Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 358



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Urteilskopf

139 V 358

47. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen gegen B. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_20/2013 vom 26. Juni 2013

Regeste

Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 5 lit. h, Art. 10 und 11 ELG; Art. 25a Abs. 1 ELV;
Heimdefinition.
Die Definition des Heimes in Art. 25a Abs. 1 ELV ist bundesrechtskonform. Ob
ein Heimaufenthalt im Sinne des EL-Rechts gegeben ist, bestimmt sich danach, ob
eine Einrichtung von einem Kanton als Heim anerkannt wird oder über eine
kantonale Betriebsbewilligung verfügt (E. 2.3-5).
Die Rechtsprechung unter dem früheren EL-Recht (BGE 118 V 142) ist überholt (E.
4.5).

Sachverhalt ab Seite 359

BGE 139 V 358 S. 359

A.

A.a Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (nachfolgend: SVA)
sprach der 2004 geborenen B. ab 1. Mai 2004 eine monatliche Ergänzungsleistung
(EL) zu (Verfügung vom 22. Juli 2004). Es handelte sich dabei um einen
Teilanspruch der ihrer Mutter, Bezügerin einer Invalidenrente, zustehenden
Ergänzungsleistungen. Die IV richtete der Mutter zudem für die in einem Heim
lebende Tochter eine Kinderrente aus. Am 21. Februar 2006 übersiedelte B. zu
Pflegeeltern. Die SVA berechnete die Ergänzungsleistungen ab März 2006 neu,
dies in der Annahme, das Kind sei fortan eine Nichtheimbewohnerin. Im Januar
2009 verstarb die Mutter. Seit 1. Februar 2009 bezieht B. (deren Vater
unbekannt ist) eine Vollwaisenrente der AHV und dazu eine EL.

A.b Mit Verfügung vom 9. Juni 2011 setzte die SVA den EL-Anspruch ab 1. Mai
2011 auf monatlich Fr. 572.- fest. Der Vormund von B. erhob Einsprache. Die
Durchführungsstelle drohte eine reformatio in peius an, da bei der Festsetzung
der EL jeweils zu hohe Mietausgaben berücksichtigt worden seien. B. hielt an
der Einsprache fest. Die SVA wies diese mit Entscheid vom 4. November 2011 ab.
Sie legte den EL-Anspruch ab Mai 2011 auf monatlich Fr. 319.- fest.

B. Soweit es darauf eintrat, hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen die von B. hiegegen erhobene Beschwerde gut. Es hob den
Einspracheentscheid auf und wies die Sache zur Neuberechnung des Anspruches ab
1. Mai 2011 an die SVA zurück. Dazu erwog es, eine Pflegefamilie mit
behördlicher Bewilligung sei von Bundesrechts wegen als heimähnliche
Institution zu betrachten; die
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SVA habe die ab Mai 2011 festzusetzende Ergänzungsleistung für B. als
Heimbewohnerin zu berechnen (Entscheid vom 11. Dezember 2012).

C. Die SVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie
beantragt die Aufhebung des kantonalen Entscheides und Bestätigung des
Einspracheentscheides.
B. schliesst auf Abweisung der Beschwerde und ersucht um unentgeltliche
Prozessführung vor dem Bundesgericht. Vorinstanz und Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Nach Art. 112a BV richten Bund und Kantone Ergänzungsleistungen aus an
Personen, deren Existenzbedarf durch die Leistungen der Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung nicht gedeckt ist (Abs. 1). Das
Gesetz legt den Umfang der Ergänzungsleistungen sowie die Aufgaben und
Zuständigkeiten von Bund und Kantonen fest (Abs. 2).

2.2 Gemäss Art. 2 Abs. 1 ELG (SR 831.30) gewähren der Bund und die Kantone
Personen, welche die Voraussetzungen nach den Art. 4-6 ELG erfüllen,
Ergänzungsleistungen zur Deckung ihres Existenzbedarfs. Nach Art. 4 Abs. 1 lit.
a^bis ELG haben Personen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der
Schweiz Anspruch auf Ergänzungsleistungen, wenn sie Anspruch auf eine
Waisenrente der AHV haben. Aufgrund von Art. 9 Abs. 1 ELG entspricht die
jährliche Ergänzungsleistung dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben (Art.
10 ELG) die anrechenbaren Einnahmen (Art. 11 ELG) übersteigen. Für in Heimen
oder Spitälern wohnende Personen sind dazu in Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2
ELG spezielle Regelungen getroffen worden. So wird gemäss Art. 10 Abs. 2 ELG
die Tagestaxe als Ausgabe anerkannt; die Kantone können die Kosten begrenzen,
die wegen des Aufenthaltes in einem Heim oder Spital berücksichtigt werden; sie
sorgen dafür, dass durch den Aufenthalt in einem anerkannten Pflegeheim in der
Regel keine Sozialhilfe-Abhängigkeit begründet wird (lit. a).

2.3 Nach Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG bestimmt der Bundesrat die Definition des
Heimes. Auf dieser - weiten - Delegationsgrundlage hat er in Art. 25a Abs. 1
ELV (SR 831.301) geregelt, dass als Heim jede
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Einrichtung gilt, die von einem Kanton als Heim anerkannt wird oder über eine
kantonale Betriebsbewilligung verfügt.

3. Die Beschwerdegegnerin hat als Bezügerin einer Waisenrente der AHV einen
gesetzlichen Anspruch auf EL zur Deckung ihres Existenzbedarfs (E. 2.2).
Streitig und zu prüfen ist, ob die in einer Pflegefamilie betreute Bezügerin
bei der Berechnung der Anspruchshöhe als zu Hause lebende Person (Art. 10 Abs.
1 ELG) oder als Person, die dauernd oder längere Zeit in einem Heim lebt (Art.
10 Abs. 2 ELG), zu betrachten ist.

3.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis
einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung
hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm
darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte
Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge,
ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das
Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich
ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Ordnung zu
unterstellen. Die Gesetzesmaterialien können beigezogen werden, wenn sie auf
die streitige Frage eine klare Antwort geben (BGE 136 III 23 E. 6.6.2.1 S. 37;
BGE 136 V 195 E. 7.1 S. 203; BGE 135 V 50 E. 5.1 S. 53; BGE 134 II 308 E. 5.2
S. 311). Verordnungsrecht ist gesetzeskonform auszulegen. Es sind die
gesetzgeberischen Anordnungen, Wertungen und der in der Delegationsnorm
eröffnete Gestaltungsspielraum mit seinen Grenzen zu berücksichtigen (BGE 137 V
167 E. 3.3 S. 170 f. mit Hinweisen).

3.2 Wie die Vorinstanz bei der Prüfung der konkreten Verhältnisse anhand der
kantonalrechtlichen Gegebenheiten festgestellt hat, ist die Pflegefamilie vom
Kanton nicht als Heim anerkannt und verfügt auch nicht über eine kantonale
Betriebsbewilligung. Demnach lebe die Beschwerdegegnerin nicht in einem Heim
nach Art. 25a Abs. 1 ELV. Jedoch sei der Bundesrat hier mit der Heimdefinition
der gesetzgeberischen Vorgabe in Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG (vorne E. 2.3) nicht
nachgekommen. In der Botschaft vom 7. September 2005 zur
Ausführungsgesetzgebung zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der
Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA; BBl 2005 6029 ff.) sei zum
entsprechenden Artikel ausdrücklich festgehalten worden, es müsse einheitlich
definiert sein,
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was ein Heim ist; denn dies sei wesentlich bei Kantonswechseln der
EL-beziehenden Person (BBl 2005 6228 Ziff. 2.9.8.3 zu Art. 9 Abs. 5 Bst. h
E-ELG). Bei dieser gesetzgeberischen Vorgabe könne es nicht angehen, in der
Verordnung die Heimdefinition an die Kantone weiterzudelegieren und ihnen, ohne
wenigstens grobe Rahmenbedingungen zu setzen, dabei gänzlich freie Hand zu
lassen. Es werde damit in Kauf genommen, dass auch äusserst restriktive
kantonale Regelungen toleriert würden, mit denen der verfassungsmässige
Anspruch auf Existenzsicherung unterschritten werde.
Da die ELV - so die Vorinstanz weiter - die bundesrechtlich geforderte
Definition des Heimbegriffs nicht ausreichend und in gesetzmässiger Art
normiere, habe dies die Rechtsprechung zu tun. Dazu seien die unter dem
früheren EL-Recht mit BGE 118 V 142 höchstrichterlich vorgegebenen Leitlinien
zur Abgrenzung der Heime oder heimähnlichen Institutionen nach wie vor
tauglich. Entscheidend sei hier auf die Heimbedürftigkeit der betreuten Person
und darauf abzustellen, ob die Institution jener in adäquater Weise zu genügen
vermöge. Dies beurteile sich vorab danach, ob die erforderlichen
organisatorischen, infrastrukturellen und personellen Voraussetzungen gegeben
seien. Die Einstufung als Heim oder heimähnliche Institution im Sinne des
Ergänzungsleistungsrechts könne auch dann erfolgen, wenn es (wie hier) an einer
Anerkennung oder Bewilligung nach kantonalem Heimrecht fehle. Die Vorinstanz
kam zum Schluss, die Pflegefamilie der Beschwerdegegnerin sei als Pflegefamilie
mit dafür erforderlicher behördlicher Bewilligung von Bundesrechts wegen als
heimähnliche Institution zu betrachten. Sie hob den Einspracheentscheid auf und
wies die Verwaltung an, die ab Mai 2011 festzusetzende Ergänzungsleistung für
die Beschwerdegegnerin als Heimbewohnerin zu berechnen.

3.3 Hiegegen wendet die Beschwerdeführerin ein, indem die Vorinstanz den vom
Bundesrat erlassenen Art. 25a ELV als gesetzwidrig beurteile und den Begriff
des Heims nach den Vorgaben von BGE 118 V 142 auf den konkreten Fall bezogen
auslege, verletze sie Bundesrecht. Diese Prüfung obliege seit dem Inkrafttreten
von Art. 25a ELV nicht mehr den Gerichten. Sie hätten sich vielmehr an den
Vorgaben der Kantone und deren Einstufungen zu orientieren. Im Bundesrecht
gelte im Bereich der AHV zudem eine analoge Regelung, indem gemäss Art. 66^bis
Abs. 3 AHVV (SR 831.101) als Heim im Sinne von Art. 43^bis Abs. 1^bis AHVG jede
Einrichtung gilt, die von einem Kanton als Heim anerkannt wird oder über eine
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kantonale Betriebsbewilligung als Heim verfügt. Das Bundesgericht habe mit
Urteil 9C_177/2012 vom 3. Juli 2012 E. 3 diese (im Wortlaut gleich wie Art. 25a
ELV ausgestaltete) Vorschrift als gesetzmässig geschützt und dabei
festgehalten, dass es bei der unmissverständlichen Definition auf
Verordnungsstufe nicht den Ausgleichskassen und Gerichten obliege, noch
materielle Gesichtspunkte zu prüfen. Analog beurteile sich auch im EL-Recht
allein nach formellen Kriterien, ob sich eine Person in einem Heim aufhält.
Verwaltung und Sozialversicherungsgericht hätten sich daran zu orientieren, ob
der Kanton eine Institution als Heim anerkannt oder dieser die
Betriebsbewilligung erteilt habe.

4.

4.1 Die im Rahmen der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der
Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) auf den 1. Januar 2008
erfolgte Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen hatte im Bereich der
EL-Gesetzgebung zur Folge, dass das bisherige Subventionsgesetz durch ein
Leistungsgesetz abgelöst wurde (BBl 2005 6031, Übersicht). Nach dem bis 31.
Dezember 2007 in Kraft gestandenen Art. 196 Ziff. 10 Übergangsbestimmungen zu
Art. 112 BV richtete der Bund den Kantonen Beiträge an die Finanzierung von
Ergänzungsleistungen aus, solange die eidgenössische AHV/IV den Rentnerinnen
und Rentnern den Existenzbedarf nicht deckte. Aufgrund des auf 1. Januar 2008
in Kraft gesetzten Art. 112a BV richten nun Bund und Kantone
Ergänzungsleistungen aus an Personen, deren Existenzbedarf durch die Leistungen
der AHV/IV nicht gedeckt ist, wobei das Gesetz den Umfang der
Ergänzungsleistungen sowie die Aufgaben und Zuständigkeiten von Bund und
Kantonen festlegt (E. 2.1).

4.2 Nach der Botschaft soll mit der Aufgabenneuverteilung die Deckung des
allgemeinen Existenzbedarfs der EL-Bezügerinnen und -Bezüger zu fünf Achteln
durch den Bund und zu drei Achteln durch die Kantone getragen werden. Die
Finanzierung ist in Art. 13 ELG geregelt, in welchem der eben genannte
Schlüssel mit Bezug auf die jährlichen Ergänzungsleistungen verankert ist (Abs.
1) und bestimmt wird, dass der Bund auch bei in Heimen oder Spitälern lebenden
Personen fünf Achtel der jährlichen Ergänzungsleistungen übernimmt, soweit die
in Art. 10 ELG vorgesehenen Beträge für den allgemeinen Lebensbedarf, den
höchstmöglichen Mietzins und die anerkannten Ausgaben durch die anrechenbaren
Einnahmen der EL-Bezügerinnen und -Bezüger nicht gedeckt sind (Abs. 2). Die
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mit dem Heim- oder Spitalaufenthalt in direktem Zusammenhang stehenden
Einnahmen werden dabei nicht berücksichtigt. Den Rest tragen die Kantone. Es
betrifft dies die EL zur Deckung zusätzlicher Heimkosten sowie der Krankheits-
und Behinderungskosten, welche vollständig zu Lasten der Kantone gehen. Die
Botschaft fasst die Teilentflechtung zwischen Bund und Kantonen wie folgt
zusammen: Existenzsicherung: 5/8 Bund und 3/8 Kantone; Vergütung der
Krankheits- und Behinderungskosten: 100 % Kantone. Dabei will der Bundesrat an
minimalen Handlungsspielräumen der Kantone festhalten (BBl 2005 6223 Ziff.
2.9.8.1.6). Die Kantone bestimmen selbstständig die Höhe der anrechenbaren
Heimtaxen und beeinflussen damit auch den von ihnen zu tragenden EL-Teil (BBl
2005 6224 Ziff. 2.9.8.2.2).

4.3 Nach der Botschaft muss einheitlich definiert sein, was ein Heim ist. Dies
ist wesentlich bei Kantonswechseln der EL-beziehenden Person. Wichtig ist auch
eine Koordination mit der Invalidenversicherung. Letzteres wird damit erreicht,
dass eine Institution, die nach der Definition des Bundesgesetzes vom 6.
Oktober 2006 über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von
invaliden Personen (IFEG; SR 831.26) ein Heim ist - diese werden nach Art. 4
Abs. 1 IFEG durch den Kanton anerkannt -, auch nach dem ELG als Heim gelten
soll (BBl 2005 6228 zu Art. 9 Abs. 5 Bst. h E-ELG).

4.4 Die Delegationsnorm von Art. 9 Abs. 5 lit. h ELG lässt dem Bundesrat eine
weite Gestaltungsfreiheit in der Setzung unselbstständigen Verordnungsrechts;
sie enthält keine Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen die Kantone Heime
anzuerkennen oder ihnen eine Betriebsbewilligung zu erteilen haben. Nach den
Materialien (Botschaft, Kommissionsprotokolle, AB) passierte die Regelung die
Beratung der Gesetzesvorlage diskussionslos und unbestritten. Unter diesen
Umständen hat sich das Bundesgericht nach Art. 190 BV auf die Prüfung zu
beschränken, ob Art. 25a Abs. 1 ELV offensichtlich aus dem Rahmen der
delegierten Kompetenz fällt oder aus anderen Gründen gesetzwidrig ist. Soweit
das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen,
befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit der unselbstständigen
Verordnung. Die vom Verordnungsgeber in Art. 25a Abs. 1 ELV getroffene Regelung
ist unter sämtlichen genannten Aspekten rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist
nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren wirtschaftlichen oder
politischen Sachgerechtigkeit zu äussern (vgl. auch BGE 137 V 321 E. 3.3 S. 330
f. mit Hinweisen).
BGE 139 V 358 S. 365

4.5 Wenn eine wesentliche Funktion der einheitlichen Heimdefinition nach Art. 9
Abs. 5 lit. h ELG in Verbindung mit Art. 25a Abs. 1 ELV darin bestehen soll,
dass EL-Bezügerinnen und -Bezüger beim Kantonswechsel wissen, ob sie
EL-rechtlich neu in ein Heim eintreten oder in ein anderes Heim wechseln oder
mit dem Wechsel aus einem Heim austreten (was auch kantonsintern von Relevanz
ist), wird dieser gesetzlichen Vorgabe mit einer kantonalen Liste ohne weiteres
Genüge getan. Flankierend hinzu kommen die Regelung in Art. 25a Abs. 2 ELV (bei
IV-Hilflosenentschädigung) und die bereits genannte Koordination mit dem IFEG
(vorne E. 4.3). Aufgrund des übergeordneten Rechts besteht kein zusätzlicher
Regelungsbedarf durch Verwaltung und Gerichte. Die Rechtsprechung nach BGE 118
V 142 ist durch die bundesrechtliche Neuregelung überholt. Ausgelegt nach
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihr zugrunde liegenden Wertungen ist die
Regelung in Art. 25a ELV verfassungs- und gesetzeskonform. Wenn Art. 9 Abs. 5
lit. h ELG regelt, der Bundesrat bestimme die Definition des Heimes, kann
dieser die Kompetenz an die Kantone weiterdelegieren. Es ist im Sinne der ratio
legis, dass dafür die Kantone zuständig sind, soweit nicht ohnehin
bundesrechtliche Regelungen Platz greifen.

5.

5.1 Damit wird entgegen der Befürchtung der Vorinstanz nicht in Kauf genommen,
dass restriktive kantonale Regelungen zu tolerieren sind, mit denen der
verfassungsmässige Anspruch auf Existenzsicherung unterschritten wird. Denn das
aus den Materialien ersichtliche Postulat einer einheitlichen Heimdefinition
ist von Art. 25a ELV in dem Sinne erfüllt, als die Verordnungsnorm die
Anerkennungsvoraussetzungen klar und einheitlich definiert. Dass deren
Erfüllung in concreto von einer kantonalen Heimzulassung abhängt, macht die
bundesrechtlich geforderte Einheitlichkeit keineswegs rückgängig. Gemäss der
Übersicht im kantonalen Entscheid über die einschlägigen kantonalrechtlichen
Grundlagen sind im Kanton St. Gallen als Heime anerkannt die
Leistungserbringer, welche in die gestützt auf Art. 39 KVG (im Hinblick auf
Pflege, medizinische Betreuung und Rehabilitation von Langzeitpatienten)
erstellte Pflegeheimliste der Kantonsregierung (sGS 381.181; Liste im Anhang)
aufgenommen sind. Welche Einrichtungen eine Betriebsbewilligung für das
Betreiben eines privaten Betagten- oder Pflegeheims mit mehr als fünf Plätzen
gemäss Art. 32 des Sozialhilfegesetzes des Kantons St. Gallen vom 27. September
1998 (sGS 381.1; vgl. die Verordnung vom 3. Februar 2004 über private Betagten-
und
BGE 139 V 358 S. 366
Pflegeheime [VBP; sGS 381.18]) erhalten haben, ist aus einem Verzeichnis des
kantonalen Departements des Innern ersichtlich. Über eine kantonale Bewilligung
können ferner private Behinderteneinrichtungen verfügen. Der Kanton St. Gallen
führt für Einrichtungen der Heimpflege von Unmündigen und Kindern unter zwölf
Jahren auf der Grundlage von Art. 3 und 13 ff. der bundesrätlichen Verordnung
vom 19. Oktober 1977 über die Aufnahme von Pflegekindern
(Pflegekinderverordnung, PAVO; SR 211.222.338) gemäss Art. 4 der kantonalen
Verordnung vom 21. September 1999 über Kinder- und Jugendheime (KJV; sGS 912.4)
ein Verzeichnis der Kinder- und Jugendheime und der sozial- und
heilpädagogischen Pflegefamilien mit Betriebsbewilligung. Nach Art. 1 Abs. 1
KJV gilt die Verordnung für Einrichtungen der Heimpflege, die dazu bestimmt
sind, wenigstens drei Unmündige tags- und nachtsüber aufzunehmen (lit. a) und
wenigstens sechs Kinder unter zwölf Jahren regelmässig tagsüber zu betreuen
(lit. b).

5.2 Damit ist es denn auch keineswegs ausgeschlossen, dass sich eine
Pflegefamilie als Heim im EL-rechtlichen Sinne vom Kanton anerkennen lassen
kann, womit die Voraussetzung nach Art. 25a ELV erfüllt wäre. Zeigt sich im
Einzelfall, dass dieser Anspruch durch die bestehenden kantonalen Regelungen
nicht gewährleistet wird, sind diese entsprechend zu korrigieren. Dabei kann es
auch erforderlich sein, dass der Kanton im Heimbereich seine Anerkennungs- oder
Bewilligungsgrundlagen anpasst. Eine allenfalls bestehende Lücke bei der
Deckung des Existenzbedarfes wäre vorübergehend durch Sozialhilfeleistungen zu
überbrücken. Nach der Botschaft ist dies nicht explizit ausgeschlossen, es soll
aber nach Möglichkeit verhindert werden, dass zu den Ergänzungsleistungen noch
Sozialhilfe beansprucht werden muss (BBl 2005 6226 Ziff. 2.9.8.3 zu Art. 2
E-ELG). Dem wird unter dem neuen EL-Recht bereits durch den Wegfall früherer
Anspruchsbegrenzungen entgegengewirkt (BBl 2005 6224 Ziff. 2.9.8.2.2). Soweit
der Bund nicht Regelungen getroffen hat (bspw. in der Koordination mit der
Invalidenversicherung oder der Hilflosenentschädigung; oben E. 4.3 und 4.5),
liegt der Handlungsbedarf im Heimbereich grundsätzlich beim Kanton; denn die
Ergänzungsleistungen des Bundes dienen ungeachtet der Wohnsituation der Bezüger
der (teilweisen) Deckung des allgemeinen Existenzbedarfes der Berechtigten. Die
Ergänzungsleistungen zur Deckung der zusätzlichen Heimkosten sowie der
Krankheits- und Behinderungskosten gehen hingegen vollständig zu Lasten der
Kantone (BBl 2005 6223 Ziff. 2.9.8.2.1).