Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 145



82 III 145

37. Entscheid vom 5. November 1956 i.S. Pragma

AG Regeste

    Beschwerdeverfahren. Bundesrecht und kantonales Recht.
Kantonalrechtliches Verbot der Änderung der Rechtsbegehren. Auslegung
der mit Beschwerde und kantonalem Rekurs gestellten Anträge.

    Arrest auf Forderungen, die auf den Namen eines Dritten lauten,
aber nach den Behauptungen des Arrestgläubigers dem Arrestschuldner
gehören. Zulässigkeit. Widerspruchsverfahren.

Sachverhalt

    A.- Am 23. Juni 1950 erliess der Zivilgerichtspräsident von Glarus
auf Begehren der Manufacturers Trust Company und der New York Trust
Company in New York Arrestbefehle gegen die Ungarische Escompte- und
Wechslerbank und die Pester Ungarische Commerzialbank in Budapest. Als
Arrestgegenstände waren in jedem dieser vier Arrestbefehle genannt:
"Bei der Pragma AG, Glarus, sämtliche Guthaben und Vermögensstücke
der Arrestschuldnerin." Das Betreibungsamt Glarus-Riedern vollzog diese
Befehle wie folgt: "Es werden ... verarrestiert: Bei der Pragma AG, Glarus,
sämtliche direkt oder indirekt auf Rechnung der Arrestschuldnerin bei und
unter dem Namen dieser Gesellschaft" (d.h. der Pragma AG) "direkt oder
indirekt, insbesondere auch aus Auftrag oder andern Rechtsverhältnissen
verwahrten oder verwalteten Vermögensstücke und Guthaben, sämtliche
Forderungen der Arrestschuldnerin gegenüber der Pragma AG als
Gläubigerin oder Hinterlegerin, ... insbesondere aber:... Forderungen
gegen folgende Gesellschaften ...:... Mobiliare Verkehrs AG, Zürich,
..." Vier Forderungen gegen die Mobiliare Verkehrs AG im Betrage von
66'500 bzw. 140'000 Schweizerfranken und 56'000 bzw. 27'800 Dollars
wurden im Anschluss an die allgemeine Umschreibung der arrestierten
Vermögensstücke noch besonders erwähnt. Mit Schreiben vom 23. Juni 1950
brachte das Betreibungsamt der Pragma AG diese Arreste zur Kenntnis. Die
Pragma AG teilte dem Betreibungsamt am 19. Juli 1950 mit, sie verwalte
für Rechnung der Arrestschuldner keinerlei Vermögenswerte; die in der
Arrestnotifikation besonders bezeichneten Vermögenswerte halte sie, soweit
überhaupt vorhanden, nicht für Rechnung der Arrestschuldner, sondern für
eigene Rechnung, weshalb der Arrest diese Werte nicht erfasse. In der
Folge setzte das Betreibungsamt den Gläubigern gemäss Art. 109 SchKG Frist
zur Klage gegen die Pragma AG auf Aberkennung der Eigentumsansprache,
die diese Gesellschaft in ihrem Schreiben vom 19. Juli 1950 geltend
gemacht habe. Diese Klage wurde am 20. November 1950 beim Zivilgericht
Glarus eingeleitet und ist dort heute noch hängig. Die Arrestgläubiger
machen in diesem Prozess geltend, die Pragma AG verwalte die arrestierten
Forderungen treuhänderisch für die Arrestschuldner.

    B.- Am 12. Februar 1954 fiel die Mobiliare Verkehrs AG in Konkurs. Die
Pragma AG meldete in diesem Verfahren Forderungen von etwas mehr als
Fr. 600 000.-- an. Das Betreibungsamt Glarus schrieb dem Konkursamt
Zürich-Altstadt am 18. März 1954:

    "Das Betreibungsamt Glarus-Riedern hat bei der Pragma AG in Glarus
am 23. Juni 1950 mit Arrest belegt u.a.:

    Forderung gegen Mobiliare Verkehrs AG Zürich  Fr. 66'500.--
          do.     " 140'000.-- do.     USA $ 56'000.-- do.     "  27'800.--

    Wir ersuchen Sie höfl. um Kollozierung. Diesem Schreiben fügen wir noch
zu Ihrer Orientierung die Kopie der Notifikation vom 23. Juni 1950 bei."

    Im Kollokationsplan, wo die von der Pragma AG angemeldeten Forderungen
teils zugelassen, teils abgewiesen wurden, merkte das Konkursamt in einer
"Nota" den Arrest vor. Der von der Pragma AG gegen die Konkursmasse
eingeleitete Kollokationsprozess endigte mit einem Vergleich, wonach die
Pragma AG mit einer Forderung von Fr. 496'801.30 in 5. Klasse endgültig
kolloziert wurde. Als das Konkursamt sich weigerte, der Pragma AG die
auf diesen Betrag entfallende Abschlagsdividende von 12% auszuzahlen,
solange das Betreibungsamt Glarus die Sperre nicht aufgehoben habe, und
dieses einem Gesuch um Widerruf der Sperre nicht stattgab, führte die
Pragma AG am 24. Februar 1956 gegen das Konkursamt und am 26. Februar
1956 gegen das Betreibungsamt Beschwerde.

    Mit der ersten Beschwerde verlangte sie, das Konkursamt sei anzuweisen,
ihr die erwähnte Abschlagsdividende auszuzahlen. Die obere Aufsichtsbehörde
des Kantons Zürich erledigte diese Beschwerde mit Entscheid vom 16. Mai
1956, der rechtskräftig wurde, teils durch Nichteintreten, teils durch
Abweisung.

    Die zweite Beschwerde enthielt das Begehren, "das Betreibungsamt Glarus
sei anzuweisen, seinen Anspruch auf die Auszahlung einer Konkursdividende
auf das Guthaben der Beschwerdeführerin im Konkurs über die Mobiliare
Verkehrs AG, Zürich, zurückzuziehen". Die untere Aufsichtsbehörde des
Kantons Glarus wies sie am 6. August 1956 ab mit der Begründung, das
Schreiben des Betreibungsamtes an das Konkursamt vom 18. März 1954 stelle
lediglich eine Arrestanzeige im Sinne von Art. 275 und 99 SchKG dar;
die Arrestierung der streitigen Guthaben, von denen die Arrestgläubiger
behaupten, dass sie in Wirklichkeit den Arrestschuldnern gehören, sei
zulässig; die Frage, wem die arrestierten Guthaben zustehen, sei im
Widerspruchsverfahren abzuklären; da dasBetreibungsamt einen Anspruch
auf Auszahlung einer Konkursdividende gar nie erhoben habe, könne er auch
nicht zurückgezogen werden.

    C.- Am 11. August 1956 zog die Pragma AG diesen Entscheid an die obere
kantonale Aufsichtsbehörde weiter mit dem Begehren, "das Betreibungsamt
Glarus sei anzuweisen, dem Konkursamt Zürich-Altstadt mitzuteilen, dass
seine Notifikation vom 18. März 1954 mit Bezug auf die Forderung der
Rekurrentin an die Konkursmasse der Mobiliare Verkehrs AG gegenstandslos
ist, bzw. einer Auszahlung der auf diese Forderung entfallenden Dividende
an die Rekurrentin zuzustimmen". Die obere kantonale Aufsichtsbehörde hat
am 23. August 1956 erkannt, auf die Beschwerde (d.h. auf den Rekurs) werde
nicht eingetreten, weil das in zweiter Instanz gestellte Rechtsbegehren
ganz anders laute und weiter gehe als der ursprüngliche Beschwerdeantrag
und das massgebende kantonale Verfahrensrecht die Änderung und Erweiterung
eines Rechtsbegehrens nicht gestatte, und weil die Rekursbegründung zudem
neue Behauptungen enthalte, was ebenfalls unzulässig sei.

    D.- Gegen diesen Entscheid hat die Pragma AG an das Bundesgericht
rekurriert mit dem Antrag, die Notifikation des Betreibungsamtes Glarus an
das Konkursamt Zürich-Altstadt vom 18. März 1954 sei aufzuheben, eventuell
sei die Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Von Art. 18 SchKG abgesehen, enthält das Bundesrecht
keine besondern Bestimmungen über die Weiterziehung an die obere
kantonale Aufsichtsbehörde. Die Praxis nimmt an, die Zulassung neuer
Vorbringen dürfe im kantonalen Beschwerde- und Rekursverfahren nicht an
strengere Voraussetzungen geknüpft werden, als Art. 79 OG sie für die
bundesgerichtliche Instanz aufstellt (BGE 73 III 33). Anderseits folgt
aus Art. 17 SchKG, dass vor der zweiten Instanz nicht eine Verfügung
angefochten werden kann, die mangels Anfechtung durch Beschwerde an die
untere Aufsichtsbehörde rechtskräftig geworden ist. Unter Vorbehalt dieser
Regeln ist es grundsätzlich Sache des kantonalen Rechts, das kantonale
Weiterziehungsverfahren zu ordnen und insbesondere zu bestimmen, ob vor der
obern kantonalen Aufsichtsbehörde neue Begehren, Tatsachen, Bestreitungen
und Beweismittel angebracht werden dürfen. Die Anwendung des kantonalen
Rechts kann das Bundesgericht nicht überprüfen (vgl. Art. 81 in Verbindung
mit Art. 43 OG). Die Annahme der Vorinstanz, dass die Rekurrentin das
ursprüngliche Beschwerdebegehren nach glarnerischem Verfahrensrecht vor
der obern kantonalen Aufsichtsbehörde nicht habe ändern oder erweitern
dürfen, ist demnach für das Bundesgericht verbindlich. Wenn die Rekurrentin
in zweiter Instanz wirklich ein anderes Begehren gestellt hätte als in
der Beschwerde an die untere Aufsichtsbehörde, so wäre zu sagen, dass
sie Gelegenheit gehabt hätte, dieses Begehren schon vor erster Instanz
anzubringen, so dass die Anwendung des kantonalen Verbots der Änderung
der Rechtsbegehren nicht gegen die Regel verstiesse, dass das kantonale
Recht hinsichtlich der Zulassung neuer Vorbringen nicht strenger sein
darf als Art. 79 OG.

    Das Bundesgericht kann aber in jedem Fall untersuchen, welches der
Sinn der Anträge sei, die mit der Beschwerde und mit dem kantonalen Rekurs
gestellt wurden, da die Prüfung dieser Frage zur materiellen Beurteilung
der ihm durch Rekurs nach Art. 19 SchKG unterbreiteten Beschwerdesache
gehört. Massgebend ist dabei nicht einfach der Wortlaut der Anträge,
sondern die Bedeutung, die diesen angesichts der gegebenen Umstände
vernünftigerweise beizulegen ist (vgl. BGE 82 II 178). Betrachtet man die
Anträge der Rekurrentin von diesem Gesichtspunkt aus, so ergibt sich, dass
von einer Änderung und Erweiterung des ursprünglichen Beschwerdebegehrens
nicht die Rede sein kann. Was die Rekurrentin letzlich erreichen wollte
und noch will, ist unzweifelhaft die Auszahlung der auf die Forderung von
Fr. 496'801.30 entfallenden Abschlagsdividende an sie. Deshalb suchte
sie im kantonalen Verfahren von Anfang an den Widerruf der Mitteilung
des Betreibungsamtes an das Konkursamt vom 18. März 1954 zu bewirken,
derentwegen das Konkursamt die verlangte Auszahlung verweigerte. Da
sie zunächst annahm, das Betreibungsamt erhebe seinerseits Anspruch auf
Auszahlung der streitigen Dividende, welche Auffassung angesichts des
letzten Absatzes des Schreibens vom 18. März 1954 durchaus vertretbar
war, verlangte sie vor erster Instanz, das Betreibungsamt sei anzuweisen,
diesen Anspruch zurückzuziehen. Als dann die untere Aufsichtsbehörde die
Mitteilung vom 18. März 1954 als Arrestanzeige qualifizierte, stellte die
Rekurrentin vor zweiter Instanz wie nachher vor Bundesgericht einen Antrag,
der dem Sinne nach auf Annullierung dieser Anzeige geht. Sachlich lag darin
keine Abweichung vom ursprünglichen Begehren. Gewechselt haben nur die
Bezeichnung der Verfügung, deren Beseitigung die Rekurrentin anstrebt, und
die Worte, mit denen sie ihr Verlangen nach dem Widerruf dieser Verfügung
zum Ausdruck brachte. Indem die Vorinstanz auf die Unterschiede im Wortlaut
der Anträge abstellte, ohne ihren übereinstimmenden Sinn zu beachten,
verschrieb sie sich einem unzulässigen Formalismus. Sie hätte also auf den
Rekurs eintreten sollen. Ihr Nichteintretensentscheid bedeutet geradezu
eine Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 SchKG, gegen die nach
dieser Bestimmung jederzeit Beschwerde geführt werden kann (BGE 80 III 96).

Erwägung 2

    2.- Lehnt die kantonale Aufsichtsbehörde die materielle Behandlung
eines Begehrens zu Unrecht ab, so kommt es normalerweise zu einer
Rückweisung. Diese Massnahme erübrigt sich jedoch im vorliegenden Falle,
weil die Sache spruchreif ist. Die Forderungen, welche die Rekurrentin
gegen die Mobiliare Verkehrs AG zu haben behauptet und in deren Konkurs
angemeldet hat, sind arrestiert worden, weil die Arrestgläubiger geltend
machten, dass sie in Wirklichkeit nicht der Rekurrentin, sondern den
Arrestschuldnern zustehen. Wie die obere Aufsichtsbehörde des Kantons
Zürich in ihrem Entscheid vom 16. Mai 1956 zutreffend ausgeführt hat,
ist es zulässig, Guthaben zu arrestieren, die zwar auf den Namen eines
Dritten lauten, aber nach den Behauptungen des Arrestgläubigers dem
Arrestschuldner gehören, und muss in einem solchen Falle die Frage, wem
die arrestierte Forderung zustehe, im Widerspruchsverfahren abgeklärt
werden (BGE 63 III 67, 80 III 90 Erw. 4, 82 III 70 Abs. 2). Solange dieses
Verfahren schwebt, bleibt der Arrest (unter Vorbehalt des Hinfalls nach
Art. 278 Abs. 4 SchKG) aufrecht und muss daher auch die gegenüber dem
Schuldner der arrestierten Forderung verfügte Sperre bestehen bleiben. Die
Beschwerde der Rekurrentin ist demnach unbegründet. Die von ihr angerufenen
Entscheide BGE 54 III Nr. 36 (wo es sich um die Pfändbarkeit eines
Guthabens und um die amtliche Verwahrung arrestierter und von einem
Dritten zu Eigentum angesprochener körperlicher Gegenstände handelte)
und BGE 60 III Nr. 37 (der die Arrestierung von Wertpapieren bei einem
den Gewahrsam bestreitenden Dritten betraf und übrigens durch BGE 63 III
65 ff. überholt ist) haben mit dem vorliegenden Falle nichts zu tun.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.