Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 121



82 IV 121

26. Entscheid der Anklagekammer vom 18. Juli 1956 i.S. Tribunale di
appello del Cantone Ticino gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Regeste

    Art. 264, 279, 283 Abs. 1 Satz 2 und 300 Abs. 1 BStP. Art. 97 ZG.

    Zuständigkeit der Anklagekammer zur endgültigen Bestimmung
des Gerichtsstandes in Fiskal- (und übrigen Verwaltungs-)strafsachen;
Bedeutung der Überweisung von Fällen durch die Bundesanwaltschaft oder
die Verwaltung an eine kantonale Behörde (Erw. 1).

    Art. 74 Ziff. 3 und 96 Abs. 2 Z G, Art. 52 und 53 WUStB, Art. 41 und
42 LStB.

    Gerichtsstand des subjektiven Mittäters; Begehungsort bei
Zollübertretungen und Hinterziehungen der Warenumsatzsteuer und der
Luxussteuer (Erw. 2 bis 4).

Sachverhalt

    A.- Der früher in Zürich, jetzt in Tel Aviv wohnhafte Emanuel Guttmann
wird beschuldigt:

    a) der Zollübertretung unter erschwerenden Umständen gemäss
Art. 74 Ziff. 3 (Unterlassung der Anmeldung zollpflichtiger Waren beim
Grenzübertritt) und 82 Ziff. 2 ZG (gewerbs- und gewohnheitsmässige
Verübung);

    b) der Hinterziehung der Warenumsatzsteuer und Luxussteuer gemäss
Art. 52 und 53 WUStB vom 29. Juli 1941 bzw. Art. 41 und 42 LStB vom
13. Oktober 1942.

    Das eidg. Finanz- und Zolldepartement büsste Guttmann am 24. Juni
1955 mit Fr. 44'308.60. Da sich dieser der Strafverfügung nicht unterzog,
wurde der Fall durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft den Behörden des
Kantons Tessin zur gerichtlichen Beurteilung überwiesen. Der Procuratore
pubblico sottocenerino erhob zuhanden der Assisi pretoriali di Mendrisio
gegen Guttmann Anklage mit dem Antrag auf Bestätigung der administrativen
Verfügung.

    Hiegegen rekurrierte Guttmann an die Camera dei ricorsi penali del
Tribunale di appello des Kantons Tessin, indem er u.a. die Zuständigkeit
der Tessiner Gerichte bestritt mit der Begründung, er habe an seinem
damaligen Wohnort Zürich gehandelt, wo auch die zollamtliche Untersuchung
zuerst angehoben worden sei.

    B.- Auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft unterbreitet das Tribunale
di appello den Fall der Anklagekammer des Bundesgerichtes mit dem Hinweis,
dass die Bundesanwaltschaft die Tessiner Gerichte als zuständig betrachte,
so dass ein Konflikt mit Guttmann vorliege.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die sich im kantonalen
Verfahren zur Sache nicht äussern wollte, weil in ihrem Kanton kein
Strafverfahren hängig sei, verneint in ihrer Vernehmlassung an das
Bundesgericht dessen Zuständigkeit, stellt jedoch für den Fall der Bejahung
den Gerichtsstand Zürich in Abrede.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ist der Gerichtsstand unter den Behörden verschiedener Kantone
streitig oder wird die Gerichtsbarkeit eines Kantons vom Beschuldigten
bestritten, so bezeichnet nach Art. 264 BStP die Anklagekammer des
Bundesgerichtes den Kanton, der zur Verfolgung und Beurteilung berechtigt
und verpflichtet ist.

    Die Voraussetzungen dieser Vorschrift treffen dann nicht zu, wenn eine
Bundesbehörde gesetzlich befugt ist, die zuständige kantonale Behörde
verbindlich zu bestimmen. Das ist nach dem klaren Wortlaut von Art. 18
und 254 BStP der Fall, wenn der Bundesrat eine Bundesstrafsache einem
Kanton überweist. Darüber hinaus hat die Anklagekammer eine verbindliche
Gerichtsstandsverfügung, die ihre Entscheidungsbefugnis ausschliesst,
bisher auch angenommen, wenn das eidg. Justiz- und Polizeidepartement
gestützt auf eine Delegation des Bundesrates die Beurteilung strafbarer
Handlungen, die teils der Bundesgerichtsbarkeit, teils der kantonalen
Gerichtsbarkeit unterstehen, in Anwendung von Art. 344 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
in der Hand der kantonalen Behörde vereinigt; ebenso lautet die Praxis in
Fällen, wo das eidg. Militärdepartement auf Grund der ihm vom Bundesrat
in Art. 16 lit. c der Verordnung über die Militärstrafrechtspflege
generell erteilten Delegation die Beurteilung von Straftaten, die teils
der militärischen, teils der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterstellt
sind, nach Art. 221 MStG einem bürgerlichen Gericht überträgt (BGE 81 IV
264). Eine ausdrückliche Vorschrift, wonach in solchen Delegationsfällen
durch die Überweisung der Departemente der Gerichtsstand der Kantone
verbindlich bestimmt wird, besteht indessen nicht. Es liesse sich deshalb
auch die Auffassung vertreten, die Zuweisung sei nur eine vorläufige,
mit der Folge, dass in einem allfälligen Streit über die Zuständigkeit
noch die Anklagekammer angerufen werden könnte.

    Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Zuweisung von Strafsachen
durch Bundesstellen an eine kantonale Behörde den Gerichtsstand endgültig
festlege, dann unabhängig von der erwähnten Rechtsprechung, wenn es sich,
wie hier, nicht um Delegationsfälle, sondern um Fiskalstrafsachen handelt,
die (gleich den übrigen Verwaltungsstrafsachen, Art. 321 ff. BStP) von
Gesetzes wegen den kantonalen Gerichten zur Beurteilung zu überweisen sind,
sofern auf Freiheitsstrafe zu erkennen ist oder gegen Strafverfügungen
Einsprache erhoben wurde. Die Überweisung erfolgt bei Zolldelikten auf
Veranlassung des Zolldepartementes durch die Bundesanwaltschaft (Art. 97
ZG), bei Übertretungen anderer fiskalischer Bundesgesetze durch die
Verwaltung selbst (Art. 300 Abs. 1 BStP).

    Für eine selbständige Bestimmung des Gerichtsstandes durch die
Bundesanwaltschaft bzw. die Verwaltungsbehörde kann angeführt werden,
dass den Betroffenen die Möglichkeit zur Anfechtung der Verfügung auf dem
Wege der Verwaltungsbeschwerde an die übergeordnete Verwaltungsinstanz und
letztlich an den Bundesrat offen steht, wobei vor beiden Instanzen sowohl
die Verletzung von Bundesrecht und die unrichtige oder unvollständige
Feststellung des Sachverhaltes wie die Unangemessenheit der angefochtenen
Verfügung geltend gemacht werden können (Art. 23bis Abs. 1 des
Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesverwaltung und Art. 127 OG;
BGE 81 IV 266). Auch räumt Art. 283 BStP der Verwaltung das Recht ein,
zwischen dem Gerichtsstand des Wohnortes und demjenigen des Begehungsortes
zu wählen. Diese Vorschrift gilt aber gemäss Art. 279 BStP nur unter dem
Vorbehalt besonderer Bestimmungen der fiskalischen Bundesgesetze und ihrer
Ausführungsverordnungen. Wo diese eine selbständige Ordnung treffen,
besteht es daher nicht. Abgesehen hievon schliesst das Wahlrecht die
Möglichkeit eines Entscheides darüber, welches der tatsächliche Wohn-
oder Begehungsort sei, nicht aus. In diesem Umfange bestände jedenfalls
auch beim Wahlrecht der Verwaltung Anlass zur endgültigen Bestimmung des
Gerichtsstandes durch die Anklagekammer.

    Darüber hinaus erscheint die Zuständigkeit der Anklagekammer allgemein
sachlich gerechtfertigt. Nicht nur wird dadurch eine einheitliche Anwendung
der Gerichtsstandsbestimmungen in höherem Masse gewährleistet als es
bei dem über dieses oder jenes Departement führenden Beschwerdeweg der
Fall wäre, sondern diese Lösung entspricht auch dem Bestreben nach
einer möglichst raschen Abklärung der Gerichtsstandsfrage besser
als die Durchführung eines über verschiedene Instanzen führenden
Verwaltungsverfahrens. Zudem ist dieser Kompetenzordnung unter
rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, insbesondere nach dem Grundsatz der
Gewaltentrennung, der Vorzug zu geben. In diesem Sinne hat sich denn
auch der Bundesrat in dem mit ihm hierüber geführten Meinungsaustausch
ausgesprochen.

    Kann aber nach dem Gesagten in Fiskal- (und übrigen
Verwaltungs-)strafsachen der Überweisung eines Falles durch die
Verwaltung nur vorläufige Bedeutung zukommen, ist die Zuständigkeit des
Bundesgerichtes zu bejahen und auf das vorliegende Gesuch einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Guttmann, der nach der Aktenlage in diesem Strafverfahren
vorläufig der einzige Beschuldigte ist, bezog an seinem früheren Wohnort
Zürich als Einkäufer für verschiedene Oststaaten von Dezember 1949 bis
Juli 1952 von einer Zürcher Firma grössere Mengen Uhren, wofür die
Warenumsatzsteuer und (für Golduhren) die Luxussteuer zu entrichten
waren. Da Grossisten bei Nachweis der unmittelbaren Ausfuhr der Ware
ins Ausland von diesen Abgaben befreit sind (Art. 54 Abs. 2 lit. b
WUStB in Verbindung mit Art. 1 der Verfügung Nr. 8 des eidg. Finanz-
und Zolldepartementes betreffend die Warenumsatzsteuer vom 28. Juni 1945;
Art. 1 Abs. 1 Ziff. 1 und Art. 9 LStB), liess Guttmann, um in den Besitz
der zur Steuerbefreiung erforderlichen zollamtlichen Deklarationen zu
kommen, die Uhren ordnungsgemäss über im Tessin wohnende Mittelsleute nach
Italien ausfuhren und sodann einen grossen Teil derselben in die Schweiz
zurückschmuggeln. Auf diese Weise gelang es ihm, die Warenumsatzsteuer
und die Luxussteuer zu umgehen.

Erwägung 3

    3.- Für die Verfolgung und Beurteilung von Zollvergehen und
Widerhandlungen gegen den WUStB und den LStB sind gemäss Art. 96 Abs. 2 ZG
in Verbindung mit Art. 53 WUStB und Art. 42 LStB in der Regel die Gerichte
des Kantons örtlich zuständig, wo die strafbare Handlung begangen wurde
oder, wenn die Tat im Ausland stattgefunden hat, der Erfolg eingetreten
ist.

    Eine Zollübertretung begeht u.a., wer zollpflichtige Waren
beim Grenzübertritt ganz oder teilweise zur Zollbehandlung anzumelden
unterlässt (Art. 74 Ziff. 3 ZG). "Begangen" wird demnach das Zollvergehen
beim Grenzübertritt; denn dort hätte die unterlassene Handlung erfolgen
müssen (LOGOZ, Kommentar, N. 4 zu Art. 7). Dieser Grenzübertritt fand
vorliegend im Zollkreis Chiasso, also im Kanton Tessin, statt. Indessen
wird Guttmann, bei dem es mindestens vorläufig allein zur gerichtlichen
Beurteilung kommt, der subjektiven Mittäterschaft (vgl. BGE 80 IV 266)
beschuldigt. Gehandelt hat er seinerseits an seinem Wohnort Zürich, wo
er mündliche Weisungen und Aufträge erteilte, Briefe absandte usw. Somit
wurde die Zollübertretung, wie sie Gegenstand der Beschuldigung bildet,
sowohl im Kanton Tessin als im Kanton Zürich begangen.

    Nicht anders verhält es sich hinsichtlich der Hinterziehungen der
Warenumsatzsteuer und der Luxussteuer; jene waren nur im Zusammenwirken
einerseits der Handlungsweise in Zürich, anderseits der vorgetäuschten
Ausfuhr im Tessin möglich; beides sind massgebende Vorgänge der
Deliktsausführung.

    Liegt aber der Ausführungsort in der Schweiz, fällt der Ort des
eingetretenen Erfolges als solcher ausser Betracht (vgl. BGE 68 IV 54).

Erwägung 4

    4.- Für den Fall, dass die strafbare Handlung in mehreren Kantonen
begangen wurde, erklärt Art. 96 Abs. 2 ZG die Gerichte des Kantons
zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde. Das ist nach der
Aktenlage durch den Zollstrafsachendienst Zürich geschehen. Somit hat
dieser Kanton die gerichtliche Beurteilung zu übernehmen.

    Daran vermag nach dem eingangs Gesagten auch der Hinweis auf das der
Verwaltung durch Art. 283 Abs. 1 BStP (vgl. auch Art. 41 Abs. 1 WUStB und
Art. 29 Abs. 1 LStB) eingeräumte Wahlrecht nichts zu ändern. Ob von diesem
überhaupt die Rede sein kann, erscheint schon angesichts des in Art. 279
BStP zugunsten besonderer Bestimmungen fiskalischer Bundesgesetze und ihrer
Ausführungsverordnungen gemachten Vorbehaltes zweifelhaft (vgl. Art. 96
ZG und die Verweisung von Art. 53 WUStB und Art. 42 LStB; BLUMENSTEIN,
Grundzüge des schweiz. Zollrechtes, S. 103 V; anders SPITZ, Das schweiz.
Zollstrafrecht, S. 160 unten). Die Frage kann jedoch offen bleiben, weil
die Bundesanwaltschaft den Fall an die Behörden des Begehungsortes wies
und daher zu entscheiden war, wo dieser liege.

Entscheid:

               Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet
erklärt, Emanuel Guttmann für alle ihm zur Last gelegten strafbaren
Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.