Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 72



82 I 72

12. Urteil vom 21. März 1956 i. S. Karl Etzensperger gegen Regierungsrat
des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 32 quater BV. Verweigerung einer Dancingbewilligung gestützt
auf die Bedürfnisklausel.

Sachverhalt

    Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Hotels "Goldener Löwe"
in Luzern. Er ersuchte um eine sog. Dancingbewilligung im Sinne von
§ 8 der Verordnung über das Tanzen, Auskegeln und die Kilbenen vom
31. Mai 1884. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat dieses Gesuch
am 14. April 1955 abgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die
vorliegende staatsrechtliche Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer
eine Verletzung der Art. 31 und 4 BV sowie der §§ 10, 45, 51 und 59 KV
geltend macht. Der Regierungsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die erwähnte Verordnung geht davon aus, dass das Tanzen
in Wirtschaften grundsätzlich verboten ist, und umschreibt die
Voraussetzungen, unter denen es ausnahmsweise zugelassen ist. Die Frage, ob
sich dieses grundsätzliche Verbot nicht nur an das Gastwirtschaftsgewerbe
richte, sondern eine rechtliche Schranke allgemeiner Natur darstelle,
die von vornherein auch der in Art. 31 BV geschützten Handels- und
Gewerbefreiheit gesetzt sei (BGE 69 I 178), kann offen bleiben, da die
Verweigerung der Dancingbewilligung an den Beschwerdeführer ohnehin nicht
gegen Art. 31 BV verstösst.

Erwägung 2

    2.- Die Handels- und Gewerbefreiheit ist nur soweit gewährleistet,
als sie nicht durch die Bundesverfassung und die auf ihr beruhende
Gesetzgebung eingeschränkt ist (Art. 31 Abs. 1 BV). Nach Art. 32 quater
BV können die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung
des Wirtschaftsgewerbes den durch das öffentliche Wohl geforderten
Beschränkungen unterwerfen. Damit wird ihnen zwecks Bekämpfung des
Alkoholismus die Befugnis eingeräumt, für die Alkoholwirtschaften die
Bedürfnisklausel einzuführen. Der Kanton Luzern hat diese in das Gesetz
betreffend das Wirtschaftsgewerbe und den Handel mit geistigen Getränken
vom 26. Januar 1937 (WG) aufgenommen. Realwirtsrechte werden überhaupt
nicht mehr erteilt (§ 5 Abs. 1 WG) und Personalwirtschaftspatente nur,
wenn die Wirtschaft einem Bedürfnis entspricht (§ 22 WG). Auch die
Erweiterung der zu Konsumationszwecken benützten Räumlichkeiten ist
vom Bedürfnis abhängig gemacht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 & § 31 Abs. 1 Satz 1
WG). Der Regierungsrat erachtet eine bewilligungspflichtige Erweiterung des
Wirtschaftsbetriebes nicht nur dann als gegeben, wenn die Räumlichkeiten
erweitert werden, sondern auch dann, wenn infolge einer Änderung der
bisherigen Zweckbestimmung eines Konsumationsraumes die Betriebsintensität
und damit der Alkoholkonsum gesteigert wird. Diese Auslegung entspricht dem
Sinn und Zweck der Bedürfnisklausel, aber auch dem allgemein anerkannten
Grundsatz, dass die Verwaltungsbehörde auf eine Bewilligung zurückkommen
kann, falls die äusseren oder inneren Verhältnisse, mit Rücksicht auf
die sie erteilt wurde, eine wesentliche Änderung erfahren. Unter dem
beschränkten Gesichtswinkel der Willkür (Art. 4 BV), unter dem die
Auslegung kantonalen Rechtes ausschliesslich überprüft werden kann,
ist die Auffassung des Regierungsrates jedenfalls nicht zu beanstanden
(vgl. die nicht veröffentlichten Urteile vom 8. Februar 1956 i.S. Regli
und vom 21. März 1956 i.S. Immobilien Schwanen A.-G.).

    Mithin darf sich der Regierungsrat zur Stützung des angefochtenen
Entscheides auf die Bedürfnisklausel berufen; denn die Umwandlung eines
ausschliesslich der Konsumation dienenden Raumes in einen Dancingraum
verändert seine bisherige Zweckbestimmung und hat eine Steigerung der
Betriebsintensität und damit auch des Alkoholkonsums zur Folge. Dass der
Beschwerdeführer durch die Anwendung der Bedürfnisklausel gegenüber den
Gesuchstellern, denen die Dancingbewilligung erteilt wurde, rechtsungleich
behandelt werde (Art. 4 BV), behauptet er selbst nicht. Er erhebt die Rüge
der Verletzung der Rechtsgleichheit nur, soweit sich der Regierungsrat
für die Ablehnung seines Gesuches auf die Wahrung der Nachtruhe beruft.
Ebensowenig rügt der Beschwerdeführer die Auffassung des Regierungsrates,
es fehle hier an einem Bedürfnis. Er nimmt lediglich den Standpunkt ein,
die Bedürfnisfrage dürfe überhaupt nicht aufgeworfen werden.

    Die Verweigerung der Dancingbewilligung an den Beschwerdeführer
verletzt also weder Art. 31 noch Art. 4 BV. Die Rüge der Verletzung der §§
10, 45, 51 und 59 KV ist hinfällig; denn sie richtet sich ausschliesslich
gegen die Tanzverordnung, auf die der angefochtene Entscheid nach dem
Gesagten nicht gestützt zu werden braucht. Die Beschwerde ist somit
unbegründet.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.