Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 161



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Urteilskopf

139 V 161

23. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen G. (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_666/2012 vom 5. März 2013

Regeste

Art. 24 Abs. 1 UVV; versicherter Verdienst für Renten in Sonderfällen.
Die Aufzählung der Gründe in Art. 24 Abs. 1 UVV, aufgrund derer nach dieser
Norm eine Anrechnung eines fiktiven Einkommens stattfindet, ist grundsätzlich
abschliessend (E. 4.2.3).

Sachverhalt ab Seite 161

BGE 139 V 161 S. 161

A. Für die verbliebenen Restfolgen eines am 30. Juli 1979 erlittenen Unfalls
bezieht der 1948 geborene G. seit 1. April 1980 bei einem Invaliditätsgrad von
15 % eine Rente der Schweizerischen
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Unfallversicherungsanstalt (SUVA). Der Versicherte war als Maurer im
Stundenlohn der Firma B. AG weiterhin bei der SUVA gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als er sich am 13. Oktober 2007 beim Zügeln an der linken
Schulter verletzte. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht auch für die
Folgen dieses zweiten Ereignisses. Mit Verfügung vom 24. August 2010 und
Einspracheentscheid vom 3. Dezember 2010 sprach die Anstalt dem Versicherten
eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 20,7 % zu
und erhöhte die laufende Invalidenrente per 1. Dezember 2009 auf einen
Invaliditätsgrad von neu 30 % bei einem versicherten Jahresverdienst von neu
Fr. 94'234.-.

B. Die von G. hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich mit Entscheid vom 9. Juli 2012 in dem Sinne gut, als es dem
Versicherten ab 1. Dezember 2009 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad
von 49 % und einem versicherten Jahresverdienst von Fr. 103'177.- zusprach.

C. Mit Beschwerde beantragt die SUVA, der kantonale Entscheid sei insoweit
aufzuheben, als damit der versicherte Jahresverdienst auf Fr. 103'177.-
festgesetzt wurde.
Während G. auf Abweisung der Beschwerde, soweit auf sie eingetreten werden
kann, schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4.

4.2 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte im Jahr vor dem
Unfall tatsächlich einen Verdienst von Fr. 94'323.80 erzielt hat. Streitig ist
jedoch zunächst, wie weit dieses Einkommen in Anwendung von Art. 24 Abs. 1 UVV
(SR 832.202) zu korrigieren ist.

4.2.1 Die SUVA anerkennt, dass im Rahmen von Art. 24 Abs. 1 UVV 94 zusätzliche
Stunden zu berücksichtigen seien (61 Stunden wegen "Krankheit", 16 Stunden
wegen "Arbeitsunfähigkeit" und 17 Stunden wegen "Todesfall in der Familie").
Der Versicherte verweist einerseits auf die Berechnung der SUVA vom 11.
Dezember 2008, anderseits macht er geltend, wegen des Todes seines Vaters seien
drei zusätzliche Arbeitstage und nicht bloss deren zwei zu
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berücksichtigen. Da zudem im Betrieb die übliche Wochenarbeitszeit 42 Stunden
betragen habe, seien pro Ausfalltag 8,4 Stunden anzurechnen.

4.2.2 Entgegen den Ausführungen des Versicherten kann auf die Berechnung der
SUVA vom 11. Dezember 2008 nicht abgestellt werden, da bei der Bemessung des
versicherten Verdienstes für die Renten keine "Zusatz-Stunden für
unregelmässige Ausfälle" zu berücksichtigen sind.

4.2.3 Demgegenüber stellt sich die Frage, ob und in welchem Ausmass im Rahmen
von Art. 24 Abs. 1 UVV Ausfallstunden wegen eines Todesfalles in der Familie
anzurechnen sind. Die Rechtsprechung hat die Frage, ob die Aufzählung der im
Rahmen von Art. 24 Abs. 1 UVV (bzw. Art. 23 Abs. 1 UVV) zu berücksichtigenden
Korrekturgründe abschliessend ist, bisher offengelassen (BGE 114 V 113 E. 3d S.
118). In der Lehre wird diese Frage - unter Vorbehalt besonderer gesetzlicher
Bestimmungen - grundsätzlich bejaht (ALFRED MAURER, Schweizerisches
Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl. 1989, S. 331; ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der
versicherte Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S.
201 ff., 216 f.; vgl. auch RKUV 1999 S. 95, U 178/96 E. 2c/cc und PHILIPP
GEERTSEN, Das Komplementärrentensystem der Unfallversicherung zur Koordination
von UVG-Invalidenrenten mit Rentenleistungen der 1. Säule [Art. 20 Abs. 2 UVG],
2011, S. 205 f.). Dem Bundesrat kommt bei der Ausgestaltung der im Rahmen von
Art. 15 Abs. 3 UVG (SR 832.20) zu erlassenden Sonderbestimmungen ein
erheblicher Ermessensspielraum zu. Vergleicht man die Tatbestände von Art. 24
Abs. 1 UVV mit jenen von Art. 324a OR, so fällt auf, dass die UVV-Regelung
enger gefasst ist als jene des OR. Da es sich bei der UVV-Bestimmung um die
jüngere Norm handelt, ist diese Abweichung und damit die relative Strenge der
Norm als vom Verordnungsgeber beabsichtigt anzusehen. Mit dieser Ausgestaltung
der Sonderregelung hat der Bundesrat seinen Ermessensspielraum nicht
überschritten. Somit ist davon auszugehen, dass die Aufzählung der Tatbestände
in Art. 24 Abs. 1 UVV abschliessend ist.

4.2.4 Verdienstausfälle in Folge des Todes von Angehörigen der versicherten
Person sind in der Aufzählung von Art. 24 Abs. 1 UVV nicht enthalten. Eine
entsprechende Aufrechnung des Einkommens findet demgemäss nicht statt. Selbst
wenn man demnach davon ausgehen würde, entgegen der Berechnung der SUVA seien
für jeden
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Ausfalltag 8,4 Stunden anzurechnen, so erweisen sich die von der Anstalt
anerkannten 94 Zusatzstunden jedenfalls nicht zu Ungunsten des Versicherten als
rechtswidrig.

4.2.5 Sind somit zusätzlich zum tatsächlich erzielten Verdienst von Fr.
94'323.80 aufgrund von Art. 24 Abs. 1 UVV 94 Zusatzstunden anzurechnen, so
beträgt der aufgrund von Art. 24 Abs. 1 UVV korrigierte Verdienst Fr. 99'493.-.