Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 167



82 I 167

23. Auszug aus dem Urteil vom 21. November 1956 i.S. Hauri gegen
Statthalter des Appellationsgerichts und Staatsanwalt- schaft des Kantons
Basel-Stadt. Regeste

    Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 84 Abs. 2 OG).

    Wenn ein in der Schweiz zu einer Gesamtstrafe Verurteilter vom Ausland
unter Vorbehalt gewisser Nichtauslieferungsdelikte zum Strafvollzug
ausgeliefert wird und deshalb die Gesamtstrafe nachträglich durch
Ausscheidung der auf diese Delikte entfallenden Quote aufgeteilt wird,
so kann dieser Entscheid wegen Verletzung des Grundsatzes der Spezialität
der Auslieferung (und wegen Ermessensüberschreitung) bei der Bestimmung
jener Quote mit Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP und daher
nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden.

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer Hans Jakob Hauri ist durch Urteil des
Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 3. Februar 1954 wegen
gewerbsmässigen Betrugs und verschiedener weiterer Delikte zu vier Jahren
Zuchthaus abzüglich 15 Monate Untersuchungshaft verurteilt worden. Am
27. Januar 1955 gelang es ihm, aus der Strafhaft nach Frankreich zu
entfliehen. In der Folge wurde er ausgeliefert unter Vorbehalt von 9 (von
insgesamt 23) Betrugsfällen und einer Reihe anderer Delikte, die keine
Auslieferungsdelikte seien. Im Hinblick auf diesen Vorbehalt verfügte
der Statthalter des Appellationsgerichts am 28. Juni 1956, dass von
der vierjährigen Zuchthausstrafe vorerst nur 3 1/2 Jahre zu vollziehen
seien und dass dem Verurteilten zu eröffnen sei, die restlichen 6 Monate
würden ebenfalls vollzogen, sofern er nach Ablauf eines Monats seit seiner
Entlassung in der Schweiz betroffen werde.

    Als sich Hauri am 23. Juli 1956 beim Statthalter erkundigte, bei
welcher Instanz er diese ihm am 30. Juni eröffnete Verfügung anfechten
könne, wurde ihm am 25. Juli mitgeteilt, dass er dagegen staatsrechtliche
Beschwerde beim Bundesgericht, eventuell gleichzeitig Beschwerde beim
eidg. Justiz- und Polizeidepartement erheben könne.

    B.- Am 30. Juli 1956 hat Hauri beim Bundesgericht eine staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, die Verfügung des Statthalters
des Appellationsgericht vom 30. Juni 1956 sei aufzuheben. Er beruft
sich auf Art. 4 BV und macht geltend: Der grösste Teil der Delikte,
deretwegen er in der Schweiz verurteilt worden sei, und insbesondere alle
Betrugsfälle seien nach französischem Recht nicht strafbar und daher keine
Auslieferungsdelikte, was die Vollstreckbarkeit der gesamten noch nicht
verbüssten Freiheitsstrafe ausschliesse. Sodann lasse der angefochtene
Entscheid ausser Betracht, dass der franz.-schweiz. Auslieferungsvertrag
die Auslieferung zum Strafvollzug gar nicht vorsehe.

    C.- Das Ergebnis eines über die Frage der Zuständigkeit zur Beurteilung
der Beschwerde erfolgten Meinungsaustausches der staatsrechtlichen
Kammer des Bundesgerichts mit dem Bundesrate und mit dem Kassationshof
des Bundesgerichts ist aus den nachstehenden Erwägungen ersichtlich.

    D.- Das Bundesgericht ist auf die Beschwerde nicht eingetreten.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur
zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage
oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder andern Bundesbehörde gerügt
werden kann.

    Der Beschwerdeführer beanstandet vor allem, dass der angefochtene
Entscheid die auf die Auslieferungsdelikte entfallende Quote der
vom Appellationsgericht seinerzeit ausgefällten Gesamtstrafe von 4
Jahren Zuchthaus mit 3 1/2 Jahren zu hoch bemessen habe. Damit macht
er eine Verletzung des in Art. 8 des französisch-schweizerischen
Auslieferungsvertrags enthaltenen Grundsatzes der Spezialität der
Auslieferung und allenfalls noch eine Ermessensüberschreitung bei der
Bestimmung jener Quote geltend. Würde es sich bei der Ausscheidung des
auf die Auslieferungsdelikte entfallenden Teils der Gesamtstrafe um eine
blosse Vollstreckungsfrage handeln, wie der angefochtene Entscheid annimmt,
so wäre darüber gemäss Art. 392 StGB in Verbindung mit Art. 125 lit. b
OG vom Bundesrat zu entscheiden. Diese Betrachtungsweise ist indessen
unzutreffend. Die infolge des Vorbehalts in der.Auslieferungsbewilligung
notwendig gewordene nachträgliche Aufteilung der Gesamtstrafe durch
Ausscheidung des auf die Nichtauslieferungsdelikte entfallenden Teils
ist auch nach Auffassung des Bundesrates und des Kassationshofes
Strafzumessung im Sinne der Art. 63 ff. StGB. Entscheidungen, durch
die das Mass einer Strafe festgesetzt wird, sind aber Urteile im Sinne
von Art. 268 Abs. 1 BStP, und es kann daher die Frage, ob eine solche
nachträgliche Aufteilung einer Gesamtstrafe Bundesrecht verletze,
zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
gemacht werden. Als Verletzung eidgenössischen Rechts im Sinne von
Art. 269 Abs. 1 BStP gilt auch die Verletzung von Staatsverträgen mit
Einschluss der Auslieferungsverträge, also auch die Verletzung des im
französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrag aufgestellten Grundsatzes
der Spezialität (vgl. BGE 81 IV 290 Erw. II/1, nicht veröffentlichtes
Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1951 i.S. Lebet Erw. III/2). Die
in der vorliegenden Beschwerde erhobenen Rügen der Verletzung dieses
Grundsatzes und allenfalls der Ermessensüberschreitung bei der Bestimmung
der auf die Auslieferungsdelikte entfallenden Quote der Gesamtstrafe
hätten daher mit der Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden können,
womit die staatsrechtliche Beschwerde, als subsidiäres Rechtsmittel,
ausgeschlossen ist.

    Von der Überweisung der Beschwerde an den Kassationshof zur Beurteilung
als Nichtigkeitsbeschwerde kann schon deshalb abgesehen werden, weil sie
als solche, wie der Kassationshof bestätigt hat, offensichtlich verspätet
ist (Art. 272 BStP). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der
Statthalter des Appellationsgerichts Basel-Stadt den Beschwerdeführer
auf dessen Anfrage vom 23. Juli 1956 hin fälschlicherweise auf die
Möglichkeit der staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht,
eventuell der Beschwerde an das eidg. Justiz- und Polizeidepartement
hingewiesen hat, da bereits in jenem Zeitpunkt die Frist für die Erhebung
der Nichtigkeitsbeschwerde abgelaufen war.

    .....