Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 35



82 IV 35

9. Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1956 i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen Scheidegger. Regeste

    Art. 3 Abs. 1, 62 Abs. 1 PVG.

    1.  Wer ist bei Verletzung des Postregals durch Ausführung
konzessionspflichtiger Personenbeförderung ohne Konzession als Täter zu
bestrafen? (Erw. 1).

    2.  Begriff der "gewerbsmässigen" Personenbeförderung (Erw. 2 lit. b).

Sachverhalt

    A.- In Erlinsbach wohnhafte Angestellte und Arbeiter der Sprecher &
Schuh A.-G., Aarau, gründeten am 3. Dezember 1954 unter der Bezeichnung
"Autovereinigung der Betriebsangehörigen von Erlinsbach der Sprecher
& Schuh A.-G." (in der Folge "Vereinigung" genannt) einen nicht auf
wirtschaftlichen Gewinn angelegten Verein zum Zwecke der regelmässigen
Beförderung seiner Mitglieder mit einem Autocar von Erlinsbach nach Aarau
und zurück. Laut statutarischer Vorschrift kann die Mitgliedschaft
erlangen, "wer viermonatige Pflicht-Abonnemente übernimmt". Drei
Vorstandsmitgliedern obliegt die Kontrolle der Fahrkarten. Die Vereinigung
gewährleistet die Einhaltung der Fahrverpflichtung; sie sorgt auch für
die volle Betriebssicherheit, soweit diese von ihr abhängt. Die Fahrpreise
werden jährlich durch die Generalversammlung festgelegt.

    In Verfolgung des Vereinszweckes wurde mit Hans Scheidegger, der in
Unterentfelden ein Autoreiseunternehmen betreibt, mündlich vereinbart,
dass er der Vereinigung gegen Bezahlung einer Pauschalsumme von täglich
Fr. 50.- bzw. Fr. 30.- (am Samstag) einen Autocar zur Verfügung stellt
und die vorgesehene Personenbeförderung (morgens, mittags und abends)
selbst oder durch eine Hilfsperson vornimmt. Dementsprechend führte
Scheidegger, der nicht im Besitze einer Postkonzession war, in der Zeit vom
1. Dezember 1954 bis Ende März 1955 die vereinbarten Fahrten aus. Einer ihm
deswegen durch den Automobildienst der PTT am 31. Januar 1955 zugestellten
schriftlichen Verwarnung gab er keine Folge. Am 21. Februar 1955 mittags
stellte ein Beamter der Kreispostdirektion Aarau fest, dass Scheidegger bei
der Abfahrt vom Fabrikgebäude der Sprecher & Schuh A.-G. vierunddreissig
Personen mitführte.

    B.- Am 4. April 1955 verfällte ihn die Generaldirektion PTT, Bern,
wegen Verletzung des Postregals in eine Busse von Fr. 300.--. Scheidegger
erhob rechtzeitig Einsprache und verlangte gerichtliche Beurteilung.

    Am 9. November 1955 sprach ihn das Bezirksgericht Aarau mangels
Passivlegitimation von Schuld und Strafe frei. Das Obergericht des Kantons
Aargau bestätigte am 20. Dezember 1955 das Urteil. Es ging davon aus, dass
die Konzessionspflicht, falls die ausgeführten Personentransporte unter
das Postregal fielen, nicht Scheidegger, sondern der Vereinigung oblag.

    C.- In Vertretung der Schweiz. Bundesanwaltschaft führt die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Nichtigkeitsbeschwerde mit den
Anträgen, das Urteil vom 20. Dezember 1955 sei aufzuheben und die Sache
zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen Verletzung des Postregals an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Postverwaltung ist unter Vorbehalt der regelmässigen
Personenbeförderung, die nicht gewerbsmässig betrieben wird, oder die
einem Nichttransportgewerbe als notwendiger Hilfsbetrieb dient (Art. 2
Abs. 1 lit. a PVG), ausschliesslich berechtigt, Reisende mit regelmässigen
Fahrten zu befördern, soweit dieses Recht nicht durch andere Bundesgesetze
eingeschränkt ist (Art. 1 Abs. 1 lit. a PVG). Für die gewerbsmässige
Reisendenbeförderung mit regelmässigen Fahrten können Konzessionen erteilt
werden (Art. 3 Abs. 1 PVG). Wer das Postregal verletzt, wer namentlich
konzessionspflichtige Personenbeförderung ohne Konzession ausführt,
wird mit Busse von Fr. 3.- bis 1000.-- bestraft (Art. 62 Abs. 1 PVG).

    Im vorliegenden Fall haben die beiden Vorinstanzen lediglich geprüft,
wem unter der Voraussetzung, dass die ausgeführten Fahrten unter das
Postregal fielen, die Konzessionspflicht oblag. Auf Grund der Statuten
der Vereinigung gelangten sie zum Schlusse, dass diese und nicht der
Beschwerdegegner als Unternehmer der Personentransporte anzusehen
sei. Sie habe die Autocarkurse finanziert und auch die Betriebsrisiken
übernommen. Daher fiele allenfalls auch nur sie als Konzessionsnehmerin
in Betracht, und Scheidegger könne nicht wegen Verletzung des Postregals
bestraft werden.

    Dem ist nicht beizupflichten. Bei dieser Fragestellung übersehen die
Vorinstanzen, dass Art. 62 Abs. 1 PVG nicht mit Strafe bedroht, wer die
erforderliche Postkonzession nicht einholt, sondern wer ohne Konzession
dem Postregal unterstellte Fahrten ausführt. Demnach steht nicht im
Vordergrund, ob Scheidegger oder die Vereinigung um die Konzession
hätte nachsuchen müssen, sondern ob jener konzessionspflichtige
Fahrten ausgeführt hat oder nicht. Vorliegend steht zwar fest, dass
die vom Beschwerdegegner zwischen Erlinsbach und Aarau betriebene
Personenbeförderung durch die Vereinigung organisiert wurde. Die
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hinsichtlich der Festlegung
des Fahrplanes und des Fahrpreises, der Kontrolle der Abonnemente
usw. berechtigen sogar dazu, die Vereinigung in gewissem Sinne als
Unternehmerin der Fahrten anzusehen. Das schliesst jedoch nicht aus, dass
Scheidegger an der Ausführung derselben zumindest mitbeteiligt war. Dies
genügt aber nach Art. 62 Abs. 1 PVG. Im Falle Eigensatz und Rusterholz
(nicht veröffentlichtes Urteil vom 18. Dezember 1933) hat der Kassationshof
entschieden, dass sowohl Frau Rusterholz, welche die regelmässigen
Autocarfahrten organisiert hatte, als auch Eigensatz, der hiezu lediglich
sein Fahrzeug und den Führer zur Verfügung stellte, zu Recht wegen
Übertretung des Art. 62 PVG bestraft worden seien. Die Rolle, welche
Eigensatz in diesem Falle zukam, entspricht in allen wesentlichen Punkten
derjenigen des heutigen Beschwerdegegners. Dem steht nicht entgegen,
dass Eigensatz am Unternehmen finanziell stärker interessiert war, als
dies bei Scheidegger der Fall ist. Hiebei handelt es sich lediglich um
einen quantitativen und daher unbeachtlichen Unterschied. Unzutreffend
ist schliesslich die Bemerkung des Obergerichts, im angeführten Falle sei
der Kassationshof an die Feststellung der Vorinstanz gebunden gewesen, mit
der Eigensatz als Mitunternehmer der Frau Rusterholz qualifiziert worden
sei, während Scheidegger gerade nicht als ebenbürtiger Mitunternehmer
der Vereinigung gelten könne. Der Kassationshof hat damals ausgeführt:
"Auf dieser Grundlage (mündliche Vereinbarung) erweist sich aber die
weitere Annahme der Vorinstanz, dass auch Eigensatz neben Frau Rusterholz
Mitorganisator jener Furkafahrten gewesen sei, d.h. dass er seinerseits
ebenfalls zum vorneherein die Absicht hatte, regelmässig solche Fahrten
auszuführen, als unanfechtbar". Was das Obergericht hieraus zur Stütze
seiner Auffassung ableiten könnte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr
trifft gerade die letztere Erwägung ohne weiteres auch auf Scheidegger
zu. Abgesehen davon verlangt Art. 62 PVG nicht, dass der Täter die Fahrten
auch selbst organisiere; es genügt, dass er sie ausführt. Dass dies durch
den Beschwerdegegner geschehen ist, liegt auf der Hand und bestreitet er
selbst nicht.

Erwägung 2

    2.- Die Bestrafung wegen Verletzung des Postregals setzt weiter voraus,
dass es sich um gewerbsmässige Personenbeförderung mit regelmässigen
Fahrten handelt, die aber nicht einen notwendigen Hilfsbetrieb eines
Nichttransportgewerbes darstellt.

    a) Die Regelmässigkeit der von Scheidegger in der Zeit vom 1. Dezember
1954 bis Ende März 1955 zwischen Erlinsbach und Aarau für die Vereinigung
ausgeführten Fahrten ist unbestritten.

    b) Nicht zweifelhaft ist, dass diese Personenbeförderung gewerbsmässig
betrieben wurde. Gewerbsmässig im Sinne des PVG handelt, wer durch die
regelmässige Personenbeförderung nach einem bestimmten Plan unmittelbar
oder mittelbar ein Einkommen erzielt (BGE 78 IV 61). Nach der verbindlichen
Feststellung der Vorinstanz hat Scheidegger für seine Fahrten täglich
Fr. 50.- bzw. Fr. 30.- erhalten. Die von ihm betriebene Personenbeförderung
ist daher als unmittelbare Einkommensquelle anzusprechen. Dass daneben
die eigentliche Organisatorin der Fahrten ihren Statuten entsprechend
keine wirtschaftlichen Gewinne verfolgte, kann dem Beschwerdegegner nicht
helfen. Gewerbsmässige Reisendenbeförderung liegt vor, wenn die Person,
welche die Transporte ausführt, dadurch unmittelbar oder mittelbar ein
Einkommen erzielt. Andernfalls wäre es in vielen Fällen ein Leichtes, das
Postregal zu umgehen, indem zwischen die Reisenden und den Transporteur
eine als idealer Verein konstituierte Organisation eingeschoben und
damit dem Unternehmen der Charakter der Gewerbsmässigkeit genommen werden
könnte. Dies kann aber nicht der Sinn des Gesetzes sein. Vielmehr ist
jede regelmässige Personenbeförderung (notwendige Hilfsbetriebe eines
Nichttransportgewerbes ausgenommen), für welche eine Fahrtaxe verlangt
wird, die ganz oder teilweise dem die Fahrten ausführenden Transporteur
(Fahrzeugbesitzer) zukommt, gewerbsmässig im Sinne des PVG und daher dem
Postregal unterstellt.

    c) Nachdem fest steht, dass Scheidegger ohne Konzession in
regelmässigen Fahrten und gewerbsmässig Personen befördert hat, bleibt
zu prüfen, ob nicht die fraglichen Personentransporte als notwendiger
Hilfsbetrieb der Sprecher und Schuh A.-G. anzusehen seien. Die beiden
Vorinstanzen haben sich mit dieser Frage überhaupt nicht befasst
und deswegen auch keine entsprechenden tatsächlichen Feststellungen
getroffen. Da es nicht Aufgabe des Kassationshofes ist, die Sachlage
festzustellen, ist das Urteil vom 20. Dezember 1955 aufzuheben und der
Fall zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

    Sollte sich dabei die vom Beschwerdegegner betriebene
Personenbeförderung nicht als notwendiger Hilfsbetrieb der Sprecher
& Schuh A.-G. erweisen, so wären nach dem Gesagten alle objektiven
Tatbestandsmerkmale des Art. 62 Abs. 1 PVG gegeben. Abzuklären bliebe
diesfalls nur, ob der Beschwerdegegner vorsätzlich oder fahrlässig
gehandelt hat (Art. 56 Abs. 2 PVG).

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 30. Dezember 1955 wird aufgehoben und
die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurück.

    gewiesen.