Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 28



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Urteilskopf

139 V 28

5. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen W. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_545/2012 vom 25. Januar 2013

Regeste

Art. 17 und 16 ATSG; Neubestimmung des Invaliditätsgrades nach mehreren
invalidisierenden Unfällen.
Bei der gesamthaften Neubestimmung des Invaliditätsgrades nach mehreren
invalidisierenden Unfällen gelten die Regeln über die Rentenrevision nach Art.
17 ATSG (E. 3.3.1). Daher bilden die nach der erstmaligen Rentenfestsetzung
erworbenen, besonderen beruflichen Qualifikationen des Versicherten zu
berücksichtigende Anhaltspunkte auf die hypothetische Entwicklung des
Valideneinkommens (E. 3.3.3.2 in fine).

Regeste

Art. 15 Abs. 2 und 3 UVG; Art. 22 Abs. 2 lit. b und Art. 24 Abs. 4 UVV;
versicherter Verdienst.
Mit Art. 24 Abs. 4 UVV hat der Bundesrat in Durchbrechung der Grundregel und
des damit eng in Zusammenhang stehenden Äquivalenzprinzips gestützt auf das in
der sozialen Unfallversicherung ebenfalls geltende Solidaritätsprinzip einen
besonderen Revisionstatbestand geschaffen, weshalb der versicherte
Jahresverdienst im Rahmen der Neubeurteilung der Invalidenrente ohne Bindung an
die Qualifikation bei der ersten Rentenverfügung festzulegen ist (E. 4.3.3 in
Verbindung mit E. 4.3.1 und 4.3.2) und über die Nominallohnentwicklung hinaus,
anders als im Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 2 UVV, analog zur
Neubestimmung des Valideneinkommens an eine mutmasslich durchlaufene berufliche
Weiterentwicklung mit entsprechenden Einkommenssteigerungen angepasst werden
kann (E. 4.3.4); zu berücksichtigen sind daher auch Kinderzulagen, auf die in
der Zeit zwischen erstem und letztem Unfallereignis ein Anspruch entstanden ist
(E. 4.3.5).

Erwägungen ab Seite 29

BGE 139 V 28 S. 29
Aus den Erwägungen:

3.

3.3

3.3.1 Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) richtete dem
Versicherten seit 1. September 1978 eine Invalidenrente der Unfallversicherung
gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 50 % aus.
BGE 139 V 28 S. 30
Für die gesundheitlichen Folgen der Unfälle vom 2. März 2006 und vom Januar
2007 war sie ebenfalls aus UVG leistungspflichtig. Daher hatte sie eine Rente
aus allen drei Unfällen gesamthaft zuzusprechen (RKUV 2002 S. 224, U 452/00 E.
2). Für die Neubestimmung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG [SR 830.1])
gelten unter den gegebenen Voraussetzungen die Regeln für die Rentenrevision
nach Art. 17 ATSG (vgl. dazu Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts U 168/02
vom 10. Juli 2003 E. 2). Daher kann die Verwaltung - und im Streitfall das
Gericht - das Einkommen, das der Versicherte erzielen könnte, wäre er nicht
invalid geworden, als Vergleichsgrösse beim Einkommensvergleich ohne Bindung an
die der ursprünglichen Rentenverfügung zu Grunde liegende Qualifikation frei
überprüfen (RKUV 2005 S. 40, U 339/03 E. 3.2; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts U 183/02 vom 26. Mai 2003 E. 6.2 mit Hinweis).

3.3.2 Bei der Ermittlung des Einkommens, das der Versicherte erzielen könnte,
wäre er nicht invalid geworden (Art. 16 ATSG), ist in der Regel am zuletzt
erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung
angepassten Lohn anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die
bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen
müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 134 V 322 E. 4.1
S. 325 f. mit Hinweis). Auf Erfahrungs- und Durchschnittswerte darf nur unter
Mitberücksichtigung der für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten
persönlichen und beruflichen Faktoren abgestellt werden (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts I 97/00 vom 29. August 2002 E. 1.2; ULRICH MEYER,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, 2. Aufl. 2010, S. 302 und PETER
OMLIN, Die Invalidität in der obligatorischen Unfallversicherung, 1995, S.
180).

3.3.3

3.3.3.1 Die Parteien gehen davon aus, dass der Beschwerdegegner ohne die
Unfälle weiterhin als Bauschreiner/Zimmermann im Holzbaugewerbe erwerbstätig
gewesen wäre. Gemäss den in der Beschwerde der SUVA wiederholten Erwägungen des
Einspracheentscheids vom 29. Juli 2011 ist das Valideneinkommen anhand der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2008 des Bundesamtes für Statistik (LSE),
Tabelle TA1, Branche 20 ("Be- u. Verarbeitung v. Holz"), Männer, zu ermitteln
und dabei vom Durchschnitt der Anforderungsniveaus 1 + 2 ("Verrichtung höchst
anspruchsvoller und schwierigster Arbeiten" bzw. "Verrichtung selbstständiger
und qualifizierter Arbeiten") und 3 ("Berufs- und Fachkenntnisse
vorausgesetzt") auszugehen.
BGE 139 V 28 S. 31

3.3.3.2 Der Beschwerdegegner wendet zu Recht ein, dass damit der mutmasslichen
beruflichen Entwicklung zu wenig Rechnung getragen wird. Die SUVA legt in der
Beschwerde selbst eingehend anhand echtzeitlicher Dokumente dar, dass der
Versicherte als guter, zuverlässiger, pflichtbewusster und ehrgeiziger
Facharbeiter beschrieben wurde, der sich auf die Meisterprüfung vorbereitete
(so Bericht des Zentrums B. vom 12. Juni 1978) und dem der Arbeitgeber ohne die
gesundheitlichen Folgen des Unfalls vom 22. November 1975 die Führung und
Leitung des firmeneigenen Kundendienstes anvertraut hätte. Er wurde prämorbid
als überdurchschnittlich intelligent bezeichnet und im Zentrum B. (vgl. Bericht
der Berufserprobung vom 31. Mai 1978) wurde weiter festgehalten, dass er die
Organisationsaufgaben "sehr gut" löste. Die Vorinstanz wies zudem richtig
darauf hin, dass der Versicherte laut Auskünften der Firma X. vom 14. August
1979 (bei welcher er damals als Akkordant tätig war) ohne die gesundheitlichen
Folgen des Unfalles vom 22. November 1975 und trotz seines jugendlichen Alters
im Anstellungsverhältnis ein deutlich überdurchschnittliches Salär hätte
erwarten können. Der Einwand der SUVA, die Aussage dieser Firma sei in erster
Linie der damals für Arbeitnehmer günstigen Konjunktur zuzuschreiben, ist daher
nicht ohne Weiteres plausibel. Sie verkennt, dass sich der Versicherte, wie
erwähnt, trotz der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen als
selbstständig Erwerbender in einem Nischenbereich über viele Jahre hinweg
behauptete und sich aufgrund der erworbenen Qualifikationen eine günstige
Auftragslage verschaffen konnte; solche besonderen beruflichen Qualifikationen
im Invaliditätsfall bilden zu berücksichtigende Anhaltspunkte auf eine
hypothetische Entwicklung des Valideneinkommens (vgl. dazu RKUV 2005 S. 40, U
339/03 E. 3.3 mit Hinweisen, SVR 2003 MV Nr. 1 S. 1, M 8/01 E. 3).

3.3.3.3 Auf der anderen Seite ist der SUVA beizupflichten, dass angesichts der
Angaben des Versicherten vom 20. Januar 1981 zu wenig Anhaltspunkte bestehen,
wonach er die im Bericht des Zentrums B. vom 12. Juni 1978 erwähnte, vor dem
Unfall vom 22. November 1975 angeblich begonnene Weiterbildung hin zur
Meisterprüfung abgeschlossen oder eine andere vergleichbare Fortbildung
absolviert hätte. Angesichts der echtzeitlich geschilderten Fähigkeiten und des
Engagements ist dennoch anzunehmen, dass der Versicherte als Angestellter im
Holzbaugewerbe die Funktion eines Poliers ohne Fachausbildung erreicht hätte,
die fraglos dem Anforderungsniveau 2 der LSE 2008 zuzuordnen wäre ("Verrichtung
selbstständiger und
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qualifizierter Arbeiten"). In der LSE 2008 werden die standardisierten
Bruttolöhne der Anforderungsniveaus 1 und 2 nur zusammengefasst wiedergegeben,
weshalb darauf nicht ohne Weiteres abgestellt werden kann. Die SUVA räumt zudem
implizit ein, dass die darin enthaltenen standardisierten Bruttolöhne im
Bereich "Be- u. Verarbeitung v. Holz" für die in Frage stehende Branche wenig
aussagekräftig seien. Unter diesen Umständen ist naheliegend, auf die Angaben
des mit Bundesratsbeschluss vom 1. Oktober 2007 allgemein verbindlich
erklärten, für den Zeitraum von 2007 bis 2010 gültig gewesenen
Gesamtarbeitsvertrages für das Holzbaugewerbe (abrufbar unter http://
www.seco.admin.ch/themen/00385/00420/00430/index.html?lang=de) abzustellen.
Gemäss dessen "Lohntabelle 1: Mindestlohn inkl. gleichmässig ausgeschütteter
Leistungslohn pro Mitarbeiter" hatte der Arbeitgeber einem "Holzbau-Polier ohne
Fortbildung" ab dem 10. Jahr in dieser Funktion einen Monatslohn von Fr.
6'290.-, mithin ein Jahresgehalt von Fr. 81'770.- (vgl. zum Anspruch auf den
13. Monatslohn Art. 31 des zitierten Gesamtarbeitsvertrages) auszurichten.
Dieser Lohn war unabhängig von einem Stellenwechsel innerhalb der Branche zu
bezahlen. Damit ist dem Vorbringen der SUVA, die Vorinstanz habe den
Validenlohn in Verletzung des Art. 16 ATSG gestützt auf konjunkturell günstige
Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt festgestellt, der Boden entzogen.

3.4 Sind nach dem Gesagten bezogen auf das Jahr 2010 (Beginn der revidierten
Rente am 1. Oktober 2010) in die Vergleichsrechnung gemäss Art. 16 ATSG Fr.
23'296.- (Invalideneinkommen) und Fr. 81'770.- (Valideneinkommen) einzusetzen,
ergibt sich ein Invaliditätsgrad von 72 %.

4.

4.1 Zu prüfen ist schliesslich die Festsetzung des für die Berechnung der Rente
massgebenden versicherten Verdienstes (Art. 15 Abs. 1 UVG [SR 832.20]). Nach
der Grundregel von Art. 15 Abs. 2 UVG und Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UVV [SR
832.202] gilt als versicherter Verdienst der innerhalb eines Jahres vor dem
Unfall erzielte Lohn. Der Bundesrat hat gestützt auf die Delegationsnorm von
Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG in Art. 24 UVV unter dem Titel "Massgebender Lohn für
Renten in Sonderfällen" ergänzende Vorschriften erlassen. Es steht fest, dass
hier die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 4 Satz 1 UVV vorliegen, der wie folgt
lautet: "Erleidet der Bezüger einer Invalidenrente einen weiteren versicherten
Unfall, der zu einer höheren Invalidität führt, so ist für die neue Rente aus
beiden Unfällen der
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Lohn massgebend, den der Versicherte im Jahre vor dem letzten Unfall bezogen
hätte, wenn früher kein versicherter Unfall eingetreten wäre." Dabei ist
unbestritten davon auszugehen, dass der Beschwerdegegner ohne die
gesundheitlichen Folgen des Unfalles vom 22. November 1975 weiterhin den Beruf
als Bauschreiner/Zimmermann im Anstellungsverhältnis ausgeübt hätte und der
damit mutmasslich erzielte Verdienst massgebend ist. Die Einkünfte aus der
selbstständigen Erwerbstätigkeit haben, wie die Vorinstanz mit zutreffender
Begründung dargelegt hat, mangels Aussagekraft ausser Acht zu bleiben.

4.2

4.2.1

4.2.1.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, nach Sinn und Zweck des Art. 24 Abs.
4 UVV sei ein hypothetischer Wert zu bestimmen, dem möglichst reale und
gesicherte Faktoren zugrunde zu legen seien. Der Versicherte habe einen eigenen
Schreinereibetrieb gegründet und diesen lange Zeit erfolgreich geführt, woraus
auf ein über das Durschnittliche hinausgehendes Engagement sowie auf hohe
fachliche Fähigkeiten zu schliessen sei. Daher sei anzunehmen, dass er als
Arbeitnehmer über die Nominallohnentwicklung hinausgehende Einkommen realisiert
hätte. Als konkreter Anhaltspunkt dafür könnten die Angaben der Firma X. (vgl.
Bericht vom 14. August 1979) dienen, wonach er ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung im Jahre 1979 ein monatliches Einkommen von durchschnittlich
Fr. 3'200.-. zuzüglich 13. Monatsgehalt, mithin jährlich Fr. 41'600.- hätte
verdienen können. Angepasst an die Nominallohnentwicklung bis ins Jahr 2007
ergebe sich ein versicherter Verdienst von Fr. 87'964.-. Hinzuzurechnen seien
gemäss Art. 22 Abs. 2 lit. b UVV die Kinderzulagen gemäss dem bis 31. Dezember
2009 in Kraft gestandenen kantonalen Familienzulagengesetz (Fr. 2'400.-
jährlich).

4.2.1.2 Die SUVA bringt vor, Art. 24 Abs. 4 UVV sehe eine Ausnahme vom
Grundsatz der Unabänderlichkeit des versicherten Jahresverdienstes vor, weshalb
diese Sonderregel restriktiv auszulegen sei. Weder aus dem Wortlaut noch nach
Sinn und Zweck sei ersichtlich, dass der Gesetzgeber über die
Nominallohnentwicklung hinausgehende Lohnsteigerungen habe berücksichtigen
wollen. Vielmehr sollte damit eine kausal auf den Erstunfall zurückzuführende
Verdiensteinbusse ausgeglichen werden. Fehle es nach Aufrechnung der
Nominallohnentwicklung auf dem für die erstmalige Berentung massgeblich
gewesenen versicherten Jahresverdienst an einer solchen
BGE 139 V 28 S. 34
Verdiensteinbusse, blieben für darüber hinausgehende Lohnsteigerungen, die
später bei einer Drittfirma möglicherweise hätten erzielt werden können, kein
Raum. Andernfalls würden Versicherte, deren versicherter Verdienst aufgrund von
Art. 24 Abs. 4 UVV neu festgelegt werde, gegenüber "normalen" Rentenbezügern
bessergestellt, was nicht im Sinn des Gesetzgebers gewesen sei. Das
vorinstanzliche Vorgehen führe zu einer Ungleichbehandlung mit denjenigen
Rentenberechtigten, deren versicherter Verdienst nach Art. 24 Abs. 2 UVV
festgesetzt werde; in dessen Anwendungsbereich sei die Berücksichtigung von
Karrieresprüngen (wie auch von Kinderzulagen) praxisgemäss ausgeschlossen.

4.3

4.3.1 Der in Art. 15 Abs. 2 UVG und Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UVV festgelegte
Grundsatz, dass der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn für die
Rentenberechnung massgebend ist, hängt eng mit dem Äquivalenzprinzip zusammen
(vgl. BGE 136 V 182 E. 2.3 S. 185 mit Hinweisen). Dieses besagt, dass für die
Bemessung des den Geldleistungen zugrunde liegenden versicherten Verdienstes
von den gleichen Faktoren auszugehen ist, die auch Basis der Prämienberechnung
bilden (vgl. Art. 92 Abs. 1 UVG und Art. 115 Abs. 1 UVV; BGE 127 V 165 E. 2b S.
169). Bei den vom Bundesrat gestützt auf Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG erlassenen
Art. 24 UVV ("Massgebender Lohn für Renten in Sonderfällen") wird das
Äquivalenzprinzip durchbrochen. Es handelt sich mithin um Ausnahmeregeln. Für
die Auffassung der SUVA, diese seien restriktiv auszulegen, findet sich in der
Rechtsprechung keine Stütze (ausdrücklich verneinend BGE 114 V 298 E. 3e S.
178; vgl. auch BGE 127 V 165 E. 4a S. 174 und BGE 118 V 298 E. 2b S. 301 f.; je
mit Hinweisen), und sie gilt nach mehrheitlicher Auffassung in der Lehre
allgemein als überholt (ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte Verdienst in der
obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 227 mit Hinweisen). Sind somit
die allgemeinen Auslegungsregeln zu beachten, kann aus der Erkenntnis, eine
mögliche Auslegung dieser Bestimmungen könnte stärker gegen das
Äquivalenzprinzip verstossen als eine andere denkbare, noch nichts abgeleitet
werden (HOLZER, a.a.O., S. 208).

4.3.2 Die SUVA will die zu Art. 24 Abs. 2 UVV ("Beginnt die Rente mehr als fünf
Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit, so ist der Lohn
massgebend, den der Versicherte ohne den Unfall oder die Berufskrankheit im
Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, ...") ergangene Rechtsprechung,
wonach nicht
BGE 139 V 28 S. 35
jeder Bezug zur Grundregel (Massgeblichkeit der Verhältnisse vor dem Unfall)
aufgehoben ist (BGE 127 V 165 E. 3b S. 172), analog anwenden. Sie übersieht,
dass das Bundesgericht mehrfach darauf hinwies, der Grundsatz, gemäss welchem
der erstmalig festgesetzte versicherte Verdienst für die gesamte Dauer des
Rentenanspruchs gilt, auf Art. 24 Abs. 4 UVV nicht anwendbar ist (BGE 127 V 165
E 3b S. 172; BGE 119 V 484 E. 4b S. 492). In BGE 123 V 45 hat sich das
Bundesgericht zudem einlässlich mit den sich teilweise überschneidenden
Tatbeständen der Art. 24 Abs. 2 und 4 UVV auseinandergesetzt und gelangte zum
Schluss, dass sich bei der erstmaligen Rentenfestsetzung nach mehreren
invalidisierenden Unfällen und einem Rentenbeginn später als fünf Jahre nach
dem ersten Unfall der massgebende Jahresverdienst nach Art. 24 Abs. 2 UVV
bestimmt. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

4.3.3 Aus dem in allen drei Amtssprachen übereinstimmenden klaren Wortlaut von
Art. 24 Abs. 4 Satz 1 UVV ist zu schliessen, dass der Bundesrat einen
besonderen Revisionstatbestand des versicherten Verdienstes schuf. Zur
Entstehung dieser Bestimmung ist den Materialien zwar nichts Näheres zu
entnehmen, indessen ist anzunehmen, dass der Bundesrat dem in der
Unfallversicherung ebenfalls geltenden Solidaritätsprinzip (vgl. HOLZER,
a.a.O., S. 207) Vorrang vor der Grundregel von Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung
mit Art. 22 Abs. 4 Satz 3 UVV und dem damit in engem Zusammenhang stehenden
Äquivalenzprinzip geben wollte. Das Bundesgericht hat denn auch beispielsweise
mit Urteil U 467/06 vom 27. Juni 2007 den versicherten Verdienst eines im
Hochbau erwerbstätigen Poliers, der seit 1975 eine Rente der Unfallversicherung
aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 25 % bezog und im Jahre 2001 einen
weiteren Unfall mit invalidisierenden gesundheitlichen Folgen erlitt, den
zuletzt ausbezahlten Lohn an den in dieser Funktion berufsüblichen Verdienst
angeglichen. Angesichts dieser Prämissen steht der vorinstanzlichen Auslegung
von Art. 24 Abs. 4 Satz 1 UVV nichts im Wege. Damit wird die Delegationsnorm
von Art. 15 Abs. 3 Satz 3 UVG nicht verletzt. Die SUVA begründet ihren
diesbezüglichen Einwand in ihrer Beschwerde nicht, weshalb kein Anlass besteht,
darauf näher einzugehen.

4.3.4 Fraglich bleibt, ob der Beschwerdegegner ohne die Folgen des Unfalles vom
22. November 1975 die von der Vorinstanz angenommene Lohnentwicklung hätte
realisieren können. Wohl ist nichts gegen ihre Auffassung einzuwenden, den nach
Art. 24 Abs. 4 Satz 1
BGE 139 V 28 S. 36
UVV zu bestimmenden versicherten Verdienst möglichst anhand konkreter
Gegebenheiten des Einzelfalles festzulegen. Auf der anderen Seite ist in
sachlicher Hinsicht nicht zu übersehen, dass Parallelen zur Bestimmung des
hypothetischen Valideneinkommens bestehen, die ein analoges Vorgehen dazu
aufdrängen (vgl. SVR 2003 MV Nr. 1 S. 1, M 8/01 E. 3.2.2). Dies gilt zumindest
für die Voraussetzung gemäss Art. 16 ATSG, wonach eine ausgeglichene
Arbeitsmarktlage im fraglichen Berufsbereich zu unterstellen ist. Diesem Aspekt
wird hier, wie in E. 3.3.3.3 hievor dargelegt, besser Rechnung getragen, wenn
auf die Lohnangaben des bundesrätlich allgemein verbindlich erklärten
Gesamtarbeitsvertrages für das Holzbaugewerbe für die Jahre 2007 bis 2010
abgestellt wird. Danach hätte der Beschwerdegegner im Jahre vor dem letzten
invalidisierende Unfall im Januar 2007 einen Lohn von Fr. 81'770.- jährlich
erzielen können. Darauf wird die SUVA künftig bei der Berechnung der
Komplementärrente abzustellen haben.

4.3.5 Der Beschwerdegegner war nach dem ersten (vom 22. No-vember 1975) aber
vor dem letzten Unfall vom Januar 2007 Vater von zwei Kindern geworden. Nachdem
Art. 24 Abs. 4 Satz 1 UVV einen besonderen Revisionstatbestand des neu zu
bestimmenden versicherten Verdienstes bildet, sind die vorinstanzlich aufgrund
der bis 31. Dezember 2010 gültig gewesenen kantonalen Vorschriften
festgestellten, nach Art. 22 Abs. 2 lit. b UVV bei der Festlegung des
versicherten Verdienstes zu beachtenden Familienzulagen, die als Kinder-,
Ausbildungs- oder Haushaltszulagen im orts- oder branchenüblichen Rahmen
gewährt wurden (Fr. 2'400.- für das Jahr 2007), zum versicherten Verdienst
hinzuzurechnen. Zusammengefasst beträgt gemäss dem in vorstehender E. 4.3.4
Festgehaltenen der versicherte Verdienst Fr. 84'210.- (Fr. 81'770.- + Fr.
2'400.-).