Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 I 72



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Urteilskopf

139 I 72

8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Publigroupe SA und Mitb. gegen Wettbewerbskommission (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_484/2010 vom 29. Juni 2012

Regeste

Art. 30, 32 und 96 BV, Art. 6 und 7 EMRK, Art. 15 UNO-Pakt II, Art. 2 Abs.
1bis, Art. 4 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 und 2 lit. b, Art. 26 ff. und 49a KG.
Kartellrechtliche Sanktionen nach Art. 49a KG haben einen strafrechtlichen
bzw. strafrechtsähnlichen Charakter. Die Garantien von Art. 6 und 7 EMRK sowie
Art. 30 und 32 BV sind bei solchen Sanktionen anwendbar (E. 2).
Anforderungen von Art. 6 EMRK können in einem Kartellsanktionsverfahren auch
erst im Verwaltungsgerichtsverfahren erfüllt werden; Anforderungen an die
Kognition des Verwaltungsgerichts (E. 4).
Frage der genügenden Bestimmtheit von Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b KG für
Sanktionen nach Art. 49a KG (E. 8).
Relevanter Markt und marktbeherrschende Stellung (E. 9).
Diskriminierung von Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen
Geschäftsbedingungen als missbräuchliches Verhalten (Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs.
2 lit. b KG; E. 10).

Sachverhalt ab Seite 73

BGE 139 I 72 S. 73

A.

A.a Die Publigroupe SA ist ein internationaler Werbekonzern mit Sitz in
Lausanne. Die Gesellschaft bezweckt, direkt oder durch
BGE 139 I 72 S. 74
Beteiligung an anderen Gesellschaften, die Entwicklung und Vermarktung von
Werbung, Inseraten und Reklamen aller Art, die Herausgabe von Zeitungen und
Publikationen sowie die Ausübung aller Tätigkeiten im Zusammenhang mit der
Werbung. Nebst anderen Geschäftssegmenten führt die Publigroupe SA die so
genannten "Media Sales", worin alle Medien-Vermarktungsaktivitäten der Gruppe
vereint sind; dazu zählen auch die Printmedienaktivitäten, die im Bereich
Publipresse zusammengefasst sind, der rund drei Viertel des jährlichen
Gesamtumsatzes der Gesellschaft von durchschnittlich rund zwei Milliarden
Franken erwirtschaftet.

A.b Dem Bereich Publipresse gehören vier Tochtergesellschaften (zu 100 %) an:
Die Publicitas SA ist über ein Netz von mehr als 100 Filialen und Agenturen in
der ganzen Schweiz als Pächterin und Universalvermittlerin für die Vermittlung
von insbesondere lokalen und regionalen Anzeigen tätig. Die Publicitas Publimag
AG betreut vor allem Grosskunden und für solche tätige Werbe- und
Medienagenturen für überregionale oder nationale Anzeigekampagnen. Die
Publicitas Publimedia AG betreut hauptsächlich mandatsorientiert Anzeigenkunden
für regional oder überregional verbreitete Pressemagazine oder
Fachzeitschriften. Die Publicitas Mosse AG bearbeitet schliesslich Anzeigen für
Kunden aus den Tourismus-, Freizeit- und Ausbildungsbranchen in allen
Printmedien.

A.c Die vier genannten, zum Bereich Publipresse gehörenden
Tochtergesellschaften der Publigroupe SA sind wiederum im Verein
Schweizerischer Werbegesellschaften VSW (nachfolgend: Verband VSW)
zusammengeschlossen. Der Verband VSW erstellt Branchenstatistiken, unterhält
eine Printdatenbank, ist in der Lehrlingsausbildung tätig und nimmt die
Interessen der Branche bei anderen Verbänden wahr. Darüber hinaus ist er
Anerkennungsstelle für die Kommissionierung für Berufsvermittler. In dieser
letzten Funktion erstellt er entsprechende Richtlinien (Richtlinien für die
Kommissionierung von Berufsvermittlern [nachfolgend:
VSW-Kommissionierungsrichtlinien]).

B.

B.a Das Sekretariat der Wettbewerbskommission (nachfolgend: WEKO Sekretariat)
erhielt erstmals im Jahre 1997 eine Anzeige im Zusammenhang mit den
VSW-Kommissionierungsrichtlinien. In seiner Antwort vom 28. Januar 1998 sowie
in einem Schreiben vom 28. Oktober 1998 an den Rechtsvertreter des Verbands VSW
hielt das WEKO Sekretariat fest, die angezeigte Ungleichbehandlung von
Universal- und anderen Vermittlern lasse sich betriebswirtschaftlich
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rechtfertigen und werde erst bei missbräuchlichem Verhalten kartellrechtlich
problematisch. Das WEKO Sekretariat behielt sich ein Eingreifen vor, sollte ein
solcher Missbrauch auftreten.

B.b Nach einer weiteren Anzeige am 12. Juli 2001 und ersten Untersuchungen
leitete das WEKO Sekretariat am 19. Dezember 2001 eine Vorabklärung zur
kartellrechtlichen Zulässigkeit der Kommissionierungspraxis im Zusammenhang mit
dem Verband VSW ein. Am 6. November 2002 eröffnete das WEKO Sekretariat,
insbesondere wegen den VSW-Kommissionierungsrichtlinien, eine Untersuchung
gemäss dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere
Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251) gegen die Publigroupe SA
(BBl 2002 7596).
Am 16. November 2004 stellte das WEKO Sekretariat der Publigroupe SA einen
Verfügungsentwurf betreffend die Kommissionierung der Anzeigenvermittler zu.
Mit Eingabe vom 30. März 2005 meldeten die Publigroupe SA und der Verband VSW
dem WEKO Sekretariat gemäss der Übergangsregelung zur kartellrechtlichen
Sanktionierungsbestimmung von Art. 49a KG eine möglicherweise unzulässige
Wettbewerbsbeschränkung. Das WEKO Sekretariat bestätigte den Eingang dieser
Meldung am 6. April 2005, hielt dazu aber fest, es sei derzeit offen, inwiefern
ein bereits hängiges Verfahren noch gemeldet werden könne.
Mit Schreiben vom 14. November und 13. Dezember 2005 teilte das WEKO
Sekretariat der Publigroupe SA unter Hinweis auf die bundesgerichtliche
Rechtsprechung (vgl. das Urteil 2A.287/2005 vom 19. August 2005) mit, sie
unterstehe der direkten Sanktionierbarkeit nach Art. 49a Abs. 1 KG, falls die
Wettbewerbskommission (nachfolgend: WEKO) zum Schluss gelange, es liege darin
eine Wettbewerbsbeschränkung gemäss Art. 7 KG, dass die Publigroupe SA auf die
ihr im Verfügungsentwurf vorgehaltenen Verhaltensweisen nicht verzichtet habe.

B.c Am 5. März 2007 traf die WEKO folgende Verfügung (vgl. Recht und Politik
des Wettbewerbs [RPW] 2007/2 S. 190 ff.):
"1. Es wird festgestellt, dass Publigroupe SA mittels ihrer
Tochtergesellschaften Publicitas SA, Publimedia AG, Publimag AG und Mosse Media
AG sowie des Verbandes Schweizerischer Werbegesellschaften im Markt für die
Vermittlung und den Verkauf von Inserate- und Werberaum in Printmedien in der
Schweiz eine marktbeherrschende Stellung innehat.
2. Es wird festgestellt, dass die Publigroupe mittels Publicitas SA, Publimedia
AG, Publimag AG, Mosse Media AG und dem Verband
BGE 139 I 72 S. 76
Schweizerischer Werbegesellschaften ihre marktbeherrschende Stellung gemäss
Ziff. 1 missbrauchte, indem sie sich durch Ziff. 2.2 Abs. 1, Ziff. 2.2 Abs. 2
und Ziff. 2.5 der Richtlinien des VSW über die Kommissionierung von
Berufs-Inseratevermittlern weigerte, Vermittler zu kommissionieren und diese
dadurch nach Art. 7 Abs. 1 KG in der Aufnahme und der Ausübung des Wettbewerbs
behinderte und gegenüber anderen unabhängigen Vermittlern diskriminierte.
3. Publigroupe SA wird für das unter Ziff. 2 dieses Dispositivs genannte
Verhalten gestützt auf Art. 49a Abs. 1 KG mit einem Betrag von CHF 2,5 Mio.
belastet.
4. Die Wettbewerbskommission genehmigt im Sinne einer einvernehmlichen Regelung
die nachstehende Verpflichtungserklärung der Publigroupe SA, Publicitas SA,
Publimedia AG, Mosse Media AG und dem Verband Schweizerischer
Werbegesellschaften vom 30. November 2005: (...)
(...)
7. Die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 148'754.- werden den Adressatinnen
der Verfügung unter solidarischer Haftung auferlegt. (...)"
Grundlage der Verfügung bildete folgender Sachverhalt: Verleger von Zeitungen
oder Zeitschriften haben für die Inserateakquisition grundsätzlich die Wahl
zwischen Pacht- oder Eigenregie. Pachtregieverlage sind diejenigen Verlage, die
mit Vermittlungsunternehmen einen Pachtvertrag abgeschlossen haben. Gegenstand
dieses Vertrags ist die Verpflichtung des Vermittlungsunternehmens, den
Geschäftsbereich Inserateakquisition integral für die Zeitung zu übernehmen.
Bei der Vermarktung von Titeln in Eigenregie betreibt der Verlag die
Inserateakquisition und die damit zusammenhängenden Tätigkeiten selbst oder
bedient sich unabhängiger Vermittler. Publigroupe SA ist sowohl Pächterin als
auch Vermittlerin. Als Pächterin übernimmt Publigroupe SA für ca. 600
schweizerische Zeitungen und Zeitschriften exklusiv die Vermarktung des
Inserate- und Werberaumes. Als normale Vermittlerin vermittelt sie nicht
exklusiv Anzeigen für Eigenregieverlage. Daneben sind auch unabhängige
Vermittler auf dem Markt tätig, welche Werbung und Inserate an Eigenregietitel
und auch an Pachtregietitel vermitteln. Wie das nachfolgende, der Verfügung
entnommene Schaubild zeigt, kann der Werbeauftraggeber grundsätzlich auf fünf
verschiedenen Wegen (Bst. a-e) seine Inserate in Verlagen platzieren. Welcher
Weg gangbar ist, hängt davon ab, ob der Verlag ein Pacht- oder Eigenregieverlag
ist. Gegenstand der hier strittigen Verfügung bildet die Situation (Bst. e im
Schaubild), gemäss welcher der Werbeauftraggeber
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in eine Pachtregie-Zeitung inserieren möchte und seine Anzeige über unabhängige
Vermittler aufgibt. Diese können allerdings wegen des exklusiven Pachtvertrags
die Anzeige nur an die Publigroupe SA weiterleiten. Der Vermittler erhält für
diese Vermittlungsleistung von der Publigroupe SA eine Kommission, sofern er
die Voraussetzungen der VSW-Kommissionierungsrichtlinien erfüllt.
[displayimage]
Folgende vier Kommissionierungsvoraussetzungen der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien erweckten kartellrechtliche Bedenken: Die
Forderung in Ziff. 2.2 Abs. 1, dass die Inserate von mehreren juristisch und
wirtschaftlich voneinander unabhängigen Auftraggebern stammen müssen; die
Bestimmung in Ziff. 2.2 Abs. 2, wonach nur Universalvermittler, nicht aber
Spartenvermittler oder Vermittler in Nebentätigkeit kommissioniert werden; die
Bestimmung in Ziff. 2.2 Abs. 3, wonach Werbe-, PR- oder Mediaberater oder
-Agenturen nicht sowohl die Beraterkommission als auch die
Vermittlungskommission erhalten dürfen; sowie die Voraussetzungen betreffend
das Geschäftsvolumen in Ziff. 2.5. Im dritten Punkt verneinte die WEKO einen
Kartellrechtsverstoss, bejahte aber einen solchen im ersten, zweiten und
vierten Punkt.

C. Gegen die Verfügung der WEKO vom 5. März 2007 erhoben die Publigroupe SA,
die Publicitas SA, die Publicitas Publimedia AG, die Publicitas Publimag AG,
die Publicitas Mosse AG sowie der Verband VSW am 2. Mai 2007 Beschwerde beim
Bundesverwaltungsgericht, das diese am 27. April 2010 abwies.

D. Vor Bundesgericht beantragen die Publigroupe SA, die Publicitas SA, die
Publicitas Publimedia AG, die Publicitas Publimag AG, die Publicitas Mosse AG
sowie der Verband VSW, u.a. das Urteil
BGE 139 I 72 S. 78
des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 aufzuheben. Die WEKO schliesst
auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist in der öffentlichen Beratung vom 29. Juni 2012 die
Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Nach Art. 49a Abs. 1 KG kann unter anderem ein Unternehmen, das sich nach
Art. 7 KG (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung [Marktmissbrauch])
unzulässig verhält, mit einem Betrag von bis zu zehn Prozent des in den letzten
drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes belastet werden. Der
Betrag bemisst sich nach der Dauer und der Schwere des Verhaltens; zudem ist
der mutmassliche Gewinn angemessen zu berücksichtigen, den das Unternehmen
dadurch erzielt hat (vgl. BGE 135 II 60 E. 2.1 S. 63; BGE 137 II 199 E. 3.2 S.
206).

2.2 Die Rechtsnatur der kartellrechtlichen Sanktion nach Art. 49a KG blieb
bisher höchstrichterlich ungeklärt. Gemäss den Beschwerdeführern handelt es
sich von der Tragweite her um eine Sanktion mit Strafcharakter, welche die
entsprechenden Anforderungen von Art. 6 und 7 EMRK sowie von Art. 30 und 32 BV
zu erfüllen hat. Auch das Bundesverwaltungsgericht geht vom strafrechtlichen
Charakter von Art. 49a KG aus, wenn auch mit leicht unterschiedlichen
Einschätzungen der entsprechenden rechtlichen Auswirkungen als die
Beschwerdeführer. Da diese etliche Rügen erheben, die an den behaupteten
Strafcharakter anknüpfen, ist darauf vorweg einzugehen.

2.2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die in dieser Hinsicht
dieselbe Tragweite besitzen, hat der Einzelne bei strafrechtlichen Anklagen
Anspruch darauf, dass seine Sache von einem durch Gesetz geschaffenen,
zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder
Umstände entschieden wird. Ob diese Garantie verletzt ist, prüft das
Bundesgericht frei (vgl. BGE 135 I 14 E. 2 S. 15; BGE 133 I 1 E. 5.2 S. 3 mit
Hinweisen).

2.2.2 Gemäss einer gefestigten, langjährigen Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) handelt es sich um eine strafrechtliche
Anklage, wenn alternativ entweder das nationale Recht eine staatliche Massnahme
dem Strafrecht
BGE 139 I 72 S. 79
zuordnet oder wenn die Natur des Vergehens oder wenn die Art und Schwere des
Vergehens und/oder der Sanktionen für den strafrechtlichen Charakter spricht
(so genannte Engel-Kriterien, zurückgehend auf das Urteil des EGMR Engel gegen
Niederlande vom 8. Juni 1976, Serie A Bd. 22; vgl. auch die Urteile Öztürk
gegen Deutschland vom 21. Februar 1984, Serie A Bd. 73; Belilos gegen Schweiz
vom 29. April 1988, Serie A Bd. 132; Jussila gegen Finnland vom 23. November
2006, Nr. 73053/01, Recueil CourEDH 2006-XIV S. 27; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK,
Handkommentar, 3. Aufl. 2011, N. 23 ff. zu Art. 6 EMRK; FROWEIN/PEUKERT,
Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 25 ff.
zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5.
Aufl. 2012, S. 393 ff.; CHRISTOPH TAGMANN, Die direkten Sanktionen nach Art.
49a Abs. 1 Kartellgesetz, 2007, S. 90 ff.; LUZIUS WILDHABER, EMRK,
Wettbewerbsrecht und Verwaltungsstrafen, in: Jusletter vom 4. Juli 2011, Rz. 6;
NIGGLI/RIEDO, Eine Lösung, viele Probleme, einige Beispiele und kein Märchen,
in: Verwaltungsstrafrecht und sanktionierendes Verwaltungsrecht, 2010, S. 51
ff., 58).
Die Massnahme nach Art. 49a KG zeichnet sich durch den ihr zugeschriebenen
abschreckenden sowie vergeltenden Charakter (vgl. Botschaft vom 7. November
2001 über die Änderung des Kartellgesetzes [nachfolgend: Botschaft KG II], BBl
2002 2022, 2052) und eine die Schwere des Vergehens belegende erhebliche
Sanktionsdrohung aus, die zur Auferlegung einer finanziellen Belastung in der
Höhe von etlichen Millionen Franken führen kann. Unabhängig davon, dass die
Massnahme ihre Grundlage im Kartell- und nicht im (Kern-) Strafrecht findet,
verfügt sie daher über einen strafrechtlichen bzw. "strafrechtsähnlichen" (vgl.
Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 15. Dezember 2011 i.S.
Lukasz Marcin Bonda [Rechtssache C-489/10] Titel vor Rz. 32) Charakter. Davon
sind bereits der Bundesrat 2001 in seiner Botschaft KG II (BBl 2002 2052 Ziff.
5) und die Literatur ausgegangen (vgl. etwa TAGMANN, a.a.O., S. 92 ff.; DANIEL
ZIMMERLI, Zur Dogmatik des Sanktionssystems und der "Bonusregelung" im
Kartellrecht, 2007, S. 449 ff.; DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, Der
Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, in: SIWR Bd. I/2, 3.
Aufl. 2011, S. 479; NIGGLI/RIEDO, a.a.O., S. 59 ff.; PETER REINERT, in:
Kartellgesetz, 2007, N. 4 ff. zu Art. 49a KG; JÜRG BORER, Wettbewerbsrecht,
Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2011, N. 2 zu Art. 49a KG; WILDHABER, a.a.O., Rz. 7
ff.; NIGGLI/RIEDO, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 25 ff.
BGE 139 I 72 S. 80
vor Art. 49a-53 KG; ANDREA DOSS, Vertikalabreden und deren direkte
Sanktionierung nach dem schweizerischen Kartellgesetz, 2009, S. 157). Diese
Auffassung ist auch nunmehr durch oberste "europäische" Gerichte bestätigt
worden (vgl. Urteil des EGMR Menarini Diagnostics S.R.L. gegen Italien vom 27.
September 2011, Nr. 43509/08, § 44; Urteil des EFTA Court Posten Norge AS gegen
EFTA Sur veillance Authority vom 18. April 2012 [E-15/10], Nr. 84 ff.; Urteil
des EuGH vom 8. Dezember 2011 C-389/10 P, KME, Publikation in der amtlichen
Sammlung vorgesehen, Randnrn. 118 ff. [dazu WEITBRECHT/MÜHLE, Die Entwicklung
des Europäischen Kartellrechts im Jahre 2011, Europäische Zeitschrift für
Wirtschaftsrecht [EuZW] 2012 S. 290 ff., 294; bereits früh in diese Richtung
SCHWARZE/WEITBRECHT, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004,
S. 139 ff.; ZIMMERLI, a.a.O., S. 416 ff.; anders noch [verwaltungsrechtliche
Sanktion] etwa WALTER FRENZ, Handbuch Europarecht, Bd. II: Europäisches
Kartellrecht, 2006, S. 594 f.; BECHTOLD/BOSCH/BRINKER/HIRSBRUNNER,
EG-Kartellrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2009, S. 336 f. Rz. 90; zu Art. 47
Grundrechte-Charta [Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein
unparteiisches Gericht] etwa HANS-PETER FOLZ, in: Europäisches Unionsrecht -
EUV, AEUV, Grundrechte-Charta, Handkommentar, 2012, passim zu Art. 47
Grundrechte-Charta]). Auch das Bundesgericht hat dies in BGE 135 II 60 (E.
3.2.3 S. 71) nebenbei so vermerkt. Die entsprechenden Garantien von Art. 6 und
7 EMRK und Art. 30 bzw. 32 BV sind demnach grundsätzlich anwendbar. Über ihre
Tragweite ist bei der Prüfung der einzelnen Garantien zu befinden.
(...)

4.

4.1 Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, das Bundesverwaltungsgericht habe
seine Kognition in unzulässiger Weise beschränkt.

4.2 Da Art. 6 EMRK und Art. 30 BV auf das Sanktionsverfahren von Art. 49a KG
anwendbar sind (vgl. oben E. 2.2.2), untersteht dieses den entsprechenden
Anforderungen. Dazu zählt insbesondere die Beurteilung durch ein unabhängiges
und unparteiliches Gericht in einem fairen Verfahren. Die Vorinstanz liess die
Frage offen, ob es sich bei der WEKO um ein Art. 6 EMRK bzw. Art. 30 BV
konformes Gericht handelt, da das Bundesverwaltungsgericht, das deren
Sanktionsentscheide überprüfe, die entsprechenden Voraussetzungen erfülle, was
genüge.
BGE 139 I 72 S. 81

4.3 Die WEKO wird vom Bundesrat bestellt (Art. 18 Abs. 1 KG), ist aber von
diesem und der Verwaltung unabhängig (Art. 19 Abs. 1 KG) und lediglich
administrativ dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement zugeordnet (Art.
19 Abs. 2 KG). Sie zählt zu den so genannten Behördenkommissionen (Art. 8a Abs.
1 und 3 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November
1998 [RVOV; SR 172.010.1]; vgl. dazu statt aller STEFAN VOGEL, Einheit der
Verwaltung - Verwaltungseinheiten, 2008, S. 255 ff., insbes. 257 ff.). Diese
werden von der Rechtsprechung, soweit das zu beurteilen war, nicht als
richterliche Behörden anerkannt (vgl. BGE 138 I 154 E. 2.7 S. 158 m.w.H.). Auch
in der Literatur werden sie nicht zur Justiz, sondern zur dezentralen
Bundesverwaltung (vgl. Art. 178 Abs. 3 BV) gerechnet (vgl. WEBER/BIAGGINI,
Rechtliche Rahmenbedingungen für verwaltungsunabhängige Behördenkommissionen,
2002, S. 58 ff. und 77 f.; PETER UEBERSAX, Unabhängige Verwaltungsinstanzen und
offene Gesetze im öffentlichen Wirtschaftsrecht des Bundes - ein rechtliches
Risiko?, in: Risiko und Recht, 2004, S. 688 ff.). Abgesehen davon bestehen auch
Hindernisse in Bezug auf die Gewaltenteilung (Einsitz von "Chefbeamten" in die
WEKO) und die Unabhängigkeit (Einsitz von Interessenvertretern in die WEKO).
Das Sanktionsverfahren vor der WEKO erfüllt insofern die Anforderungen von Art.
6 EMRK und Art. 30 BV nicht. Da entsprechend der oben dargestellten Rechtslage
das Sanktionsverfahren nach Art. 49a KG diesen beiden Bestimmungen zu genügen
hat, stellt sich die Frage, ob bereits im nichtstreitigen Verfahren, d.h. im
Verwaltungsverfahren, die Anforderungen des Art. 6 EMRK Anwendung finden müssen
oder ob dies auch erst im Rechtsmittelverfahren erfolgen kann.

4.4 Mit Urteil Menarini Diagnostics S.R.L. (§§ 57 ff.) hat nun der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte - wie bereits früher in anderem Zusammenhang
(vgl. etwa GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 419 Rz. 58, 477 Rz. 153 i.f.;
CHRISTOPH GRABENWARTER, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
[nachfolgend: Verfahrensgarantien], 1997, S. 359 ff. mit umfassenden Hinweisen;
sieheauch Urteil des EGMR Mamidakis gegen Griechenland vom 11. Januar 2007, Nr.
35533/04) - erstmals in einem Kartellverfahren (mit hohen Bussgeldern)
festgehalten, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch erst im Verwaltungs
gerichtsverfahren erfüllt werden können; insoweit lässt die EMRK zu, dass die
Verwaltung im Verwaltungsverfahren Sanktionen mit strafrechtlichem Charakter
BGE 139 I 72 S. 82
aussprechen kann. Voraussetzung für die Zulässigkeit dieser Situation bilde
aber, dass im nachfolgenden Gerichtsverfahren die Vorgaben von Art. 6 EMRK
eingehalten werden. Zudem könne der Sinn einer "procédure administrative"
Abweichungen von einer "procédure pénale au sens strict du terme" so weit
zulassen, als damit die staatlichen Verpflichtungen, die Anforderungen von Art.
6 EMRK einzuhalten, nicht obsolet werden. Insoweit wiederholt der Gerichtshof
die bereits andernorts geäusserte differenzierte Betrachtungsweise (vgl.
Urteile des EGMR Sigma Radio Television Ltd gegen Zypern vom 21. Juli 2011, Nr.
32181/04 und 35122/05, § 151; Jussila , § 43; grundlegend: Albert und Le Compte
gegen Belgien vom 10. Februar 1983, Nr. 7299/75, § 29; siehe auch EFTA Court
Posten Norge AS, Nr. 89; vgl. auch bereits ANDREAS HEINEMANN, Direkte
Sanktionen im Kartellrecht [nachfolgend:Sanktionen], Jusletter vom 21. Juni
2010, Rz. 27 ff.).Auch der EFTA Court (Posten Norge AS) und der EuGH (KME,
Randnrn. 118 ff.; siehe auch ANDREAS HEINEMANN, Kriminalrechtliche
Individualsanktionen im Kartellrecht?, in: Wirtschaftsrecht in Theorie und
Praxis, Festschrift für Roland von Büren, 2009, S. 595 ff., 598 f.) haben in
Bezug auf Art. 6 EMRK bzw. den diesem gleichkommenden Art. 47 Charta der
Grundrechte der Europäischen Union gleich entschieden wie der Gerichtshof in
Strassburg.
Insoweit bedarf es somit aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention
keiner institutioneller Strukturänderung des schweizerischen Kartellverfahrens,
wie sie etwa der Bundesrat in seiner Botschaft vom 22. Februar 2012 zur
Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der
Wettbewerbsbehörde ([nachfolgend: Botschaft KG III] BBl 2012 3905)
vorgeschlagen hat.

4.5 Der gerichtliche Entscheid über die kartellrechtliche Sanktion muss -
entsprechend Art. 6 EMRK und den diesbezüglichen Ausführungen des EGMR sowie
Art. 30 BV - mit voller Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
erfolgen (vgl. CHRISTOPH GRABENWARTER, in: Österreichisches
Bundesverfassungsrecht, Textsammlung und Kommentar, Bd. III: Kommentar zu den
Grundrechten, 8. Lieferung 2007, N. 46 zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER,
Verfahrensgarantien, a.a.O., S. 414 ff., 420 ff.; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N.
89 zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 400). Dazu gehört, dass das
Organ die für das Verfahren rechtserheblichen Tatsachen selbst ermitteln und
den so festgestellten Sachverhalt unter die entsprechenden Rechtsvorschriften
subsumieren können muss. Auch
BGE 139 I 72 S. 83
die Rechtsfolge, also die Sanktion selbst, muss uneingeschränkt auf
Vereinbarkeit mit dem massgeblichen Recht unter Einschluss des
Verfassungsrechts und den Grundsätzen rechtsstaatlichen Handelns (vgl. Art. 5
BV), namentlich des Verhältnismässigkeitsprinzips, überprüfbar sein. Auch wenn
dem Gericht volle Kognitionsbefugnisse in Rechts- und Tatsachenfragen zukommen
muss, ist indessen nicht ausgeschlossen, dass das den Verwaltungsentscheid
überprüfende Gericht in Bereichen des Sachverständigenermessens (dazu BGE 135
II 384 Regeste i.V.m. E. 2.2 S. 384 i.V.m. 390; BGE 133 II 232 E. 4.1 S. 244;
BGE 131 II 680 E. 2.3 S. 683 ff.; je mit Hinweisen; BENJAMIN SCHINDLER,
Verwaltungsermessen, 2010, S. 341 ff.), vor allem in besonderen
Rechtsbereichen, seine Kognition zurücknehmen kann (vgl. Urteil des EGMR Sigma
Radio Television Ltd § 153; PHILIPP EGLI, Rechtsverwirklichung durch
Sozialversicherungsverfahren, 2012, S. 105; GRABENWARTER, Verfahrensgarantien,
a.a.O., S. 426 ff.). Ob die Kognitionsbeschränkung den Anforderungen von Art. 6
EMRK genügt, ist anhand des Verfahrensgegenstandes (ist professionelles Wissen
bzw. Erfahrung notwendig), der Art und Weise, in welcher der
Verwaltungsentscheid unter Berücksichtigung der vor Verwaltungsbehörden
zugestandenen Verfahrensgarantien zustande kam und des Streitgegenstandes
(geltend gemachten und tatsächlich geprüften Rügen) zu prüfen (Urteil Sigma
Radio Television Ltd § 154; zu diesen Kriterien GRABENWARTER,
Verfahrengarantien, a.a.O., S. 426 ff. mit Hinweisen auf ältere Fälle).
Massgebend ist der Einzelfall und ob sich das überprüfende Gericht "point by
point" mit den Argumenten bzw. Rügen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt
hat (vgl. Urteil Sigma Radio Television Ltd § 156). Insofern anerkennt der
EGMR, dass die Rechtsprechung in den Mitgliederstaaten den Gerichten oftmals
erlaubt, sich bei der Beurteilung von ausgesprochenen Fachfragen Zurückhaltung
aufzuerlegen (vgl. Urteil Sigma Radio Television Ltd § 153 i.i.). Das
Sachverständigenermessen bezweckt die Fruchtbarmachung spezialisierten
Sachverstands bei der Umsetzung des gesetzgeberischen Normprogramms, um damit
die interdisziplinäre Richtigkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen (vgl.
SCHINDLER, a.a.O., N. 451 f.). Nicht anders verhält es sich bei
verwaltungsrechtlichen Fällen, welche in Bezug auf gewisse Sanktionen
strafrechtsähnlich sind; entscheidend ist, dass die Voraussetzungen von Art. 6
EMRK erfüllt werden. Massgebend bleibt demnach der Einzelfall, die
aufgelisteten drei Kriterien und die Abarbeitung der Rügen Punkt für Punkt.
Insofern ist die "Effektivität der Überprüfung" (MARK E. VILLIGER, Handbuch der
Europäischen
BGE 139 I 72 S. 84
Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl. 1999, S. 271) dasentscheidende Moment
("sufficient jurisdiction": vgl. Urteile des EGMR Steininger gegen Austria vom
17. April 2012, Nr. 21539/07 § 49 i.f.; Sigma Radio Television Ltd §§ 151 f.;
GRABENWARTER, Verfahrensgarantien, a.a.O., S. 431 oben, 444 f.). Es lässt sich
- wie auch das Urteil des EGMR Sigma Radio Television Ltd §§ 129, 147 i.V.m.
151 f. zeigt - demnach auch nicht generell festhalten, dass nicht auf die
fachtechnischen Ausführungen der die Untersuchungs- und Anklagefunktion
mitübernehmenden erstentscheidenden WEKO abgestellt werden dürfte.

4.6

4.6.1 Im angefochtenen Entscheid beruft sich das Bundesverwaltungsgericht auf
ein solches technisches Ermessen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die
rein theoretische Darstellung der fraglichen Rechtsfigur für sich allein noch
keinen Verstoss gegen Art. 6 EMRK bzw. Art. 30 BV darstellt; massgebend ist
allein die Begründung in der Sache (vgl. MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 35 zu Art. 6
EMRK). Daraus hat sich zu ergeben, ob sich das Bundesverwaltungsgericht eine
Art. 6 EMRK entsprechende Zurückhaltung auferlegt hat, was anhand der oben
dargelegten Kriterien zu beurteilen ist.

4.6.2 Die Beschwerdeführer sehen eine angeblich unzulässige Zurückhaltung
darin, dass die Vorinstanz verschiedentlich ausgeführt habe, eine bestimmte
Beurteilung der WEKO sei nachvollziehbar, so etwa bei der sachlichen und
räumlichen Marktabgrenzung, bei der Bestimmung des Marktanteils der
Beschwerdeführer sowie bei der Beurteilung des Vorliegens bzw. Fehlens
potenziellen Wettbewerbs. In all diesen Fällen interpretieren die
Beschwerdeführer jedoch das von der Vorinstanz verwendete Wort
"nachvollziehbar" falsch. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht einfach ohne
weitere Prüfung die Auffassung der WEKO übernommen, sondern jeweils, teilweise
sogar recht ausführlich, dargelegt und begründet, weshalb es sich der
Auffassung derselben anschliesst. Es hat sich dabei nicht auf reine
Plausibilitätsüberlegungen beschränkt und sich nicht eine unzulässige
Zurückhaltung auferlegt.

4.6.3 Die Beschwerdeführer sehen sodann eine unzulässige Zurückhaltung des
Bundesverwaltungsgerichts bei dessen Darstellung der Verfahrensgeschichte.
Insofern ist aber erst recht nicht ersichtlich, inwieweit damit eine
unzulässige Kognitionsbeschränkung verbunden sein sollte. Die Vorinstanz hat
sich bei der Verfahrensgeschichte keiner rechtlichen oder fachtechnischen
Zurückhaltung bedient.
BGE 139 I 72 S. 85
(...)

8.

8.1 Den Beschwerdeführern wird ein verbotenes Verhalten nach Art. 7 Abs. 1 KG
vorgeworfen. Danach verhalten sich marktbeherrschende Unternehmen unzulässig,
wenn sie durch den Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere Unternehmen
in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die
Marktgegenseite benachteiligen. Zu solchen unzulässigen Verhaltensweisen zählt
nach Art. 7 Abs. 2 lit. b KG insbesondere die Diskriminierung von
Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen (dazu AMSTUTZ/
CARRON, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 17 ff. zu Art. 7 KG;
EVELYNE CLERC, in: Droit de la concurrence, Tercier/Bovet [Hrsg.], 2002, N. 55
ff. zu Art. 7 KG).

8.2 Die Beschwerdeführer machen geltend, der Straftatbestand von Art. 7 Abs. 1
KG sei sowohl für sich allein als auch in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 lit. b
KG nicht genügend bestimmt als rechtsgenügliche gesetzliche Grundlage für eine
Sanktionierung der Beschwerdeführerin 1.

8.2.1 Nach Art. 7 EMRK und Art. 15 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember
1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) darf
niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit
ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar
war ("Nulla poena sine lege" [Art. 1 StGB; dazu etwa BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 19
f.; BGE 138 I 367 E. 5.2 f. S. 372 ff.]; vgl. auch Art. 5 Abs. 1 BV). Die
Straftat muss im Gesetz klar umrissen sein (vgl. MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 5 zu
Art. 7 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 462 ff.; WALTER GOLLWITZER,
Menschenrechte im Strafverfahren, 2005, N. 1 zu Art. 7 MRK/Art. 15 IPBPR;
FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 2 zu Art. 7 EMRK; VILLIGER, a.a.O., S. 338 ff.). So
ist etwa der Grundsatz verletzt, wenn jemand wegen eines Verhaltens
strafrechtlich verfolgt wird, das im Gesetz überhaupt nicht als strafbar
bezeichnet wird, wenn das Gericht ein Verhalten unter eine Strafnorm
subsumiert, unter welche es auch bei weitestgehender Auslegung der Bestimmung
nach den massgebenden Grundsätzen nicht subsumiert werden kann, oder wenn
jemand in Anwendung einer Strafbestimmung verfolgt wird, die rechtlich keinen
Bestand hat (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; siehe auch BGE 138 I 367 E. 5.3
S. 373 f.).
Art. 7 EMRK und Art. 15 UNO-Pakt II enthalten neben dem Rückwirkungsverbot vor
allem ein Bestimmtheits- und Klarheitsgebot für
BGE 139 I 72 S. 86
gesetzliche Straftatbestände (vgl. BGE 138 I 367 E. 5.3 S. 373; GRABENWARTER/
PABEL, a.a.O., S. 468 ff.; GOLLWITZER, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 MRK/Art. 15
IPBPR; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 4, 6 zu Art. 7 EMRK; MEYER-LADEWIG, a.a.O.,
N. 7 ff. zu Art. 7 EMRK). Nur ein hinreichend klar und bestimmt formuliertes
Gesetz darf einen Straftatbestand bilden und eine Strafe androhen. Allerdings
bedürfen auch Strafgesetze der Auslegung, und die beiden Vorschriften - wie
auch Art. 1 StGB und Art. 5 Abs. 1 BV (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; BGE 138
I 367 E. 5.3 S. 373 f.) - enthalten kein Verbot der schrittweise erfolgenden
Klärung der Vorschriften durch richterliche Auslegung; es ist gerade die
Aufgabe der Gerichte, verbleibende Auslegungszweifel zu beheben (Urteile des
EGMR Kafkaris gegen Cyprus vom 12. Februar 2008, Nr. 21906/04, § 141; S.W. und
C.R. gegen United Kingdom vom 22. November 1995, Nr. 20166/92 bzw. 20190/92, §
36 bzw. 34; MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 EMRK; GRABENWARTER/PABEL,
a.a.O., S. 469; VILLIGER, a.a.O., S. 339 [N. 535 f.]; WILDHABER, a.a.O., Rz. 75
ff.; GOLLWITZER, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 MRK/Art. 15 IPBPR). Der Grad der
erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter
anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und
der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, von den
Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der
erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten
Entscheidung ab (BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; BGE 132 I 49 E. 6.2 S. 58 f.; BGE
128 I 327 E. 4.2 S. 339 ff., je mit Hinweisen; Urteil des EGMR Larissis
Dimitrios gegen Griechenland vom 24. Februar 1998, Recueil CourEDH 1998-I S.
362; siehe auch GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner
Teil, Bd. I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, S. 90 ff.; POPP/LEVANTE, in: Basler
Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 31 ff. zu Art. 1 StGB).
Technische oder relativ unbestimmte Begriffe, die im Allgemeinen zu unbestimmt
sein mögen, können als Bestandteile von Straftatbeständen im Wirtschafts- und
Steuerstrafrecht noch die Bestimmtheitserfordernisse erfüllen (vgl.
GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 470 f.; Urteil des EGMR Cantoni gegen Frankreich
vom 15. November 1996, §§ 26 ff., in: EuGRZ 1999 S. 193 ff., 196 ff.). So hat
der EGMR etwa den Begriff "verwerflich" in § 240 Abs. 2 des deutschen StGB als
mit Art. 7 EMRK konform betrachtet (vgl. Urteil des EGMR Witt gegen Deutschland
vom 8. Januar 2007, Nr. 18397/03, § 1; siehe dazu auch LEIBHOLZ/RINCK,
Grundgesetz, Rechtsprechung des BVerfG, Kommentar, 7. Aufl. 2012, N. 1316 ff.
zu
BGE 139 I 72 S. 87
Art. 103 GG; PHILIP KUNIG, in: Grundgesetzkommentar, von Münch/Kunig [Hrsg.],
Bd. III, 5. Aufl. 2003, N. 27 ff., 34 ff. zu Art. 103 GG; GEORG NOLTE, in:
Kommentar zum Grundgesetz, von Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], Bd. III, 5. Aufl.
2005, N. 139, 141 ff., 144 ff. [Entscheidungsleitende Gesichtspunkte] zu Art.
103 Abs. 2 GG; HELMUTH SCHULZE-FIELITZ, in: Grundgesetz-Kommentar, Dreier
[Hrsg.], Bd. III, 2. Aufl. 2008, N. 7 i.f. [zur grundsätzlichen Parallelität
mit Art. 7 EMRK], 38 ff., 46 ff.).

8.2.2 Es trifft zu, dass Art. 7 Abs. 1 KG einige unbestimmte Rechtsbegriffe wie
denjenigen der marktbeherrschenden Stellung oder denjenigen des Missbrauchs
dieser Stellung enthält, die durch die Praxis zu interpretieren sind (vgl.
WILDHABER, a.a.O., Rz. 81 ff.). Ob diese Norm für sich allein als hinreichend
bestimmt zu beurteilen ist (so etwa HEINEMANN, Sanktionen, a.a.O., Rz. 24; a.M.
WILDHABER, a.a.O., Rz. 87), kann hier letztlich offenbleiben, wobei immerhin
darauf zu verweisen ist, dass es auch im ordentlichen Strafrecht Bestimmungen
mit mehreren auslegungsbedürftigen Begriffen gibt wie etwa den Betrug gemäss
Art. 146 StGB oder die Misswirtschaft nach Art. 165 StGB (vgl. dazu allgemein
STRATENWERTH, a.a.O., S. 91; POPP/LEVANTE, a.a.O., N. 33 zu Art. 1 StGB). Zu
berücksichtigen ist hingegen, dass Art. 7 Abs. 1 KG zusammen mit Abs. 2
derselben Bestimmung zu lesen ist (vgl. dazu ZÄCH/HEIZMANN, Markt und
Marktmacht, in: Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, Handbücher
für die Anwaltspraxis, Bd. IX, 2005, S. 29 ff., 57), worin die verpönten
Verhaltensweisen beispielhaft genannt werden. Obwohl diese Aufzählung nicht
abschliessend ist (vgl. BGE 137 II 199 E. 4.3.4 S. 210 f.), womit ein gewisser
davon unabhängiger Spielraum für die Grundregel von Abs. 1 verbleibt, führt sie
diese doch näher aus. Insbesondere ergibt sich aus der Verknüpfung von Art. 7
Abs. 1 mit Art. 7 Abs. 2 lit. b KG, wie sie hier zur Diskussion steht, ein
klareres Bild (vgl. RHINOW/BIAGGINI, Verfassungsrechtliche Aspekte der
Kartellgesetzrevision, in: Grundfragen der schweizerischen Kartellrechtsreform,
1995, S. 93 ff., 140; RHINOW/GUROVITS, Gutachten vom 5. Juli 2001 über die
Verfassungsmässigkeit der Einführung von direkten Sanktionen im Kartellgesetz,
Recht und Politik des Wettbewerbs [RPW] 2001/3 S. 592 ff., 611).

8.2.3 Es stellt sich mithin die Frage, ob der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 lit.
b KG genügend bestimmt ist, damit dieser Grundlage für Sanktionen bilden kann.
Der fragliche Tatbestand stellt nur ein Beispiel des Verhaltens nach Art. 7
Abs. 1 KG dar; ob dieses schliesslich
BGE 139 I 72 S. 88
missbräuchlich ist, ist im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 KG zu beurteilen (BGE
137 II 199 E. 4.3.4 S. 211; Botschaft vom 23. November 1994 zu einem
Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen [Kartellgesetz,
KG] [nachfolgend: Botschaft KG I], BBl 1995 I 468, 570; ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O.,
S. 57; DÄHLER/KRAUSKOPF/STREBEL, Aufbau und Nutzung von Marktpositionen, in:
Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 2005, S. 267 ff., 303;
AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 25 zu Art. 7 KG; BORER, a.a.O., N. 4 zu Art. 7 KG;
CLERC, a.a.O., N. 109 zu Art. 7 KG; MICHAEL TSCHUDIN, Rabatte als Missbrauch
einer marktbeherrschenden Stellung gemäss Art. 7 KG, 2011, S. 79). Insofern
müssen selbstverständlich auch die Elemente der marktbeherrschenden Stellung
und die dabei massgebliche Vorfrage der Marktabgrenzung genügend bestimmt sein;
dies trifft zu: Art. 4 Abs. 2 KG für den Begriff "marktbeherrschend" und Art.
11 Abs. 3 der Verordnung vom 17. Juni 1996 über die Kontrolle von
Unternehmenszusammenschlüssen (VKU; SR 251.4) für die Marktabgrenzung.
Schwieriger zu beantworten ist, ob mit dem Begriff "Diskriminierung" i.V.m.
Art. 7 Abs. 1 KG das verpönte Verhalten genügend klar umrissen ist. Zunächst
ist festzuhalten, dass identisches Verhalten je nach den konkreten Umständen
wettbewerbskonform oder wettbewerbswidrig sein kann (vgl. AMSTUTZ/CARRON,
a.a.O., N. 24 zu Art. 7 KG; ROGER ZÄCH, Schweizerisches Kartellrecht
[nachfolgend: Kartellrecht], 2. Aufl. 2005, S. 304 f.). Insofern kann nur
einzelfallweise eruiert werden, ob ein Verhalten diskriminierend ist. Wie im
Kernstrafrecht müssen auch im Wirtschaftsstrafrecht angesichts vielfältiger
Problemstellungen und der Komplexität der zu ordnenden Sachverhalte offene
Normen verwendet werden. Allerdings schadet das nicht: Hier wie dort ist eine
Auslegung der Norm und sind Konkretisierungen der Gerichte und der Behörden
zulässig (vgl. oben E. 8.2.1). So ist beispielsweise auch im Strafrecht eine
komplexe Auslegung notwendig, um zu bestimmen, ob im Cache gespeicherte
pornographische Daten als strafbarer Besitz im Sinne von Art. 197 StGB gelten (
BGE 137 IV 208), was überhaupt Pornographie ist (BGE 131 IV 64 E. 10.1.1
[entscheidend ist der Gesamteindruck]; siehe auch BGE 133 II 136 E. 5.3 S. 144
ff.) oder ob eine inhaltlich unwahre Rechnung eine Falschbeurkundung i.S. von
Art. 251 Ziff. 1 StGB oder eine straffreie schriftliche Lüge darstellt (BGE 138
IV 130). Nicht anders verhält es sich im Kartellrecht: Diskriminierung ist
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt; dieser Missbrauch
besteht darin, dass andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des
Wettbewerbs behindert
BGE 139 I 72 S. 89
oder die Marktgegenseite benachteiligt wird. Missbräuchlich heisst
wettbewerbswidrig (vgl. ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 57). Zur Bestimmung, ob
Verhalten wettbewerbswidrig oder wettbewerbskonform ist, haben Lehre und
Rechtsprechung verschiedene Beurteilungskriterien entwickelt: Legitimate
business reasons (sachliche Gründe), Vorliegen einer Behinderungs- oder
Verdrängungsabsicht, Schwächung der Wettbewerbsstruktur,
Nichtleistungswettbewerb, normzweckorientierte Interessenabwägung,
Gleichbehandlungsprinzip und Abschottung des schweizerischen Marktes (vgl. dazu
ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 58; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 305 ff.; AMSTUTZ/
CARRON, a.a.O., N. 27-71, 179 ff., 198 ff. zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 61
ff. zu Art. 7 KG). Diskriminierend sind in jedem Fall Verhaltensweisen von
marktbeherrschenden Unternehmen, die Handelspartner ohne sachliche Gründe
unterschiedlich behandeln (vgl. etwa OLAF KIENER, Marktmachtmissbrauch, 2002,
S. 242; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 326) und diese damit im Wettbewerb bzw.
in ihrer wirtschaftlichen Freiheit spürbar behindern (vgl. BGE 129 II 497 E.
6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, Schweizerisches
Wettbewerbsrecht, 2012, S. 247 Rz. 718, S. 251; siehe dazu auch unten E. 10).
Da das schweizerische Kartellgesetz sich stark am europäischen Wettbewerbsrecht
orientiert (vgl. Botschaft KG I, BBl 1995 I 471, 494, insbes. 531 ["Parallelen
bestehen beispielsweise bei der Formulierung der Tatbestände des Missbrauchs
einer marktbeherrschenden Stellung"]), ist auch die Praxis zu Art. 102 des
Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV; ABl. C 115/47 vom
9. Mai 2008; vgl. dazu statt aller PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF, in:
Europäisches Unionsrecht [...], a.a.O., passim zu Art. 102 AEUV; vormals Art.
82 EGV) zu berücksichtigen (vgl. jetzt MONIQUE STURNY, Der Einfluss des
europäischen Kartellrechts auf das schweizerische Kartellrecht, in: Die
Europakompatibilität des schweizerischen Wirtschaftsrechts: Konvergenz und
Divergenz, 2012, S. 107 ff., 113 ff. i.V.m. 112, 124 Fn. 90 und S. 127; siehe
auch AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 198 zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 64 zu Art.
7 KG; KÖCHLI/REICH, in: Kartellgesetz, 2007, N. 32 zu Art. 4 KG; dazu auch MARC
AMSTUTZ, Evolutorische Rechtsmethodik im europäischen Privatrecht, Zur
richtlinienkonformen Auslegung und ihren Folgen für den autonomen Nachvollzug
des Gemeinschaftsprivatrechts in der Schweiz, in: Das schweizerische
Privatrecht im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 2004, S. 105 ff.;
ROBERTO DALLAFIOR, in: Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, 1996, 2.
Lieferung 1997, N. 96 zu Art. 7 KG). Diesbezüglich lassen sich bereits
BGE 139 I 72 S. 90
Erkenntnisse über den Normsinn und damit auch Rechtssicherheit (vgl. STURNY,
a.a.O., S. 124, 125) gewinnen. Wie bereits ausgeführt hat der EGMR die
Tragweite des Begriffs der Vorhersehbarkeit in grossem Mass von der Vielfalt
der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der
im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, von den Normadressaten, von der
Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der
Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung abhängig
gemacht. Dabei steht es dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit nicht entgegen,
wenn das betroffene Unternehmen in einem vernünftigen, den Umständen
entsprechenden Masse rechtlichen Rat einholen muss, um die möglichen Folgen
eines bestimmten Handelns zu ermitteln (vgl. Urteil des EGMR Cantoni, § 35, in:
EuGRZ 1999 S. 193 ff., 198; ähnlich AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 38 i.f. zu Art.
7 KG). Der schweizerische Gesetzgeber hat - gestützt (vgl. Botschaft KG II, BBl
2002 2036) auf ein Rechtsgutachten (RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 592 ff.) - eine
solche Möglichkeit, rechtlichen Rat einzuholen, institutionalisiert. Besteht
bei einem Unternehmen Unsicherheit darüber, ob ein wettbewerbsbeschränkendes
Verhalten unter Art. 7 KG fällt, soll ihm die Möglichkeit offenstehen, dieses
der Wettbewerbskommission zu melden, bevor es Wirkung entfaltet (vgl. Art. 49a
Abs. 3 lit. a KG). Damit wird sichergestellt, dass die Unternehmen das Risiko
einer Fehlbeurteilung des eigenen Verhaltens nicht selbst tragen müssen (vgl.
Botschaft KG II, BBl 2002 2039; RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 612; BGE 135 II 60
E. 3.2.1 S. 70). Mit diesem Instrument hat es jede Unternehmung in der Hand,
die materielle Rechtslage im Zweifelsfall abklären zu lassen und damit der
Gefahr einer Sanktion zu entgehen (vgl. RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 612).
Insoweit stellt die Vorabmeldung ein notwendiges Korrektiv der Unbestimmtheit
des Normtextes dar und insoweit ist auch Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b KG
hinreichend bestimmt, um als gesetzliche Grundlage für eine Sanktionierung zu
dienen (vgl. auch RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, Öffentliches
Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 414 f.; DOSS, a.a.O., S. 72).
Angesichts der Vorgeschichte in den späten 90er Jahren und dem damaligen
Hinweis des WEKO Sekretariats, dass ein gewisses Diskriminierungspotenzial der
Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer bestehe und sie sich deshalb
vorbehalte, ein formelles Untersuchungsverfahren zu eröffnen, musste die
Beschwerdeführerin bereits zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass ihre
BGE 139 I 72 S. 91
Verhaltensweise unter den Tatbestand des Art. 7 KG fallen könnte. Sie hätte
deshalb die materielle Rechtslage vorteilhafterweise zu diesem Zeitpunkt
abklären lassen sollen(vgl. Urteil des EGMR Cantoni,§ 35, in: EuGRZ 1999, S.
193 ff., 198).

8.3 Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, bei der Anwendung von Art. 7 KG
sei mit Blick auf allfällige Unklarheiten, etwa bei der Marktdefinition bzw.
beim Verständnis der marktbeherrschenden Stellung, nach dem Grundsatz "in dubio
pro reo" vorzugehen.

8.3.1 Die Beschwerdeführer verwechseln teilweise die Regeln der Beweislast und
-würdigung, die in tatsächlicher Hinsicht gelten (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a S. 40
f.), mit den anwendbaren Auslegungsgrundsätzen. Lediglich sachverhaltsmässige
Unklarheiten sind aufgrund der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Ziff. 2 EMRK bzw.
Art. 32 Abs. 1 BV zu Gunsten der Beschwerdeführer zu werten. Allfällige
Unschärfen bei den Rechtsbegriffen unterliegen demgegenüber den Regeln der
Gesetzesinterpretation. Der Grundsatz "in dubio pro reo" hat insofern keine
Bedeutung.

8.3.2 Die Beschwerdeführer bringen vor, für die Würdigung der tatsächlichen
Voraussetzungen bei der Beurteilung der Marktstellung sei zu verlangen, dass
eine solche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliege. Es ist
indessen nicht zu übersehen, dass die Analyse der Marktverhältnisse komplex und
die Datenlage oft unvollständig und die Erhebung ergänzender Daten schwierig
ist. So ist etwa bei der Marktabgrenzung die Substituierbarkeit aus der Sicht
der Marktgegenseite mit zu berücksichtigen. Die Bestimmung der massgeblichen
Güter sowie die Einschätzung des Ausmasses der Substituierbarkeit ist kaum je
exakt möglich, sondern beruht zwangsläufig auf gewissen ökonomischen Annahmen.
Die Anforderungen an den Nachweis solcher Zusammenhänge dürfen mit Blick auf
die Zielsetzung des Kartellgesetzes, volkswirtschaftlich oder sozial schädliche
Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern
und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen
marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern (vgl. Art. 96 BV und Art. 1 KG), nicht
übertrieben werden (vgl. dazu STEFAN BILGER, Das Verwaltungsverfahren zur
Untersuchung von Wettbewerbsbeschränkungen, 2002, S. 305 f.; PAUL RICHLI,
Kartellverwaltungsverfahren, in: Kartellrecht, SIWR Bd. V/2, 2000, S. 417 ff.,
454; TSCHUDIN, a.a.O., S. 142 f.; DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, a.a.O., S.
465 ff. [zurückhaltender]; siehe auch AMSTUTZ/KELLER/REINERT, "Si unus cum una
...": Vom Beweismass im Kartellrecht,
BGE 139 I 72 S. 92
Baurecht [BR] 2005 S. 114 ff., 118 f., 119 f.; zur Beweiswürdigung und zum
Beweismass allgemein siehe KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht,
2012, S. 168 f.; RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches
Prozessrecht, 2010, S. 268; AMSTUTZ/KELLER/REINERT, a.a.O., S. 116 f.). In
diesem Sinne erscheint eine strikte Beweisführung bei diesen Zusammenhängen
kaum möglich. Eine gewisse Logik der wirtschaftlichen Analyse und
Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit müssen aber überzeugend und nachvollziehbar
erscheinen (BILGER, a.a.O., S. 305 [zur Begründungsdichte]). Der vorliegende
Sanktionstatbestand unterscheidet sich insoweit nicht von komplexen
Wirtschaftsdelikten des ordentlichen Strafrechts.

8.3.3 Die WEKO nahm im vorliegenden Fall umfangreiche tatsächliche Abklärungen
zur Marktabgrenzung und zur Marktstellung vor. Dabei wurden auch die Argumente
der Beschwerdeführer einlässlich geprüft. Nicht zuletzt deshalb benötigte das
Verfahren eine gewisse Zeit. Dass diese von der Vorinstanz nach entsprechender
Würdigung übernommenen ökonomischen Zusammenhänge, die im angefochtenen
Entscheid ausführlich begründet werden, nicht verlässlich sein sollten, ist
nicht ersichtlich.

9.

9.1 Als marktbeherrschend gelten gemäss Art. 4 Abs. 2 KG einzelne oder mehrere
Unternehmen, die auf dem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind,
sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in
wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (dazu KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 26
ff. zu Art. 4 KG; REINERT/BLOCH, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N.
94 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; TAGMANN, a.a.O., S. 53 ff.; ZÄCH, Kartellrecht,
a.a.O., S. 258 ff.; PATRIK DUCREY, in: Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht,
3. Aufl. 2008, Rz. 1478 i.V.m. 1331 ff.). Bevor sich die Marktmacht beurteilen
lässt, ist der relevante Markt zu definieren. Dieser beurteilt sich analog Art.
11 Abs. 3 VKU nach einer sachlichen und räumlichen Komponente (dazu etwa ZÄCH/
HEIZMANN, a.a.O., S. 34). Hinzu kommt die zeitliche Dimension.

9.2

9.2.1 Der räumliche Markt umfasst das Gebiet, in dem die Marktgegenseite die
den sachlichen Markt bestimmenden Waren oder Leistungen nachfragt oder anbietet
(Art. 11 Abs. 3 lit. b VKU; siehe dazu etwa RETO A. HEIZMANN, Der Begriff des
marktbeherrschenden Unternehmens im Sinne von Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 7 KG, 2005, S. 143 ff.). Dass es vorliegend um das Gebiet der ganzen
Schweiz geht, wird nicht bestritten.
BGE 139 I 72 S. 93

9.2.2 In zeitlicher Hinsicht ist im Wesentlichen von den Verhältnissen in der
massgeblichen Zeitperiode, hier also vom 1. April 2004 bis zum 30. November
2005, auszugehen (vgl. nicht publ. E. 5.3). Die Berücksichtigung nachträglicher
Entwicklungen, wie das die Beschwerdeführer geltend machen, ist nur bedingt
möglich, nämlich dann, wenn diese zwingende Schlüsse auf die frühere Situation
zulassen. Im Übrigen ist entscheidend, dass es um die kartellrechtliche
Sanktionierung eines in der Vergangenheit liegenden und abgeschlossenen
Marktverhaltens geht. Gerade mit Blick auf den strafrechtlichen Charakter des
Sanktionsverfahrens verbietet sich eine zeitliche Vermischung der massgeblichen
Umstände mit Ereignissen aus anderen Zeitperioden.

9.2.3

9.2.3.1 Der sachliche Markt umfasst alle Waren und Leistungen, die von der
Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen
Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden (Art. 11 Abs. 3 lit. a
VKU; siehe rechtsvergleichend dazu Ziff. 7 der Bekanntmachung der Kommission
über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der
Gemeinschaft, ABl. C 372 vom 9. Dezember 1997, S. 5 ff.). Die Definition des
sachlichen Marktes erfolgt somit aus Sicht der Marktgegenseite; massgebend ist,
ob aus deren Optik Waren oder Dienstleistungen miteinander im Wettbewerb
stehen. Dies hängt davon ab, ob sie vom Nachfrager hinsichtlich ihrer
Eigenschaften und des vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar
erachtet werden (BGE 129 II 18 E. 7.3.1 S. 33; HEIZMANN, a.a.O., S. 105 ff.;
REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 102 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; CLERC, in: Droit de la
concurrence, 2002, N. 54 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O.,
Rz. 538 ff.; BORER, a.a.O., N. 10 ff. zu Art. 5 KG; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 42
f. zu Art. 4 KG). Entscheidend ist somit die funktionelle Austauschbarkeit
(Bedarfsmarktkonzept) von Waren und Dienstleistungen aus Sicht der
Marktgegenseite (vgl. etwa BORER, a.a.O., N. 10 zu Art. 5 KG; HEIZMANN, a.a.O.,
S. 106). Daneben bestehen weitere Methoden zur Bestimmung der Austauschbarkeit
der Waren und Dienstleistungen aus Nachfragersicht. Dabei ist stets vom
Untersuchungsgegenstand auszugehen (vgl. HEIZMANN, a.a.O., S. 106).

9.2.3.2 Die WEKO und die Vorinstanz bestimmten den Markt für die Vermittlung
und den Verkauf von Inserate- und Werberaum in den Printmedien als sachlich
relevanten Markt. Das unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilende
Marktverhalten ist die
BGE 139 I 72 S. 94
Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer gegenüber den unabhängigen
Vermittlern im Rahmen des Pachtregiesystems. Insofern steht das entsprechende
Dienstleistungsangebot im Vordergrund.

9.2.3.3 Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, die Vorinstanz habe die
Substitutionsverhältnisse falsch definiert. Der sachlich relevante Markt
umfasse nicht nur die Printmedien, sondern auch die anderen Werbeträger,
insbesondere die Plakatwerbung (Aussenwerbung), die Direktwerbung und die
elektronischen Medien. Dabei seien klare Substitutionsbewegungen von der Presse
hin zu den anderen Medien festzustellen, denen eine höhere Beweiskraft zukomme
als den von den Vorinstanzen bewerteten Marktbefragungen.

9.2.3.4 Vorweg ist die Auffassung der Beschwerdeführer, dass die
Marktabgrenzung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen"
werden muss, zurückzuweisen. Wie bereits oben (E. 8.3.2) festgehalten worden
ist, ist eine strikte Beweisführung bei der Marktabgrenzung kaum möglich, da
u.a. auch auf Erfahrungssätze, Marktbeobachtungen und
Marktteilnehmerbefragungen abzustellen ist (vgl. HEIZMANN, a.a.O., S. 104, 109,
111; MANI REINERT, Ökonomische Grundlagen zur kartellrechtlichen Beurteilung
von Alleinvertriebsverträgen, 2004, S. 26, 28, 38 f.; ZÄCH/ZWEIFEL, Plädoyer
für das neue Kartellgesetz, in: Grundfragen der schweizerischen
Kartellrechtsreform, 1995, S. 19 ff., 24; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 16 zu Art.
4 Abs. 2 KG; TAGMANN, a.a.O., S. 57 f.; ROGER ZÄCH, Verhaltensweisen
marktbeherrschender Unternehmen [nachfolgend: Verhaltensweisen], in:
Kartellrecht, SIWR Bd. V/2, 2000, S. 137 ff., 149; ADRIAN KÜNZLER, Effizienz
oder Wettbewerbsfreiheit? Zur Frage nach den Aufgaben des Rechts gegen private
Wettbewerbsbeschränkungen, 2008, S. 80 ff.).

9.2.3.5 Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass neue Technologien
auch das Werbeverhalten beeinflussen werden (vgl. KASPAR ANDREAS HEMMELER, Die
kartellrechtliche Bestimmung von Medienmärkten, 2007, passim). Bei alledem darf
indes nicht übersehen werden, dass die Eigenschaften und Gestaltoptionen der
Werbeträger sowie die anzusprechende Zielgruppe (vgl. WEBER/VOLZ,
Online-Werbemarkt und Kartellrecht - Innovation vs. Marktmacht [nachfolgend:
Online-Werbemarkt], sic! 2010 S. 777 ff., 780; siehe auch DOSS, a.a.O., S. 18)
die massgebenden Kriterien für die Feststellung des sachlich relevanten Marktes
sind, ist doch auf die Sicht der Marktgegenseite abzustellen (ZÄCH,
Verhaltensweisen, S. 150; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 259; DOSS, a.a.O., S.
18 [Rz. 24]). So
BGE 139 I 72 S. 95
wird deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass Radio-, Fernseh- und
Pressewerbung unterschiedliche Märkte darstellen. Die Werbung in den
unterschiedlichen Medientypen unterscheidet sich wesentlich aufgrund der
Gestaltungsoptionen und des Adressatenkreises; jedes Medium weist hinsichtlich
der Werbemöglichkeiten zudem unterschiedliche Eigenschaften und Vorteile auf
(vgl. WEBER/VOLZ, Online Marketing und Wettbewerbsrecht[nachfolgend: Online
Marketing], 2011, S. 96 f.;WEBER/VOLZ, Online-Werbemarkt, a.a.O., S. 779 f.;
HARALD MAAG, Medienkonzentration - zur Reichweite des
fusionskontrollrechtlichen Instrumentariums, 2002, S. 116 ff., 137, 147;
HEMMELER, a.a.O., S. 56 f.). Angesichts dieses Umstands ist auch von einem
eigenen Online-Werbemarkt, d.h. einem eigenen Werbemarkt im Internet,
auszugehen (vgl. WEBER/VOLZ, Online Marketing, a.a.O., S. 97), der in gewissen
Bereichen zudem noch weiter abgestuft werden kann (vgl. WEBER/VOLZ, Online
Marketing, a.a.O., S. 97). Für den Printbereich hat das Bundesgericht bereits
ähnliche Werbeteilmärkte akzeptiert (vgl. Urteil 2A.327/2006 vom 22. Februar
2007 E. 7.3.2). Insofern sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass
es sich um unterschiedliche Märkte handelt und die verschiedenen Werbeträger
eher komplementär zur Anwendung kommen.
Die Beschwerdeführer heben allerdings hervor, dass eine Substituierung zwischen
Printbereich und Internet bestehe. Sie beziehen sich dabei insbesondere auf
verschiedene Online-Plattformen in den Rubriken "Fahrzeuge", "Immobilien" und
"Stellen". Auch die Vorinstanz anerkennt vor allem in Bezug auf crossmediale
Werbestrategien (Mediamix bei Werbekampagnen) eine gewisse
Substitutionswirkung, doch werden die Werbeträger vor allem komplementär
eingesetzt. Sie hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass Online- und
Printwerbung u.a. unterschiedliche Nachfrager bedienen sowie unterschiedlichen
Kosten und Produktionsbedingungen unterliegen (dazu MATTHIAS AMANN,
Zeitungsfusionskontrolle, 2000, S. 133; MAAG, a.a.O., S. 112 f.). Kommt hinzu,
dass entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer die Frage weniger lautet, ob
es Substitutionsangebote gibt, sondern vielmehr bis zu welchem Grad die
fraglichen Güter austauschbar sind. Diese Frage ist daher auch nicht mit Ja
oder Nein zu beantworten, sondern sie ist gradueller Art (vgl. CLERC, a.a.O.,
N. 63 zu Art. 4 KG; SILVIO VENTURI, in: Droit de la concurrence, 2002, N. 31 zu
Art. 10 KG; MAAG, a.a.O., S. 112 f.; siehe auch AMANN, a.a.O., S. 132 ff.), wie
sich anhand der Methode der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage, wonach
hinreichende
BGE 139 I 72 S. 96
Austauschbarkeit zweier Produkte vorliegt, wenn relativ geringe Preiserhöhungen
für das eine Produkt eine Abwanderung der Nachfrage zum anderen Produkt bewirkt
(dazu etwa CLERC, a.a.O., N. 63 zu Art. 4 Abs. 2 KG; HEIZMANN, a.a.O., S. 116
ff.; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 114 zu Art. 4 KG; MANI REINERT, a.a.O., S. 27
ff.), und auch nach dem der Kreuzpreiselastizitätsmethode sehr ähnlichen
SSNIP-Test (small but significant and nontransitory increase in price), wonach
untersucht wird, wie die Unternehmen der Marktgegenseite oder Konkurrenten auf
eine kleine, aber spürbare und dauerhafte Preiserhöhung eines Monopolisten
reagieren (dazu HEIZMANN, a.a.O., S. 118 ff; AMANN, a.a.O., S. 137 ff.; MANI
REINERT, a.a.O., S. 29 ff.; CLERC, a.a.O., N. 63 zu Art. 4 Abs. 2 KG; TSCHUDIN,
a.a.O., S. 29), zeigen lässt. Angesichts dieses Umstandes ist eine strikte
Beweisführung weder möglich (siehe oben E. 8.3.2) noch überhaupt zu
rechtfertigen, ansonsten eine "objektive Berechenbarkeit vorgetäuscht und das
Erfordernis von Werturteilen verdeckt wird" (WALTER R. SCHLUEP, in: KG + PüG,
Schürmann/Schluep [Hrsg.], 1988, S. 260; KÜNZLER, a.a.O., S. 80 ff.).
Gestützt auf diese Methoden werden Substitutionsbeziehungen einerseits
innerhalb des relevanten Produkte- bzw. Leistungsmarktes (Marktwettbewerb) und
andererseits zwischen Gütern des relevanten Marktes und solchen, die im
marktnahen Bereich liegen (Substitutionswettbewerb), unterschieden (vgl. MAAG,
a.a.O., S. 113; AMANN, a.a.O., S. 134 ff.). Die teilweise Substituierbarkeit
von Produkten, welche dem Substitutionswettbewerb und nicht dem Marktwettbewerb
unterliegen, wird indes nicht als ausreichend angesehen, damit diese zum
sachlich relevanten Markt hinzugerechnet werden können (für den Medienmarkt:
AMANN, a.a.O., S. 132 ff.; MAAG, a.a.O., S. 111 ff., 194 ff.). Ihnen kommt aber
disziplinierende Wirkung zu (vgl. Urteil 2A.327/2006 vom 22. Februar 2007 E.
7.3.5).

9.2.3.6 Die Vorinstanz hat anhand der von der WEKO durchgeführten Abklärungen
festgestellt, dass die Preiselastizität gering ist. An die Feststellung dieses
Sachverhalts ist das Bundesgericht gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diese kann
nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
Dabei sind strenge Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde
gerechtfertigt; entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art.
106 Abs. 2 BGG genannten Rügen (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 i.V.m. E. 1.4.2 S.
255 i.V.m. 254).
BGE 139 I 72 S. 97
Die Beschwerdeführer stellen den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt
nicht qualifiziert in Frage. Insbesondere genügen die Hinweise auf die drei
Rubriken "Fahrzeuge", "Stellen" und "Immobilien" den strengen Anforderungen
nicht: Die Vorinstanz hat bereits in ihrem Entscheid die den Sachverhalt
betreffenden Rügen gründlich erörtert. Die Beschwerdeführer setzten sich
diesbezüglich nicht vertieft damit auseinander und unterlassen es, auch
qualifiziert darzulegen, inwiefern die Rückläufigkeit der Werbung in den
Printmedien nicht auf die Pressekrise zurückgeführt werden kann. Insofern
erweist sich der vorinstanzlich bestimmte sachlich relevante Markt als
bundesrechtskonform.

9.3 Nachdem der sachlich, örtlich und zeitlich relevante Markt bestimmt worden
ist, gilt es zu eruieren, ob die Beschwerdeführer marktbeherrschend waren.

9.3.1 Nach Art. 4 Abs. 2 KG gelten als marktbeherrschende Unternehmen einzelne
oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in
der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder
Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten, insbesondere wenn
diese keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten haben; entscheidend ist die
Möglichkeit des unabhängigen Verhaltens eines Unternehmens in einem bestimmten
Markt (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.3.1 S. 536; ZÄCH, Verhaltensweisen, a.a.O., S.
172; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 281; DUCREY, a.a.O., S. 326; KÖCHLI/REICH,
a.a.O., N. 31, 34 zu Art. 4 KG). Marktbeherrschende Unternehmen können in
wichtigen Belangen entscheidende Wettbewerbsparameter ohne Rücksicht auf
Mitbewerber bzw. Kunden nach eigenem Gutdünken festlegen (vgl. DUCREY, a.a.O.,
S. 326). Mit der Änderung des Kartellgesetzes im Jahre 2003 hat der Gesetzgeber
zudem verdeutlicht, dass nicht allein auf Marktstrukturdaten abzustellen ist,
sondern auch konkrete Abhängigkeitsverhältnisse zu prüfen sind (vgl. Botschaft
KG II, BBl 2002 2045; DUCREY, a.a.O., S. 326; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S.
280; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 30, 36 zu Art. 4 KG). Eine marktbeherrschende
Stellung lässt sich nicht anhand fixer Kriterien bestimmen, sondern ist im
Einzelfall mit Blick auf die konkreten Verhältnisse auf dem relevanten Markt zu
entscheiden (dazu etwa KÜNZLER, a.a.O., S. 423; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 238
[Rz. 696 i.f.]; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 33, 37 zu Art. 4 KG; PHILIPP CANDREIA,
Konzerne als marktbeherrschende Unternehmen nach Art. 7 KG, 2007, S. 160). Die
Lehre hat dazu verschiedene Beurteilungskriterien entwickelt (vgl.
BGE 139 I 72 S. 98
DUCREY, a.a.O., S. 326 ff.; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 284 ff.; REINERT/
BLOCH, a.a.O., N. 258 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; TSCHUDIN, a.a.O., S. 114 ff.).

9.3.2

9.3.2.1 Zur Marktstellung machen die Beschwerdeführer - wie bereits bei der
Marktabgrenzung - zu Unrecht geltend, dass die Tatbestandselemente des Art. 7
KG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden müssen.
Diesbezüglich kann auf die bereits oben aufgeführten Argumente verwiesen werden
(vgl. E. 8.3.2 und 9.2.3.4).

9.3.2.2 Die Beschwerdeführer führen sodann aus, dass der Gegenstand der zu
beurteilenden Untersuchung die Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer im
Rahmen des Pachtregiesystems sei; in Bezug auf diese Praxis sei zu prüfen, ob
die Beschwerdeführer sich missbräuchlich verhalten hätten. Konsequenz hieraus
sei, dass die Möglichkeit eines unabhängigen Verhaltens der Beschwerdeführer
bezüglich dieser Verhaltensweise geprüft werden müsse. Mit anderen Worten gehen
die Beschwerdeführer davon aus, dass für das Tatbestandsmerkmal
"marktbeherrschendes Unternehmen" nicht der relevante Markt der notwendige
Bezugspunkt sei, sondern lediglich der Markt, wo die strittige
Kommissionierungspraxis erfolgt sei, mithin also ein engerer Markt. Folglich
sei ihr Marktanteil wesentlich tiefer als von der WEKO festgestellt und von der
Vorinstanz bestätigt (63 %). Er betrage lediglich 42,5 %; dieser entspreche dem
durch die Beschwerdeführerinnen 2-5 in Pachtregie erwirtschafteten Umsatz.
Die Vorinstanz hatte in ihrem Urteil bereits festgehalten, dass für die
Beurteilung der "Marktbeherrschung" der ausgeschiedene relevante Markt
massgebend sei. Die Beschwerdeführer verfügten deshalb im hier fraglichen
Zeitraum über einen Marktanteil von über 63 %, da einerseits zahlreiche Verlage
mit den Beschwerdeführern exklusive Pachtverträge abgeschlossen hätten, wo die
Beschwerdeführer praktisch konkurrenzlos waren, und andererseits die
Eigenregieverlage rund 40-50 % mit von den Beschwerdeführern vermittelten
Inseraten generiert hätten.

9.3.3

9.3.3.1 Die Beschwerdeführer nehmen für die Begründung der Marktbeherrschung
auf die strittige Kommissionierungspraxis Bezug. Sie setzen sich allerdings
wenig begründet mit der vorinstanzlichen
BGE 139 I 72 S. 99
Auffassung auseinander. Art. 4 Abs. 2 KG hält klar fest: Der Markt, auf welchem
Unternehmen "herrschen", ist derjenige Markt, wo diese sich von anderen
Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig verhalten können (vgl. DAVID
/JACOBS, a.a.O., S. 237 Rz. 696 i.i.; CANDREIA, a.a.O., S. 159; MARKUS RUFFNER,
Unzulässige Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen, AJP 1996 S. 834 ff.,
836 ["zweistufiger Marktbeherrschungstest"]; so auch für die identische
Regelung auf EU-Ebene: MÜLLER-GRAFF, a.a.O., N. 11 zu Art. 102 AEUV). Würde
keine Marktübereinstimmung bestehen, könnten sich einerseits die
Marktteilnehmer bezüglich der Waren bzw. Dienstleistungen ohnehin unabhängig
verhalten, weshalb eine diesbezügliche Regelung in Art. 4 Abs. 2 KG sinnlos
wäre, und andererseits wäre auch die Frage der funktionellen Substituierbarkeit
obsolet. Zudem wäre auch das Beurteilungskriterium des Marktverhaltens, worin
auch die Reaktion der Marktgegenseite einzubeziehen ist (vgl. ZÄCH,
Kartellrecht, a.a.O., S. 288; HEIZMANN, a.a.O., S. 200 ff.; CANDREIA, a.a.O.,
S. 166 f.), die wiederum für die Bestimmung des relevanten Marktes massgebend
ist (vgl. etwa ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 259), seines Inhaltes entleert.
Die von den Beschwerdeführern in den Vordergrund geschobene strittige
Kommissionierungspraxis bildet erst Gegenstand bei der Beurteilung der Frage,
ob diese, sofern sie marktbeherrschend sind, sich unzulässig verhalten haben (
Art. 7 KG; zum möglichen engeren Markt beim Missbrauch so auch für die EU: vgl.
MARKUS M. WIRTZ, in: Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, N. 37 zu 6.
Kapitel [S. 293]).

9.3.3.2 Angesichts dieses Befundes ist von einem Marktanteil von 63 %
auszugehen, welcher von den Beschwerdeführern nicht bestritten wird. Im
Gegensatz zur Praxis in der EU (vgl. hierzu etwa die Hinweise bei CANDREIA,
a.a.O., S. 161 f.; CLERC, a.a.O., N. 111 zu Art. 4 Abs. 2 KG) folgert die
schweizerische Praxis und Lehre aus einem hohen Marktanteil nicht per se eine
marktbeherrschende Stellung (vgl. CLERC, a.a.O., N. 108 zu Art. 4 Abs. 2 KG;
REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 270, 277 zu Art. 4 Abs. 2 KG; CANDREIA, a.a.O., S.
163; BORER, a.a.O., N. 20 zu Art. 4 KG; RUFFNER, a.a.O., S. 837). Allerdings
bildet der Marktanteil von 50 % Indiz für eine marktbeherrschende Stellung
("kritische Schwelle": vgl. BORER, a.a.O., N. 19 zu Art. 4 KG; REINERT/BLOCH,
a.a.O., N. 277 zu Art. 4 Abs. 2 KG; CLERC, a.a.O., N. 116, siehe auch 108-110
zu Art. 4 Abs. 2 KG; HEIZMANN, a.a.O., S. 168, 171, 172). Insofern spricht bei
einem Marktanteil von 63 % viel dafür, dass die Beschwerdeführer eine
BGE 139 I 72 S. 100
marktbeherrschende Stellung innehaben. Diese "Vermutung" wird durch die
Erhebungen und Abklärungen der WEKO, welche die Vorinstanz bestätigt hat, nicht
widerlegt, sondern vielmehr bekräftigt.
Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, vermag daran nichts zu ändern: Es
genügt nicht, lediglich geltend zu machen, dass die Ausführungen der Vorinstanz
falsch, nicht ausreichend begründetoder nicht nachvollziehbar sind. Hier wäre
vielmehr eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem vorinstanzlichen Entscheid
unter Darstellung der eigenen Auffassung notwendig. Zudem wird - entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführer - in der Beurteilung der Vorinstanz
berücksichtigt, dass es neben den Beschwerdeführern auch grössere andere
Eigenregieverlage gab. Die von den Beschwerdeführern angerufenen angeblichen
Verschiebungen in den letzten Jahren sind für den hier fraglichen Zeitraum nur
bedingt wesentlich und belegen keine massgebliche Fehleinschätzung durch die
Vorinstanz. Das gilt insbesondere für die behauptete disziplinierende Wirkung
durch potenziellen Wettbewerb. Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass die
Verlage und die alternativen Werbeträger das Verhalten der Beschwerdeführer im
Markt der Vermittlung und dem Verkauf von Anzeige- und Werberaum in Printmedien
sowie ihr Verhalten gegenüber den Vermittlern effektiv hätten beeinflussen
können. Schliesslich legen die Beschwerdeführer ihrer Argumentation auch einen
falschen Massstab zugrunde, wenn sie ausführen, dass sie sich von anderen
Marktteilnehmern nie unabhängig verhalten können; sie wären abhängig von
diversen anderen Marktteilnehmern (z.B. [Print-] Verlage). Art. 4 Abs. 2 KG
verlangt nicht, dass sie sich von anderenMarktteilnehmern vollständig
unabhängig verhalten können, sondern vielmehr, dass sie sich von anderen
Marktteilnehmern nur in wesentlichen Umfang unabhängig verhalten können. Dies
trifft im vorliegenden Fall zu.

9.3.4 Insofern hat die Vorinstanz zu Recht auf eine marktbeherrschenden
Stellung der Beschwerdeführerin 1 im Markt für die Vermittlung und den Verkauf
von Inserate- und Werberaum in Printmedien erkannt.

10.

10.1

10.1.1 Nach Art. 7 Abs. 1 KG verhalten sich marktbeherrschende Unternehmen
unzulässig, "wenn sie durch Missbrauch ihrer Stellung auf dem Markt andere
Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindern oder die
Marktgegenseite
BGE 139 I 72 S. 101
benachteiligen". Das Kartellrecht verbietet eine marktbeherrschende Stellung
nicht (vgl. BGE 137 II 199 E. 4.3.4 S. 211; BGE 129 II 497 E. 6.5.1 und 6.5.8
S. 538 bzw. 542; Botschaft KG I, BBl 1995 I 547; ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 56),
und eine solche ist für sich allein auch nicht missbräuchlich (BGE 129 II 497
E. 6.5.1 und 6.5.8 S. 538 bzw. 542; CLERC, a.a.O., N. 1 zu Art. 7 KG; TAGMANN,
a.a.O., S. 58; BORER, a.a.O., N. 1, 2 zu Art. 7 KG; ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S.
56; CANDREIA, a.a.O., S. 186; KÜNZLER, a.a.O., S. 453; TSCHUDIN, a.a.O., S.
101, 140 f.; HUBERT STÖCKLI, Ansprüche aus Wettbewerbsbehinderung, 1999, S. 58,
67, 122; für die EU siehe etwa WOLFGANG WEISS, in: EUV/EGV, Kommentar, 3. Aufl.
2007, N. 1 zu Art. 82 EGV; INGO BRINKER, in: EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, N. 1
zu Art. 102 AEUV), besteht doch der Sinn des Wettbewerbs gerade darin, durch
Markterfolg und internes Wachstum eine dominierende Stellung zu erreichen (vgl.
Botschaft KG I, BBl 1995 I 569; CHRISTIAN J. MEIER-SCHATZ, Unzulässige
Wettbewerbsbeschränkungen, Art. 5-8, in: Das neue schweizerische Kartellgesetz,
1996, S. 21 ff., 53; TSCHUDIN, a.a.O., S. 79; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 38 zu
Art. 7 KG; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 245). Marktbeherrschung - insofern trägt
das marktbeherrschende Unternehmen eine besondere Verantwortung für sein
Marktverhalten (vgl. DIRKSEN, in: Kommentar zum deutschen und europäischen
Kartellrecht, Bd. II: Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, N. 75 zu Art.
82 EGV) - wird allerdings dann problematisch, wenn - wie Art. 7 Abs. 1 KG
festhält - als qualifizierendes Element eine unzulässige Verhaltensweise
hinzutritt (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.5.1 S. 538; TSCHUDIN, a.a.O., S. 141;
AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 1, 2, 37 zu Art. 7 KG). Solche Verhaltensweisen
setzen einen Missbrauch voraus: Missbraucht wird danach die marktbeherrschende
Stellung, welche es einem Unternehmen erlaubt, sich unabhängig von anderen
Marktteilnehmern zu verhalten (TSCHUDIN, a.a.O., S. 136). Das missbräuchliche
Verhalten richtet sich entweder gegen andere Unternehmen oder gegen die
Marktgegenseite (d.h. Lieferanten oder Abnehmer des behindernden Unternehmens).
Gestützt darauf unterscheidet Art. 7 Abs. 1 KG zwei Behinderungsformen: Durch
den Missbrauch werden einerseits andere Unternehmen (i.d.R. aktuelle oder
potentielle Konkurrenten; in einem ersten Schritt allerdings auch andere
Marktteilnehmer: vgl. AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 43 zu Art. 7 KG) in der
Aufnahme (d.h. durch Errichtung von Marktzutrittsschranken: vgl. AMSTUTZ/
CARRON, a.a.O., N. 45 i.f. zu Art. 7 KG) oder Ausübung des Wettbewerbs
behindert
BGE 139 I 72 S. 102
(Behinderungsmissbrauch); unter den Begriff der Behinderung der Ausübung des
Wettbewerbs lassen sich eine Vielzahl von Formen subsumieren: disziplinierende
Behinderung, die marktliche Errungenschaften von Konkurrenten zu zerstören
sucht, die preisliche Behinderung und die strategische Behinderung, die andere
Wettbewerbsparameter als den Preis betrifft (vgl. AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 45
zu Art. 7 KG). Bei der Behinderung sowohl der Aufnahme als auch der Ausübung
des Wettbewerbs spielt es keine Rolle, ob sich diese auf dem Markt des
Marktbeherrschers oder auf einem vor- bzw. nachgelagerten Markt aktualisiert
(vgl. AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 45 i.f. zu Art. 7 KG). Durch den Missbrauch
wird sodann andererseits die Marktgegenseite (d.h. Lieferanten oder Abnehmer
des behindernden Unternehmens) benachteiligt (Benachteiligungs- bzw.
Ausbeutungsmissbrauch), indem dieser ausbeuterische Geschäftsbedingungen oder
Preise aufgezwungen werden (dazu etwa ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 303 ff.;
ders., Verhaltensweisen, a.a.O., S. 186 ff., 198 ff., 213 ff.; TAGMANN, a.a.O.,
S. 58 ff.; RUFFNER, a.a.O., S. 838; KÜNZLER, a.a.O., S. 452 f.; STÖCKLI,
a.a.O., S. 121 ff.); einen typischen Ausbeutungsmissbrauch stellt deshalb die
Erzwingung unangemessener Preise oder sonstiger unangemessener
Geschäftsbedingungen (Art. 7 Abs. 2 lit. c KG) dar (vgl. ZÄCH, Kartellrecht,
a.a.O., S. 336; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 46 i.f. zu Art. 7 KG).
Charakteristisch für die Kategorie des Ausbeutungsmissbrauchs ist das Streben
des marktbeherrschenden Unternehmens nach ökonomischen Vorteilen durch eine
Beeinträchtigung der Interessen von Handelspartnern und Verbrauchern unter
Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung (vgl. etwa Botschaft KG I, BBl
1995 569; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 46 zu Art. 7 KG; JUNG, in: Das Recht der
Europäischen Union, Kommentar, 2010, 48. Ergänzungslieferung, August 2012, N.
166 zu Art. 102 AEUV; DIRKSEN, a.a.O., N. 77 zu Art. 82 EGV).
Behinderungsmissbrauch umfasst dagegen sämtliche Massnahmen beherrschender
Unternehmen ausserhalb eines fairen Leistungswettbewerbs,die sich unmittelbar
gegen aktuelle und potentielle Wettbewerber (Konkurrenten und Handelspartner:
Botschaft KG I, BBl 1995 569) richten und diese in ihren Handlungsmöglichkeiten
auf dem beherrschten Markt oder benachbarten Märkten einschränken (vgl. JUNG,
a.a.O., N. 214 zu Art. 102 AEUV; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 43 zu Art. 7 KG).
Gewisse Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Unternehmen können zugleich
behindernd und benachteiligend (ausbeutend) sein (vgl. RUFFNER, a.a.O., S. 840;
ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O.,
BGE 139 I 72 S. 103
S. 316; ZÄCH, Verhaltensweisen, a.a.O., S. 198; TSCHUDIN, a.a.O., S. 147;
CANDREIA, a.a.O., S. 191; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., z.B. N. 53 zu Art. 7 KG);
insofern ist es grundsätzlich irrelevant, ob eine zu beurteilende
Verhaltensweise dem Begriff Behinderungs- bzw. Ausbeutungsmissbrauch zugewiesen
werden kann, welchen ohnehin nur heuristischer Wert zukommt (so auch AMSTUTZ/
CARRON, a.a.O., N. 42 zu Art. 7 KG). Massgebend ist aber allemal, dass die
Missbräuchlichkeit (einschliesslich der Wettbewerbsschädigung) der strittigen
Verhaltensweise aufgrund der Einzelfallanalyse festgestellt wird (vgl.
CANDREIA, a.a.O., S. 191; so auch JUNG, a.a.O., N. 165 zu Art. 102 AEUV).
Praktiken von marktbeherrschenden Unternehmen können zudem mehrere Tatbestände
von Art. 7 Abs. 2 KG betreffen (ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 316; AMSTUTZ/
CARRON, a.a.O., N. 107 ff. zu Art. 7 KG).

10.1.2 Missbrauch umfasst zunächst alle denkbaren Verhaltensweisen mit
volkswirtschaftlich schädigendem Effekt und sodann solche, welche die
wirtschaftliche Freiheit der betroffenen Unternehmen behindern (vgl. BGE 129 II
497 E. 6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, a.a.O., S.
190, 247). Verdeutlicht werden die Behinderung und Benachteiligung nach Art. 7
Abs. 1 KG durch einen Beispielkatalog in Art. 7 Abs. 2 KG. Ob die darin
aufgeführten Verhaltensweisen missbräuchlich sind, ist allerdings im
Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 KG zu beurteilen. Mit anderen Worten ist im
Einzelfall zu prüfen, ob eine Verhaltensweise nach Art. 7 Abs. 2 KG eine
Behinderung bzw. Benachteiligung i.S. des Art. 7 Abs. 1 KG darstellt (BGE 129
II 497 E. 6.5.1 S. 538; TSCHUDIN, a.a.O., S. 137; DUCREY, a.a.O., S. 333;
CLERC, a.a.O., N. 109 zu Art. 7 KG; KIENER, a.a.O., S. 211). Insofern
indizieren die Tatbestände von Abs. 2 nicht per se eine unzulässige
Verhaltensweise, weshalb anhand des dualen Prüfungsmusters zu eruieren ist, ob
unzulässiges Verhalten vorliegt: In einem ersten Schritt sind die
Wettbewerbsverfälschungen (d.h. Behinderung bzw. Benachteiligung von
Marktteilnehmern) herauszuarbeiten und in einem zweiten Schritt mögliche
Rechtfertigungsgründe ("legitimate business reasons") zu prüfen. Unzulässiges
Verhalten liegt dann vor, wenn kein sachlicher Grund für die Benachteiligung
bzw. Ausbeutung oder die Behinderung vorliegt (vgl. Botschaft KG I, BBl 1995 I
569, 572; CLERC, a.a.O., N. 162 zu Art. 7 KG; PETER REINERT, in: Kartellgesetz,
2007, N. 5 zu Art. 7 KG; BORER, a.a.O., N. 9 zu Art. 7 KG; RUFFNER, a.a.O., S.
838, 840; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 57 ff., 155 zu Art. 7 KG; ZÄCH,
Verhaltensweisen, a.a.O., S. 206;
BGE 139 I 72 S. 104
TSCHUDIN, a.a.O., S. 144 ff.). Solche Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn
sich das betreffende Unternehmen auf kaufmännische Grundsätze (z.B. Verlangen
der Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners) stützen kann (vgl. Botschaft KG I,
BBl 1995 I 569; RUFFNER, a.a.O., S. 838; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 305;
TSCHUDIN, a.a.O., S. 160 ff.). Andere sachliche Gründe sind etwa veränderte
Nachfrage, Kosteneinsparungen, administrative Vereinfachungen, Transport- und
Vertriebskosten, technische Gründe (vgl. TSCHUDIN, a.a.O., S. 145, 157; ZÄCH,
Kartellrecht, a.a.O., S. 305 f.; PETER REINERT, a.a.O., N. 7 zu Art. 7 KG).
Daneben anerkennt die Lehre auch weitere Kriterien, wie etwa die Behinderungs-
oder Verdrängungsabsicht, die Schwächung der Wettbewerbsstruktur, den
Nichtleistungswettbewerb, die normzweckorientierte Interessenabwägung (vgl.
statt aller ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 307 ff.). Massstab für die Frage, ob
es sich um zulässige oder nichtzulässige Verhaltensweisen handelt, bildet
einerseits der Institutionen- und andererseits der Individualschutz (BGE 129 II
18 E. 5.2.1 i.i. S. 24, BGE 129 II 497 E. 6.4.2 S. 538; ZÄCH, Kartellrecht,
a.a.O., S. 304; YVO HANGARTNER, Selektive Vertriebssysteme als Problem des
Wettbewerbsrechts, sic! 2002 S. 321 ff., 322 ff., 324 ff.; DAVID/JACOBS,
a.a.O., S. 190, 247; so auch für die EU DIRKSEN, a.a.O., N. 75 zu Art. 82 EG)
oder mit anderen Worten die Gewährleistung von wirksamem Wettbewerb (dazu ROGER
ZÄCH, Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Zweck des Kartellgesetzes,
Konsequenzen für die Gesetzgebung und die Rechtsanwendung, in: Revision des
Kartellgesetzes, Kritische Würdigung der Botschaft 2012 durch Zürcher
Kartellrechtler, 2012, S. 45 ff., passim; KÜNZLER, a.a.O., passim).

10.2

10.2.1 Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b KG fällt insbesondere als Verhaltensweise nach
Art. 7 Abs. 1 KG die Diskriminierung von Handelspartnern bei Preisen oder
sonstigen Geschäftsbedingungen in Betracht, mithin Verhaltensweisen eines
marktbeherrschenden Unternehmens, die bestimmte Dritte im Vergleich zu anderen
ohne objektiven Grund benachteiligen (vgl. Botschaft KG I, BBl 1995 I 572;
AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 155, 155 ff. zu Art. 7 KG; PETER REINERT, a.a.O., N.
7 zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 162 ff. zu Art. 7 KG).

10.2.2 Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b KG bildet die Diskriminierung von
Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen eine potentiell
missbräuchliche Verhaltensweise von marktbeherrschenden Unternehmen. Diese
Verhaltensweise ist dann missbräuchlich, wenn sie eine Ausbeutung bzw.
Behinderung i.S. des Art. 7
BGE 139 I 72 S. 105
Abs. 1 KG darstellt und keine sachlichen Gründe zur Rechtfertigung vorliegen
(ZÄCH, Verhaltensweisen, a.a.O., S. 206 i.V.m. 198; TSCHUDIN, a.a.O., S. 144;
CLERC, a.a.O., N. 79 ff. zu Art. 7 KG; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 198, 221 ff.
zu Art. 7 KG). Diskriminiert werden Handelspartner - vertraglich oder durch
anderes Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens (vgl. AMSTUTZ/CARRON,
a.a.O., N. 205 zu Art. 7 KG). Handelspartner sind Personen, die im Verhältnis
zum Marktbeherrscher auf einer vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufe stehen
und mit diesem im geschäftlichen Kontakt sind.
Diskriminierungen enthalten für den Handelspartner regelmässig ungünstige,
aufgezwungene Bedingungen und führen hinsichtlich der Wettbewerbsstruktur zu
Verfälschungen auf verschiedenen Ebenen: Dabei ergibt sich der
Missbrauchscharakter diskriminierender Verhaltensweisen aus einem
Ausbeutungsaspekt und aus Wettbewerbsbehinderungsaspekten. Diskriminierung
bedeutet zunächst eine sachwidrige Benachteiligung der Handelspartner eines
beherrschenden Unternehmens, ohne dass ihnen adäquate Ausweichmöglichkeiten zur
Verfügung stünden. Damit wird deren Stellung im Wettbewerb auf vor- oder
nachgelagerten Märkten beeinträchtigt, worin der hauptsächliche Schutzzweck von
Art. 7 Abs. 2 lit. b KG gesehen wird (so vor allem AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N.
204 zu Art. 7 KG; differenzierend RUFFNER, a.a.O., S. 842; siehe auch SCHRÖTER,
in: Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, N. 221 zu Art. 82 EG; DIRKSEN,
a.a.O., 145 zu Art. 82 EGV). Allerdings darf nicht vergessen werden, dass
diskriminierende Bedingungen neben Benachteiligungen der einen stets eine
Begünstigung der anderen Gruppe von Handelspartnern bewirken. Damit lässt sich
deren Interesse für Angebote von Wettbewerbern des Marktbeherrschers gezielt
ausschalten, was eine Behinderung des Wettbewerbs auf dessen eigener
Wirtschaftsstufe darstellt (vgl. JUNG, a.a.O., N. 188 zu Art. 102 AEUV;
grundsätzlich KOCH, in: Kommentar zum EWG-Vertrag, 1984, 4. Lieferung 1990, N.
53, 68, 69 zu Art. 86; so wohl auch ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 326 ff;
siehe auch RUFFNER, a.a.O., S. 842 rechte Spalte; CLERC, a.a.O., N. 166 zu Art.
7 KG; so wohl auch DIRKSEN, a.a.O., N. 147 zu Art. 82 EGV).
Behinderungsmissbrauch richtet sich auch gegen potentielle Konkurrenten (vgl.
DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 246). Eine Diskriminierung von Handelspartnern kann
zudem auch deshalb eine Behinderung eines potentiellen Konkurrenten darstellen.
Insofern ist nicht unbedingt eine Beeinträchtigung der "second level
BGE 139 I 72 S. 106
competition" erforderlich, um diskriminierende Preise und Geschäftsbedingungen
als missbräuchlich erscheinen zu lassen.

10.2.3 In der Sache bedeutet Diskriminierung Ungleichbehandlung gleichartiger
Sachverhalte oder auch Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte (vgl.
DALLAFIOR, a.a.O., N. 109 zu Art. 7 KG; PETER REINERT, a.a.O., N. 15 zu Art. 7
KG; BORER, a.a.O., N. 16 zu Art. 7 KG; RUFFNER, a.a.O., S. 842; AMSTUTZ/CARRON,
a.a.O., N. 205 ff. zu Art. 7 KG). Diskriminierungsgegenstand sind Preis- oder
Geschäftsbedingungen; dabei ist der Begriff "sonstige Geschäftsbedingungen"
weit zu verstehen (vgl. Botschaft KG I, BBl 1995 I 572). Keine Diskriminierung
bzw. keinen Missbrauch stellt die unterschiedliche Behandlung dar, wenn sie
sich durch sachliche Gründe, wie etwa durch unterschiedliche Transport- oder
Vertriebskosten rechtfertigen lässt (vgl. etwa ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S.
326; DUCREY, a.a.O., S. 333).

10.3

10.3.1 Den Beschwerdeführern wird vorgeworfen, dass sie sich mit ihrer
Kommissionierungspraxis gestützt auf die VSW-Kommissionierungsrichtlinien
gegenüber Handelspartnern (d.h. Vermittlern) missbräuchlich verhalten hätten.
Es geht somit - wie bereits oben dargelegt - um folgenden Sachverhalt: Ein
Werbeauftraggeber, der in einer Pachtregie-Zeitung inserieren möchte, gibt
seine Anzeige über einen unabhängigen Vermittler auf. Aufgrund des exklusiven
Pachtvertrags kann dieser nicht direkt an den Verlag gelangen, sondern muss die
Anzeige zwingend über die Pächterin (d.h. die Beschwerdeführerin 1)
weiterleiten. Für diese Vermittlungsleistung wird dem unabhängigen Vermittler
durch die Beschwerdeführerin 1 eine Kommission entrichtet, sofern dieser die
Voraussetzungen der VSW-Richtlinien erfüllt. Gewisse Regeln dieser Richtlinien
sollen missbräuchliche Verhaltensweisen sein bzw. sollen Handelspartner bei
Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen diskriminieren. Dies ist
nachfolgend zu prüfen.

10.3.2 Die WEKO hat als gesetzliche Grundlage ihres Entscheids einerseits Art.
7 Abs. 1 KG und andererseits Art. 7 Abs. 2 lit. b KG aufgeführt. Bei der
Analyse wurde der Missbrauch jedoch vorwiegend als Behinderungstatbestand im
Sinne der Generalklausel von Art. 7 Abs. 1 KG geprüft (so auch AMSTUTZ/CARRON,
a.a.O., N. 165 i.f. zu Art. 7 KG). Die Vorinstanz kommt zum Schluss, dass der
Sachverhalt eine Diskriminierung i.S.von Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 7
Abs. 1 KG darstellt.
BGE 139 I 72 S. 107

10.4

10.4.1 Die Beschwerdeführer machen vorab geltend, dass das
Kommissionierungssystem von seiner Ausgestaltung her mit einem selektiven
Vertriebssystem vergleichbar wäre. Dies haben sie bereits vor der WEKO und der
Vorinstanz geltend gemacht, weshalb sich Letztere auch vertieft mit dem
selektiven Vertrieb auseinandergesetzt hat. Ob diese Ausführungen nicht
zutreffend bzw. ungenau sind und daraus die falschen Schlussfolgerungen gezogen
wurden, kann offengelassen werden. Hier geht es nicht um mögliche unzulässige
Wettbewerbsabreden nach Art. 5 KG, sondern um die Frage, ob das in den
VSW-Kommissionierungsrichtlinien ausgedrückte Verhalten der Beschwerdeführer,
welche zuvor als marktbeherrschend qualifiziert worden sind, missbräuchlich
ist: Die Richtlinien sind Richtlinien des Verbandes Schweizerischer
Werbegesellschaften; Mitglieder sind die Beschwerdeführer 2 bis 5. Die
Richtlinien legen Rechte und Pflichten von Dritten (Berufsvermittlern) fest und
engen damit i.S. von Art. 4 Abs. 1 KG das Wettbewerbsverhalten der
Wettbewerbsteilnehmer gegenseitig nicht ein (vgl. dazu KRAUSKOPF/RIESEN ,
Selektive Vertriebsverträge, in: Das revidierte Kartellgesetz in der Praxis,
2006, S. 83 ff., 87). Abredepartner sind auch nicht die Berufsvermittler;
angesichts des Konzernprivilegs stellen die Richtlinien auch keine Abrede i.S.
von Art. 4 Abs. 1 KG unter den Beschwerdeführern dar (vgl. DOSS, a.a.O., S. 101
f.; HEIZMANN, a.a.O., S. 92 ff.). Mithin liegt keine Wettbewerbsabrede nach
Art. 4 Abs. 1 KG (zwischen dem Verband und den Berufsvermittlern) vor und
insofern fragt sich auch, worin denn die behauptete Vergleichbarkeit liegt. Im
vorliegenden Fall ist lediglich die Frage zu beantworten, ob der noch
verbliebene Wettbewerb durch missbräuchliche Verhaltensweisen der
marktbeherrschenden Beschwerdeführer beeinträchtigt wurde (Art. 7 KG).
Angesichts dieses Befundes erübrigen sich weitere Ausführungen zum selektiven
Vertriebssystem (vgl. dazu etwa HANGARTNER, a.a.O., passim; ZÄCH, Kartellrecht,
a.a.O., S. 29 f., 170 ff., 173 f., 197 ff.; DOSS, a.a.O., S. 103 ff., insbes.
111 ff., insbes. 112 ff.; KRAUSKOPF/RIESEN, a.a.O., passim). Allerdings sind
die Ausführungen der Beschwerdeführer in Bezug auf "selektive
vertriebsvertragsähnliche" Verhaltensweisen bei den einzelnen strittigen Normen
der Kommissionierungsrichtlinie zu prüfen, soweit sie sich dazu überhaupt noch
eignen. Dabei ist zu beachten, dass nicht die vermeintliche Abrede
gerechtfertigt werden muss, sondern dasjenige Verhalten, das vom
marktbeherrschenden Unternehmen gerade wegen seiner starken Stellung gezeigt
worden ist.
BGE 139 I 72 S. 108

10.4.2 Erster Streitpunkt bildet Ziff. 2.2 Abs. 1 der damaligen
VSW-Kommissionierungsrichtlinien. Dabei geht es um die von den
Beschwerdeführern auf Seiten der Vermittler verlangte Unabhängigkeit. Die
erwähnte Bestimmung lautete wie folgt:
"Als Berufs-Inseratevermittler kommissioniert werden nur Unternehmen, die im
Hauptzweck als Universalvermittler in der Disposition in eigenem Namen und auf
eigene Rechnung von Inseraten, Werbebeilagen und Beiheften (Inserate) mehrerer
juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängiger Auftraggeber in
verschiedenen Printmedien voneinander wirtschaftlich und juristisch
unabhängiger Verlage tätig sind."
Kommissioniert werden durch diese Regelung nur Inseratevermittler, welche
Inserate von mehreren juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängigen
Auftraggebern vermitteln. Die pauschale Nichtkommissionierung von Vermittlern,
die nicht für mehrere juristisch und wirtschaftlich unabhängige Inserenten
tätig sind bzw. nicht in verschiedenen Printmedien voneinander wirtschaftlich
unabhängiger Verlage vermitteln, stellt eine Marktzutrittsschranke auf dem
vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtigt die
Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem
Mass. Angesichts fehlender Kommissionen sind sie auch gegenüber ihren direkten
Konkurrenten in Bezug auf die Akquirierung von Werbeaufträgen benachteiligt.
Entsprechend den Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach "die Inseratekunden
[...] von den Vermittlungsleistungen der Beschwerdeführer[...] überzeugt
[seien] und wenig Bedarf darin [sähen], die Verkaufsanstrengungen noch eines
weiteren Untervermittlers (Berufsvermittler) zu nutzen", muss davon ausgegangen
werden, dass Handelspartner zudem diskriminiert werden, um die eigenen
Vermittlungsdienste gegenüber missliebigen Konkurrenten zu begünstigen (siehe
oben E. 10.2.2). Diesbezüglich handelt es sich sowohl um einen Behinderungs-
als auch Ausbeutungsmissbrauchstatbestand. Insofern sind die von Ziff. 2.2 Abs.
1 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien betroffenen nicht kommissionierten
Vermittler im Wettbewerb bzw. in ihrer wirtschaftlichen Freiheit (vgl. BGE 129
II 497 E. 6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, a.a.O., S.
247 Rz. 718, S. 251) spürbar behindert worden.
Das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten der Beschwerdeführer ist dann
missbräuchlich, wenn keine sachlichen Gründe dieses Verhalten rechtfertigen
können. Die von den Beschwerdeführern bereits in den vorinstanzlichen Verfahren
vorgebrachten sachlichen Gründe, welche sich allerdings auf das hier nicht
vorliegende selektive
BGE 139 I 72 S. 109
Vertriebssystem bezogen, haben die Vorinstanzen ausführlich analysiert sowie
sachgemäss und -gerecht beurteilt, dass diese eine Wettbewerbsbeschränkung
nicht zu rechtfertigen vermögen. Diesbezüglich erübrigt sich eine Wiederholung
dieser Ausführungen, und es kann auf den Entscheid der Vorinstanz verwiesen
werden. Die schliesslich vor Bundesgericht vorgebrachten Gründe vermögen nicht
zu überzeugen: Die Beschwerdeführer gehen implizit davon aus, dass ihre dem
selektiven Vertriebssystem angepasste Strategie, wonach eine professionelle
Verkaufsorganisation zu fördern sei, ohne weiteres zulässig sei. Dies trifft
indes nur dann zu, wenn selektive Vertriebssysteme - in der Ausdrucksweise der
Bundesverfassung - keine volkswirtschaftlich oder sozial schädlichen
Auswirkungen haben bzw. - in der Sprache des Kartellgesetzes - nicht
missbräuchlich sind, sofern es sich um ein marktbeherrschendes Unternehmen
handelt. Vertikalabreden schränken den Wettbewerb ein und sind deshalb
volkswirtschaftlich in der Regel nachteilig (vgl. HANGARTNER, a.a.O., S. 325;
KRAUSKOPF/RIESEN, a.a.O., passim; DOSS, a.a.O., S. 103 ff.; Ausnahme aus
Gründen der wirtschaftlichen Effizienz [vgl. dazu Art. 6 KG und
Vertikalbekanntmachung der Wettbewerbskommission (zuletzt) vom 28. Juni 2010,
in: BBl 2010 5078]). Ob in casu indes eine Schädigung bzw. ein Missbrauch
vorliegt, ist unter Berücksichtigung sachlicher Gründe zu bestimmen.
Detaillierte sachliche Gründe, warum die oben ausgewiesenen
wettbewerbsnachteiligen Beeinträchtigungen nicht wettbewerbsschädlich und damit
missbräuchlich sind, führen die Beschwerdeführer vor Bundesgericht allerdings
nicht an; eine pauschale Aussage genügt diesbezüglich nicht.
Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.2 Abs. 1 der damaligen
VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art.
7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands
diskriminierend.

10.4.3 Zweitens beanstanden die Wettbewerbsbehörden und mit ihnen die
Vorinstanz das Erfordernis der Universalvermittlung. Die entsprechende Ziff.
2.2. Abs. 2 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien hatte folgenden Wortlaut:
"Unternehmen, die nicht als Universalvermittler tätig sind, d.h. ihre
Vermittlungstätigkeit auf einen oder auch mehrere spezielle Rubriken
beschränken oder diese Tätigkeit nur nebenher betreiben oder einen anderen
Hauptzweck haben, werden nicht kommissioniert. Andere Hauptzwecke sind zum
Beispiel die Personal-, Werbe-, Unternehmens- oder Finanzberatung, die
Vermittlung von Immobilien oder anderen Kauf- oder Mietobjekten sowie
Treuhandfunktionen."
BGE 139 I 72 S. 110
Nach dieser Vorschrift ist nur kommissionsberechtigt, wer zweierlei erfüllt:
Einerseits muss der Vermittler Universalvermittler sein und andererseits die
Vermittlungstätigkeit als Haupttätigkeit oder als Hauptzweck betreiben. Die
Fokussierung auf Sparten sowie die Betreibung der Vermittlungstätigkeit als
Nebentätigkeit oder als Nebenzweck sind nicht erlaubt. Kommissionsberechtigt
ist somit kein Vermittler, der sich auf eine Marktnische konzentriert bzw. in
diesem Markt noch nicht etabliert ist. Auch hier handelt es sich auf
nachgelagerten Märkten wiederum um eine erhebliche Markteintrittsschranke und
gegenüber den Universalvermittlern um Wettbewerbsbehinderungen. Zudem werden
auch hier Handelspartner diskriminiert, um sich selbst als Universalvermittler
gegenüber allfälligen Konkurrenten zu begünstigen (siehe oben E. 10.2.2). Wie
die empirischen Erhebungen gezeigt haben, hat diese Strategie funktioniert:
Nicht-Universalvermittler konnten sich auf dem relevanten Markt nicht
etablieren. Insofern sind auch die von Ziff. 2.2 Abs. 2 der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien betroffenen nicht kommissionierten Vermittler
im Wettbewerb bzw. in ihrer wirtschaftlichen Freiheit (vgl. BGE 129 II 497 E.
6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 247 Rz.
718, S. 251) spürbar behindert worden.
Ebenso bedarf es hier sachlicher Gründe, um das wettbewerbsbeeinträchtigende
Verhalten der Beschwerdeführer nicht als diskriminierend bzw. als
missbräuchlich erscheinen zu lassen. Rechtfertigend beziehen sich die
Beschwerdeführer - wie bereits vor der Vorinstanz - wiederum auf ihr
Geschäftsmodell des selektiven Vertriebs, welches die Universalvermittlung im
Blick habe. Vor Bundesgericht ergeben sich aus den noch verbliebenen (vgl. oben
E. 10.4.1) Argumenten der Beschwerdeführer - auch unter Berücksichtigung des
fehlenden selektiven Vertriebssystems - keine neuen Aspekte, welche das
wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten der Beschwerdeführer rechtfertigen
würden, weshalb auf die Ausführungen der Vorinstanz und der Verfügung der WEKO
verwiesen werden kann, die die verschiedenen Argumente für bzw. gegen den
Ausschluss von Spartenvermittlern und den Ausschluss der Vermittler in
Nebentätigkeiten überzeugend analysiert sowie sachgemäss und -gerecht beurteilt
haben.
Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.2 Abs. 2 der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art.
7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands
diskriminierend.
BGE 139 I 72 S. 111

10.4.4 Drittens steht das Kriterium des erforderlichen Geschäftsvolumens bzw.
einer genügenden Umsatzschwelle in Frage. Die entsprechende Ziff. 2.5 der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien lautete wie folgt:
"Als Berufs-Inseratevermittler kommissioniert werden nur Unternehmen, die
nachweisen, dass sie entweder im Inserateverkauf ein Geschäftsvolumen von total
1 Million Franken pro Jahr in Pressemedien erreichen oder mit Pachtorganen von
VSW-Mitgliedfirmen einen Nettoumsatz von mindestens Fr. 100'000.- pro Jahr
erzielen. In beiden Fällen muss mindestens die Hälfte des Umsatzes von
kommerziellen Inseraten stammen."
Kommissioniert werden Berufsvermittler nach Ziff. 2.5 der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien somit nur dann, wenn sie zwei weitere
Kriterien kumulativ erfüllen: Zum einen muss mindestens die Hälfte des Umsatzes
von kommerziellen Inseraten stammen. Diese Vorschrift hängt eng mit der bereits
oben behandelten Ziff. 2.2 Abs. 2 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien
zusammen, gemäss welchen Spartenvermittler von einer Kommission ausgeschlossen
sind; dasselbe Ziel soll nun auf einem anderen Weg erreicht werden. Insofern
sind hier auch die gleichen Wettbewerbsbeeinträchtigungen wie dort gegeben
(siehe E. 10.4.3). Zum anderen wird ein Anzeigenumsatz von 1 Mio. Franken oder
ein Nettoumsatz von mindestens Fr. 100'000.- bei den Beschwerdeführern
verlangt. Dieses quantitative Kriterium stellt vor allem in Bezug zum
Gesamtvolumen des Schweizer Marktes und zum Marktanteil von 5 % aller
unabhängiger Vermittler eine erhebliche Marktzutrittsschranke auf dem
vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtigt die
Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem
Mass. Für das Kriterium eines Nettoumsatzes von mindestens Fr. 100'000.- haben
die Beschwerdeführer und die Wettbewerbsbehörden in der einvernehmlichen
Regelung eine Karenzfrist von zwei Jahren für neu eintretende Vermittler
vereinbart. Insofern wird den Beschwerdeführern diesbezüglich auch kein
Kartellrechtsverstoss vorgeworfen.
Als rechtfertigende sachliche Gründe, um ihr wettbewerbsbeeinträchtigendes
Verhalten nicht als diskriminierend bzw. als missbräuchlich erscheinen zu
lassen, nennen die Beschwerdeführer - wie bereits vor der Vorinstanz - wiederum
ihr Geschäftsmodell des selektiven Vertriebs. Nähere Begründungen vor
Bundesgericht fehlen. Es kann deshalb auf die Ausführungen der Vorinstanz und
der Verfügung der WEKO verwiesen werden, die die verschiedenen Argumente
überzeugend analysiert sowie sachgemäss und -gerecht beurteilt haben.
BGE 139 I 72 S. 112
Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.5 der
VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art.
7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands
diskriminierend.

10.5 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Beschwerdeführer - als
marktbeherrschende Unternehmen - sich i.S. von Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit.
b KG unzulässig verhalten haben, indem sie durch die Ziff. 2.2 Abs. 1 und 2
sowie Ziff. 2.5 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien andere Unternehmen sowohl
in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert als auch die
Marktgegenseite benachteiligt haben. Art. 7 KG ist erfüllt, und die Vorinstanz
hat das Verhalten der Beschwerdeführer bundesrechtskonform beurteilt.