Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 152



82 III 152

38. Entscheid vom 1. Dezember 1956 i.S. Frei. Regeste

    Unpfändbarkeit von Berufswerkzeugen. Art. 92 Ziff. 3 SchKG.

    Unpfändbarkeit des Hilfsmotorrades eines Schichtarbeiters mit 3 km
langem Weg zur Arbeitsstätte. Ablehnung der Auswechslung gegen ein vom
Gläubiger angebotenes Fahrrad ohne Motor.

Sachverhalt

    A.- Der für Alimente betriebene Eduard Frei ist Schichtarbeiter
und benutzt, um sich zu der drei Kilometer von seiner Wohnung gelegenen
Arbeitsstätte zu begeben, ein sog. Hilfsmotorrad, Marke MOTOM, das im
Betreibungsverfahren auf Fr. 300.-- und später auf Fr. 350.-- geschätzt
wurde. Das Betreibungsamt Uster hat dieses Fahrzeug gepfändet, die untere
Aufsichtsbehörde hat es auf Beschwerde des Schuldners als Kompetenzstück
im Sinne von Art. 92 Ziff. 3 SchKG erklärt, während die von der Gläubigerin
angerufene obere kantonale Aufsichtsbehörde mit Entscheid vom 16. November
1956 zwar grundsätzlich die Unpfändbarkeit ebenfalls bejaht, die Pfändung
aber unter der Bedingung gestattet hat, dass die Gläubigerin dem Schuldner
binnen 20 Tagen einen Ersatz in Gestalt eines gewöhnlichen Fahrrades
verschaffe. Dispositiv 1 dieses Entscheides lautet:

    "Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen, der angefochtene Beschluss
aufgehoben und der Beschwerdegegnerin und Rekurrentin das Recht eingeräumt,
dem Beschwerdeführer und Rekursgegner binnen 20 Tagen von der Zustellung
dieses Beschlusses an gerechnet, anstelle des unpfändbaren Gegenstandes
Nr. 1 der Pfändungsurkunde vom 25. Juli 1956 in Betreibung Nr. 7495
recte 7459, (Hilfsmotorrad Marke "Motom", Jahrgang 1955, Fahrgestell
Nr. S 47'265, Motor Nr. E 171'722) ein gebrauchtes, aber in gutem,
fahrbereitem Zustande befindliches Fahrrad zur Verfügung zu stellen,
unter der Androhung, dass sonst die Unpfändbarkeit des Hilfsmotorrades
aufrechterhalten bliebe. Sollte die Beschwerdegegnerin und Rekurrentin
von diesem Auswechslungsrecht innert Frist Gebrauch machen, so kann sie
den Erlös des Pfandgegenstandes in Anspruch nehmen als Teilzahlung an ihre
Forderung samt Kosten und dem vom Betreibungsamt zu schätzenden Wert des
zur Verfügung gestellten Fahrrades."

    B.- Gegen diesen Entscheid rekurriert der Schuldner und hält an der
unbedingten Unpfändbarkeit seines Hilfsmotorrades fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Die Vorinstanz geht von der zutreffenden Erwägung aus, dass der
Schuldner sich eines Fahrzeuges bedienen muss, um den 3 km langen
Weg zur Arbeitsstätte zu verschiedenen Tageszeiten hin und zurück zu
überwinden. Sie findet aber, hiezu genüge ein gewöhnliches mit keinem Motor
versehenes Fahrrad. Und da ein gebrauchtes, aber fahrbereites Fahrrad
vermutlich für etwa Fr. 100.-- erhältlich sei, während dem streitigen
Hilfsmotorrad ein Wert von Fr. 350.-- zukomme, sei dessen Pfändung
gerechtfertigt, sofern die Gläubigerin dem Schuldner ein zweckdienliches
gewöhnliches Fahrrad verschaffe. Für das vom Betreibungsamt zu befolgende
Vorgehen verweist der angefochtene Entscheid auf BGE 55 III 74 ff.

    Indessen sind Kompetenzstücke dem Schuldner grundsätzlich nach Art. 92
SchKG vorbehaltlos als unpfändbar zu belassen. Nur ausnahmsweise ist
die Pfändung solcher Gegenstände unter der Bedingung der Beschaffung von
Ersatzstücken durch den Gläubiger zu gestatten. Diesem steht nicht etwa
zu, die Einrichtung des Schuldners in jeder Hinsicht auf das Primitivste
zu reduzieren. Vielmehr soll ihm lediglich der Zugriff auf Gegenstände
ermöglicht werden, "deren Wert infolge kostbarer Ausstattung oder aus
irgend einem andern Grunde in einem offensichtlichen Missverhältnis steht
zum Wert einfacher, dem Kompetenzanspruch des Schuldners und seiner Familie
ebenfalls genügender Gegenstände derselben Art" (BGE 56 III 196). Von
einem solchen stossenden Missverhältnis kann hier nicht die Rede sein,
wenn man nicht bloss den Wertunterschied in Prozenten berücksichtigt,
sondern beachtet, dass das Hilfsmotorrad kein Luxusgegenstand ist. Bietet
es dem Schuldner doch praktische Vorteile, die ihm billigerweise weiterhin
zu gewähren sind: rasches und verhältnismässig müheloses Erreichen der
Arbeitsstätte bei jedem Wetter. Es handelt sich hier nicht um "ein schönes
Möbelstück", "un meuble de prix", das der Schuldner leicht entbehren
kann, wenn ihm ein einfaches Ersatzstück beschafft wird (BGE 53 III 131
am Ende, 71 III 1 ff.), und auch nicht um ein besonders teures, in dieser
Ausführung nicht übliches Berufsinstrument, wie im Falle BGE 59 III 240
(242 oben). Vielmehr erscheint das mit einem Hilfsmotor versehene Fahrrad
des Schuldners als ein bei den gegebenen Distanzverhältnissen durchaus
normales Gebrauchsobjekt, das ihm füglich als schlechthin unpfändbar zu
belassen ist. Das ziemlich verwickelte Vorgehen, wie es der angefochtene
Entscheid in Anlehnung an BGE 55 III 74 vorsieht, rechtfertigt sich nur,
wo es gilt, die Pfändung eines zwar nicht an und für sich, aber der Art
der Ausführung nach überflüssigen Gegenstandes zu ermöglichen, was hier
nicht zutrifft.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und das Hilfsmotorrad, Nr. 1 der
Pfändungsurkunde vom 25. Juli 1956 in der Betreibung Nr. 7459, als
schlechthin unpfändbar erklärt.