Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 1



82 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Februar 1956
i. S. X. gegen X. Regeste

    Anfechtung der Ehelichkeit. Ungeachtet der für die Klage gemäss
Art. 253 Abs. 2 ZGB zwischen dem Kind und der Mutter bestehenden
notwendigen passiven Streitgenossenschaft ist sowohl das Kind als die
Mutter allein zur Berufung an das Bundesgericht legitimiert, und das
Urteil des letztern wirkt gegenüber allen Streitgenossen.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    Mit Klage gemäss Art. 253/54 ZGB gegen die Ehefrau und das während
der Ehe geborene Kind focht der Ehemann dessen Ehelichkeit an. Die
Ehefrau beantragte Gutheissung der Anfechtungsklage und bestätigte die
Behauptungen des Klägers betr. Unmöglichkeit seiner Vaterschaft. Der
Beistand des Kindes dagegen opponierte der Anfechtungsklage. Gegen das
diese gutheissende Urteil der ersten Instanz appellierte nur das Kind,
und gegen das die Unehelicherklärung bestätigende Urteil der zweiten
legte es allein die vorliegende Berufung ein.

    Der berufungsbeklagte Ehemann beantragte Abweisung der Berufung, ebenso
- in einer unaufgefordert eingereichten Vernehmlassung - die Mutter. In
prozessualer Hinsicht führte diese aus, es bestehe zwischen den beiden
Anfechtungsbeklagten, dem Kinde und ihr, nach Art. 253 Abs. 2 ZGB eine
notwendige passive Streitgenossenschaft, die nicht dem Prozessrecht,
sondern dem materiellen Recht unterstehe. Zur gemeinsamen Prozessführung
gehöre auch, dass die Streitgenossen nur gemeinsam ein Urteil annehmen
oder ein Rechtsmittel ergreifen könnten. Das sei hier nicht geschehen;
deshalb müsse die vom beklagten Kinde allein eingelegte Berufung mangels
Aktivlegitimation (materiell) abgewiesen werden. Dieser Mangel müsse von
Amtes wegen berücksichtigt werden; sonst komme es im Falle der Gutheissung
der Berufung dazu, dass das Kind gegenüber dem Vater ehelich, gegenüber
der Mutter unehelich wäre. Wollte man aber annehmen, dass dem Kinde ein
selbständiges Berufungsrecht zustände, so müste sich seine Berufung zum
mindesten auch gegen die mitbeklagte Mutter richten, die mit dem Vater
ebenfalls in einer notwendigen (passiven) Streitgenossenschaft stehe. In
diesem Falle wäre die Berufung mangels Passivlegitimation des allein
berufungsbeklagten Vaters ex officio abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Anfechtungsklage des Ehemannes muss gemäss Art. 253 Abs. 2 ZGB
gegen das Kind und die Mutter gerichtet werden. Nachdem in casu die
beklagte Mutter gegen die Gutheissung der Klage weder Appellation an die
Vorinstanz noch Berufung an das Bundesgericht eingelegt hat, stellt sich
angesichts der vom materiellen Recht vorgeschriebenen notwendigen passiven
Streitgenossenschaft zwischen Kind und Mutter die Frage, ob die Berufung
des Kindes allein rechtswirksam ist oder nicht. Die Vorinstanz hat zu ihr
nicht Stellung genommen, da sie vor ihr nicht aufgeworfen wurde. Auch vor
Bundesgericht wirft sie der berufungsbeklagte geschiedene Ehemann nicht im
Sinne der Einrede mehrerer Streitgenossen auf. Sie ist jedoch von Amtes
wegen zu prüfen, läuft sie doch darauf hinaus, ob die Aktivlegitimation
des Kindes allein zur Berufung zu bejahen ist oder nicht.

    Mit Bezug auf die Rechtsmittel der kantonalen Zivilprozessordnungen
scheint die grundsätzliche Frage vorwiegend negativ beantwortet zu werden
(STRÄULI-HAUSER ZPO Zürich § 39 N. 4; GULDENER, Schweiz. ZPR S. 453 d;
LEUCH ZPO Bern 2. Aufl. S. 277, nun positiv 3. Aufl. S.313). Hinsichtlich
der Berufung an das Bundesgericht indessen wurde sie schon unter dem alten
OG bejaht. TH. WEISS (Die Berufung) stellt die Frage der Legitimation des
einzelnen Streitgenossen ausdrücklich und führt aus, bei der echten (scil.
notwendigen) Streitgenossenschaft wäre denkbar, dass der Berufungsbeklagte
verlangen könnte, dass sämtliche Streitgenossen die Berufung erklären.
Indessen kenne das OG ein derartiges Vorgehen nicht; der Art. 8 aBZP (betr.
diese Einrede) gelte für das Berufungsverfahren nicht. "Es wird bei der
echten Streitgenossenschaft nach allgemeinen Grundsätzen anzunehmen sein,
dass ein Streitgenosse zur Berufung legitimiert ist und dass das Urteil
in der Berufungsinstanz für und gegen alle Streitgenossen wirkt" (aaO,
S. 90). Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb es unter dem rev. OG
(und dem neuen BZP, vgl. Art. 24) anders zu halten sein sollte, zumal
in einem Statusprozess, wo die Parteimaxime um der öffentlichen Ordnung
willen eingeschränkt ist und die in Art. 158 Ziff. 1 und 3 ZGB für den
Scheidungsprozess aufgestellten Vorbehalte ebenfalls gelten (vgl. BGE 51
II 9, 65 I 156, 78 I 3). Es liesse sich nicht rechtfertigen, dass in der
vorliegenden Prozesssituation dem Kinde, zufolge der entgegengesetzten
Stellungnahme seiner mitbeklagten Mutter zur Klage, die Anrufung der
obersten Instanz verunmöglicht sein sollte. Auf die Berufung des Kindes ist
daher einzutreten, ohne dass die Mutter im Berufungsverfahren als dessen
Streitgenossin oder gar als Berufungsbeklagte zu behandeln wäre. Davon,
dass es zufolge des Ausscheidens der Mutter aus dem Verfahren zu sich
widersprechenden Urteilen käme, wenn in Gutheissung der Berufung des Kindes
allein die Klage gegen dieses abgewiesen würde, kann selbstverständlich
keine Rede sein. Der eheliche oder uneheliche Status einer Person ist ein
einheitliches Rechtsverhältnis; das letztinstanzliche rechtsgestaltende
Urteil darüber wirkt gegenüber allen am Rechtsverhältnis, nicht nur
den am Prozesse in seiner letzten Phase, Beteiligten in gleicher Weise,
also gegenüber Ehemann, Mutter und Kind gleich.

    Ist mithin die mitbeklagte Mutter vor Bundesgericht nicht mehr Partei,
ist ihre Vernehmlassung nicht zu beachten.