Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 21



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Urteilskopf

139 V 21

4. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Pensionskasse
Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft (Swiss Re) gegen K. (Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_585/2012 vom 23. Januar 2013

Regeste

Art. 15 FZG; Austrittsleistung; Kürzung des übergangsrechtlichen Zuschusses zum
Altersguthaben bei Austritt innert einer Übergangsfrist.
Wurde der übergangsrechtliche Zuschuss zum Altersguthaben (bei Wechsel vom
Leistungs- zum Beitragsprimat) durch eine freiwillige Leistung der
Arbeitgeberfirma finanziert und sieht das Reglement bei Austritt innert einer
Übergangsfrist eine anteilsmässige Kürzung des Zuschusses vor, ohne zwischen
freiwilligem und unfreiwilligem Austritt zu unterscheiden, liegt, anders als
bei einer Finanzierung aus freien Stiftungsmitteln (BGE 133 V 607), kein
Verstoss gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor (E. 2). Verneint werden auch
die Verletzung einer Auskunfts- oder Informationspflicht (E. 3.2) und der
Eingriff in ein wohlerworbenes Recht (E. 3.3).

Sachverhalt ab Seite 22

BGE 139 V 21 S. 22

A. K. (geb. 1957) war seit 1997 bei der Schweizerischen
Rückversicherungs-Gesellschaft (kurz: Swiss Re) tätig und bei der Pensionskasse
Swiss Re (nachfolgend: Pensionskasse) berufsvorsorgeversichert. Diese stellte
auf den 1. Januar 2007 vom Leistungsprimat auf einen neuen Vorsorgeplan mit
Beitragsprimat um. Übergangsrechtlich wurde den Aktivversicherten ein Zuschuss
zum Altersguthaben gewährt mit dem Ziel, die gleich hohe Alterspension mit
Alter 60 zu erreichen wie gemäss altem Statut. Dabei sieht Art. 1415 Ziff. 3
des ab 1. Januar 2007 gültigen Reglements einen gestaffelten Rückbehalt des
Zuschusses bei einem Austritt bis 31. Dezember 2011 vor.
Ende 2008 kündigte die Swiss Re das Arbeitsverhältnis mit K. wegen
Umstrukturierung auf Ende November 2009. In der Folge reduzierte die
Pensionskasse seine Austrittsleistung um 60 % des am 1. Januar 2007 gewährten
Zuschusses (Austrittsabrechnung per 30. November 2009).

B. Am 19. April 2010 reichte K. Klage beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ein und beantragte, die Pensionskasse sei zu verurteilen, ihm
die volle, ungekürzte Freizügigkeitsleistung unter Einrechnung der vollen
Zusatzgutschrift vom 1. Januar 2007 auszurichten und den in Abzug gebrachten
Betrag von Fr. 164'614.80 nebst 5 % Zins seit 1. Dezember 2009 auszuzahlen.
Mit Entscheid vom 12. Juni 2012 hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Klage gut. Es verpflichtete die
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Pensionskasse, K. den bei der Austrittsleistung in Abzug gebrachten Rückbehalt
von Fr. 164'614.80 nachzubezahlen, wobei der Betrag ab 1. Dezember 2009 im
Sinne der Erwägungen zu verzinsen sei.

C. Dagegen führt die Pensionskasse Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid vom 12. Juni 2012 sei aufzuheben
und die Klage vom 19. April 2010 vollumfänglich abzuweisen. Ferner sei der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
K. stellt in seiner Vernehmlassung Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.

D. Mit Verfügung vom 25. September 2012 erkannte die Instruktionsrichterin der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Streitig und zu prüfen ist zunächst, inwieweit Art. 1415 Ziff. 3 des
Pensionskassenreglements (in der ab 1. Januar 2007 gültigen Fassung) gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz verstösst, indem er nicht zwischen freiwilligem und
unfreiwilligem Austritt unterscheidet. Die Vorinstanz hat einen entsprechenden
Verstoss bejaht und dem Kläger - als unfreiwillig aus der Pensionskasse
Austretendem - einen Anspruch auf die ungekürzte Austrittsleistung zugestanden.

2.1 Gemäss Art. 1f der Verordnung vom 18. April 1984 über die berufliche
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVV 2; SR 831.441.1) ist der
Grundsatz der Gleichbehandlung eingehalten, wenn für alle Versicherten eines
Kollektivs die gleichen reglementarischen Bedingungen im Vorsorgeplan gelten.

2.2 Versicherte, die per 1. Januar 2007 eine gemäss einem reglementarisch
festgelegten Schlüssel berechnete Punktzahl von 49 oder mehr erreichten,
erhielten einen nach Punktzahl abgestuften Zuschuss. Die Punktzahl errechnete
sich dabei wie folgt: tatsächliches Alter (auf Monate genau) per 31. Dezember
2006 plus 1/3 der Jahre und Monate der tatsächlichen Zugehörigkeit zur
Pensionskasse (Art. 1415 Ziff. 2 Reglement).
Art. 1415 Ziff. 3 der Schluss- und Übergangsbestimmungen des Reglements trägt
den Titel "Rückbehalt des Zuschusses bei Austritt
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bis zum 31.12.2011". Danach reduziert sich die Austrittsleistung (Art. 911) bei
einem Austritt bis Ende 2011 gemäss aufgeführter Tabelle. Diese sieht eine
linear abnehmende Reduktion des Zuschusses vor, der den Aktivversicherten am 1.
Januar 2007 gewährt wurde, mit Stichtag jeweils per Jahresende, beginnend am
31. Dezember 2007 (Reduktion um 100 %) und endend am 31. Dezember 2011
(Reduktion um 20 %). Der entsprechend zurückbehaltene Teil des Zuschusses wird
dem Beitragsreservekonto des Arbeitgebers (Art. 510 Ziff. 4) gutgeschrieben.
Erfolgt der Austritt ab dem 1. Januar 2012 wird die Austrittsleistung nicht
mehr reduziert.

2.3 Es steht für das Bundesgericht verbindlich fest (vgl. Art. 97 Abs. 1 und
Art. 105 BGG), dass die Pensionskasse bei der Umstellung vom Leistungs- auf das
Beitragsprimat keine Teil- oder Gesamtliquidation durchgeführt hat sowie keine
freien Mittel auswies. Gleiches gilt für die vorinstanzliche Feststellung, dass
die Swiss Re für die besagte Umstellung 100 Mio. Fr. zur Verfügung stellte und
daraus (auch) der Zuschuss zum Altersguthaben finanziert wurde.

2.4

2.4.1 Es ist nicht selten, dass die Arbeitgeberfirma bei einem
ausserordentlichen Finanzierungsbedarf der Vorsorgeeinrichtung freiwillig einen
Sonderbeitrag leistet. Zu denken ist an einen einmaligen Sanierungszuschuss,
den der Arbeitgeber zusätzlich zu den reglementarisch vorgesehenen
Sanierungsbeiträgen erbringt, oder an die Erklärung, wonach er in einem
definierten Umfang für die Dauer der Unterdeckung auf die Verwendung der -
vorgängig geäufneten - Arbeitgeberbeitragsreserve (vgl. Art. 331 Abs. 3 OR)
verzichtet (KURT C. SCHWEIZER, Die arbeitgeberseitige Finanzierung der
beruflichen Vorsorge, Eine Auseinandersetzung mit vertraglichen Grundlagen der
Personalvorsorge, in: Berufliche Vorsorge im Wandel der Zeit, Festschrift "25
Jahre BVG", Hans-Ulrich Stauffer [Hrsg.], 2009, S. 191). Eine solche
freiwillige Arbeitgeberleistung stellt auch die hier zur Diskussion stehende
Finanzierung des übergangsrechtlichen Zuschusses zum Altersguthaben dar
(JACQUES-ANDRÉ SCHNEIDER, Attributions volontaires de prévoyance de
l'employeur: fiscalité et cotisations AVS/AI, SZS 2009 S. 426 ff., 435 f. Ziff.
21). Die dazu erforderlichen Mittel stammen direkt von der Arbeitgeberfirma
(vgl. E. 2.3). Dabei handelt es sich um eine besondere Beitragsleistung, die
einerseits einem im Voraus bezeichneten Versichertenkreis zufliesst und
anderseits der Erfüllung eines vorbestimmten Vorsorgeziels dient. Der Zuschuss
bezweckt, dass vor allem die älteren und
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langjährigen Aktivversicherten (vgl. E. 2.2 Abs. 1) im neuen Pensionsplan bei
Erreichen des Alters 60 die gleiche Pension erhalten wie gemäss bisherigem
Plan. Mit anderen Worten geht es hier um die Verteilung gebundener und nicht
freier Mittel, insbesondere nicht um diejenigen einer Finanzierungsstiftung
(vgl. dazu BGE 138 V 346 E. 3.1.1 in fine S. 349). Wohl wurde die Einlage nicht
direkt von der Arbeitgeberin individuell übertragen. Indes hat sie nicht die
Vorsorgeverbesserung aller Vorsorgenehmer zum Inhalt, wie es die freien Mittel
haben. Diese sind eine gesamt-kollektive Grösse und gehören allen Destinatären
(Arbeitnehmer, Rentner, Invalide und Ehemalige; BGE 138 V 303 E. 3.3 S. 308).
Anzumerken bleibt, dass der Beschwerdegegner richtig vorträgt, dass auch freie
Mittel durch Arbeitgebereinlagen gebildet werden können. Er schweigt sich aber
darüber aus, ob das Rückstellungsreglement der Beschwerdeführerin (Art. 48e BVV
2) solches - zumindest im hier fraglichen Zeitraum - überhaupt zuliess (in
demjenigen gültig ab 31. Dezember 2011 jedenfalls nicht vorgesehen [Art. 11;
http://www.pensionskasse-swissre.ch/downloads]).

2.4.2 Die - unabhängig von einer Teil- oder Gesamtliquidation - für die
Verteilung von freien Stiftungsmitteln herrschenden Rechtsgrundsätze, welche
erfordern, dass die unfreiwillig aus der Vorsorgeeinrichtung ausscheidenden
Versicherten nicht gleich behandelt werden wie die freiwillig Ausgeschiedenen
(vgl. BGE 133 V 607 E. 4.2.2 und E. 4.2.3 S. 611), finden somit von vornherein
keine Anwendung. Im gleichen Sinn verbleibt kein Raum für die Annahme einer
übergangsrechtlichen Regelungslücke. Der vorinstanzliche Entscheid, der
ausschliesslich darauf aufbaut, verletzt diesbezüglich Bundesrecht.

2.5 Art. 1415 Ziff. 3 des Reglements sieht vor, dass alle Versicherten, die am
1. Januar 2007 einen Zuschuss erhalten haben und bis zum 31. Dezember 2011 aus
der Pensionskasse austreten, eine Reduktion auf dem Zuschussteil der
Austrittsleistung zu gewärtigen haben. Das Reglement nennt die Kriterien und
Modalitäten ausdrücklich und präzise (vgl. E. 2.2 Abs. 2). Aus diesen erhellt,
dass eine Kategorie von Vorsorgenehmern nach identischen Bedingungen behandelt
wird. Entlassene Versicherte wie der Beschwerdegegner werden nicht von einer
Partizipation ausgeschlossen, sondern unterliegen wie die übrigen Austretenden
der gleichen Leistungskürzung pro rata temporis. Diese Schlechterstellung
(gegenüber den
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verbleibenden Aktivversicherten) ist im Arbeitsverhältnis begründet und daher
objektiv motiviert. Es trifft nicht zu, dass der Arbeitgeber es in der Hand
hat, seine Einlage rückgängig zu machen. Zum einen kann ein Arbeitsverhältnis
auch seitens des Arbeitnehmers beendet werden. Zum andern erhält der
Arbeitgeber den Rückbehalt nicht zurück. Vielmehr wird dieser seinem
Beitragsreservekonto gutgeschrieben (vgl. E. 3.1 nachfolgend).
Nachdem der Zuschuss darauf ausgerichtet ist, bei einer allfälligen
Pensionierung in der Beschwerde führenden Pensionskasse die Alterspension mit
Alter 60, wie sie vor dem 1. Januar 2007 im Leistungsprimat versichert war, zu
garantieren (vgl. E. 2.4.1), ist auch die zeitliche Limitierung des Rückbehalts
als sachgerecht zu bezeichnen. Es sollen vor allem diejenigen Versicherten
ungeschmälert in den Genuss des Zuschusses kommen, die von der neuen Lösung
langfristig betroffen sind.

2.6 Zusammengefasst steht fest, dass der Beschwerdegegner unter dem Titel des
Gleichbehandlungsgebots keinen Anspruch auf die ungekürzte Austrittsleistung
hat.

3. Nach Art. 107 Abs. 2 BGG entscheidet das Bundesgericht in der Sache selbst
oder weist diese an eine untere Instanz zurück, wenn es die Beschwerde
gutheisst. Das Bundesgericht entscheidet mithin nicht nur kassatorisch, sondern
kann den Streitpunkt auch reformatorisch neu regeln. Die vorliegende Sach- und
Rechtslage lässt eine solche direkte Beurteilung zu, da die übrigen Einwände
des Beschwerdegegners unbegründet sind:

3.1 Insoweit der Beschwerdegegner die jährlichen Kürzungsschritte in der Höhe
von 20 % als willkürlich bezeichnet, weil ihm die 11 Monate des Jahres 2009,
während denen das Arbeitsverhältnis noch bestanden habe, nicht angerechnet
worden seien, lässt er ausser Acht, dass Art. 1415 Ziff. 3 des Reglements nur
vom zeitanteiligen Rückbehalt des reinen Zuschusses handelt (am 1. Januar 2007
gewährter Zuschuss: Fr. 274'358.-; zurückbehaltener Zuschuss Ende November
2009: 60 % von Fr. 274'358.- = Fr. 164'614.80). Die Verzinsung des
Altersguthabens - auch auf dem Zuschuss - verblieb beim Beschwerdegegner und
zwar auf den Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses genau (Art. 911 des
Reglements). Dieses Vorgehen führt - entgegen der Auffassung des
Beschwerdegegners - nicht zu einem Mutationsgewinn. Von Willkür kann daher
keine Rede sein. Ebenso ist es rechtens, dass der zurückbehaltene Teil des
Zuschusses dem
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Beitragsreservekonto des Arbeitgebers gutgeschrieben wird, da er aus eigenen
Mitteln des Arbeitgebers stammt (vgl. E. 2.3; Schweizer Handbuch der
Wirtschaftsprüfung, Bd. 4, 2009, S. 213 oben; vgl. auch CARL HELBLING,
Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 192, wonach es zulässig ist, bei
frühzeitigem Ausscheiden den gänzlichen Austrittsgewinn zurückzubehalten und
der Arbeitgeberbeitragsreserve gutzuschreiben).

3.2 Selbst wenn man im Umstand, dass zu keinem Zeitpunkt auf Art. 1415 Ziff. 3
des Reglements resp. den Rückbehalt des Zuschusses bei vorzeitigem Ausscheiden
aus der Pensionskasse hingewiesen wurde, die Verletzung einer aus Treu und
Glauben hergeleiteten Auskunfts- oder Informationspflicht erblicken wollte,
könnte der Beschwerdegegner daraus nichts für sich ableiten. Der
Vertrauensschutz setzt nämlich voraus, dass der Private infolge der fehlenden
oder unzutreffenden Auskunft eine nachteilige, nicht wieder rückgängig zu
machende Disposition getroffen hat (BGE 137 I 69 E. 2.5.1 S. 72 f.; BGE 137 II
182 E. 3.6.2 S. 193). Daran fehlt es hier. Der Beschwerdegegner macht nicht
geltend, im Nichtwissen um die fragliche Reglementsbestimmung irgendwelche
Vorkehren getroffen oder unterlassen zu haben.

3.3 Aus dem Gesetz ergibt sich kein wertmässiger Anspruch auf bestimmte
Arbeitgeberbeiträge, weshalb das Recht auf die Freizügigkeitsleistung, soweit
sie mit Arbeitgeberbeiträgen finanziert wurde, lediglich in ihrem Bestand
gesetzlich garantiert ist. Der genaue Umfang ist reglementarisch festzulegen
und wird nur dann zum wohlerworbenen Recht, wenn die bestehende Skala gemäss
Reglement unabänderlich ist (BGE 117 V 221 E. 5b S. 227 unten). Dies ist in
concreto nicht der Fall. Es können keinerlei Anhaltspunkte für eine besonders
qualifizierte Zusicherung ausgemacht werden. Der Beschwerdegegner legt denn
auch Gegenteiliges nicht näher dar.