Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 460



82 II 460

61. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. September 1956 i.S. Blatter gegen
"Basler" Lebensversicherungsgesellschaft. Regeste

    Tragweite des direkten Forderungsrechtes des Geschädigten gegen den
Haftpflichtversicherer nach Art. 49 ff. MFG. Inwiefern hat der Versicherer
Zins zu zahlen?

    1.  Schadenszins: nur im Rahmen der g mäss Art. 52 MFG vereinbarten
maximalen Versicherungssumme (Erw. 1).

    2.  Verzugszins: nur bei eigenem Verzug des Versicherers.  Dessen
Eintritt bestimmt sich nach Art. 41 VVG in Verbindung mit Art. 102
OR, wobei die Besonderheiten der Haftpflichtversicherung mit direktem
Forderungsrecht des Geschädigten zu berücksichtigen sind (Erw. 2).

    3.  Bereicherungszins? (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 13. August 1952 stiess in Zürich Arnold Blatter, Primarlehrer in
Winterthur, auf seinem Motorrad mit dem Lastwagen des Jakob Bischofberger
zusammen. Er starb zwei Tage nachher an den Folgen des Unfalles und
hinterliess die vier Kläger, nämlich die Frau aus zweiter Ehe und drei
unmündige Kinder aus erster Ehe. Bischofberger ist bei der Beklagten
für die Haftpflicht als Lastwagenhalter zu einem Deckungsmaximum von
Fr. 50'000.-- für eine verunfallte Person versichert.

    B.- Der Verunfallte war sowohl Kantons- wie auch städtischer Beamter
und gehörte der kantonalen wie auch der städtischen Versicherungskasse
an. Am 1. September 1952 teilte die Finanzdirektion des Kantons
Zürich der Beklagten mit, den Hinterbliebenen des Arnold Blatter stehe
grundsätzlich ein Rentenanspruch an die Beamtenversicherungskasse zu;
sie seien anderseits nach § 23 der Kassestatuten verpflichtet, der
Kasse allfällige Schadenersatzansprüche an Dritte bis zur Höhe der
Kassenleistungen abzutreten. Infolgedessen ersuchte die Behörde die
Beklagte, mit den Schadenersatzberechtigten keine Vereinbarung über
Entschädigungen ohne ihre Mitwirkung zu treffen. Sodann wurde auf die im
Gang befindliche Untersuchung durch die Bezirksanwaltschaft hingewiesen.

    Mit Schreiben vom gleichen Tage wies sich der Anwalt der
Kläger als deren bevollmächtigten Vertreter zur Geltendmachung von
Schadenersatzansprüchen aus. Die Beklagte gab ihm von der Mitteilung der
kantonalen Finanzdirektion Kenntnis.

    Auch die Versicherungskasse der Stadt Winterthur erhob Anspruch auf
die Haftpflichtversicherungssumme.

    C.- Mit Urteil vom 7. Juli 1953 erklärte das Obergericht des Kantons
Zürich Jakob Bischofberger der fahrlässigen Tötung des Verunfallten
schuldig. Hierauf schrieb der Vertreter der Kläger am 21. Oktober 1953
der Beklagten was folgt:

    "Ich unterbreite Ihnen nachfolgend eine vorläufige Schadensberechnung.
Dieselbe verfolgt lediglich den Zweck, Sie davon zu überzeugen, dass Sie
die ganze Deckungssumme zu leisten haben, wobei dann die Aufteilung Sache
der intern Beteiligten, der Hinterbliebenen, der Beamtenversicherungskasse
des Kantons Zürich und der Pensionskasse der Stadt Winterthur ist.

    Ich bitte Sie um Prüfung des Begehrens um Auszahlung der
Versicherungssumme von Fr. 50'000.-- und um Ihren Bericht, damit eine
Besprechung ... vereinbart werden kann."

    Darauf antwortete die Beklagte am 29. gl. M.:

    "Die Überprüfung der Angelegenheit ergibt, dass unser Deckungsmaximum
von Fr. 50'000.-- offensichtlich nicht ausreicht, um den gesamten Schaden
zu decken. Ohne zu Ihrer Schadensaufstellung materiell Stellung zu nehmen,
teilen wir Ihnen mit, dass der erwähnte Betrag den Anspruchsberechtigten
zur Verfügung steht. Wir ersuchen Sie, mit der kantonalen und der
städtischen Pensionskasse eine Vereinbarung über die Aufteilung der
Versicherungssumme zu treffen und uns eine Ausfertigung dieser Vereinbarung
zuzustellen. Wir werden daraufhin die Anteile den Anspruchsberechtigten
überweisen."

    D.- Eine solche Vereinbarung kam zwischen der kantonalen
Finanzdirektion, der Versicherungskasse der Stadt Winterthur und den
Klägern erst am 26. Januar 1955 zustande. Danach erhält die kantonale
Kasse Fr. 14 000.--, und an die Kläger fällt die Restsumme von Fr. 36
000.-- unter Vorbehalt der Regressansprüche der städtischen Kasse und der
mit ihr zu treffenden internen Verteilung. In Ziff. 3 wurde vereinbart,
"dass die Hinterbliebenen die evtl. von der Haftpflichtversicherung
erhältlichen Zinsansprüche ungeschmälert für sich beanspruchen können".

    E.- Am 10. Februar 1955 legte der Vertreter der Kläger diese
Vereinbarung der Beklagten vor und ersuchte sie, die Versicherungssumme
demgemäss auszuzahlen. Er bat ferner unter Hinweis auf Ziff. 3 der
Vereinbarung, ihm auch das Zinsbetreffnis zu überweisen. "Da Sie seinerseit
die Deckungssumme zur Verfügung gestellt haben, können wir m.E. keinen
Verzugszins (zu 5%) beanspruchen. Dagegen haben wir zweifellos Anspruch
auf Kapitalzins. Ich stelle mir einen Zinsfuss von 3 1/2% vor, indem ich
annehme, der Durchschnitt Ihres Vermögensertrages sei mindestens so hoch."

    F.- Die Beklagte lehnte jedoch die verlangte Zinszahlung ab. Sie
ersuchte die Kläger im übrigen, die Vereinbarung noch von der Verwaltung
der Pensionskasse der Stadt Winterthur unterzeichnen zu lassen. Als dies
geschehen war, zahlte sie die Versicherungssumme, davon Fr. 36'000.--
an die Kläger, aus.

    G.- Mit Klage vom 3. März 1955 (beim Friedensrichter) und 25. Juni 1955
(beim Bezirksgericht Zürich) forderten die Kläger folgende Zinse ein:

    "a) den Betrag von Fr. 3020.85 als Zins zu 5% des Deckungskapitals
von Fr. 50'000.-- für die Zeit vom 15. August 1952 bis 31. Oktober 1953,

    b) den Betrag von Fr. 1562.50 als Zins zu 2 1/2 % von Fr. 50'000.--
für die Zeit vom 1. November 1953 bis 28. Februar 1955."

    H.- Gemäss dem Antrag der Beklagten wies das Bezirrksgericht Zürich
die Klage am 7. Dezember 1955 ab, ebenso das Obergericht des Kantons
Zürich mit Urteil vom 27. März 1956.

    I.- Mit vorliegender Berufung erneuern die Kläger die erwähnten
Zinsbegehren, während die Beklagte auf Bestätigung des angefochtenen
Urteils anträgt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Die Kläger glauben die geltend gemachte Zinsforderung aus drei
Gesichtspunkten begründen zu können: als Schadenszins, als Verzugszins
und als Bereicherungszins.

Erwägung 1

    1.- Schadenszins hat der Versicherer nur insoweit zu entrichten,
als der bei ihm gegen die Folgen der Haftpflicht Versicherte selbst
solchen Zins schuldet. Der Schadenszins bildet einen Teil des Schadens,
für den der Versicherer auf Grund des Versicherungsvertrages einzustehen
hat. Er wird vom Haftpflichtigen vom Tag hinweg geschuldet, auf den der
Schaden ermittelt worden ist, und bildet den Ausgleich dafür, dass der
Ersatzberechtigte den betreffenden Betrag erst später erhält, ihn also in
der Zwischenzeit nicht nutzen konnte (vgl. VON TUHR, Allg. Teil des OR,
§ 10 III 2, c; BGE 34 II 612, 70 II 95 Erw. 6, 81 II 519 Erw. 6). Hier
braucht jedoch nicht geprüft zu werden, von wann an und zu welchem
Zinssatze der Haftpflichtige zu Schadenszins verpflichtet sei. Denn
die Haftung des Versicherers für den Schadenszins kann nur innerhalb
der mit dem Versicherer vereinbarten oder doch von diesem als Grundlage
des Fahrzeugausweises nach Art. 7 MFG bescheinigten Versicherungssumme
bestehen. Übersteigt wie hier schon der Kapitalschaden diesen Betrag,
dann bleibt kein Raum für eine zusätzliche Haftung des Versicherers für
den Schadenszins.

    Nichts Abweichendes folgt aus der gesetzlichen Umschreibung
des direkten Forderungsrechtes des Geschädigten gegen den
Haftpflichtversicherer in Art. 49 und 50 MFG. Gewiss setzt dieses
Forderungsrecht nicht einmal unbedingt einen gültigen Versicherungsvertrag
voraus, sondern der Versicherer wird bei der im Sinne von Art 7 MFG
ausgestellten Bescheinigung über die Haftpflichtversicherung behaftet
(BGE 69 II 169). Allein die dieser rechtsgeschäftlichen Erklärung
(und den gesetzlichen Minimalansätzen nach Art. 52 MFG) entsprechenden
Versicherungssummen begrenzen die Leistungspflicht des Versicherers,
und diese bleibt eine solche aus Versicherungsrecht (vgl. OFTINGER,
Haftpflichtrecht II 978; GUHL, OR § 124 II b). Daher kommt nicht etwa in
Frage, dass der Versicherer seinerseits für die ihm obliegende Leistung
Schadenszins zu zahlen habe, denn er schuldet nicht Schadenersatz, sondern
hat nur für die Schadenersatzpflicht eines Andern bis zur deklarierten
Maximalsumme einzustehen.

    Für ihre gegenteilige Ansicht berufen sich die Kläger auf die
Botschaft zum MFG-Entwurf (BBl 1930 II 875) und auf BGE 56 II 212 ff. Beide
Publikationen betreffen aber den vom Versicherer bei eigenem Verzug zu
leistenden Verzugszins und erörtern die Frage, von welchem Zeitpunkt an
der Versicherer als im Verzug befindlich betrachtet werden müsse. Dass
der Versicherer die Folgen eines ihn selbst treffenden Verzuges wie ein
anderer Schuldner zu tragen hat und nicht befugt ist, von ihm geschuldete
Verzugszinsen in die Versicherungssumme einzurechnen, versteht sich
von selbst.

Erwägung 2

    2.- Verzug kann erst nach Fälligkeit der Verbindlichkeit eintreten und
wird nach allgemeinen Grundsätzen, sofern ein bestimmter Verfalltag
weder vereinbart ist noch sich infolge einer gültigen Kündigung
ergibt, erst durch Mahnung herbeigeführt (Art. 102 OR). Für Leistungen
aus Versicherungsvertrag gilt die besondere Vorschrift von Art. 41
VVG. Danach tritt die Fälligkeit mit dem Ablauf von vier Wochen ein,
seitdem der Versicherer Angaben erhalten hat, aus denen er sich
von der Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Ansprüche überzeugen
konnte. Dieser Norm untersteht auch die Haftpflichtversicherung (BGE
56 II 212 ff.). Freilich sind die Ausführungen dieser Entscheidung in
der Literatur zum Teil kritisiert worden (STÄHELI in SJZ 27 S. 92 mit
Hinweis auf KÖNIG, SJZ 26 S. 161 ff.), und das Bundesgericht selbst
(I. Zivilabteilung) hat im Urteil vom 3. Juni 1947 i.S. "Zürich" und
Berra c. Confédération suisse und Udry, Erw. 11, bemerkt, im Gebiete der
Haftpflicht nach MFG könne der Lauf jener Frist nicht mehr, gemäss jenem
vor Inkrafttreten des MFG ergangenen Entscheide, an die Anzeige einer
gegen den Haftpflichtigen angehobenen Klage geknüpft werden. In der Tat
ist nunmehr dem direkten Forderungsrecht des Geschädigten und anderer
Anspruchsberechtigter gegen den Haftpflichtversicherer Rechnung zu tragen;
denn oftmals sieht der Anspruchsberechtigte infolgedessen von jeglicher
Klage gegen den Haftpflichtigen ab. Trotzdem bleibt aber Art. Art. 41 VVG
für den Eintritt der Fälligkeit des Versicherungsanspruches auch bei der
Haftpflichtversicherung massgebend, und zwar auch wenn sich diese auf
eine Haftpflicht nach MFG bezieht. Nur ist der Versicherungsanspruch
in diesem Falle nicht davon abhängig, dass der Haftpflichtige selber
vom Anspruchsberechtigten belangt werde. Um die Frist des Art. 41 VVG
in Gang zu bringen, genügt es vielmehr, dass der Anspruchsberechtigte
dem Versicherer das Bestehen der Haftpflicht in einem bestimmten
(Minimal-)Betrag darlege und sich als den Anspruchsberechtigten gehörig
ausweise.

    Im vorliegenden Falle vermochten die Kläger der Beklagten im
Oktober 1953 zwar das Bestehen der Haftpflicht im vollen Betrag der
Versicherungssumme einwandfrei nachzuweisen, was die Beklagte denn auch
sogleich anerkannte. Es war aber damals noch nicht ausgemacht, wer die
Versicherungssumme zu beziehen habe, d.h. in welchem Verhältnis die Kläger
und die beiden beteiligten Pensionskassen berechtigt seien. Die Beklagte,
die durch die früheren Mitteilungen der beiden Kassen gehindert war, den
Klägern etwas auszuzahlen, blieb bis zum 10. Februar 1955 im Ungewissen
darüber, wem sie die Zahlung zu leisten habe. Irgendeine Mahnung erfolgte
bis dahin nicht. Als ihr dann die Vereinbarung der Kläger mit den beiden
Kassen bekanntgegeben wurde und sie die nötigen Ausweise besass, zahlte
sie die Summe ungesäumt aus.

    Unter diesen Umständen war sie nicht in Verzug gekommen. Gewiss
hätte ein Verzug bereits während des Prätendentenstreites herbeigeführt
werden können (vgl. BECKER, N. 1 und 6 zu Art. 168 OR, BGE 50 II
393/4). Dazu wäre namentlich eine gemeinsam von allen Prätendenten an
die Beklagte gerichtete Aufforderung geeignet gewesen, einem von ihnen
(unter Vorbehalt ihrer Auseinandersetzung) oder einem Dritten zu treuen
Handen zu zahlen. Eine solche Aufforderung ist aber vor dem Februar 1955
nicht ergangen. Zur Hinterlegung nach Art. 168 OR war die Beklagte zwar
berechtigt, aber nicht verpflichtet. Zu Unrecht berufen sich die Kläger
auf den Kommentar OSER/SCHÖNENBERGER, N. 4 zu Art. 168 und N. 9-14 zu
Art. 92 OR. Wohl heisst es an der ersten Stelle, dass den Schuldner "nur
die Hinterlegung von den meisten Verzugsfolgen befreit". Was damit gemeint
ist, ergibt sich jedoch aus der zweiten Stelle, wo u.a. gesagt wird, der
vertragliche Zins laufe weiter, und die Gefahr gehe vor der Hinterlegung
nicht auf den Gläubiger über. Das sind keine eigentlichen Verzugsfolgen,
sondern rechtliche Nachteile, die sich an die Nichterfüllung knüpfen,
gleichgültig ob diese einen Verzug in sich schliesst oder nicht. Etwas
anderes sagt auch VON TUHR nicht an der von OSER/SCHÖNENBERGER zitierten
Stelle (Allg. Teil des OR § 65 V 4); vielmehr wird dort richtig ausgefuhrt,
der bei Eintritt des Gläubigerverzuges nicht selber im Verzug befindliche
Schuldner werde gleichwohl weiterhin Zinsen schuldig, "die auf anderm
Grunde" (als auf Verzug), "insbesondere auf Vertrag beruhen". Es kommt
nicht in Frage, einen nicht im Verzug befindlichen Schuldner zur Zahlung
von Verzugszinsen zu verpflichten. Und hier ist eben bis zum 10. Februar
1955 keine Aufforderung, die Versicherungssumme zu zahlen, somit keine
Mahnung erfolgt, die die Beklagte zugleich im Sinne von Art. 41 VVG über
die gebotene Art der Erfüllung orientiert hätte.

Erwägung 3

    3.- Zur Zahlung von Bereicherungszins wäre die Beklagte nur
verpflichtet, wenn ihr zum Nachteile der Kläger ein Zinsgenuss
ungerechtfertigterweise zuteil geworden wäre. Davon kann aber keine
Rede sein; denn wenn die Beklagte bis zur Zahlung einen Zinsertrag von
der Versicherungssumme bezog, war dies ein rechtmässig ihr zufliessender
Nutzen, da sie die Leistung während des Streites der Ansprecher, die ihr
keinen zum Empfang der Zahlung Berechtigten bezeichneten, zurückhalten
durfte.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 27. März 1956 bestätigt.