Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 188



82 I 188

28. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Juni 1956 i.S. Wwe Keller
gegen Schreiber und Regierungsrat des Kantons Thurgau. Regeste

    Erbbescheinigung als Ausweis für die Eintragung des erbrechtlichen
Übergangs von Grundstücken (Art. 18 GBV):

    1.  Die von der zuständigen Behörde des letzten Wohnsitzes des
Erblassers ausgestellte Erbbescheinigung ist auch vom Grundbuchamt eines
andern Kantons anzuerkennen.

    2.  Es genügt, dass diese Bescheinigung den oder die einzigen Erben
dem Sinne nach eindeutig bezeichnet.

    3.  Der Vorerbe kann sich als Eigentümer eintragen lassen, auch ohne
zugleich die Nacherbschaft vormerken zu lassen. Ist die Vormerkungspflicht
streitig, so kann sich der Nacherbe durch vorläufige Massnahmen schützen.

Sachverhalt

    A.- Der am 14. Mai 1955 verstorbene Josef Keller-Mühlebach mit Wohnsitz
in Luzern hatte eine Tochter aus erster Ehe, Frau Frieda Schreiber-Keller
in Diessenhofen. In zweiter Ehe war er mit Frau Marie Keller-Mühlebach
verheiratet. Diese zweite Ehe blieb kinderlos.

    B.- Am 23. März 1946 hatte der Erblasser mit der zweiten Ehefrau
und der Tochter aus erster Ehe einen Auskaufs- und Erbvertrag
abgeschlossen. Danach erhielt die Tochter zwei Liegenschaften in
Diessenhofen und durch Schulderlass einen Betrag von Fr. 4000.--. Infolge
dieser Leistungen verzichtete sie für den Fall, dass die zweite Ehefrau den
Vater überlebe, zu deren Gunsten auf alle weitern Ansprüche am Nachlass. In
diesem (wirklich eingetretenen) Falle geht der ganze Nachlass des Ehemannes
laut dem Vertrag in das Eigentum der Witwe über und soll dereinst nach
ihrem Tode auf die Tochter aus erster Ehe oder deren Nachkommen als
Nacherben übergehen, soweit er dann noch vorhanden sein wird.

    C.- Nach dem Tode des Erblassers stellte das Teilungsamt der Stadt
Luzern folgende Bescheinigung aus:

    "Das Teilungsamt der Stadt Luzern bescheinigt hiemit, dass der am
14. Mai 1955 verstorbene Herr Josef Keller, Kaufmann, von Basadingen,
Kanton Thurgau, wohnhaft gewesen in Luzern, Landschaustrasse 27, als
gesetzliche Erben hinterlässt:

    a) seine Witwe (II. Ehe), Frau MARIA Agatha KELLER-Mühlebach,
geb. 1892, Landschaustrasse 27, Luzern;

    b) seine Tochter (aus I. Ehe), Frau FRIEDA SCHREIBER-KELLER,
geb. 1909, Ehefrau des Herrn Jakob Schreiber, Kaufmann, Steinerstrasse 5,
Diessenhofen, Kanton Thurgau.

    Die Eheleute Keller-Mühlebach haben am 23. März 1946 mit Frau Frieda
Schreiber-Keller einen Auskaufs- und Erbvertrag abgeschlossen nach dessen
Wortlaut der gesamte Nachlass des Herrn Keller-Mühlebach bei seinem
Vorabsterben ins Eigentum seiner Ehefrau übergeht. An diesem Nachlass -
soweit er beim Tode von Frau Maria A. Keller-Mühlebach noch vorhanden
ist - wurden Frau Frieda Schreiber-Keller oder deren Nachkommen als
Nacherben eingesetzt.

    Die Erbschaft ist angetreten worden.

    Luzern-Stadt,

    Ausgefertigt zuhanden des Grundbuchamtes

    Diessenhofen,

    Luzern, den 26. Oktober 1955.

    TEILUNGSAMT DER STADT LUZERN

    Der Chef:

    gez.: Dr. Streich."

    D.- Auf Grund dieser Bescheinigung verlangte die Witwe bei den
Grundbuchämtern Luzern und Diessenhofen die Übertragung der im Eigentum des
Erblassers verbliebenen Liegenschaften. Der Grundbuchverwalter von Luzern
nahm die Eintragung vor. Er verband damit anscheinend die Vormerkung einer
Auslieferungspflicht zu Gunsten der Nacherbin Frau Frieda Schreiber-Keller.
Dagegen weigerte sich das Grundbuchamt Diessenhofen, das dort gelegene
Grundstück "zur Zinne" als Alleineigentum der Witwe einzutragen, und
der Regierungsrat des Kantons Thurgau wies eine gegen diese Ablehnung
eingereichte Beschwerde der Witwe am 14. Februar 1956 "im Sinne der
Erwägungen" ab.

    Diese Entscheidung wird damit begründet, dass die vom Teilungsamt
der Stadt Luzern ausgestellte Urkunde keine Erbenbescheinigung im Sinne
von Art. 559 ZGB sei. Nach der Grundbuchverordnung, Art. 18, müsse
eine solche Bescheinigung dartun, dass die in ihr genannten Personen die
einzigen Erben des Erblassers seien. Dieses hauptsächliche Erfordernis sei
hier nicht erfüllt. Das Teilungsamt der Stadt Luzern betrachte denn auch
das von ihm ausgefertigte Aktenstück gar nicht als Bescheinigung im Sinne
von Art. 559 ZGB, wie Erkundigungen auf diesem Amt ergeben hätten. Ferner
sei der Erbauskaufsvertrag nicht amtlich eröffnet worden, wie es § 48 der
thurgauischen Notariatsverordnung vorsehe. Der Beschwerdeführerin bleibe
nur übrig, sich entweder mit der Stieftochter über die Mitunterzeichnung
des Eintragungsgesuches zu verständigen oder gestützt auf den Erbvertrag
klagend gegen sie vorzugehen. Dann möge auch die Frage der Sicherstellung
des Nacherbenrechtes ihre Abklärung finden.

    E.- Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat die Witwe des
Erblassers die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben.
Sie beantragt, das Grundbuchamt sei (direkt oder durch den Regierungsrat
des Kantons Thurgau) zur Vornahme der nachgesuchten Eintragung anzuweisen.

    In der Beschwerde wird ausgeführt, die vom Teilungsamt der Stadt
Luzern ausgestellte Bescheinigung enthalte alles, was nötig sei. Auf
einem unerklärlichen Irrtum müsse die Behauptung des Regierungsrates
beruhen, das Teilungsamt betrachte jenes Aktenstück selber nicht als
Erbenbescheinigung im Sinne von Art. 559 ZGB. Das Gegenteil ergebe sich aus
einem Schreiben vom 28. Februar 1956. Der angefochtene Entscheid verletze
Art. 18 der bundesrätlichen Grundbuchverordnung und damit eidgenössisches
Recht. Unrichtig sei die darin ausgesprochene Ansicht, der Erbvertrag
hätte amtlich eröffnet werden müssen. Das sei in Art. 557 ZGB nur für
letztwillige Verfügungen vorgeschrieben. Die im Entscheid offen gelassene
Frage nach einer Pflicht der Vorerbin zur Sicherstellung sei zu verneinen,
denn das Nacherbenrecht bestehe nach den eindeutigen Vertragsbestimmungen
nur für den Überrest. Damit sei eine Sicherstellungspflicht, wenn
auch nicht ausdrücklich, so doch unzweifelhaft wegbedungen. Übrigens
sei es nicht Sache der Grundbuchbehörden, sich mit Art. 490 ZGB zu
befassen. Wenn die Nacherbin eine Sicherstellung verlangen wolle, habe
sie sich an die Erbschaftsbehörde (das Teilungsamt der Stadt Luzern) oder
an die Gerichte zu wenden. Der Vorerbin stünde dann immer noch zur Wahl,
ob sie die Sicherheit durch Vormerkung im Grundbuch oder auf andere Weise
leisten wolle.

    F.- In seiner Stellungnahme zur Beschwerde hält der Regierungsrat
daran fest, dass die vom Teilungsamt der Stadt Luzern ausgefertigte
Urkunde nicht als Erbenbescheinigung gelten könne und deshalb für die
Eintragung der Liegenschaft nicht genüge. Die Beschwerdeführerin solle
zur Geltendmachung ihres Rechtes den Richter anrufen.

    G.- Frau Frieda Schreiber-Keller beantragt ebenfalls die Abweisung
der Beschwerde. Sie lässt nicht gelten, dass die Vorerbin von der
Pflicht zur Sicherstellung entbunden worden sei. Ziffer 4 des Vertrages
gebe der Beschwerdeführerin nur das Recht, Kapitalanbrüche vorzunehmen.
Der Erblasser habe gewünscht, dass sein Nachlassvermögen seiner Tochter
erhalten bleibe. Deren Anspruch auf Auslieferung müsse sichergestellt
werden. Ohne Vormerkung könnte die Beschwerdeführerin frei über die
Liegenschaft verfügen.

    H.- Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat sich
am 14. Mai 1956 zur Beschwerde vernehmen lassen. Es hält diese
für unbegründet, weil die Erbenbescheinigung nicht dahin laute, die
Beschwerdeführerin sei als einzige Erbin des Erblassers anerkannt. Diese
Angabe dürfe das Grundbuchamt verlangen. Dagegen hätten die kantonalen
Behörden ihre Abweisung nicht mit der Nichteröffnung des Erbvertrages
begründen dürfen. Die Grundbuchbehörde habe zu prüfen, ob die Bescheinigung
von einer dazu kompetenten Behörde ausgestellt sei. Um das Verfahren,
das der Ausstellung der Bescheinigung vorausgehe, habe sie sich dagegen
nicht zu kümmern.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Um sich als Alleineigentümerin einer zum Nachlass des Josef
Keller-Mühlebach gehörenden Liegenschaft eintragen zu lassen, hatte
sich die Beschwerdeführerin darüber auszuweisen, dass sie als einzige
Erbin des Erblassers anerkannt sei. Dies ergibt sich aus Art. 18 der
Grundbuchverordnung, der einen solchen Ausweis "im Falle von Erbgang"
sowohl bei gesetzlichen wie bei eingesetzten Erben verlangt. Die erwähnte
Vorschrift lehnt sich, was Testamentserben betrifft, an Art. 559 ZGB
an, den sie verdeutlicht. Dass entsprechende Bescheinigungen auch
gesetzlichen Erben auszustellen seien, "sobald dies nach der Sachlage
zu irgend einem Zweck erforderlich sein mag", wurde bereits bei der
Vorberatung des ZGB erwogen (Erläuterungen zum Vorentwurf I S. 435),
und die Grundbuchverordnung verlangt nun allgemein für die Eintragung
des Eigentumsüberganges auf den Alleinerben oder auf die Erben insgesamt
einen solchen Ausweis.

    Entgegen der Ansicht des Regierungsrates ist die Bescheinigung des
Teilungsamtes der Stadt Luzern als gültiger Ausweis anzuerkennen. Dass
das Teilungsamt selbst der von ihm ausgestellten Urkunde diese Bedeutung
beimisst und der angefochtene Entscheid sich hierüber geirrt hat, ergibt
sich aus einem Schreiben des Teilungsamtes an den Luzerner Vertreter der
Beschwerdeführerin. Darin wird ausgeführt, die Bescheinigung enthalte die
Angaben, die der Grundbuchverwalter brauche, denn es gehe daraus hervor,
wer als Erbe in Betracht komme. Deshalb sei das Amt auch nicht in der
Lage, eine andere Bescheinigung auszustellen. Im interkantonalen Verkehr
richte sich die Art der Bescheinigung nach dem Recht desjenigen Kantons,
in dem der Erbgang abgewickelt werden müsse.

    In der Tat ist die vorliegende Bescheinigung von der zuständigen
Behörde des letzten Wohnsitzes des Erblassers ausgestellt und beurrkundet
die Tatsache des Erbfalles, der Erbenqualität, des Erbvertrages und
des ihm entsprechenden Überganges des Alleineigentums am Nachlass
auf die Beschwerdeführerin. Damit ist diese im Sinne von Art. 18 der
Grundbuchverordnung als erbrechtliche Alleinerwerberin ausgewiesen.
Angesichts des eindeutig dahingehenden Sinnes der Bescheinigung wäre
es sinnloser Formalismus, sie deswegen zu bemängeln, weil sie nicht
dem Wortlaut der Verordnungsvorschrift folgend die Beschwerdeführerin
als "einzige" oder "alleinige" Erbin bezeichnet. Die Bescheinigung
erscheint um so mehr als einwandfrei, wenn man den ihr zugrunde liegenden
Erbvertrag mitberücksichtigt und bedenkt, dass die beiden Beteiligten
sich ebenfalls als die einzigen gesetzlichen Erben betrachten und den
Erbvertrag als gültig anerkennen. Bei dieser Sachlage ist auch nicht
einzusehen, weshalb dieser ihnen wohlbekannte Vertrag, der ausser dem
Erblasser nur sie betrifft, noch hätte - ihnen - amtlich eröffnet werden
sollen. Übrigens bemerkt das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
mit Recht, das Grundbuchamt habe nicht danach zu fragen, in welchem
Verfahren die Erbenbescheinigung zustande gekommen sei. Und da das
Bundesrecht eine Eröffnung von Erbverträgen gar nicht verlangt, hatte
die am Orte des Erbganges von der zuständigen Behörde ausgestellte und
den bundesrechtlichen Vorschriften genügende Erbenbescheinigung auch in
jedem andern Kanton als tauglicher Ausweis zu gelten.

Erwägung 2

    2.- Das Grundbuchamt hat die von der Beschwerdeführerin verlangte
Eintragung nicht nur deshalb verweigert, weil es den vorgelegten Ausweis
(wie dargetan, zu Unrecht) als "nicht dem Inhalt einer Erbenbescheinigung
entsprechend" betrachtete, sondern ausserdem, weil nicht angegeben
war, "ob im Sinne von Art. 490 Abs. 2 des Zivilgesetzbuches eine
Vormerkung der Auslieferung des Erbschaftsgrundstückes an den
Nacherben einzutragen ist". Indessen gehörte eine solche Angabe
nicht in die Erbenbescheinigung. Vielmehr bildet die Vormerkung des
Nacherbenrechtes den Gegenstand einer besondern Grundbuchanmeldung neben
derjenigen des Eigentumserwerbes des Vorerben. Allerdings wird in der
Literatur angenommen, diese Anmeldung habe vom Vorerben auszugehen,
und es findet sich auch die Ansicht vertreten, das Nacherbenrecht
lasse sich hinsichtlich Liegenschaften überhaupt nur auf solche Weise
sicherstellen; der Grundbuchführer dürfe die Erbliegenschaft erst dann auf
den Vorerben überschreiben, wenn (mangels anderer Abrede der Beteiligten)
gleichzeitig auch die das Nacherbenrecht sicherstellende Vormerkung
erfolgen könne (vgl. OSTERTAG, N. 36/37 und HOMBERGER, N. 44/45 zu Art. 960
ZGB). Nach anderer Ansicht hat der Vorerbe die Wahl einer andern Art der
Sicherstellung (vgl. ESCHER, N. 6 zu Art. 490 ZGB). Im vorliegenden Fall
ist vor allem streitig, ob aus der vertraglichen Beschränkung des der
Beschwerdegegnerin eingeräumten Nacherbenrechtes eine gültige, obgleich
nicht ausdrückliche Entbindung von der Sicherstellungspflicht der Vorerbin
zu folgern sei (was die Beschwerdeführerin mit Hinweis auf ESCHER, N. 5
zu Art. 490 ZGB, geltend macht). Zu alldem ist hier jedoch nicht Stellung
zu nehmen. Den Grundbuchbehörden steht nicht zu, über den Bestand einer
Sicherstellungspflicht zu entscheiden und die Art der Sicherstellung zu
bestimmen. Dem Vorerben (zumal wenn es ein gesetzliches Erbe ist) darf
aber auch nicht die Eintragung seines Eigentums für solange verweigert
werden, bis über eine allfällige Vormerkungspflicht gegenüber dem Nacherben
ein gerichtliches Urteil vorliegt. Ist die Vormerkungspflicht, wie hier,
bestritten, so steht der Eintragung des an sich einwandfrei nachgewiesenen
Eigentumsüberganges vom Erblasser auf den Vorerben nichts entgegen. Die
Vormerkung bildet dann, wenn sie erfolgen muss, eine auch zeitlich davon
getrennte Grundbuchoperation. Gewiss hat der Nacherbe, der Anspruch auf
Vormerkung seines Rechtes erhebt, ein Interesse, Verfügungen des Vorerben
vorzubeugen, die seinem spätern Erwerbe vorgreifen könnten. Er kann sich
aber dadurch genügend schützen, dass er, wenn der Vorerbe seinen Wunsch,
das Nacherbenrecht vormerken zu lassen, nicht erfüllt, nun seinerseits
an den Richter gelangt, um die Vormerkung (allenfalls für die Dauer des
Prozesses in einer vorläufigen Form) zu erwirrken. Diese Verteilung
der Parteirollen entspricht im übrigen der gegebenen Sachlage besser
als die vom Regierungsrat ins Auge gefasste gegenteilige Lösung, da
eben das Eigentumsrecht der Vorerbin an sich unbestritten, der Anspruch
der Nacherben auf Sicherstellung und insbesondere auf Vormerkung dagegen
bestritten ist. Die Beschwerdegegnerin widersetzt sich denn auch nach ihren
Ausführungen nicht dem Eigentumseintrag als solchem, sondern will sich nur
vor spätern Handlungen der an sich als Eigentümerin anerkannten Vorerbin
sichern, was auf andere Weise als durch Verweigerung des Eigentumseintrages
geschehen kann.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und das Grundbuchamt Diessenhofen angewiesen, den Übergang des Eigentums
an der Liegenschaft "zur Zinne" in Diessenhofen auf die Beschwerdeführerin
als Alleineigentümerin einzutragen.