Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 592



82 II 592

79. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. November 1956 i.S. Böttcher
gegen Metz. Regeste

    Berufung. Das Fehlen der nach Art. 55 lit. a OG erforderlichen
Streitwertangabe macht die Berufung grundsätzlich unwirksam. Unter welchen
Voraussetzungen kann ausnahmsweise über diesen Mangel der Berufungsschrift
hinweggesehen werden?

Sachverhalt

    Im vorliegenden Prozess, der die Feststellung des Inhalts eines
Fahrwegrechts, den Erlass eines Verbots mit Bezug auf die Benutzung
des in Frage stehenden Fahrwegs und ein Schadenersatzbegehren in
Höhe von Fr. 250.-- zum Gegenstand hat, bemerkte der Kläger in der
Klageschrift, der Streitwert betrage "über Fr. 1000.--"; erstinstanzlich
sei daher die angerufene Instanz (das Amtsgericht Luzern-Land) zuständig,
letztinstanzlich das Obergericht, eventuell das Bundesgericht. Der Beklagte
erklärte sich in der Rechtsantwort mit dieser Angabe einverstanden. Das
Amtsgericht traf über den Streitwert keine Feststellung. In dem die
Klage teilweise gutheissenden Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern
heisst es am Schluss der den Kosten gewidmeten Erwägung 7: "Der Streitwert
beträgt über Fr. 8000.--".

    Gegen das obergerichtliche Urteil hat der Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht erklärt, ohne in der Berufungsschrift eine Angabe über den
Streitwert zu machen. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

    Nach Art. 55 lit. a OG muss die Berufungsschrift bei
vermögensrechtlichen Streitigkeiten, deren Streitgegenstand nicht in
einer bestimmt bezifferten Geldsumme besteht, die Angabe enthalten, ob der
Streitwert Fr. 8000.-- oder wenigstens Fr. 4000.-- erreiche. Das Fehlen
dieser Angabe, die dem Bundesgericht den Entscheid darüber erleichtern
soll, ob die Berufungssumme gegeben und ob das mündliche oder das
schriftliche Verfahren durchzuführen sei, macht die Berufung grundsätzlich
unwirrksam (BGE 71 II 252, 79 III 173, 81 II 310). Eine Ausnahme von dieser
- im erstgenannten Entscheid vorbehaltlos ausgesprochenen - Regel gilt nach
der neuern Rechtsprechung dann, wenn der übrige Inhalt der Berufungsschrift
eindeutig erkennen lässt, wie hoch der Berufungskläger den Streitgegenstand
wertet, wenn das angefochtene Urteil eine genaue Streitwertschätzung
enthält, die beim Fehlen abweichender Angaben als vom Berufungskläger
anerkannt zu gelten hat, oder wenn der Streitwert sich sonstwie ohne
weiteres aus den Akten feststellen lässt (BGE 79 III 173, 81 II 310/11;
Urteile vom 4. Oktober 1951 i.S. Müller, vom 7. Juni 1956 i.S. Rowi AG
und vom 25. Oktober 1956 i.S. Treuter). Diese Praxis rechtfertigt sich
deswegen, weil in derartigen Fällen der Zweck der Vorschrift von Art. 55
lit. a OG erreicht ist, auch wenn sie nicht wörtlich befolgt wurde, so dass
ihre rigorose Anwendung auf einen übertriebenen Formalismus hinausliefe
(vgl. den Meinungsaustausch zwischen den beiden Zivilabteilungen vom
April/Juni/Juli 1952). Art. 55 lit. a OG noch milder zu handhaben, liesse
sich dagegen mit dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht vereinbaren.

    Im vorliegenden Falle handelt es sich um eine vermögensrechtliche
Streitigkeit, deren Streitgegenstand, vom weit unter der Berufungssumme
liegenden Schadenersatzbegehren abgesehen, nicht in einer bestimmt
bezifferten Geldsumme besteht. Art. 55 lit. a OG ist also anwendbar. Von
den Voraussetzungen, unter denen über den Mangel der nach dieser
Bestimmung erforderlichen Streitwertangabe hinweggesehen werden
kann, ist keine erfüllt. Insbesondere liegt in der Angabe der
Vorinstanz, dass der Streitwert mehr als Fr. 8000.-- betrage, keine
genaue Streitwertschätzung. Man erfährt namentlich auch nicht, wie die
Vorinstanz dazu gelangt ist, einen so hohen Streitwert anzunehmen, nachdem
die Parteien in den kantonalen Rechtsschriften lediglich erklärt hatten,
dass der Streitwert Fr. 1000.-- übersteige und dass das Obergericht,
"eventuell" das Bundesgericht letztinstanzlich zuständig sei. Bei dieser
Sachlage kann auf die Berufung nicht eingetreten werden.