Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 77



82 II 77

11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 31. Januar 1956
i.S. Chemosan-Union A.-G. gegen Chemosan A.-G. Regeste

    Berufung, Zulässigkeit.

    Die Klage auf Feststellung und Unterlassung unlauteren Wettbewerbs
wegen Führung einer verwechselbaren Geschäftsbezeichnung ist
eine vermögensrechtliche Streitigkeit (Art. 46 OG) (Änderung der
Rechtsprechung).

    Streitwertberechnung (Art. 36 Abs. 2 OG).

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Klägerin bemisst den Streitwert auf einen Fr. 10'000.--
übersteigenden, im übrigen unbestimmten Betrag. Die Vorinstanz hat sich
zu dieser Frage nicht geäussert. Die Beklagte hat gegen die Angaben der
Klägerin keinen Einspruch erhoben. Die Frage des Streitwertes ist jedoch
vom Bundesgericht von Amtes wegen zu prüfen, da von ihrer Beantwortung
die Zulässigkeit der Berufung abhängt.

    Die Klage auf Unterlassung einer Geschäftsbezeichnung, weil deren
Führung durch den Beklagten einen unlauteren Wettbewerb gegenüber dem
Kläger darstelle, ist in der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichts als
nichtvermögensrechtliche Streitigkeit betrachtet worden mit der Begründung,
es werde damit ein Persönlichkeitsrecht geltend gemacht, nämlich das
Individualrecht der im wirtschaftlichen Leben tätigen Person auf Schutz
gegen die Gefahr von Verwechslungen (BGE 37 II 412, 542, 39 II 266).

    Das geltende Wettbewerbsrecht knüpft jedoch nicht mehr an
das Persönlichkeitsrecht an. Es erblickt das Wesen des unlauteren
Wettbewerbes vielmehr im Missbrauch des Rechts zum freien wirtschaftlichen
Wettbewerb (BGE 72 II 393). Der Streit darüber, ob die Verwendung einer
Geschäftsbezeichnung eine unlautere Wettbewerbshandlung darstelle, kann
deshalb nicht mehr als nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne
des Art. 44 OG aufgefasst werden; denn auf das Mittel, dessen sich
ein Mitbewerber im wirtschaftlichen Wettbewerb in missbräuchlicher
Weise bedient, kann für die Entscheidung über die Rechtsnatur des
Abwehranspruches nichts ankommen. Auch bei einem Streit dieser Art hat
man es daher mit einer vermögensrechtlichen Streitigkeit im Sinne von
Art. 46 OG zu tun, und zwar selbst wenn der Kläger nicht Schadenersatz in
Form einer Geldleistung verlangt, sondern die Klage wie hier lediglich
auf Feststellung und Unterlassung der unlauteren Wettbewerbshandlungen
gerichtet ist. Die Schätzung des Geldwertes eines solchen Feststellungs-
und Unterlassungsanspruches mag gelegentlich schwierig sein; aber das
reicht nach ständiger Rechtsprechung nicht dafür aus, die Schätzbarkeit
überhaupt zu verneinen (BGE 74 II 44, 66 II 47). Massgebend ist, dass
der Rechtsgrund des streitigen Anspruchs letzten Endes im Vermögensrechte
ruht. Das ist aber bei allen Ansprüchen aus unlauterem Wettbewerb der Fall,
da mit ihnen den wirtschaftlich nachteiligen Folgen entgegengetreten werden
soll, denen sich der vom Missbrauch der Wettbewerbsfreiheit betroffene
Geschäftsmann ausgesetzt sieht.

    Da die Klage nicht auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, sondern
auf Feststellung und Unterlassung von unlauteren Wettbewerbshandlungen
geht, ist gemäss Art. 36 Abs. 2 OG der Streitwert vom Bundesgericht
nach freiem Ermessen zu ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass
die Klägerin behauptet, die Firma der Beklagten wirke sich wegen ihrer
Verwechselbarkeit mit der klägerischen Geschäftsbezeichnung nachteilig
auf die Geschäftstätigkeit der Klägerin aus, indem die Gefahr bestehe,
dass dieser infolge von Verwechslungen Geschäfte entgehen könnten. Wie
aus den Akten hervorgeht, belief sich der Umsatz der Klägerin in der
Schweiz in den letzten Jahren vor der Firmaänderung der Beklagten,
d.h. 1940-1945, auf Fr. 40'000.-- bis 44'000.--. Wenn nun der Klägerin
infolge von Verwechslungen der beiden Unternehmen jährlich auch nur
Geschäfte im Umfang von Fr. 1000.-- entgehen sollten, so würde sich bei
unbeschränktem Andauern des von ihr gerügten Zustandes schon im Laufe
von 10 Jahren ein Umsatzausfall von Fr. 10'000.-- ergeben. Unter diesen
Umständen kann es deshalb nicht zweifelhaft sein, dass der Streitwert
der klägerischen Begehren die nach Art. 62 Abs. 1 OG für das mündliche
Berufungsverfahren erforderliche Summe von Fr. 8000.-- übersteigt. Die
Berufung ist somit zulässig.