Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 116



82 IV 116

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Juni 1956
i.S. Bundesanwaltschaft gegen Wandfluh. Regeste

    Art. 48 der Vollziehungsverordnung zum BG betr. die Bekämpfung von
Tierseuchen schreibt das Einholen des nach Art. 40 dieser VV zutreffenden
Gesundheitsscheines vor.

Sachverhalt

    A.- Oskar Wandfluh, Metzger in Beringen, kaufte am 1.  November 1955
in Herblingen zwei Stierkälber, die er am 8. November 1955 abholte und
gleichentags per Bahn einem Viehhändler in Kandergrund sandte. Die Tiere
waren von einem "Gesundheits-Schein für blosse Ortsveränderung von
Haustieren ohne Handänderung" (Formular C im Sinne des Art. 40 Ziff. 3 VV
zum BG betr. die Bekämpfung von Tierseuchen, abgekürzt: VOTSG) begleitet,
den der Viehinspektor von Beringen auf Veranlassung des Wandfluh am
8. November 1955 ausgestellt hatte.

    B.- Am 30. Dezember 1955 büsste die Polizeidirektion des Kantons
Schaffhausen Wandfluh wegen Übertretung der §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 der
Interkantonalen Übereinkunft über den Viehhandel und wegen Widerhandlung
gegen Art. 48 VOTSG mit Fr. 250.--. Sie warf ihm vor, ohne Bewilligung
den Viehhandel ausgeübt und für die beiden Tiere einen Gesundheitsschein
nach Formular C eingeholt zu haben, obwohl für die Ortsveränderung von
Rindvieh zufolge Verkaufs das Formular A vorgeschrieben sei.

    C.- Der Bezirksrichter Schaffhausen, als Rekursinstanz, sprach am
8. März 1956 Wandfluh nur der Übertretung des Viehhandelskonkordates
schuldig, weil weder aus dem Tierseuchengesetz noch aus der VOTSG
abgeleitet werden könne, dass die Verwendung eines auf einem unrichtigen
Formular ausgestellten Gesundheitsscheines strafbar sei.

    D.- Die Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den
Anträgen, das Urteil sei aufzuheben und die Sache an den Bezirksrichter
zurückzuweisen, damit er den Angeschuldigten auch wegen Übertretung des
Art. 48 VOTSG verurteile und dementsprechend die Busse erhöhe.

    E.- Wandfluh hat innert der ihm gesetzten Frist keine Gegenbemerkungen
zur Nichtigkeitsbeschwerde eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ... (Prozessuales).

Erwägung 2

    2.- Die VV zum Tierseuchengesetz kennt verschiedene Arten von
Gesundheitsscheinen, so (Art. 40) das Formular C für blosse Ortsveränderung
vorübergehender oder bleibender Art von Haustieren, ohne Handänderung,
und das Formular A für Tiere des Pferde- und Rindergeschlechts, die zum
Schlachten und Ausstellen, vor allem aber wegen Verkaufs in einen anderen
(schweizerischen) Inspektionskreis verbracht werden.

    Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
liess der Beschwerdegegner zwei Stierkälber von Schaffhausen nach
Kandergrund transportieren, weil er sie dorthin verkauft hatte. Für eine
solche Ortsveränderung zufolge Handänderung ist nach dem Gesagten das
Formular A vorgesehen. Der Beschwerdegegner bezog jedoch ein Formular
C, weil er als Grund der Ortsveränderung wahrheitswidrig "Verstellung"
(statt Verkauf) angab.

    Darin erblickt die Vorinstanz keine Übertretung des Art. 48 VOTSG, weil
diese Bestimmung dem Halter, der ein Tier in einen anderen Inspektionskreis
verbringen (lassen) will, lediglich vorschreibe, "einen" (und nicht
den nach Art. 40 VOTSG zutreffenden) Gesundheitsschein einzuholen; die
Verwendung des unrichtigen Formulars könne umsoweniger Strafe nach sich
ziehen, als gemäss Art. 39 VOTSG alle Gesundheitsscheine dem gleichen
Zwecke dienten, nämlich zur Feststellung der Tatsache, dass ein Tier weder
an einer Seuche erkrankt, noch einer solchen Erkrankung verdächtig ist.

    Diese Argumentation geht fehl. Sie entspricht zwar dem Wortlaut
des Art. 48 VOTSG, verkennt aber den wahren Sinn der Vorschrift. Um
diesen zu ermitteln, kann die Bestimmung nicht für sich allein,
sondern nur im Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften der VOTSG
(Art. 39-58) über die Gesundheitsscheine betrachtet werden. Dabei
darf nicht übersehen werden, dass in Art. 40 VOTSG die verschiedenen
Arten von Ortsveränderungen streng voneinander abgegrenzt werden und
für jede Art ein besonderes Formular eingeführt wird, und dass für die
verschiedenen Formulare in wesentlichen Punkten abweichende Vorschriften
aufgestellt werden, so z.B. hinsichtlich der Geltungsdauer (Art. 53),
der Verwendungsmöglichkeit als Kollektivschein (Art. 40 Ziff. 1-3),
der Gebühren (Art. 43). Diese eingehende Regelung wäre sinnlos, wenn
in Art. 48 VOTSG, der unmittelbar an diese Vorschriften anschliesst,
dem Tierhalter dann doch freie Hand gelassen würde, ohne Rücksicht auf
den Zweck der beabsichtigten Ortsveränderung, den Schein ausstellen zu
lassen, der ihm am besten passt (z.B. wegen der Verwendungsmöglichkeit
als Kollektivschein, der längeren Geltungsdauer, der geringeren Gebühr
oder - wie hier - wegen der Möglichkeit, einen unerlaubten Viehhandel
zu tarnen). Das kann trotz der scheinbar zweideutigen Formulierung des
Art. 48 VOTSG nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein.

    Freilich sind nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 VOTSG für die Richtigkeit der
ausgestellten Scheine, also für das Ausstellen des richtigen Formulars,
die Viehinspektoren verantwortlich. Dadurch wird die Verantwortlickkeit
der Viehhalter für das Erschleichen eines falschen Gesundheitsscheines
jedoch keineswegs ausgeschlossen; vielmehr bestätigt jene Regel indirekt
bloss, was durch die unbestimmte Formulierung ("ein" Gesundheitsschein)
in Art. 48 VOTSG zum Ausdruck gebracht werden will, nämlich dass der
Gesetzgeber als selbstverständlich voraussetzt, den Viehhalter treffe
nicht in erster Linie die Pflicht, den Typus des Formulars zu bezeichnen,
sondern dem Viehinspektor wahrheitsgetreu diejenigen Angaben zu machen,
die ihm ermöglichen, die richtige Wahl des Formulars zu treffen.

    Nur diese Auslegung lässt sich übrigens mit Art. 46 Abs. 1 Satz
1 VOTSG in Einklang bringen. Würde den Viehhalter nicht die Pflicht
treffen, gegenüber dem Viehinspektor den für die Bestimmung des Formulars
massgebenden Sachverhalt wahrheitsgetreu zu schildern, so wäre jene
Bestimmung illusorisch; denn was würde es nützen, die Viehinspektoren zu
verpflichten, die Formulare vollständig und wahrheitsgetreu auszufüllen,
wenn ihnen die Viehhalter ungestraft falsche Angaben machen dürften?

    Auch der Umstand, dass gemäss Art. 39 VOTSG jeder Gesundheitsschein in
gleicher Weise feststellt, ein Tier sei weder an einer Seuche erkrankt,
noch einer solchen Erkrankung verdächtig, berechtigt den Viehhalter
nicht, den Viehinspektor durch falsche Angaben zur Aushändidung eines
anderen als des nach Art. 40 VOTSG für den konkreten Fall zutreffenden
Gesundheitsscheines zu veranlassen. Die Gesundheitsscheine dienen
nicht nur dem erwähnten Zwecke, sondern der Bekämpfung von Tierseuchen
überhaupt. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht bedeutungslos, ob
bei Ortsveränderung eines Tieres zufolge Verkaufs ein Formular A oder C
ausgestellt wird. Im Formular A muss die Adresse des Käufers angegeben
werden. Das Formular C (für Ortsveränderung ohne Handänderung) enthält
natürlich keine entsprechende Rubrik. Wird nun z.B. ein Tier zufolge
Verkaufs von einem Inspektionskreis in einen anderen verbracht, kurz
bevor im ersten Kreis eine Seuche ausbricht, so ist es dem Viehinspektor
des ersten Kreises auf Grund der bei ihm liegenden Kopie des richtigen
Gesundheitsscheines (Formular A) ohne irgendwelche Umtriebe möglich, den
genauen Standort des verkauften Tieres festzustellen und dementsprechend
ohne Verzug über dieses während der Inkubationszeit weggebrachte Tier
die Sperre zu verhängen. Steht dem Viehinspektor jedoch nur eine Kopie
des (fälschlicherweise verwendeten) Formulars C zur Verfügung, so fehlen
ihm die Angaben, die für ein sofortiges Einschreiten unerlässlich sind,
weil er dann nur die Gemeinde kennt, in die das Tier (vorerst) verbracht
worden ist.

Erwägung 3

    3.- Wandfluh hat durch die falsche Angabe, die beiden Stierkälber
würden nach Kandergrund "verstellt", den Viehinspektor veranlasst, statt
zweier Gesundheitsscheine A ein Formular C auszustellen. Nach dem Gesagten
hat er sich dadurch über das Gebot des Art. 48 VOTSG hinweggesetzt und
ist er nach Art. 269 VOTSG dafür strafbar.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.