Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 259



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Urteilskopf

139 V 259

35. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. J. gegen Unia
Arbeitslosenkasse (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_783/2012 vom 25. April 2013

Regeste

Art. 8 Abs. 1 lit. a und b, Art. 10 Abs. 2 lit. b und Art. 11 Abs. 1 AVIG;
anrechenbarer Arbeitsausfall.
Bei einem Arbeitsverhältnis auf Abruf, das während einer laufenden Rahmenfrist
aufgenommen und auch in der folgenden Rahmenfrist für den Leistungsbezug als
Zwischenverdiensttätigkeit abgerechnet worden war, kann im Rahmen der
Neuprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zur allfälligen Eröffnung einer
weiteren Rahmenfrist angesichts der langen Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht
mehr von einer zur Schadenminderung überbrückungsweise ausgeübten Tätigkeit
gesprochen werden (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 260

BGE 139 V 259 S. 260

A. Die 1955 geborene J. ist seit 1. Januar 2009 teilzeitlich auf Abruf bei M.
als Kursleiterin tätig. Mit Verfügung vom 7. Februar 2012 verneinte die
Arbeitslosenkasse Unia (nachfolgend: Arbeitslosenkasse) einen Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung ab 19. Februar 2012 mangels eines anrechenbaren
Arbeitsausfalls, nachdem J. seit 19. Februar 2010 wiederholt Taggelder der
Arbeitslosenversicherung bezogen hatte. Daran hielt die Arbeitslosenkasse mit
Einspracheentscheid vom 30. März 2012 fest.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Schwyz mit Entscheid vom 17. August 2012 ab.

C. J. lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem
Rechtsbegehren, es sei die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids
an die Arbeitslosenkasse zur Prüfung ihres Anspruchs auf
Arbeitslosenentschädigung zurückzuweisen, eventualiter sei die Sache zur
Ergänzung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Vorinstanz, die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft
(SECO) haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Gemäss konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts handelt es sich bei
einem Arbeitsverhältnis auf Abruf, das nach dem Verlust einer Vollzeitstelle
nicht freiwillig, sondern der Not gehorchend und um die Arbeitslosigkeit zu
überbrücken, eingegangen wurde, um eine notgedrungene Zwischenlösung, was sich
auch aus der Tatsache ergibt, dass die versicherte Person bereit ist, diese
Tätigkeit unverzüglich aufzugeben. Eine versicherte Person hat dann mit der
Aufnahme eines Abrufverhältnisses nur das getan, wozu sie gemäss der ihr
obliegenden Schadenminderungspflicht (Art. 17
BGE 139 V 259 S. 261
AVIG; SR 837.0) gehalten ist (Urteil C 266/06 vom 26. Juli 2007 E. 3.2, in: SVR
2008 ALV Nr. 3 S. 6). Deshalb hielt das damalige Eidgenössische
Versicherungsgericht (heute Bundesgericht) fest, die Annahme eines
Arbeitsverhältnisses auf Abruf nach Verlust einer Vollzeitstelle sei als
Überbrückungstätigkeit zu werten und nicht anstelle der letzten
Vollzeittätigkeit als massgebendes letztes Arbeitsverhältnis im Sinne von Art.
4 Abs. 1 AVIV (SR 837.02) zu betrachten (Urteil C 279/95 vom 10. Juni 1996 E.
3a, in: SVR 1996 ALV Nr. 74 S. 227).
Vorliegender Fall ist davon zu unterscheiden, denn die Beschwerdeführerin
beantragte nach Aufnahme ihres Abrufverhältnisses im Jahr 2009 nun die
Eröffnung der dritten Rahmenfrist zum Leistungsbezug, aufgrund desselben
Arbeitsverhältnisses auf Abruf bei M., welches sie weiterhin als
Zwischenverdiensttätigkeit abgerechnet haben will. Nachdem die Versicherte nun
ununterbrochen seit über vier Jahren dieselbe Tätigkeit als Kursleiterin
innehat, ging die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass es sich hierbei nicht
mehr um eine notgedrungene Überbrückungstätigkeit handelt, sondern, wie dies
das SECO in Rz. B97b der AVIG-Praxis ALE http://www.treffpunkt-arbeit.ch/
publikationen/Kreisschreiben festhielt: "Je länger dieses Arbeitsverhältnis auf
Abruf jedoch dauert, desto mehr ist davon auszugehen, dass die neue
Arbeitssituation für die versicherte Person zur Normalität wird und desto mehr
geht der Gedanke der Schadenminderung verloren." Angesichts der langen Dauer
des Arbeitsverhältnisses kann sich die Beschwerdeführerin nicht mehr darauf
berufen, das Arbeitsverhältnis überbrückungsweise eingegangen zu sein.

5.2 Unbehelflich ist sodann der Verweis auf den öffentlich-rechtlichen
Vertrauensschutz (Art. 9 BV). Bei der Eröffnung der zweiten
Leistungsrahmenfrist wertete die Kasse das Arbeitsverhältnis noch als
notgedrungene Überbrückungstätigkeit zugunsten der Versicherten, während es
sich bei der hier zu beurteilenden Folgerahmenfrist insofern um eine neue
Situation handelt, als die Beschwerdeführerin nun schon seit mehreren Jahren im
gleichen Abrufverhältnis steht und dabei seit fünf Jahren Leistungen der
Arbeitslosenversicherung bezog. Die Beschwerdeführerin verkennt, dass beim
Aufeinanderfolgen von Rahmenfristen jedes Mal eine Neuprüfung aller
Anspruchsvoraussetzungen zu erfolgen hat. Der durch Zeitablauf veränderte
Sachverhalt rechtfertigt eine andere rechtliche Beurteilung
BGE 139 V 259 S. 262
als die Situation, wie sie bei der Eröffnung der vorangegangenen Rahmenfrist
vorlag. Eine ungenügende oder fehlende Wahrnehmung der Beratungspflicht des
Versicherungsträgers im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ATSG (SR 830.1), die
allenfalls einen Vertrauensschutz begründen könnte (BGE 124 V 215 E. 2b/aa S.
221; BGE 131 V 472 E. 5 S. 481), ist überdies nicht auszumachen, zumal die
Versicherte während der ganzen Dauer ihrer Arbeitslosigkeit bestrebt sein
musste, diese durch eine zumutbare, vollzeitliche Festanstellung zu beenden.

5.3

5.3.1 Ist das Einkommen aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr im Rahmen der
Schadenminderungspflicht als Zwischenverdienst anzurechnen, erleidet die
versicherte Person dem Grundsatz nach keinen anrechenbaren Verdienstausfall.
Rechtsprechungsgemäss (BGE 107 V 59 E. 1 S. 61 f.; Urteil 8C_379/2010 vom 28.
Februar 2011, in: ARV 2011 S. 149 mit weiteren Hinweisen) kann von diesem
Grundsatz dann abgewichen werden, wenn der auf Abruf erfolgte Einsatz während
längerer Zeit im Wesentlichen mehr oder weniger konstant war.

5.3.2 Nach den nicht offensichtlich unrichtigen und daher für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz sind die Beschäftigungsschwankungen
der Beschwerdeführerin zu gross, um die effektiv absolvierte Arbeitszeit als
normal anzusehen, wogegen die Beschwerdeführerin auch nichts einwendet. Mit dem
kantonalen Gericht ist demnach zu schliessen, dass sie ab 19. Februar 2012
mangels anrechenbaren Arbeitsausfalls keinen Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung hat.