Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 40



82 III 40

15. Entscheid vom 19. Januar 1956 i. S. Hog. Regeste

    Ausländerarrest (Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG). Gültige
Arrestprosequierung a) durch Klageanhebung am Arrestort binnen gesetzlicher
Frist, b) nach Rückweisung dieser Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit des
Gerichtes, weil der aufrechtstehende Schuldner schon vor der Klageanhebung
seinen Wohnsitz in die Schweiz, und zwar in einen andern Kanton, verlegt
hatte: durch neue Klage am Wohnorte des Schuldners währendder gegen den
Rückweisungsentscheid laufenden Appellationsfrist. - Art. 59 BV, Art. 278
Abs. 2 SchKG.

Sachverhalt

    A.- Gegen die damals in Villingen (Deutschland) wohnende Rekurrentin
liess Charles Glanzmann am 21./22. April 1955 in Nidau Gegenstände im
Schätzungswert von Fr. 650.-- für eine Forderung von Fr. 7000.-- aus
Verlöbnisbruch mit Arrest belegen. Zu dessen Prosequierung hob er in
Nidau Betreibung an, und da die Schuldnerin am 10. Mai Recht vorschlug,
stellte er am 14. Mai beim Gerichtspräsidenten von Nidau das Gesuch um
Ladung zum Aussöhnungsversuch. Dieser fand am 9. Juni statt und verlief
fruchtlos, worauf Glanzmann gleichen Tages die Klage beim Amtsgericht von
Nidau einreichte. Indessen hatte die Schuldnerin sich am 18. Mai wieder in
der Schweiz niedergelassen und in Corcelles, Kanton Neuenburg, Wohnsitz
genommen. Mit Hinweis hierauf erhob sie gegen die in Nidau erhobene
Klage die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit, mit dem Erfolge, dass
das Amtsgericht von Nidau die Klage mit Urteil vom 28. Oktober 1955 ohne
Prüfung der Begründetheit zurückwies. Glanzmann appellierte nicht, sondern
reichte noch am selben Tage beim Kantonsgericht Neuenburg Klage ein.

    B.- Am 15. November 1955 teilte das Betreibungsamt Nidau den Parteien
mit, es betrachte den in Nidau erwirkten Arrest als dahingefallen, weil
er nicht binnen gesetzlicher Frist durch Klage beim zuständigen Gericht
prosequiert worden sei. Auf Beschwerde des Gläubigers hob die kantonale
Aufsichtsbehörde die angefochtene Verfügung mit Entscheid vom 16. Dezember
1955 auf, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Abweichend von der frühern
Rechtsprechung, wonach nur eine beim zuständigen Gericht erhobene Klage
als zur Arrestprosequierung geeignet betrachtet wurde (BGE 44 III 179,
49 III 64), lässt die neuere Rechtsprechung als Prosequierungsakt auch
eine mangelhafte oder unzuständigen Orts eingereichte Klage gelten,
sofern der Mangel entweder noch während der Prosequierungsfrist behoben
wird oder die Klage infolge Benutzung einer vom kantonalen Prozessrecht
vorgesehenen Nachfrist hängig bleibt (BGE 75 III 73). Diese Voraussetzung
trifft nun nach Art. 163 der bernischen ZPO zu, wie im Anschluss an das
zuletzt erwähnte Bundesgerichtsurteil entschieden wurde (Zeitschrift des
bernischen Juristenvereins 86 S. 467). Darauf kann sich der Gläubiger
im vorliegenden Falle freilich nicht berufen, da die Klage gar nicht
bei einem andern bernischen Richter. sondern in einem andern Kanton
anzubringen war. Allein das neuenburgische Recht enthält in Art. 168 ZPO
eine entsprechende Vorschrift, wonach die Rechtshängigkeit fortbesteht,
wenn die neue Klage beim zuständigen Richter binnen zehn Tagen seit der
Rückweisung eingereicht wird. Man kann die eine wie die andere dieser
Vorschriften sehr wohl dahin auslegen, dass die Rechtshängigkeit unter
derselben Voraussetzung als fortbestehend gilt, wenn sie zunächst in einem
andern Kanton begründet wurde. "Jedenfalls wäre es überaus stossend, wenn
die sowohl im bernischen wie im neuenburgischen Prozessrecht vorgesehene
Nachfrist zwar wirksam würde, wenn die Klage innerhalb des gleichen
Kantons zurückgewiesen und innert der Nachfrist neu angebracht wird,
nicht aber, wenn die Klage im einen Kanton zurückgewiesen und innert der
Nachfrist im andern neu angebracht wird." Übrigens war die Klage, als sie
in Neuenburg neu angebracht wurde, bei den bernischen Gerichten auf alle
Fälle noch hängig, da das Rückweisungsurteil des Amtsgerichtes von Nidau
der Appellation unterlag. Und endlich steht nichts im Wege, eine freilich
auf zehn Tage zu verkürzende Nachfrist analog Art. 139 OR von Bundesrechts
wegen für die Arrestprosequierung nach Art. 278 SchKG gelten zu lassen.

    C.- Diesen Entscheid zieht die Schuldnerin an das Bundesgericht weiter
mit dem Antrag, der am 22. April 1955 in Nidau gelegte Arrest sei als
dahingefallen zu erklären, und die Arrestgegenstände seien freizugeben.

    Die Rekurrentin hält die beim örtlich unzuständigen Gericht in Nidau
eingereichte Klage für unbeachtlich. Es falle einzig die in Neuenburg
erfolgte Klageanhebung in Betracht, die wegen Fristversäumung den Arrest
nicht wirksam zu prosequieren vermocht habe. Die Wirkungen von Art. 163
der bernischen ZPO liessen sich nicht auf das neuenburgische Prozessrecht
erstrecken. Und da die Rechtskraft des in Nidau gefällten Urteils mangels
Appellation auf den Tag der Urteilsfällung zurückzubeziehen sei, habe
bei Einleitung des Verfahrens m Neuenburg keine Rechtshängigkeit mehr
bestanden. "Die Überbrückung dieser interkantonalen Schwierigkeiten
durch Anwendung von Art. 139 OR" gehe nicht an. Diese Bestimmung diene
andern Zwecken und lasse sich nicht durch Verkürzung der Frist auf zehn
Tage in das System der Arrestprosequierung einfügen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    1. - Dass der am 21./22. April 1955 in Nidau gestützt auf Art. 271
Ziff. 4 SchKG erwirkte Arrest nun wegen Hinfalles des Arrestgrundes durch
die am 18. Mai 1955 erfolgte Wohnsitznahme in der Schweiz ohne weiteres
dahingefallen sei, hat die Schuldnerin nicht geltend gemacht. Dies würde
denn auch der herrschenden Ansicht widersprechen, die es nicht einmal
zulässt, dass ein im Lauf eines Arrestaufhebungsprozesses eingetretener
Hinfall des Arrestgrundes berücksichtigt wird (vgl. BGE 54 III 143). Auf
keinen Fall wären die Betreibungsbehörden befugt, einen Arrest aus diesem
Gesichtspunkte nachträglich aufzuheben. Denn über die mit dem Arrestgrunde
zusammenhängenden Fragen hat ausschliesslich zunächst die Arrestbehörde
und sodann der Richter im Arrestaufhebungsprozesse zu befinden.

    2. - Zu entscheiden ist somit einzig, ob der in Nidau gelegte
Arrest durch die beim dortigen Gericht eingereichte Klage wirksam gemäss
Art. 278 Abs. 2 SchKG prosequiert wurde. Nach der frühern Rechtsprechung
wäre dies zu verneinen, da die Schuldnerin zwar erst nach Einleitung des
Aussöhnungsverfahrens, aber noch vor Einreichung der Klage beim Amtsgericht
und damit vor Begründung der Rechtshängigkeit nach Art. 160 der bernischen
ZPO, im Kanton Neuenburg Wohnsitz genommen hatte und infolgedessen als
"aufrechtstehende Schuldnerin" der Garantie des Wohnsitzgerichtsstandes
nach Art. 59 BV teilhaftig geworden war (BGE 40 I 499). Nach der neuern
Rechtsprechung ist dagegen auch eine unzuständigen Orts eingereichte
Klage zur Arrestprosequierung geeignet, sofern sie alsdann noch während
fortbestehender Rechtshängigkeit beim zuständigen Richter angebracht wird
(BGE 75 III 73). Und das Fortbestehen der Rechtshängigkeit nach dem
Rückweisungsentscheid kann sich aus einer im kantonalen Prozessrecht
vorgesehenen Nachfrist ergeben. Davon geht der angefochtene Entscheid
zutreffend aus. Er lässt dem Gläubiger die Wirkungen der Nachfrist zugute
kommen, wie sie übereinstimmend im bernischen und im neuenburgischen
Prozessrechte vorgesehen ist. Dieser Betrachtungsweise hält die Rekurrentin
entgegen, es gehe nicht an, die beiden Prozessordnungen in solcher Weise
miteinander zu verbinden. Die vorliegenden Akten erlauben nicht, über diese
Frage zu entscheiden. Ob sich Art. 168 der neuenburgischen ZPO auch auf den
Fall einer zunächst bei einem unzuständigen Richter eines andern Kantons
angebrachten Klage beziehen lässt, ist seinem Wortlaut nicht zu entnehmen.
Darüber spricht sich auch die vom Gläubiger vorgelegte Bescheinigung des
greffier du Tribunal cantonal vom 25. November 1955 nicht aus. Wie dem
aber auch sein möge, ist dem angefochtenen Entscheide darin beizustimmen,
dass es einer solchen Nachfrist gar nicht bedurfte, um die in Nidau
angebrachte Klage nach dem Rückweisungsentscheide des Amtsgerichts noch
hängig bleiben zu lassen. Sie blieb während der Appellationsfrist ohnehin
hängig, bis zum allfälligen Verzicht auf Appellation, wie er eben erst
in der Einreichung einer neuen Klage in Neuenburg enthalten war. Somit
bestand die Rechtshängigkeit ohne Unterbrechung fort, gleichwie wenn
die neue Klage schon vor dem Urteil des Amtsgerichts Nidau über die
Zuständigkeitseinrede vorsorglich in Neuenburg angebracht worden wäre. Die
Rückdatierung der Rechtskraft auf den Tag der Urteilsfällung nach Art. 334
der bernischen ZPO vermag, wie der angefochtene Entscheid richtig bemerkt,
nichts daran zu ändern, dass die Streitsache im Zeitpunkt der Klageanhebung
in Neuenburg noch bei den bernischen Gerichten hängig gewesen war. In
der Tat kann einer solchen Fiktion des Datums der Rechtskraft nicht die
Bedeutung zukommen, Rechtsakte einer Partei ungültig zu machen, die sie
während der Appellationsfrist wegen der damals andauernden Rechtshängigkeit
gültig hatte vornehmen können.

    Der Rekurs erweist sich somit als unbegründet, ohne dass zur Frage
der Anwendbarkeit von Art. 139 OR, die in BGE 75 III 73 verneint wurde,
Stellung zu nehmen wäre.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.