Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 531



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Urteilskopf

139 V 531

71. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. M. gegen
Dienststelle für Industrie, Handel und Arbeit des Kantons Wallis (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_21/2013 vom 30. Oktober 2013

Regeste

Art. 68 und 70 AVIG; Wochenaufenthalterbeiträge.
Zwischen der Arbeitslosigkeit und der auswärtigen Arbeitsaufnahme muss ein
Kausalzusammenhang gegeben sein (E. 3.2.2.1).
Für die Beibehaltung der auswärtigen Stelle bzw. des damit verbundenen
Wochenaufenthalterdaseins über sechs Monate hinaus können in einer neuen
Rahmenfrist für den Leistungsbezug keine weiteren Wochenaufenthalterbeiträge
zugesprochen werden, falls in der vorherigen Rahmenfrist bereits während sechs
Monaten Wochenaufenthalterbeiträge ausgerichtet wurden (E. 3.2.2.2).

Sachverhalt ab Seite 532

BGE 139 V 531 S. 532

A. Der 1984 geborene, im Wallis wohnhafte M. ist ausgebildeter Koch. Während
der vom 3. April 2008 bis 2. April 2010 laufenden Rahmenfrist für den Bezug von
Arbeitslosentaggeldern fand er eine vom 14. September 2009 bis 13. September
2010 befristete Anstellung als Commis pâtissier im Hotel X. im Kanton Zürich
und bezog ein Zimmer bei seinem Arbeitgeber. Mit Verfügung vom 11. November
2009 bewilligte das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum Oberwallis (RAV)
Wochenaufenthalterbeiträge für die Zeit vom 14. September 2009 bis 13. März
2010 in der Höhe von Fr. 4'393.80. Innerhalb der weiteren Rahmenfrist für den
Leistungsbezug vom 3. April 2010 bis 2. April 2012 beantragte M. unter Hinweis
auf den neuen, für die Zeit vom 1. September 2010 bis 31. August 2011
abgeschlossenen Arbeitsvertrag mit dem Hotel X. die Ausrichtung weiterer
Wochenaufenthalterbeiträge (Gesuch vom 3. April 2010). Das RAV lehnte dieses
Gesuch ab (Verfügung vom 7. Oktober 2010). In Ablehnung der dagegen geführten
Einsprache vom 8. November 2010 bestätigte die Dienststelle für Industrie,
Handel und Arbeit des Kantons Wallis (DIHA) die Verfügung vom 7. Oktober 2010
mit der Begründung, M. habe zur Zeit der Gesuchseinreichung am 27. September
2010 noch für das Hotel X. gearbeitet, weshalb es für die Bewilligung einer
arbeitsmarktlichen Massnahme an der Voraussetzung der Arbeitslosigkeit gefehlt
habe (Einspracheentscheid vom 19. August 2011).

B. Das Kantonsgericht Wallis wies die gegen den Einspracheentscheid vom 19.
August 2011 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 12. November 2012).

C. M. führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
sinngemässen Rechtsbegehren, es seien ihm in der Rahmenfrist vom 3. April 2010
bis 2. April 2012 Wochenaufenthalterbeiträge zuzusprechen und die Sache sei zur
masslichen Festlegung der Beiträge an das RAV zurückzuweisen.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.
BGE 139 V 531 S. 533
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
( Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 68 AVIG (SR 837.0) werden Pendlerkosten- oder
Wochenaufenthalterbeiträge gewährt, wenn den Versicherten in ihrer
Wohnortsregion keine zumutbare Arbeit vermittelt werden kann und sie die
Beitragszeit nach Artikel 13 AVIG erfüllt haben (Abs. 1). Die betroffenen
Versicherten erhalten die Beiträge innerhalb der Rahmenfrist während längstens
sechs Monaten (Abs. 2). Sie erhalten nur so weit Beiträge, als ihnen im
Vergleich zu ihrer letzten Tätigkeit durch die auswärtige Arbeit finanzielle
Einbussen entstehen (Abs. 3). Der Beitrag an Wochenaufenthalter deckt Kosten,
die dem Versicherten dadurch entstehen, dass er nicht täglich an seinen Wohnort
zurückkehren kann. Er setzt sich zusammen aus einer Pauschalentschädigung für
die auswärtige Unterkunft und den Mehrkosten der Verpflegung sowie aus dem
Ersatz der nachgewiesenen notwendigen Kosten für eine Fahrt pro Woche vom
Wohnort an den Arbeitsort und zurück (Art. 70 AVIG).

3. (...)

3.2 (...)

3.2.2 Gemäss Rz. L11 des Kreisschreibens des Staatssekretariates für Wirtschaft
(SECO) über die arbeitsmarktlichen Massnahmen, gültig ab Januar 2008 (KS AMM
http://www.treffpunkt-arbeit.ch/publikationen/kreisschreiben), kann die
Massnahme (Wochenaufenthalterbeitrag) nur einmal pro Rahmenfrist gewährt
werden, wobei die Möglichkeit besteht, einen die Gesamtleistungsdauer von sechs
Monaten nicht übersteigenden Beitrag zu gewähren, der sich über beide
Rahmenfristen erstreckt, falls eine neue Rahmenfrist für den Leistungsbezug
eröffnet wird. Es ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, dass vorliegend
einzig zu prüfen ist, ob er in der Leistungsrahmenfrist vom 3. April 2010 bis
2. April 2012 wiederum Anspruch auf Wochenaufenthalterbeiträge hat, und sich
die Frage gar nicht stellt, ob sich die Massnahme im Sinne des KS AMM auf zwei
Rahmenfristen erstrecken könnte. Denn die sechsmonatige Bezugsdauer für
Wochenaufenthalterbeiträge fiel vollständig in die letzte Leistungsrahmenfrist
vom 3. April 2008 bis 2. April 2010, und der Versicherte möchte für die neue
Leistungsrahmenfrist Beiträge für weitere sechs Monate beziehen. Der Verweis
der Vorinstanz auf das KS AMM bezieht sich allerdings nicht darauf,
BGE 139 V 531 S. 534
sondern auf die in Rz. L11 erwähnte Gesamtleistungsdauer von sechs Monaten. Das
kantonale Gericht geht davon aus, dass der Anspruch auf die arbeitsmarktliche
Massnahme mit Blick auf den Bezug von Wochenaufenthalterbeiträgen vom 14.
September 2009 bis 13. März 2010 in der früheren Leistungsrahmenfrist (3. April
2008 bis 2. April 2010) auch für die neue Leistungsrahmenfrist zu verneinen
sei. Der Versicherte verkennt in der Tat, dass sich dieser sechsmonatige Bezug
von Wochenaufenthalterbeiträgen in der vorliegenden Konstellation auch in der
neuen Leistungsrahmenfrist vom 3. April 2010 bis 2. April 2012 auszuwirken
vermag. Er weist in seiner Beschwerde selber darauf hin, dass Sinn und Zweck
der Wochenaufenthalterbeiträge der finanzielle Anreiz bildet, trotz Mehrkosten
auch eine auswärtige Tätigkeit zur Schadenminderung anzunehmen. Dieser Anreiz
ist für den Stellenantritt im Hotel X. auf den 14. September 2009
unbestrittenermassen (zumindest) mitverantwortlich gewesen. Da die Verwaltung
auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen bejahte, wurden dem Versicherten die
Wochenaufenthalterbeiträge daraufhin während sechs Monaten ausgerichtet
(Verfügung vom 11. November 2009).

3.2.2.1 Der Argumentation des Beschwerdeführers kann insofern gefolgt werden,
als ein erneuter Anspruch auf Wochenaufenthalterbeiträge in einer unmittelbar
folgenden Leistungsrahmenfrist nicht generell ausgeschlossen ist. Dabei muss
allerdings die ratio legis beachtet werden. Mit dem Institut des
Pendlerkostenbeitrages sollen Versicherte, denen in der Wohnortsregion keine
zumutbare Arbeit zugewiesen werden konnte, ermuntert werden, eine auswärtige
Arbeit anzunehmen (ARV 1987 S. 44, C 127/86 E. 3b). Für den
Wochenaufenthalterbeitrag gilt dies aufgrund der gemeinsamen gesetzlichen
Regelung (Art. 68 Abs. 2 AVIG; E. 2 hiervor) ebenso. Bezüger von Pendlerkosten-
und Wochenaufenthalterbeiträgen sollen durch die Arbeitsannahme ausserhalb
ihres Wohnortes nicht benachteiligt werden; sie sollen aber gegenüber den
anderen Arbeitnehmern, die auch auswärts arbeiten, nicht auf längere Dauer
bessergestellt werden (Botschaft vom 2. Juli 1980 zu einem neuen Bundesgesetz
über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die
Insolvenzentschädigung, BBl 1980 III 489, 617 Ziff. 325.2 zu Art. 70 E-AVIG).
Die Befristung der Wochenaufenthalterbeiträge auf sechs Monate bildet somit ein
Korrektiv, damit auf längere Sicht keine Bevorzugung gegenüber den andern
auswärts tätigen Arbeitnehmenden entsteht (THOMAS NUSSBAUMER,
Arbeitslosenversicherung, in:
BGE 139 V 531 S. 535
Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2417 Rz. 804).
Anspruchsberechtigt im Sinne von Art. 68 Abs. 1 AVIG können nur Arbeitslose
oder allenfalls noch Versicherte sein, die unmittelbar nach dem Verlust ihrer
Stelle ausserhalb ihrer Wohnortsregion eine neue Arbeit annehmen (DIETER
FREIBURGHAUS, Präventivmassnahmen gegen die Arbeitslosigkeit in der Schweiz,
1987, S. 158). Zwischen der Arbeitslosigkeit und der auswärtigen
Arbeitsaufnahme muss demzufolge ein Kausalzusammenhang gegeben sein.

3.2.2.2 Die auswärtige Arbeitsaufnahme fand bereits am 14. September 2009
statt. Weder kann mit der Eröffnung der Rahmenfrist auf den 3. April 2010 noch
mit dem Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages für die Zeit ab
1. September 2010 eine neue auswärtige Arbeitsaufnahme angenommen werden. Fest
steht, dass der Beschwerdeführer am 3. April 2010 schon in einem gemäss
Arbeitsvertrag vom 1. September 2009 bis 13. September 2010 befristeten
Arbeitsverhältnis mit dem Hotel X. stand und am 26. Juli 2010 in ein weiteres
befristetes Arbeitsverhältnis (vom 1. September 2010 bis 31. August 2011)
einwilligte. Das kantonale Gericht verneint deshalb in Bezug auf die
Rahmenfrist für den Leistungsbezug ab 3. April 2010 bereits das Erfordernis der
Arbeitslosigkeit. Wie es sich damit verhält, ist nicht ausschlaggebend. Es
erübrigt sich auch, auf die Diskussion des kantonalen Gerichts und des
Beschwerdeführers bezüglich Einordnung des erzielten Lohnes beim auswärtigen
Arbeitgeber unter die Regeln des Zwischenverdienstes einzugehen. Denn der
Beschwerdeführer hatte zur Zeit seines zweiten Gesuchs um arbeitsmarktliche
Massnahmen seine auswärtige Tätigkeit bereits aufgenommen und für diese während
der Maximaldauer von sechs Monaten Wochenaufenthalterbeiträge bezogen. Die
Perpetuierung der selben Anstellung kann nicht mit Massnahmen unterstützt
werden, welche als Überbrückungshilfe gedacht sind. Es ist mit dem kantonalen
Gericht einig zu gehen, dass die vom Gesetzgeber auf sechs Monate begrenzte
Unterstützungszeit von der versicherten Person dazu zu nutzen ist, sich zu
entscheiden, entweder am neuen Arbeitsplatz ihren neuen Wohnsitz zu begründen
oder am bisherigen Wohnort eine neue Beschäftigung zu suchen, um so effizient
und nachhaltig die eigene Arbeitslosigkeit mit guten Erfolgschancen für die
Zukunft überwinden zu können. Die Niederlassungsfreiheit wird durch diese
Begrenzung nicht verletzt, da sich daraus kein Recht der einzelnen Person
ableiten lässt, an jedem frei ausgewählten Wohnort eine geeignete Arbeitsstelle
zur Verfügung
BGE 139 V 531 S. 536
zu haben bzw. bei auswärtiger Arbeit (dauerhaft) finanziell unterstützt zu
werden. In der Botschaft wird zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die
durch die speziellen Massnahmen der Arbeitslosenversicherung verbesserte
geografische Mobilität und die bessere Ausschöpfung vorhandener
Arbeitsmöglichkeiten nicht zu einer Entleerung von Regionen und einer
Verstärkung der vorhandenen Ballungstendenzen führen dürfe (BBl 1980 III 616 zu
Art. 68 E-AVIG). Deshalb wurde die Auszahlung der Entschädigungen an strenge
Voraussetzungen gebunden und in zeitlicher Hinsicht auf sechs Monate begrenzt.
Die Bejahung eines Anspruchs auf Wochenaufenthalterbeiträge innert der
Leistungsrahmenfrist vom 3. April 2010 bis 2. April 2012 hätte eine
ungerechtfertigte und vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Besserstellung des
Beschwerdeführers im Vergleich zu andern dauerhaft auswärts tätigen
Arbeitnehmenden zur Folge. Für die Beibehaltung der auswärtigen Stelle bzw. des
damit verbundenen Wochenaufenthalterdaseins über sechs Monate hinaus (vgl. Art.
95 Abs. 1 i.V.m. Art. 81e Abs. 1 AVIV [SR 837.02]) können in der neuen
Rahmenfrist für den Leistungsbezug keine Wochenaufenthalterbeiträge mehr
zugesprochen werden, da in der vorherigen Rahmenfrist bereits während sechs
Monaten Wochenaufenthalterbeiträge ausgerichtet wurden.