Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 203



82 I 203

30. Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Oktober 1956 i.S. Knoll AG gegen
Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art.2Ziff.2PatG.

    a)  Arzneimittel (Erw. 2).

    b)  Wann bedient sich das erfundene Verfahren zur Herstellung des
Arzneimittels eines "chemischen Weges"? (Erw. 3-5).

Sachverhalt

    A.- Die Knoll AG ersuchte das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum
am 23. August 1952, die Erfindung eines Verfahrens zur Herstellung
einer Zahnpasta zu patentieren. Das Gesuch, Nr. 83073, wurde vom Amte
viermal beanstandet. In der Antwort auf die dritte Beanstandung fasste die
Gesuchstellerin den Patentanspruch wie folgt: "Verfahren zur Herstellung
einer reagibles Fluor enthaltenden Zahnpasta, dadurch gekennzeichnet,
dass man einer mindestens aus Calciumcarbonat und Wasser bestehenden
Mischung mindestens einen Fluorionen liefernden Stoff und mindestens ein
alkalisierendes, Carbonationen lieferndes Mittel zusetzt."

    Den die Fluorionen (F-) liefernden Stoff will die Gesuchstellerin der
Zahnpasta beifügen, damit sich der im Zahn enthaltene Hydroxylapatit in
Fluorapatit verwandle, weil dieser gegen Caries weniger anfällig ist als
jener. Da jedoch die Zahnpasta als Scheuermittel Calciumcarbonat (CaCO3)
enthält, das sich zum Teil in Calciumionen (Ca ++) und Carbonationen
(CO3 -) auflöst, und da die Calciumionen sich mit Fluorionen zum schwer
löslichen Calciumfluorid (CaF2) verbinden, worauf bis zum Eintritt eines
bestimmten Gleichgewichtes stets weiteres Calciumcarbonat aufgelöst wird
und sich weitere Calciumionen mit Fluorionen verbinden, fallen bis zur
Erreichung des erwähnten Gleichgewichtes Fluorionen als Mittel zur Bildung
des Fluorapatits aus. Die laut Patentanspruch vorgesehene Zusetzung eines
Carbonationen liefernden alkalisierenden Mittels soll bewirken, dass
weniger Calciumcarbonat sich auflöst, also weniger Calciumionen entstehen
und damit die unerwünschte Bildung des Calciumfluorids vermindert wird.

    B.- Am 26. Juli 1956 wies das Eidgenössische Amt für geistiges
Eigentum das Gesuch zurück, weil das Verfahren, für das die Gesuchstellerin
den Patentschutz verlange, dazu diene, ein Arzneimittel auf anderem als
chemischem Wege herzustellen, nach Art. 2 Ziff. 2 PatG die Erfindung also
nicht patentiert werden könne.

    C.- Die Gesuchstellerin führt gemäss Art. 97 ff. OG Beschwerde mit
den Anträgen, dieser Entscheid sei aufzuheben und das Amt anzuweisen,
die Prüfung des Gesuches auf Grund des Art. 13 Abs. 2 VollzVo.
PatG fortzusetzen.

    D.- Das Amt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die drei ersten Titel des Bundesgesetzes vom 25. Januar 1954
betreffend die Erfindungspatente sind auch anzuwenden auf Patentgesuche,
die beim Inkrafttreten dieser Bestimmungen (1. Januar 1956) schon
anhängig waren (Art. 113 Abs. 1 PatG). Daher gilt im vorliegenden
Falle Art. 2 Ziff. 2 PatG, wonach "Erfindungen von Arzneimitteln, sowie
Erfindungen von Verfahren zur Herstellung von Arzneimitteln auf anderem als
chemischem Wege" von der Patentierung ausgeschlossen sind. Soweit diese
Bestimmung sich auf Verfahrenspatente bezieht, deckt sie sich übrigens
mit Art. 2 Ziff. 3 aPatG, wonach ausser den "Erfindungen von auf anderem
als chemischem Wege hergestellten Arzneimitteln" auch "Erfindungen von
Verfahren zur Herstellung solcher Erzeugnisse" nicht patentiert werden
konnten.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin beharrt mit Recht nicht auf ihrem im
Beanstandungsverfahren eingenommenen Standpunkt, die im Verfahren nach
Patentgesuch Nr. 83073 herzustellende Zahnpasta sei kein Arzneimittel. Ein
solches liegt vor, weil die Beschwerdeführerin selber dem in dieser
Zahnpasta enthaltenen reagiblen Fluor Schutzwirkung gegen Caries
zuschreibt, eine Behauptung, die nicht widerlegt ist. Das Verfahren, das
die Beschwerdeführerin schützen lassen will, kann daher nur patentiert
werden, wenn es sich eines "chemischen Weges" bedient.

Erwägung 3

    3.- Das setz voraus, dass es einen oder mehrere chemische Vorgänge
aufweise, welche die Entstehung oder Beschaffenheit des Erzeugnisses
als Arzneimittel günstig beeinflussen, sei es, dass der als Arznei
wirkende Stoff selber durch mindestens einen chemischen Vorgang entsteht
oder verbessert wird, sei es, dass ein solcher Vorgang das Erzeugnis
sonstwie günstig beeinflusst, was z.B. zutrifft, wenn chemische
Vorgänge unerwünschte Begleitstoffe zerstören, wenn sie den Wirkstoff
zwecks Ausscheidung von Verunreinigungen in ein kristallisierendes
Derivat überführen und dieses nach der Reinigung wieder in den Wirkstoff
verwandeln, oder wenn sie die Herstellung der Form, in der das Arzneimittel
angewendet werden soll (Tabletten, Kapseln, Lösungen usw.) günstig
beeinflussen. Chemische Vorgänge, die sich bei der Herstellung des
Arzneimittels ereignen, ohne die Entstehung oder Beschaffenheit des
Erzeugnisses als Arzneimittel günstig zu beeinflussen, machen dagegen das
Verfahren nicht zu einem chemischen. Das trifft nicht nur zu für Vorgänge,
die geradezu unerwünscht sind, weil sie dem Erzeugnis seine Eigenschaft als
Arznei nehmen oder sie beeinträchtigen, sondern auch für Vorgänge, welche
die Bemühungen um das Endergebnis weder fördern noch beeinträchtigen,
sondern einfach überflüssig, wenn vielleicht auch unvermeidbar, sind. Denn
indem das Gesetz den Grundsatz, wonach Verfahren zur Herstellung von
Arzneimitteln nicht patentierbar sind, zugunsten der chemischen Verfahren
durchbricht, will es nur die Bestrebungen um die Erfindung solcher
chemischen Vorgänge, die für die Herstellung einer Arznei vorteilhaft
sind, unterstützen, nicht der Erfindung oder Beifügung irgendwelcher
überflüssiger oder sogar schädlicher Vorgänge Vorschub leisten; das
widerspräche dem Grundsatz, dass Erfindungen, die keinen vernünftigen Sinn
haben, nicht zu schützen sind. Das kommt denn auch im Wortlaut von Art.
2 Ziff. 2 PatG deutlich zum Ausdruck. Die Erfindung muss der "Herstellung"
der Arznei auf "chemischem Wege" dienen, also einen chemischen Vorgang zum
Gegenstande haben, welcher Mittel zur Schaffung der Arznei, nicht blosse
Begleiterscheinung ist. In diesem Sinne hat das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement schon Art. 2 Ziff. 3 aPatG ausgelegt (vgl. P. GRAF,
Die Normen des schweizerischen Patentrechts für chemische Erfindungen,
Arzneimittel-, Lebensmittel- und Textilerfindungen 43 ff.).

    Demnach wird ein Verfahren zur Herstellung eines Arzneimittels
auch nicht schon dadurch patentierbar, dass es einen unerwünschten,
die Herstellung oder Beschaffenheit des Erzeugnisses als Arznei
beeinträchtigenden chemischen Vorgang auf anderem als chemischem Wege
unterdrückt oder eindämmt, z.B. zur Verhinderung oder Beschränkung einer
schädlichen chemischen Reaktion lediglich tiefe Temperaturen oder andere
nichtchemische Mittel anwendet. Patentierbar ist die Erfindung, die auf
Unterdrückung oder Verminderung eines unerwünschten chemischen Vorganges
abzielt, nur dann, wenn das erfundene Mittel selber ein chemischer
Vorgang ist, nur dann geht es darauf aus, die Arznei auf chemischem Wege
herzustellen. Andernfalls käme man dazu, in gewissen Fällen die Erfindung
reiner Mischverfahren zu schützen, die der Gesetzgeber in erster Linie
von der Patentierung ausschliessen wollte (vgl. BBl 1950 I 1004).

    Aus dem Rekursentscheid des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements vom 2. September 1909, den BURCKHARDT, Schweizerisches
Bundesrecht Nr. 2192 IV, und GRAF, aaO 44 f., auszugsweise wiedergeben,
vermag die Beschwerdeführerin nichts für ihre gegenteilige Auffassung
abzuleiten. Dieser Entscheid sagt nicht, dass die Hemmung oder
Unterdrückung eines unerwünschten chemischen Vorganges, mit welchen
Mitteln sie auch immer geschehe, die Erfindung patentierbar mache. Das
Departement hat lediglich entschieden, eine Herstellung auf chemischem
Wege erfordere nicht, dass der als Heilmittel wirkende Stoff erst gebildet
werde, sondern es genüge, dass er als Ausgangsstoff schon vorhanden sei,
aber zwecks Gewinnung des Endstoffes chemisch bearbeitet werde. Die
chemische Bearbeitung lag in jenem Falle in der Entfernung unerwünschter
Eiweissstoffe mittels eines chemischen Vorganges (Ausfällung).

    Die Beschwerdeführerin geht auch fehl, wenn sie geltend macht,
in einem in BIZüR 26 Nr. 162 veröffentlichten Entscheide des Zürcher
Handelsgerichts sei die Verhinderung eines unerwünschten chemischen
Vorganges (Selbstoxydation des Harzöls eines Kautschukheftpflasters)
durch ein blosses Mischverfahren als patentfähige Erfindung anerkannt
worden. Nicht die Verhinderung des unerwünschten chemischen Vorganges
an sich, sondern die neuen "für den Zweck der Erfindung wesentlichen
chemischen Effekte und Reaktionen", die das Mischverfahren auslöste,
machten die Erfindung nach Auffassung des Handelsgerichts schutzfähig. Das
Gericht ging also davon aus, die Vorgänge, welche den unerwünschten
anderen chemischen Vorgang verhinderten, seien selber chemischer Natur.

Erwägung 4

    4.- Eine andere Frage ist, welche Merkmale den chemischen Vorgang
vom nichtchemischen unterscheiden.

    Sie beurteilt sich nicht nach den Ergebnissen der neusten
wissenschaftlichen Forschung, die Zweifel an der Berechtigung der
Unterscheidung zwischen Physik und Chemie wecken mag, sondern nach dem
herkömmlichen Begriff des chemischen Vorganges, wie er den gesetzgebenden
Behörden sowohl beim Erlass des alten als auch des geltenden Patentgesetzes
vorgeschwebt hat.

    Dieser patentrechtliche Begriff des chemischen Vorganges ergibt sich
aus der Botschaft des Bundesrates vom 25. April 1950 über die Revision
des Bundesgesetzes betreffend die Erfindungspatente. Darnach hatte der
erste Vorentwurf dem aus Kreisen der chemischen Industrie stammenden
Begehren, die sogenannten physikalisch-analytischen Verfahren patentierbar
zu erklären, Rechnung getragen und "lediglich jene nichtchemischen
Verfahren von der Patentierung ausgeschlossen, bei welchen es sich nur
um eine Vereinigung mehrerer Ausgangsstoffe handelt". Damit hatte man
auf die Gewinnung hochempfindlicher Naturstoffe aus Pflanzenteilen,
tierischen Drüsen usw. Rücksicht nehmen wollen, "bei welcher in manchen
Fällen jede chemische Reaktion vermieden werden muss". Die Botschaft
führte aus, in diesen Fällen seien "nur Operationen verwendbar, bei
welchen sich in der Regel keine stofflichen Veränderungen abspielen, wie
Extrahieren, Dialysieren, Dest-illieren, Adsorbieren, Chromatographieren,
Umkristallisieren usw.". Man war also der Auffassung, dass diese und
ähnliche physikalisch-analytischen Vorgänge ohne stoffliche Veränderungen
nicht zu den chemischen gehörten, dass vielmehr die Erfindungen solcher
Verfahren ausdrücklich patentierbar erklärt werden müssten, um den Schutz
des Gesetzes zu geniessen. Botschaft und Entwurf lehnten diese Ausdehnung
des Patentschutzes ab, weil der Bundesrat befürchtete, sie würde zu einer
Verteuerung wichtiger Arzneimittel führen. Die Botschaft führt denn auch
ausdrücklich aus, "bei der Anwendung des Gesetzes werde man demnach wie
bisher darauf achten müssen, dass Vorgänge wie Extrahieren, Dialysieren,
Dest-illieren, Adsorbieren, Chromatographieren und dergleichen nicht
als chemische Vorgänge angesprochen werden, sofern nicht besondere
Umstände dies rechtfertigen". Unter den "besonderen Umständen" können
nur Stoffveränderungen chemischer Art verstanden werden, die allenfalls
in Verbindung mit diesen Vorgängen angewendet werden, wie ja nach
der Botschaft die erwähnten Verfahren zur Gewinnung hochempfindlicher
Naturstoffe sich nur "in der Regel" ohne stoffliche Veränderungen abspielen
(BBl 1950 I 1004 f.). Das Gesetz brachte gegenüber dem Entwurfe keine
Änderung, geht also seinerseits davon aus, dass physikalisch-analytische
Verfahren an sich nicht chemischer Natur sind, ein chemischer Vorgang
vielmehr nur vorliegt, wenn die stoffliche Zusammensetzung von Molekülen
verändert wird. Das war schon unter dem alten Patentgesetz auch herrschende
Lehrmeinung (vgl. z.B. WEIDLICH/BLUM Art. 2 Anm. 5, GRAF aaO 15).

Erwägung 5

    5.- Das Verfahren, dessen Patentierung die Beschwerdeführerin verlangt,
weist einen chemischen Vorgang auf: die Abtrennung der Calciumionen
vom gelösten Calciumcarbonat und ihre Verbindung mit den Fluorionen
zu Calciumfluorid. Dieser Vorgang ist aber unerwünscht und macht daher
das Verfahren zur Herstellung der Zahnpasta nicht zum chemischen. Die
Beschwerdeführerin hält denn auch an der gegenteiligen Auffassung, die
sie im Beanstandungsverfahren vertreten hat, nicht mehr fest.

    Anderseits macht die Bestrebung, diesen unerwünschten chemischen
Vorgang durch Beifügung eines Carbonationen liefernden alkalisierenden
Mittels einzuschränken, das zur Patentierung angemeldete Verfahren nicht
schon an sich zum chemischen, wie die Beschwerdeführerin meint. Ein
chemisches Verfahren entstände dadurch nur, wenn die vom alkalisierenden
Mittel gelieferten Carbonationen eine (für die Herstellung oder
Beschaffenheit des Arzneimittels günstige) stoffliche Veränderung von
Molekülen zur Folge hätten. Das trifft nicht zu. Nach den übereinstimmenden
Darstellungen der Beschwerdeführerin und des Eidgenössischen Amtes für
geistiges Eigentum bewirken sie lediglich, dass weniger Calciumcarbonat
sich in Calciumionen und Carbonationen auflöst. Die Herabsetzung der
Löslichkeit ist sowenig ein chemischer Vorgang wie die Auflösung selbst,
die auf der elektrolytischen Dissoziation (lonisation) beruht und damit
nach herkömmlicher Lehre der Naturwissenschaft und im patentrechtlichen
Sinne physikalischer Natur ist, was denn auch die Beschwerdeführerin
nicht zu widerlegen versucht.

    Die Beschwerdeführerin hält schliesslich in der Beschwerde mit
Recht nicht mehr daran fest, dass die Beifügung des die Carbonationen
liefernden alkalisierenden Mittels insofern einen chemischen Vorgang zur
Folge habe, als sich dadurch weiteres Calciumcarbonat bilde, wie sie im
Beanstandungsverfahren behauptet hat. Es ist nicht zu ersehen, woher die
Calciumatome kämen, die für die Bildung des Calciumcarbonats nötig wären.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.