Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 187



82 IV 187

40. Urteil des Kassationshofes vom 14. September 1956
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Schoop. Regeste

    Art. 169 StGB. Verfügung über gepfändetes Trinkgeld.

Sachverhalt

    A.- Waltraud Schoop arbeitet als Serviertochter im Hotel Hecht in
Basel. Am 30. Juli 1954 pfändete das Betreibungsamt auf die Dauer eines
Jahres wöchentlich Fr. 30.- von ihren künftigen Trinkgeldeinnahmen. Die
Schuldnerin wurde dabei unter Hinweis auf Art. 169 StGB verpflichtet,
den gepfändeten Betrag jede Woche dem Amte abzuliefern. Trotz wiederholter
Mahnung zahlte sie in der Folge lediglich Fr. 60.-.

    Am 25. November 1954 verkaufte sie ausserdem eine Schreibmaschine,
die in einer anderen Betreibung gepfändet worden war.

    B.- Am 16. Februar 1956 verurteilte das Strafgericht des Kantons
Basel-Stadt Waltraud Schoop wegen wiederholter und fortgesetzter Verfügung
über gepfändete Sachen zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von zehn Tagen.

    C.- In teilweiser Gutheissung ihrer Berufung sprach das
Appellationsgericht die Angeklagte am 6. Juni 1956 von der Anklage der
Verfügung über gepfändete Trinkgelder frei und setzte die Strafe auf fünf
Tage Gefängnis herab. Es bezeichnete es dabei als fraglich, ob künftige
Trinkgeldeinnahmen pfändbar seien; selbst wenn dies zutreffe, stellten
sie keine "Sache" im Sinne des Art. 169 StGB dar, welcher Begriff allein
körperliche Gegenstände, nicht aber Forderungen und Rechte erfasse;
die Missachtung von Forderungspfändungen könne daher nur auf Grund des
Art. 292 StGB verfolgt werden.

    D.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
die teilweise Freisprechung sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung
in allen Anklagepunkten zurückzuweisen.

    E.- Die Angeklagte beantragt Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach dem Pfändungsprotokoll vom 30. Juli 1954 wurden "vom
künftigen Einkommen der Schuldnerin als Serviertochter" Fr. 30.- je
Woche gepfändet. Da sie ausser freier Verköstigung keinen Lohn erhält,
konnte sich die Pfändung nur auf Trinkgeldeinnahmen beziehen. Wie die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts in BGE 79 III 157
entschieden hat, sind Trinkgelder pfändbar. Was Gegenstand der Pfändung
sei, wird in diesem Urteil nicht näher umschrieben; es weist indes darauf
hin, dass es dem Amte nicht möglich sei, fortlaufend jedes einzelne
Geldstück zu pfänden, das eine Serviertochter entgegennimmt. Dieser
Erwägung darf entnommen werden, dass die Erwartung auf Trinkgeld das
eigentliche Pfändungssubstrat sei (vgl. BGE 71 III 62). Ungeachtet der
Unsicherheit, die in diesem Punkte herrschen mag, kann nach der durch BGE
79 III 157 eingeleiteten Rechtsprechung der Oberaufsichtsbehörde kein
Zweifel daran bestehen, dass die am 30. Juli 1954 vollzogene Pfändung
gültig war.

Erwägung 2

    2.- Erhält der Arbeitnehmer seinen Lohn, so ist seine Forderung gegen
den Arbeitgeber getilgt; zieht die Serviertochter das Trinkgeld ein,
so erlischt die entsprechende Anwartschaft. Die Pfändung, welche die
Forderung bzw. Erwartung beschlug, geht damit aber nicht unter. Eine
solche Pfändung hat nur dann einen Sinn, wenn sie auch das Geld erfasst,
das an Stelle der Forderung oder Anwartschaft tritt (vgl. BGE 71 III
61). Die Vorschrift des Art. 98 Abs. 1 SchKG, Geld, Banknoten, Wertpapiere
und dergleichen seien vom Betreibungsamt in Verwahrung zu nehmen, steht
dem nicht entgegen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE
63 III 67; 75 III 108 Erw. 1) ist diese Massnahme nicht Voraussetzung für
die Gültigkeit der Pfändung, sondern eine blosse Sicherungsvorkehrung, die
ihrerseits eine vorgängige Pfändung voraussetzt. Dazu bedarf es lediglich
der Erklärung eines Betreibungsbeamten, eine bestimmte Sache sei gepfändet,
und eines entsprechenden Protokolleintrages (BGE 74 III 4). Beides liegt
hier vor. Dass ein gepfändeter Gegenstand ohne neue Pfändungsverfügung
durch einen anderen ersetzt werden kann, wird von der Rechtsprechung in
bestimmten Fällen anerkannt (BGE 60 III 196; 80 III 113). So hat die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer entschieden, dass der an Stelle
der gepfändeten Lohnforderung oder Anwartschaft tretende Geldbetrag
unter die Pfändung falle (BGE 71 III 62 a.E.), bzw. vom Schuldner dem
Betreibungsamt abzuliefern sei (BGE 78 III 129; 79 III 158), was nach
dem Gesetz einen Pfändungsbeschlag voraussetzt. Der Kassationshof hat
sich dieser Auffassung angeschlossen (unveröffentlichtes Urteil vom 31.
Oktober 1952 in Sachen Freiburghaus).

    Das von Waltraud Schoop eingezogene Trinkgeld fiel mithin im Betrage
von wöchentlich Fr. 30.- unter Pfändungsbeschlag.

Erwägung 3

    3.- Nach den vom Appellationsgericht übernommenen Feststellungen
des Strafgerichts verfügte Waltraud Schoop nicht über die Erwartung auf
Trinkgeld. sondern über dieses selbst. Die betreffenden Münzen und Noten
sind ohne weiteres als (körperliche) "Sache" anzusprechen (vgl. BGE 75 IV
54; 81 IV 233 b). Ob der Sachbegriff des Art. 169 StGB auch Anwartschaften,
Forderungen und andere Rechte umfasse, kann deshalb dahingestellt bleiben.

Erwägung 4

    4.- Unbestritten ist, dass Waltraud Schoop "eigenmächtig" zum Nachteil
der Gläubiger über gepfändetes Trinkgeld verfügte, und dass sie mit Wissen
und Willen handelte. Der Tatbestand des Art. 169 StGB ist daher objektiv
und subjektiv erfüllt. Waltraud Schoop ist damit zu Unrecht in diesem
Punkte freigesprochen worden.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen.