Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 12



82 III 12

4. Entscheid vom 21. Februar 1956 i.S. Amberg. Regeste

    Betreibungsort des Wohnsitzes (Art. 46 Abs. 1 SchKG).  Mangelnder
fester Wohnsitz (Art. 48 SchKG)? Wohnsitz einer Seminaristin (Art.
26 ZGB).

Sachverhalt

    Fräulein Amberg, geb. 1933, wohnte bis zum Oktober 1955 in Engelberg,
wo ihre verstorbenen Eltern gelebt hatten und ihr Bruder eine Apotheke
betreibt. Seither besucht sie das Seminar für Zeichen-, Schreib- und
Handarbeitslehrer an der Allgemeinen Gewerbeschule in Basel und wohnt dort
als Pensionärin im Hedwigsheim. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1955 ersuchte
sie die Gemeindekanzlei Engelberg, ihr ihren Heimatschein zu schicken,
da sie für einen mehrjährigen Aufenthalt in Basel eine Abschrift davon
benötige. In Basel wurde ihr eine Aufenthaltsbewilligung erteilt.

    Mit Zahlungsbefehl Nr. 78796 des Betreibungsamtes Basel-Stadt vom 16.
Dezember 1955 betrieb die Ausgleichskasse des Kantons Obwalden Fräulein
Amberg für einen persönlichen AHV-Beitrag von Fr. 184.80, den sie als
Kollektivgesellschafterin der Apotheke Engelberg, Dr. K. Amberg's Erben,
pro 1949 schulde. Hierauf führte die Betriebene Beschwerde mit dem Antrag,
diese Betreibung sei wegen örtlicher Unzuständigkeit des Betreibungsamtes
Basel-Stadt aufzuheben. Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde
am 8. Februar 1956 abgewiesen.

    Diesen Entscheid hat die Betriebene an das Bundesgericht weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Nach Art. 46 Abs. 1 SchKG ist der Schuldner an seinem Wohnsitz
zu betreiben. Hierunter ist, wie die Vorinstanz zutreffend annimmt,
grundsätzlich der zivilrechtliche Wohnsitz zu verstehen. Der Vorinstanz ist
auch darin beizustimmen, dass von diesem Grundsatz eine Ausnahme gilt, wenn
der Schuldner seinen bisherigen Wohnsitz aufgegeben hat, ohne einen neuen
zu begründen. In einem solchen Falle kommt nicht Art. 24 Abs. 1 ZGB zur
Anwendung, wonach der einmal begründete Wohnsitz bis zum Erwerb eines neuen
Wohnsitzes bestehen bleibt, sondern ist der Schuldner dort zu betreiben, wo
er sich aufhält (BGE 57 III 174, 65 III 103 f., 68 III 50, 72 III 40). Im
vorliegenden Falle kann jedoch entgegen der Auffassung der Vorinstanz
nicht die Rede davon sein, dass die Schuldnerin eines festen Wohnsitzes
entbehre. Die Vorinstanz geht selber davon aus, dass die Rekurrentin
bis zum Oktober 1955 in Engelberg Wohnsitz hatte. Diesen Wohnsitz hat sie
keineswegs aufgegeben, indem sie sich zum Besuch einer Schule nach Basel
begab und der Gemeindekanzlei Engelberg mitteilte, sie benötige für einen
mehrjährigen Aufenthalt in Basel eine Abschrift des Heimatscheins. Gemäss
Art. 26 ZGB, dessen Anwendung das SchKG nicht ausschliesst (vgl. JAEGER
N. 3 zu Art. 46 SchKG), begründet der Aufenthalt an einem Orte zum Zwecke
des Besuchs einer Lehranstalt keinen Wohnsitz. Die Kehrseite davon ist,
dass Personen, die sich lediglich zum Besuch einer solchen Anstalt an
einen andern Ort begeben, damit in aller Regel den bisherigen Wohnsitz
nicht aufgeben. Sie tun dies auf jeden Fall dann nicht, wenn sie am
bisherigen Wohnort bei ihren Angehörigen lebten und während der Ferien zu
diesen zurückzukehren pflegen. So verhält es sich nach den Feststellungen
der Vorinstanz bei der Rekurrentin. Sie kehrt nicht nur in den Ferien,
sondern auch etwa über das Wochenende nach Engelberg zurück. Dass sie
sich nicht bloss zwecks Schulbesuchs, sondern auch noch zu andern Zwecken
in Basel aufhalte, nimmt die Vorinstanz selber nicht an. Die Dauer des
Studienaufenthalts ist für die Beurteilung der Wohnsitzfrage unerheblich;
ein solcher Aufenthalt erstreckt sich der Natur der Sache nach häufig
auf mehrere Jahre. Auch die Tatsache, dass die Rekurrentin in Basel, um
den polizeilichen Meldevorschriften zu genügen, ihren Heimatschein oder
eine Abschrift davon hinterlegt hat, ist unter den gegebenen Umständen
kein Indiz dafür, dass sie den Wohnsitz in Engelberg aufgegeben habe. Sie
hat also ohne jeden Zweifel noch an diesem letzten Orte Wohnsitz, so dass
das Betreibungsamt Basel-Stadt örtlich unzuständig ist.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    In Gutheissung des Rekurses werden der angefochtene Entscheid und
die Betreibung Nr. 78796 des Betreibungsamtes Basel-Stadt aufgehoben.