Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 6



82 IV 6

3. Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1956 i. S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Solothurn gegen Minger. Regeste

    Art. 112 StGB, Mord. Umstände, die eine besonders verwerfliche
Gesinnung des Täters offenbaren; Primitivität des Täters schliesst sie
nicht aus.

Sachverhalt

    A.- Der wegen Geistesschwäche bevormundete 32-jährige Hilfsarbeiter
Hans Minger hatte im Frühjahr 1953 die in erheblichem Grade schwachsinnige
24 Jahre alte Elsa Frick kennen gelernt und sich mit ihr am 11. Juli
1954 verlobt. Wie sich später ergab, liess sie sich noch am gleichen
Tag angeblich von einem Italiener schwängern. Dessen ungeachtet und trotz
Abratens seiner Verwandtschaft und seines Vormundes entschloss sich Minger,
Elsa Frick zu heiraten. Am Abend des 12. November 1954, um 20.30 Uhr, als
er seine Braut an ihrem Arbeitsplatz in Bellach aufsuchte, eröffnete ihm
deren Arbeitgeber, sie sei fristlos entlassen worden, weil sie Fr. 50.-
gestohlen habe. Minger begab sich hierauf ins Zimmer seiner Braut, wo es
zwischen ihnen zu einer Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf Elsa Frick
ihn ohrfeigte. Auch soll sie ihm auf sein Verlangen den Verlobungsring
zurückgegeben und erklärt haben, sie wisse jetzt schon, was sie tun
werde. Zwischen 22.00 und 22.30 Uhr verliessen beide das Zimmer und begaben
sich gemeinsam durch die Wildbachstrasse und dem Brühlgraben entlang an
die Aare. Nachdem sie einige Zeit durch das Ufergebüsch gelaufen waren,
gelangten sie zu einem kleinen Fischerplatz, wo sie stehend geschlechtlich
verkehrten. Unmittelbar darauf fasste Minger die Elsa Frick von hinten
und warf sie in die Aare. Sie stiess einen Angstschrei aus, der von
Passanten am gegenüberliegenden Aareufer vernommen wurde. Es gelang ihr,
im seichten Wasser gegen das Ufer zurückzukriechen, worauf Minger selbst
in die Aare hinunterstieg, Elsa Frick an Kopf und Schultern fasste und sie
trotz Bitten und Gegenwehr solange unter Wasser hielt, bis sie jeglichen
Widerstand aufgab und sich nicht mehr rührte. Die avisierte Polizei konnte
ungefähr zwei Stunden später ihre Leiche bergen. Sie wies die typischen
Merkmale des Ertrinkungstodes auf.

    B.- Das Schwurgericht des Kantons Solothurn sprach Minger am 29. Juni
1955 von der Anklage des Mordes frei, erklärte ihn aber der vorsätzlichen
Tötung schuldig und verurteilte ihn unter Anrechnung der erstandenen
Untersuchungshaft zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus und drei Jahren
Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit. Dabei stützte es sich auf
den Wahrspruch der Geschworenen, die sowohl die besonders verwerfliche
Gesinnung als auch die Gefährlichkeit des Täters verneint hatten,
jedoch zum Schlusse gelangt waren, Minger habe seine Braut ertränkt,
ohne sich dabei in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen
Gemütsbewegung befunden zu haben. Zur Begründung des Urteils wird im
wesentlichen ausgeführt:

    Das Mittel, dessen sich Minger bedient habe, um seine Braut
umzubringen, lasse an sich nicht auf eine besonders verwerfliche
Gesinnung schliessen, wenn auch die Art der Ausführung der Tat von
einer gewissen Tücke des Täters zeuge, indem er sein Opfer unmittelbar
nach vollzogenem Geschlechtsverkehr in die Aare geworfen habe. Auch
entbehre seine Handlungsweise nicht der Rohheit und Brutalität. Indessen
offenbarten diese Momente angesichts der Primitivität Mingers keine
besonders verwerfliche Gesinnung, obschon sich die Art, wie er die
Tat ausgeführt habe, dem Mord nähere. Nicht anders verhalte es sich
hinsichtlich seiner Beweggründe und seiner Überlegung. Beide seien aus
der Primitivität des Täters heraus zu erklären und liessen daher keine
besonders verwerfliche Gesinnung erkennen. Umstände und Überlegung führten
auch nicht zum Schluss, dass Minger in Zukunft wieder so handeln würde,
wenn er sich in einer ähnlichen Lage befände. Sein Entschluss zur Tat
beruhe auf "exzeptionellen Umständen". Die Tat selbst, die nur aus der
Primitivität Mingers zu verstehen sei, erscheine als einmalige Verirrung
und offenbare nicht dessen Gefährlichkeit.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil vom 29. Juni 1955
sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung und Bestrafung des
Beschwerdegegners wegen Mordes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht
geltend, das Schwurgericht habe auf Grund des Sachverhaltes zu Unrecht
bloss vorsätzliche Tötung angenommen. Zwar könne aus der Überlegung
des Minger weder auf eine besonders verwerfliche Gesinnung noch auf
Gefährlichkeit geschlossen werden. Doch ergebe sich erstere aus den
Umständen der Tat.

    D.- Minger beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mord (Art. 112 StGB) unterscheidet sich von der vorsätzlichen
Tötung (Art. 111 StGB) dadurch, dass der Mörder "unter Umständen oder mit
einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder
seine Gefährlichkeit offenbaren". Als Umstände fallen grundsätzlich nicht
bloss äussere Momente, wie die Wahl eines besonders verwerflichen Mittels
(z.B. Gift, Feuer usw.) oder die Art der Ausführung (z.B. Heimtücke,
Grausamkeit usw.), sondern auch die Beweggründe des Täters (z.B. Mordlust,
Habgier, Rache usw.) in Betracht.

    Im vorliegenden Falle sind schon die äussern Tatumstände derart
beschaffen, dass sich aus ihnen der Schluss auf eine besonders
verwerfliche Gesinnung des Täters aufdrängt. Wer nämlich, wie der
Beschwerdegegner, eine schwangere Frau, mit der er unmittelbar zuvor
noch geschlechtlich verkehrte, überlegt und überraschend in einen Fluss
wirft, dann ausserdem unternimmt, den Widerstand seines Opfers, das sich
in Todesangst aus den Fluten zu retten versucht, dadurch zu brechen,
dass er zu ihm hinabsteigt und es solange gewaltsam unter Wasser hält,
bis es ertrinkt, offenbart eine Gefühlskälte und Grausamkeit, wie sie nur
rohester Gesinnung entspringen können. Das scheint auch die Vorinstanz
zumindest insoweit anzunehmen, als sie dafür hält, dass die Art, wie
der Beschwerdegegner die Tat ausgeführt habe, sich dem Mord nähere. Zu
Unrecht stellt sie jedoch in diesem Zusammenhang auf "die Primitivität
des Täters" ab, die entscheidend mitgespielt habe und eine besonders
verwerfliche Gesinnung ausschliesse. Sie übersieht, dass dieses Moment
für die Bestimmung der besonders verwerflichen Gesinnung sowenig von
Bedeutung ist wie die verminderte Zurechnungsfähigkeit des Täters, mag
sie in einer Verminderung der Willensfreiheit (BGE 80 IV 239, Urteile
des Kassationshofes i.S. Giger vom 13. März 1953 und i.S. Mouchet vom
22. Februar 1946) bestehen oder in einer Herabsetzung der Fähigkeit,
das Unrecht der Tat in vollem Umfang einzusehen. Dem ist allein durch
Milderung der Strafe Rechnung zu tragen (Art. 11 StGB). Es geht daher
nicht an, sie als objektives Tatbestandsmerkmal zur Beantwortung der
Frage heranzuziehen, ob der Täter unter Umständen gehandelt habe, die
eine besonders verwerfliche Gesinnung offenbaren. Massgebend ist hier
nicht ein mehr oder weniger klares verstandesmässiges Erfassen aller
sachlichen Zusammenhänge, sondern allein die ethische Grundhaltung des
Täters, die seiner Gesinnung das Gepräge gibt.

Erwägung 2

    2.- Aus denselben Gründen ist es auch verfehlt, die "Primitivität des
Täters" anzurufen, um bei der Würdigung seiner Beweggründe und seiner
Überlegung die besonders verwerfliche Gesinnung auszuschliessen. Nicht
anders verhält es sich, wenn die Gefährlichkeit des Täters in Frage steht.

    Da jedoch die aussergewöhnlich brutale und scheussliche Art, wie
der Beschwerdeführer sein Verbrechen ausführte, schon die besondere
Verwerflichkeit seiner Gesinnung offenbart, erübrigt es sich, auch seine
Beweggründe und seine Überlegung unter diesem Gesichtspunkte zu überprüfen.
Auch kann dahingestellt bleiben, ob vorliegendenfalls die Tatumstände
oder die Überlegung des Täters dessen Gefährlichkeit offenbaren, da
Art. 112 StGB schon die besonders verwerfliche Gesinnung als alternatives
Tatbestandsmerkmal des Mordes genügen lässt.

Erwägung 3

    3.- Das Urteil des Schwurgerichtes verletzt Bundesrecht, indem
es die Tat Mingers statt als Mord (Art. 112 StGB) unrichtigerweise
als vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) würdigte und dementsprechend
die Strafe festsetzte. Es ist daher aufzuheben. Die Vorinstanz hat der
Strafzumessung zugrunde zu legen, dass Minger des Mordes schuldig ist,
und demgemäss die Strafe neu zu bestimmen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Schwurgerichtes des Kantons Solothurn vom 29. Juni 1955 wird aufgehoben
und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurück. gewiesen.