Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 20



82 IV 20

7. Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1956 i.S. Baum gegen
Polizeirichteramt der Stadt Zürich. Regeste

    Art. 26 Abs. 3 und 4 MFG, Art. 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 und 2 MFV.

    1.  Gibt es innert der gesetzlichen Ordnung ein vom Überholen
unabhängiges Nebeneinanderfahren? (Erw. 2).

    2.  Darf auf Vierbahnstrassen bei Einmündungen und in Strassenbiegungen
überholt werden? (Erw. 3 und 4).

Sachverhalt

    A.- Am 10. September 1954, um 11.50 Uhr, fuhr Günter Baum mit seinem
Personenwagen von Winterthur her durch die Überlandstrasse in die Stadt
Zürich ein. Die Überlandstrasse ist eine der grossen Ausfallstrassen
der Stadt Zürich und entsprechend ausgebaut. Vor ihrer Einmündung in
die Winterthurerstrasse (in Oerlikon) beschreibt sie eine langgezogene
Rechtskurve. Diese beginnt, stadteinwärts gesehen, unmittelbar nach der
Kreuzung Überlandstrasse/Schwamendingerstrasse. In der Mitte ist sie mit
einer Sicherheitslinie versehen, die jedoch wegen des regen Verkehrs
jeweils rasch abgenützt ist. Auf dieser Strecke überholte Baum zwei
Automobile, das eine eingangs, das andere ausgangs der Kurve. Er wurde
dabei durch einen Polizisten beobachtet, der ihm nachfuhr und in der
Folge Rapport erstattete.

    B.- Der Polizeirichter der Stadt Zürich verfällte Baum am
14. Dezember 1954 wegen Übertretung der Art. 25 und 26 MFG und Art. 45
und 46 MFV in eine Busse von Fr. 40.-, weil er in der Rechtskurve bei
der Einmündung der Überlandstrasse in die Winterthurerstrasse andere
Verkehrsteilnehmer überholt und dabei die Sicherheitslinie überfahren,
sowie im weiteren Verlauf der Fahrt die Geschwindigkeit übersetzt und
bei einer Tramhaltestelle einen Fussgänger durch seine rücksichtslose
Fahrweise erschreckt habe.

    Baum verlangte gerichtliche Beurteilung.

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich sprach
Baum lediglich der Übertretung des Art. 26 Abs. 1 MFG schuldig, begangen in
zweifacher Hinsicht dadurch, dass er auf der Überlandstrasse in einer Kurve
und dazu noch bei einer Einmündung andere Fahrzeuge überholt habe. Die
Busse wurde mit Rücksicht auf seine Einkommensverhältnisse auf Fr. 40.-
belassen.

    C.- Baum führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Sache an den Einzelrichter zurückzuweisen,
damit er ihn freispreche oder von einer Bestrafung Umgang nehme. Der
Beschwerdeführer bestreitet, andere Fahrzeuge im Sinne des Art. 26
Abs. 1 MFG überholt zu haben. Wie der Einzelrichter festgestellt habe,
biete die Strasse für vier Fahrzeuge nebeneinander Platz. Daher sei das
Nebeneinanderfahren erlaubt. Zwar bestünden keine gesetzlichen Bestimmungen
darüber, an welchen Stellen im einzelnen nebeneinander gefahren werden
dürfe. Dass es aber grundsätzlich erlaubt sei, ergebe sich aus Art. 45
Abs. 1 MFV. Es werde denn auch auf grossen Überlandstrassen häufig
praktiziert. Ob das Nebeneinanderfahren erlaubt sei oder wenigstens
als gestattet erachtet werden dürfe, hange von den gegebenen Umständen
ab. Bei der fraglichen Stelle der Überlandstrasse, der Hauptstrasse
Nr. 1, treffe das bei ihrer Breite und dem guten Ausbau zu. Sei demnach
das Nebeneinanderfahren an dieser Stelle erlaubt, so handle es sich beim
Vorfahren nicht um ein Überholen im Sinne des Art. 26 Abs. 1 MFG.

    Es bestehe auch kein Grund, beim Nebeneinanderfahren das Überholen
in einer Biegung zu verbieten. Bei den zahlreichen Biegungen des
schweizerischen Strassennetzes käme ein Verbot geradezu einer Entwertung
der grossen Vierbahn-Überlandstrassen gleich. Der Beschwerdeführer sei
somit berechtigt gewesen, in der Biegung vorzufahren. Zumindest habe
er sich aus den angeführten Gründen dazu für berechtigt halten können,
was zur Anwendung des Art. 20 StGB führen müsse.

    Dieselben Überlegungen träfen auf das Überholen bei der Einmündung zu.
Eine extensive Auslegung des Art. 26 Abs. 1 MFG sei auch hier nicht
am Platz. Es werde zudem auf das Urteil des Kassationshofes vom 9. Juni
1941 (Scheller 244) verwiesen.

    D.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz hat der
Beschwerdeführer in der langgezogenen Rechtskurve der Überlandstrasse
zwischen der Kreuzung mit der Schwamendingerstrasse und der Einmündung in
die Winterthurerstrasse zwei andere Automobile überholt, das eine eingangs,
das andere ausgangs der Strassenbiegung. Über die Breite der Strasse
enthält das angefochtene Urteil keine Angaben. Dagegen ist im Protokoll
des vom Einzelrichter vorgenommenen Augenscheins vermerkt, dass die Breite
der Winterthurerstrasse vier Fahrzeugen nebeneinander Platz bietet. Da
die Breite dieser Strasse im vorliegenden Falle völlig bedeutungslos ist,
muss es sich offensichtlich in dem Sinne um einen Verschrieb handeln, als
damit nur die Überlandstrasse gemeint sein kann. In seiner Vernehmlassung
bestreitet denn auch der Polizeirichter nicht, dass diese Strasse - wie
die Beschwerde unter Hinweis auf das genannte Protokoll geltend macht -
vier Fahrzeugen nebeneinander Platz bietet.

Erwägung 2

    2.- Aus diesen Verhältnissen leitet der Beschwerdeführer über Art. 45
Abs. 1 MFV ab, dass das Überholen in der Kurve zulässig sei.

    Nach der angeführten Vorschrift muss sich, wenn die Breite der Fahrbahn
das gleichzeitige Fahren mehrerer Fahrzeuge auf einer Fahrbahnhälfte
ermöglicht, das langsamere Fahrzeug am Rande der Fahrbahn bewegen. Allein,
daraus folgt nicht, wie der Beschwerdeführer meint, dass es innert der
gesetzlichen Ordnung ein vom Überholen unabhängiges Nebeneinanderfahren
gebe. Beim Überholen darf die Fahrbahn links von dem zu überholenden
Fahrzeug nur solange in Anspruch genommen werden, als es für das Überholen
nötig ist. Umso weniger kann, abgesehen vom Mehrkolonnensystem zum
Zwecke der Verkehrsteilung ("Vorsortieren"), ein Nebeneinanderfahren
zulässig sein, das nicht dem möglichst rasch abzuwickelnden Überholen
dient. Das gilt nicht nur dann, wenn das links fahrende Fahrzeug die
Strassenmitte überfahren muss, sondern auch auf Strassen, die breit
genug sind, dass es auf der rechten Strassenhälfte bleiben kann. Zwar
wird in solchen Fällen durch längeres Verweilen auf der linken Seite der
rechten Strassenhälfte der Gegenverkehr nicht gefährdet; doch ist die
Fahrbahn auch hier möglichst rasch allfällig nachfolgenden Fahrzeugen
freizugeben, die ihrerseits überholen wollen. Auf dem linken Teil der
rechten Strassenhälfte darf nur verharrt werden, wenn es geschieht, um
nach dem ersten noch weitere Fahrzeuge zu überholen, sonst ist nach dem
ersten überholten Fahrzeug wieder nach rechts einzubiegen. Daran muss
gerade auch auf Überlandstrassen mit ihrem dichten und notwendig sich
rasch abwickelnden Verkehr festgehalten werden.

    Trotz des missverständlichen Wortlautes besagt daher Art. 45 Abs. 1
MFV in Wirklichkeit nichts anderes, als was besser schon Art. 26 Abs. 4
des Gesetzes ausdrückt, nämlich dass das langsamer fahrende Fahrzeug
dem schneller fahrenden durch Ausweichen nach rechts die Strasse zum
Überholen freizugeben hat. Wo aber überholt werden darf und wo nicht,
bestimmen ausschliesslich Art. 26 Abs. 3 des Gesetzes und Art. 46 Abs. 1
und 2 der Verordnung.

Erwägung 3

    3.- Nach diesen Bestimmungen darf an Strassenkreuzungen,
bei Bahnübergängen, an unübersichtlichen Stellen, besonders an
Strassenbiegungen nicht überholt werden.

    Unter Strassenkreuzungen sind nach feststehender Rechtsprechung
des Bundesgerichtes auch Einmündungen zu verstehen (BGE 81 IV 49,
E. 2 a und dort zitierte Entscheide). Das bei SCHELLER, Rechtspraxis
im Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr, unter Nr. 244 angeführte Urteil
des Kassationshofes vom 9. Juni 1941 i.S. Sprüngli, auf das sich der
Beschwerdeführer beruft und das die Anwendung von Art. 26 Abs. 3 MFG
auf Einmündungen strafrechtlich ablehnt, ist längst überholt. Nach
der angeführten Rechtsprechung gilt das Überholverbot sowohl bei
Einmündungen von links wie bei solchen von rechts. Das wurde zuletzt in
BGE 81 IV 49 noch besonders auseinandergesetzt. Wieso aber das Verbot auf
Linkseinmündungen nicht anwendbar sein sollte, wenn die Strasse Platz für
vier Fahrzeuge nebeneinander bietet, ist nicht einzusehen. Die Gefahren,
denen es begegnen will, sind zumindest insofern die gleichen wie auf
weniger breiten Strassen, als das überholende Fahrzeug die Fahrbahn des
zu überholenden schneidet, wenn dieses nach links abbiegen will. Daher ist
das Verbot unzweifelhaft auch bei den genannten Vierbahnstrassen am Platze.

    Dieses Verbot hat der Beschwerdeführer übertreten, indem er noch
ausgangs der Kurve und damit unbestritten in dem nach Art. 26 Abs. 3 MFG
massgebenden Bereich der Einmündung (vgl. BGE 75 IV 128) ein Fahrzeug
überholte. Irgendwelche zureichende Gründe im Sinne des Art. 20 StGB,
sich zum Überholen an dieser Stelle für berechtigt zu halten, hatte er
nicht. Was er vorbringt, fällt mit der eben erörterten grundsätzlichen
Frage zusammen, ob Art. 26 Abs. 3 MFG auf solche Fälle überhaupt
anwendbar sei.

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen bleibt, ob sich der Beschwerdeführer auch durch das
Überholen des ersten Wagens, am Eingang der Kurve, strafbar gemacht hat.
Diese Frage erübrigt sich nicht etwa deswegen, weil der Beschwerdeführer
auf alle Fälle zu Recht wegen des zweiten Überholens bestraft worden ist;
denn bei bloss einem statt zwei gleichartigen Straftatbeständen wäre die
Strafe aller Wahrscheinlichkeit nach geringer ausgefallen, dies umso mehr,
als schon der Polizeirichter eine Busse von Fr. 40.- ausgefällt hatte und
der Einzelrichter sie nicht herabsetzte, obwohl er die vom Polizeirichter
angenommenen weiteren Übertretungen als nicht erwiesen ausschied.

    a) Wenn Art. 26 Abs. 3 MFG das Überholen an Strassenbiegungen
verbietet, so hat das, wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt
("...besonders an...") seinen Grund in ihrer Unübersichtlichkeit. An
Biegungen kann in der Regel nicht überblickt werden, ob die für das
Überholen erforderliche Strassenstrecke frei ist, namentlich ob kein
anderes Fahrzeug entgegenkommt (Art. 46 Abs. 1 MFV). Ist aber trotz der
Biegung die Sicht auf die genannte Strecke frei, sei es infolge der Weite
der Kurve oder dank der topographischen Verhältnisse (Steigung, Gefälle),
so steht auch dem Überholen nichts entgegen (Urteil des Kassationshofes vom
7. Dezember 1936 i.S. Burckhardt; STREBEL, Kommentar, N. 27 zu Art. 26).

    Im vorliegenden Falle bezeichnet der Einzelrichter selbst die Kurve
als langgezogen. Nach dem durch die Stadtkarte vermittelten Strassenbild
scheint sie besonders am Anfang, unmittelbar nach der Kreuzung der
Schwamendingerstrasse, nur ganz schwach zu sein. Der Beschwerdeführer
macht aber nicht geltend, dass er beim Überholen des ersten Wagens die
ganze Überholstrecke habe frei überblicken können. Offenbar mit Recht
nicht; das Überholmanöver konnte kaum schon im ersten Teil der Kurve
abgeschlossen werden, sondern erstreckte sich auch in den zweiten Teil
hinein, wo die Biegung ausgeprägter ist.

    b) Der Beschwerdeführer begründet das Recht zum Überholen vielmehr
ausschliesslich mit der Breite der Strasse, die Platz für vier Fahrzeuge
biete.

    Bei solcher Strassenbreite besteht in der Tat für den Überholenden,
der auf der rechten Strassenhälfte bleibt, die Gefahr eines Zusammenstosses
mit Fahrzeugen, die aus der Gegenrichtung kommen, nicht, sofern diese
ebenfalls vorschriftsgemäss die rechte Strassenhälfte halten. Wegen der
Gefährdung des Gegenverkehrs ist aber das Verbot, an Strassenbiegungen
und überhaupt an unübersichtlichen Stellen zu überholen, in erster Linie
aufgestellt. Für Kurven, wo infolge der Breite der Strasse diese Gefahr
nicht besteht, lässt sich daher mit Fug die Auffassung vertreten, dass
auch das Verbot entfalle. Es verhält sich grundsätzlich nicht anders als
bei Einbahnstrassen, auf denen die Praxis das Überholen auch in Biegungen
zulässt. Offensichtlich aus der gleichen Erwägung erlaubt Art. 17 des
neuen französischen Code de la route das Überholen auf Strassen ohne
markierte Fahrbahnstreifen trotz Unübersichtlichkeit und allgemein,
unter der Bedingung, dass die linke Hälfte der Strasse freigelassen wird.

    Demgegenüber lässt sich einwenden, dass das schweizerische Recht
eine ausdrückliche Vorschrift dieser Art nicht aufweise und dass
deshalb am Verbot des Überholens an Biegungen strikte festzuhalten
sei. Auch besteht unbestreitbar und erfahrungsgemäss keine Gewähr dafür,
dass entgegenkommende Fahrzeuge nicht auf ihre linke Strassenhälfte
"übermarchen", dies namentlich nicht in Biegungen ohne Sicherheitslinie
oder wo diese wegen der Abnützung durch den Verkehr für den Führer als
solche nicht mehr erkennbar ist. Deswegen aber ein Überholen an jeder
nicht völlig übersichtlichen Stelle für alle Fälle untersagen zu wollen,
wie dies anscheinend durch die deutsche Strassenverkehrsordnung (§ 8
Abs. 2 und § 10 Abs. 1; FLOEGEL-HARTUNG, Strassenverkehrsrecht, § 8 A 12)
geschehen ist, geht zu weit und trägt den heutigen Verkehrsverhältnissen
zu wenig Rechnung. Werden zur flüssigen Abwicklung eines dichten Verkehrs
schon Strassen gebaut, auf denen vier oder mehr Fahrzeuge nebeneinander
Platz haben, so bedeutet es eine zweckwidrige Hemmung, den Verkehr in jeder
nicht völlig übersichtlichen Kurve, die auch bei solchen Strassen häufig
vorkommen, auf das Mass von Zweibahnstrassen zu drosseln und die Fahrzeuge
für das Befahren der Kurven beidseitig in eine Einerkolonne zu zwingen.

    c) Der Beschwerdeführer hat vor dem Polizeirichter behauptet, die
Sicherheitslinie sei in der fraglichen Kurve derart abgenützt gewesen,
dass sie vom Automobilisten nicht mehr als solche habe wahrgenommen
werden können. Die Vorinstanz bestätigt die jeweils rasche Abnützung
des Linienbildes und stellt fest, dass auf Grund der Photographien, die
am gleichen Tag am Tatort aufgenommen worden sind, nicht gesagt werden
könne, ob die Sicherheitslinie am 10. September 1954 als solche habe
erkannt werden können. Es ist somit davon auszugehen, dass die fragliche
Strassenbiegung nicht in für den Fahrzeugführer erkennbarer Weise durch
eine Sicherheitslinie in zwei Hälften geschieden war. Infolgedessen steht
auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer die Sicherheitslinie überfahren
hat. Diese Frage wurde zwar durch den Einzelrichter in Strafsachen offen
gelassen. Wie dem aber auch sei, so war dem Beschwerdeführer in jedem
Falle, mit oder ohne Sicherheitslinie, das Überholen in der Kurve nur
im Rahmen der Vorschrift erlaubt, wonach der Führer die Geschwindigkeit
seiner Sichtweite anzupassen hat. Damit wird in Fällen wie dem vorliegenden
sowohl dem Gebot der Verkehrssicherheit als auch den nicht zu bestreitenden
Bedürfnissen der Flüssigkeit des modernen Verkehrs Rechnung getragen. Stete
Voraussetzung ist aber auch hier, dass auf der Strasse nach ihrer Breite
und technischen Anlage vier Fahrzeuge bequem nebeneinander, d.h. auf
gleicher Höhe, verkehren können, und dass keine andern Strassen in die
Überholstrecke einmünden (BGE 75 IV 128). Ist der Führer nicht auf Grund
seiner Ortskenntnis sicher, keine Einmündung vor sich zu haben, so darf
er nicht überholen.

    Freilich besteht auch bei der angegebenen Fahrweise keine Sicherheit
dagegen, dass nicht plötzlich und unerwartet ein entgegenkommendes Fahrzeug
von seiner Strassenseite, z.B. aus einer Kolonne, in die Fahrbahn des
Überholenden ausbricht. Das ist aber nicht anders als auf geraden Strecken,
wo deswegen das Überholen auch nicht unerlaubt ist. Desgleichen steht dem
Überholen in der Biegung ebensowenig wie demjenigen auf gerader Strecke
entgegen, dass das zu überholende Fahrzeug die Sicht auf seine eigene
Fahrbahn ein Stück weit verdeckt. Die Stelle wird dadurch nicht zu einer
unübersichtlichen, sonst könnte überhaupt nie überholt werden (vgl. MÜLLER,
Strassenverkehrsrecht, 18. Auflage, S. 798, Anmerkung 9). Hingegen muss
der Überholende in einer Biegung mit umso grösserer Sorgfalt von Anfang
an und während des ganzen Vorrückens beobachten, ob sich nicht dem zu
Überholenden im weiteren Verlaufe der Fahrt Hindernisse entgegenstellen,
denen er nach links ausweichen muss.

Erwägung 5

    5.- Demnach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an den
Einzelrichter zurückzuweisen, damit er überprüfe, ob das Überholen unter
Einhaltung einer der jeweiligen Sichtweite angepassten Geschwindigkeit in
der fraglichen Kurve überhaupt möglich war, und ob im Bejahungsfalle der
Beschwerdeführer den ersten Wagen in dieser Weise überholen konnte, ohne
damit schon in die Einmündungszone der Winterthurerstrasse zu gelangen
(BGE 75 IV 118). Je nach dem Ergebnis wird der Beschwerdeführer bloss
wegen des zweiten oder auch wegen des ersten Überholens zu bestrafen sein.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich vom 10. Oktober
1955 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.