglichkeit, das
Retentionsrecht mit dieser Begründung auf dem Wege des Rechtsvorschlags
gegen den Zahlungsbefehl in der Retentionsbetreibung zu bestreiten. Die
Regeln, die in dieser Hinsicht für das Retentionsrecht des Vermieters
gelten, lassen sich jedoch auf das Retentionsrecht im Sinne von Art. 895
ZGB schon deswegen nicht übertragen, weil bei Ausübung dieses letztern die
Aufnahme einer Retentionsurkunde nicht in Frage kommt (BGE 45 III 31/32,
51 III 151). Das Retentionsrecht des Vermieters unterscheidet sich von
demjenigen gemäss Art. 895 ZGB vor allem dadurch, dass es sich nicht auf
den Besitz stützt, so dass der Vermieter für die Durchsetzung seines Rechts
schon vor Einleitung der Betreibung auf die Hilfe des Betreibungsamtes
angewiesen ist. Dieser wesentliche Unterschied erklärt und rechtfertigt
es, dass die Unpfändbarkeit beim Retentionsrecht des Vermieters nur durch
Beschwerde, beim Retentionsrecht gemäss Art. 895 ZGB dagegen nur durch
Rechtsvorschlag geltend gemacht werden kann.

    Da der Rekurrent es unterlassen hat, das von der Gläubigerin
beanspruchte Retentionsrecht im Sinne von Art. 895 ZGB durch
Rechtsvorschlag zu bestreiten, muss er sich demnach die Annahme gefallen
lassen, dass er dieses Retentionsrecht anerkannt habe, und hat er nicht
die Möglichkeit, den Einwand, dass sein Auto als Kompetenzstück nicht
retinierbar sei, nachträglich noch auf dem Beschwerdeweg zu erheben.