Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 I 218



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Urteilskopf

139 I 218

21. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. R. gegen
Einwohnergemeinde Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_962/2012 vom 29. Juli 2013

Regeste

Sozialhilfe; Recht auf Existenzsicherung (Art. 12 BV; Art. 29 Abs. 1 KV/BE).
Die Ausrichtung materieller Hilfe darf mit der Auflage verbunden werden, einen
zeitlich befristeten Arbeitseinsatz an einem sog. Testarbeitsplatz zu leisten
(E. 4.2).
Diese Massnahme ist weder unverhältnismässig noch stellt sie eine Verletzung
der persönlichen Freiheit dar (E. 4.3).
Der Einsatz am Testarbeitsplatz ist als zumutbare Arbeit zu betrachten (E.
4.4).
Hat die betroffene Person die Möglichkeit, die Stelle jederzeit anzutreten und
ermöglicht ihr die Teilnahme ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen, können
die finanziellen Unterstützungsleistungen für die vorgesehene Dauer des
Einsatzes vollständig eingestellt werden (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 219

BGE 139 I 218 S. 219

A.

A.a Der 1969 geborene R. wird seit Oktober 2009 vom Sozialdienst der
Einwohnergemeinde Bern finanziell unterstützt. (...) Mit Schreiben vom 28.
Februar 2011 wies ihn die Einwohnergemeinde an, sich am 1. März bei der
Citypflege der Stiftung Contact Netz in Bern zur Arbeitsaufnahme zu melden
(...). Gleichzeitig wurde R. darauf hingewiesen, dass die Sozialhilfeleistungen
im Widersetzungsfall eingestellt würden. Dieser nahm die Arbeit nicht auf,
worauf ihn der Sozialdienst am 8. März 2011 ermahnte, die Weisung zu befolgen
und die nach wie vor offene Arbeitsstelle anzutreten. Da R. dieser Aufforderung
keine Folge leistete, verfügte die Einwohnergemeinde am 21. März 2011
androhungsgemäss die Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe per 31. März 2011.
Gleichzeitig entzog sie einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

A.b Eine Beschwerde gegen diese Verfügung wies das Regierungsstatthalteramt
Bern-Mittelland am 4. Oktober 2011 ab, nachdem dieses zuvor mit
Zwischenverfügung vom 20. April 2011 die Beschwerde gegen den von der
Sozialhilfebehörde verfügten Entzug der aufschiebenden Wirkung gutgeheissen
hatte.

B. R. erhob gegen den Entscheid des Regierungsstatthalteramtes vom 4. Oktober
2011 Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Mit
Einzelrichterentscheid vom 20. Januar 2012 wurde unter anderem der Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gutgeheissen, soweit der
Beschwerde nicht ohnehin von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukam. Mit
Entscheid vom 18. Oktober 2012 hiess das kantonale Gericht die Beschwerde,
soweit es darauf eintrat, dahin gehend gut, dass es den angefochtenen Entscheid
des Regierungsstatthalteramtes insoweit aufhob, als damit eine den angeordneten
zweimonatigen Einsatz am Testarbeitsplatz (TAP) überschreitende
Leistungseinstellung bestätigt wurde. Da die Widersetzlichkeit des
Sozialhilfeempfängers nach Ablauf der befristeten Erwerbstätigkeit laut
Verwaltungsgericht grundsätzlich lediglich eine Leistungskürzung rechtfertigt,
wies es die Sache im
BGE 139 I 218 S. 220
Sinne der Erwägungen an die Einwohnergemeinde zurück, damit diese prüfe,
welches Vorgehen im konkreten Fall zielführend sei. Soweit weitergehend, wies
es die Beschwerde ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt R.
beantragen, es sei der Entscheid des Verwaltungsgerichts insoweit aufzuheben,
als damit eine Leistungseinstellung für zwei Monate angeordnet worden sei, und
es sei ihm für die zwei Monate wirtschaftliche Sozialhilfe zu gewähren.
Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das kantonale Gericht,
subeventualiter an das Sozialamt zurückzuweisen. Zudem wird um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.
Das Sozialamt beantragt Abweisung der Beschwerde. Das kantonale Gericht
schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Streitig und zu prüfen ist die zweimonatige Einstellung der
Sozialhilfeleistungen wegen der Weigerung des Beschwerdeführers, bei der
Citypflege der Stiftung Contact Netz einen auf diese Dauer befristeten TAP
anzutreten.

3.1 Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich
zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein
menschenwürdiges Dasein unabdingbar sind. Art. 29 Abs. 1 der Verfassung des
Kantons Bern vom 6. Juni 1993 (KV/BE; SR 131.212) sieht vor, dass jede Person
bei Notlagen Anspruch auf ein Obdach, auf die für ein menschenwürdiges Leben
notwendigen Mittel und auf grundlegende medizinische Versorgung hat. Die
kantonale Garantie geht damit - nach unbestrittener Darstellung des
Verwaltungsgerichts - nicht über diejenige der Bundesverfassung hinaus.

3.2 Gemäss Art. 23 des Gesetzes des Kantons Bern vom 11. Juni 2001 über die
öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz, SHG; BSG 860.1) hat jede bedürftige
Person Anspruch auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe (Abs. 1). Als
bedürftig gilt, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder nicht
rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann (Abs. 2). Dabei gilt es, den
Grundsatz der Subsidiarität zu beachten (Art. 9 Abs. 1 SHG).
BGE 139 I 218 S. 221
Subsidiarität in der individuellen Sozialhilfe bedeutet, dass Hilfe nur gewährt
wird, wenn und soweit eine bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder
wenn Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist (Art.
9 Abs. 2 SHG).

3.3 Bundes- und Kantonsverfassung sowie Gesetz knüpfen den grundsätzlichen
Anspruch auf Hilfe in Notlagen somit an bestimmte Voraussetzungen, indem sie
klarstellen, dass die in Not geratene Person nur Anspruch auf entsprechende
Leistungen des Staates hat, wenn sie sich ausserstande sieht - d.h. wenn es ihr
rechtlich verwehrt oder faktisch unmöglich ist -, selber für sich zu sorgen.
Keinen Anspruch hat somit, wer solche Leistungen beansprucht, obwohl er
objektiv in der Lage wäre, sich, insbesondere durch die Aufnahme einer
zumutbaren Arbeit, aus eigener Kraft die für das Überleben erforderlichen
Mittel selber zu verschaffen; denn solche Personen stehen nicht in jener
Notsituation, auf die das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen zugeschnitten ist.
Bei ihnen fehlt es bereits an den Anspruchsvoraussetzungen, weshalb sich in
solchen Fällen die Prüfung erübrigt, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff
in das Grundrecht erfüllt sind, namentlich, ob ein Eingriff in dessen
Kerngehalt vorliegt, denn dies setzt einen rechtmässigen Anspruch voraus.
Ebenso wenig ist in derartigen Konstellationen zu untersuchen, ob ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten der unterstützungsbedürftigen Person vorliegt,
welches allenfalls eine vollständige Verweigerung der Unterstützungsleistungen
rechtfertigen könnte (BGE 130 I 71 E. 4.3 S. 75 f. mit Hinweisen; Urteil 8C_787
/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3.2.1).

3.4 Art. 36 SHG sieht Kürzungen der wirtschaftlichen Hilfe bei
Pflichtverletzungen oder bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit vor (Abs. 1).
Die Leistungskürzung muss dem Fehlverhalten der bedürftigen Person angemessen
sein und darf den absolut nötigen Existenzbedarf nicht berühren (Abs. 2). Im
Unterschied zu Art. 23 SHG, der einen Anspruch auf Sozialhilfe unter bestimmten
Voraussetzungen überhaupt erst entstehen lässt, bezweckt Art. 36 SHG,
weisungswidriges Verhalten ("Pflichtverletzungen") zu sanktionieren, das nicht
die Ebene der Anspruchsvoraussetzungen als solche in Frage stellt (Urteil
2P.147/2002 vom 4. März 2003 E. 3.4). Die Auffassung, bei Ablehnung zumutbarer
Arbeit fehlten nicht die Anspruchsvoraussetzungen, sondern seien - gestützt auf
eine gesetzliche Grundlage sowie nach Massgabe des
Verhältnismässigkeitsprinzips - lediglich Sanktionen, beispielsweise in Form
(befristeter)
BGE 139 I 218 S. 222
Leistungskürzungen, zulässig, ohne dass der absolut geschützte, unerlässliche
Existenzbedarf im Sinne von Art. 12 BV angetastet werde dürfe, wurde in BGE 130
V 71 E. 4.3 S. 76 mit dem Hinweis auf den auch im Bereich des Sozialhilferechts
geltenden Grundsatz der Subsidiarität bzw. des Vorrangs der Selbsthilfe
ausdrücklich verworfen (vgl. auch bereits erwähntes Urteil 8C_787/2011 E.
3.2.2).

3.5 Daraus folgt, dass es sich bei der Auflage des Gemeinwesens, eine zumutbare
Arbeit aufzunehmen, nicht um eine reine Pflicht, sondern um eine
Anspruchsvoraussetzung für die vom Staat erbrachte Leistung handelt (BGE 133 V
353 E. 4.2 S. 357 f.; bereits erwähntes Urteil 8C_787/2011 E. 3.2.1).
Sozialhilfe ist damit subsidiär gegenüber der Nutzung und Verwertung der
eigenen Arbeitskraft. Wer zumutbare Arbeit verweigert, hat nicht nur mit
Kürzungen, sondern mit der Einstellung von Sozialhilfe zu rechnen (vgl. dazu
CLAUDIA HÄNZI, Die Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe,
2011, S. 85 ff.). Nach Art. 27 Abs. 2 SHG ist die Gewährung der Sozialhilfe mit
Weisungen zu verbinden, soweit dadurch die Bedürftigkeit vermieden, behoben
oder vermindert oder eigenverantwortliches Handeln gefördert wird. Gemäss Art.
28 Abs. 2 lit. c SHG sind Personen, die Sozialhilfe beanspruchen, verpflichtet,
eine zumutbare Arbeit anzunehmen oder an einer geeigneten Integrationsmassnahme
teilzunehmen (Satz 1). Zumutbar ist eine Arbeit, die dem Alter, dem
Gesundheitszustand, den persönlichen Verhältnissen und den Fähigkeiten der
bedürftigen Person angemessen ist (Satz 2). Unter der Überschrift "Zumutbare
Arbeit" hält Art. 8g der Verordnung des Kantons Bern vom 24. Oktober 2001 über
die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV; BSG 860.111) fest,
dass erwerbslose Personen, die wirtschaftliche Hilfe beanspruchen, verpflichtet
sind, im Rahmen der Bestimmungen des SHG auch ausserhalb des erlernten Berufs
Erwerbsarbeit zu suchen und anzunehmen (Abs. 1). Die Teilnahme an von Gemeinden
oder vom Kanton mitfinanzierten Qualifizierungs-, Beschäftigungs- und
Integrationsmassnahmen gilt grundsätzlich als zumutbar, sofern eine Person
nicht aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Betreuungsaufgaben daran
verhindert ist (Abs. 2).

4.

4.1 Das Verwaltungsgericht hat unter Verweisung auf die massgebenden
Bestimmungen des SHG geschlossen, die Verpflichtung zur Annahme einer
zumutbaren Arbeit ergebe sich unmittelbar aus dem Sozialhilfegesetz. Der
TAP-Einsatz sei angeordnet worden, um
BGE 139 I 218 S. 223
die Arbeitsmotivation und Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Annahme einer
zumutbaren Stelle abzuklären. Anlass dazu habe bestanden, weil der gelernte
Möbelschreiner, Informatiker (Autodidakt) und Absolvent eines einjährigen
Grundstudiums in Mediation (ohne Abschluss) ehrenamtlich und mit grossem
Engagement einen Verein für wohltätige Projekte leite und unbezahlte
J+S-Einsätze leiste, ohne jedoch ein regelmässiges Einkommen zu erzielen.
Obwohl der Beschwerdeführer über Qualifikationen verfüge, die ihn zum
Arbeitserwerb befähigten, gelinge es diesem seit längerer Zeit nicht, auf dem
Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. Nach Auffassung des kantonalen Gerichts war
es zulässig, diesem die Weisung zu erteilen, am TAP teilzunehmen, nachdem
frühere Massnahmen zur Abklärung der beruflichen Situation gescheitert waren.
Das Verwaltungsgericht berücksichtigte auch, dass der TAP-Einsatz dem
Beschwerdeführer eine Arbeitsleistung gegen Entgelt ermöglicht und diesem
zumindest während der vorgesehenen Dauer erlaubt hätte, seinen Lebensunterhalt
selber zu bestreiten. Dies führte die Vorinstanz zum Ergebnis, dass die Arbeit
bei der Citypflege auf die Behebung der Bedürftigkeit ausgerichtet sei und
nicht eine Sanktion darstelle. Mit Blick auf die konkreten Umstände und den
verfolgten Zweck erscheine ein auf zwei Monate befristeter Einsatz zudem als
verhältnismässige Auflage. Des Weitern hat das Verwaltungsgericht erwogen, für
den aus medizinischer Sicht voll arbeitsfähigen Beschwerdeführer sei der
Antritt der angebotenen Stelle in der Citypflege der Stiftung Contact Netz
zumutbar. Das Gericht weist darauf hin, dass der Einsatz im Bereich der
Reinigung von Grünanlagen der Stadt Bern und der Pflege des öffentlichen Raums
erfolgt und keine schweren körperlichen Arbeiten beinhaltet. Zudem werde die
geleistete Arbeit bei einem vollen Pensum mit Fr. 2'600.- pro Monat
entschädigt.

4.2 Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe willkürlich
festgehalten, dass die Gemeinde legitimiert gewesen sei, gestützt auf Art. 27
Abs. 2 SHG die Weisung zum TAP-Antritt zu erteilen. Die zu diesem Ergebnis
führende vorinstanzliche Annahme, seine Bereitschaft zur Aufnahme von bezahlter
Arbeit erscheine fraglich, beruhe auf einer qualifiziert unrichtigen
Feststellung des Sachverhalts. Er habe vielmehr alles Erforderliche
unternommen, um sich aus eigenem Antrieb aus der Situation der Erwerbslosigkeit
zu befreien. Dass der Beschwerdeführer sich regelmässig um Arbeit bemüht hat,
ist aktenkundig und wird weder
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von der Sozialhilfebehörde noch von der Vorinstanz in Frage gestellt. Nicht
nachvollziehbar ist jedoch, weshalb es ihm dabei trotz guter Qualifikationen
nicht gelingt, ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Erwerbseinkommen zu
erzielen. Das kantonale Gericht hat sich hinsichtlich der Zulässigkeit der
Weisung zum TAP-Antritt an Art. 27 Abs. 2 SHG orientiert und diese kantonale
Norm willkürfrei ausgelegt und angewandt. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben
und der geschilderten Umstände stimmt die streitige Auflage mit dem Zweck des
Sozialhilfegesetzes überein, die berufliche Integration und wirtschaftliche
Selbstständigkeit sowie das eigenverantwortliche Handeln des
Sozialhilfeempfängers zu fördern. Sie steht damit in einem sachlichen
Zusammenhang zur Hilfsbedürftigkeit und deren Ursache und ist darauf gerichtet,
die rechtskonforme Ausübung des Anspruchs auf Sozialhilfe zu sichern. Damit
dient sie auch dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von auf längere
Sicht sozialhilfeabhängigen Personen. Was der Beschwerdeführer dagegen
vorbringt, lässt die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts nicht als
willkürlich erscheinen.

4.3 Des Weitern rügt der Beschwerdeführer eine unverhältnismässige Beschränkung
und damit eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV). Seiner
Auffassung nach ist der angeordnete TAP-Einsatz weder in sachlicher noch
zeitlicher Hinsicht verhältnis-mässig. Das zweimonatige Aufgebot bei der
Citypflege sei nicht geeignet, die Arbeitsmotivation eines Informatikers
abzuklären. Vielmehr sei zu befürchten, dass damit eine kontraproduktive
Wirkung erzielt werde. Zudem könne bereits nach wenigen Tagen beurteilt werden,
ob eine Person motiviert sei.
Nach Art. 10 Abs. 2 BV hat jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit,
insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf
Bewegungsfreiheit. Das Recht auf persönliche Freiheit ist nicht absolut
geschützt, sondern kann eingeschränkt werden, wenn der Eingriff
verhältnismässig ist (Art. 36 Abs. 3 BV). Das Verhältnismässigkeitsprinzip
besagt, dass die Grundrechtseinschränkung zur Erreichung des angestrebten Ziels
geeignet und erforderlich sein muss und dem Betroffenen zumutbar ist (vgl. BGE
134 I 140 E. 6.2 S. 151). Durch die Kompetenz der Sozialhilfebehörde, die
betroffene Person zu einer bestimmten, mit Sinn und Zweck der Sozialhilfe in
Zusammenhang stehenden Handlung anzuweisen, kann zwar das Grundrecht der
persönlichen Freiheit tangiert werden. Die
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Verpflichtung zur Annahme einer konkreten Arbeit oder zur Teilnahme an
Beschäftigungs- und Integrationsprogrammen stellt im Einzelfall in der Regel
jedoch eine verhältnismässige Weisung dar (Art. 27 Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 28 Abs. 2 SHG), welche im Einklang mit den
verfassungsrechtlichenGrundwerten steht (URS VOGEL, Rechtsbeziehungen - Rechte
und Pflichten der unterstützten Person und der Organe der Sozialhilfe, in: Das
Schweizerische Sozialhilferecht, 2008, S. 185). Die Verpflichtung zur Aufnahme
einer zweimonatigen Tätigkeit in der Citypflege verletzt als relativ leichter
Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers weder Art. 10 Abs. 2
BV noch erweist sie sich als unverhältnismässige Einschränkung der Grundrechte
im Sinne von Art. 36 BV. Eine mildere Massnahme ist nicht ersichtlich, zumal
nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz frühere Versuche zur
Abklärung der beruflichen Situation gescheitert waren.

4.4 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz überdies vor, den Begriff der
zumutbaren Arbeit falsch angewendet zu haben. Gemäss der
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Umschreibung in Art. 16 Abs. 2 AVIG (SR
837.0) müsse eine Arbeit den berufs- und ortsüblichen Bedingungen entsprechen,
angemessen Rücksicht auf die Fähigkeiten und bisherigen Tätigkeiten der
unterstützten Person nehmen und ihren persönlichen Verhältnissen und dem
Gesundheitszustand angemessen sein. Daraus schliesst er, von einem Informatiker
könne nicht verlangt werden, in der Stadtpflege zu arbeiten. Eine solche
Beschäftigung nehme in keiner Weise Rücksicht auf die Fähigkeiten und
bisherigen Tätigkeiten. Zudem schmälere sie die Chancen, eine adäquate Arbeit
im angestammten Beruf zu finden und brandmarke ihn als Sozialhilfeempfänger.
Der Beschwerdeführer bezeichnet seine Aussichten, als Informatiker wieder eine
Stelle zu finden, als intakt.
Das kantonale Gericht beurteilte die Zumutbarkeit der Aufnahme einer Tätigkeit
im Testarbeitsplatz der Citypflege anhand der Begriffsumschreibung in Art. 28
Abs. 2 lit. c SHG in Verbindung mit Art. 8g Abs. 2 SHV, was nicht zu
beanstanden ist. Danach gilt die Teilnahme an von Kanton und Gemeinden
organisierten Qualifikations-, Beschäftigungs- und Integrationsmassnahmen
grundsätzlich als zumutbar, sofern nicht gesundheitliche Hinderungsgründe
vorliegen, was beim Beschwerdeführer jedoch unbestrittenermassen nicht der Fall
ist. Beim TAP handelt es sich um ein Angebot aus
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dem ergänzenden Arbeitsmarkt. Laut dem von der Gesundheits- und
Fürsorgedirektion des Kantons Bern herausgegebenen Rahmenkonzept
Testarbeitsplätze vom 3. Mai 2012 wird den Sozialhilfebeziehenden eine
Arbeitsstelle mit existenzsicherndem Lohn angeboten, durch welchen sie in die
Lage versetzt werden, selber für ihren Lebensunterhalt aufzukommen (Ziff. 2.2).
Es wird darauf geachtet, dass den Teilnehmenden geeignete Arbeitsplätze zur
Verfügung gestellt werden, die auf ihre individuelle Situation Rücksicht nehmen
(Fähigkeiten, Leistungsfähigkeit, Einschränkungen); die Dauer beträgt
mindestens einen bis höchstens zwei Monate (Ziff. 4.4.1). Die TAP-
Teilnehmenden werden bei der Arbeit begleitet, und der Sozialdienst wird über
den Verlauf und alle relevanten Begebenheiten informiert (Ziff. 4.4.4). Das
Verwaltungsgericht durfte die Verpflichtung des seit längerem über kein
nennenswertes Einkommen verfügenden Beschwerdeführers zur Teilnahme im TAP ohne
Willkür als zumutbare Massnahme im Sinne des Sozialhilfegesetzes betrachten.
Dabei ging es davon aus, dass eine Unterforderung des Beschwerdeführers bei der
zu verrichtenden Tätigkeit praxisgemäss hinzunehmen sei, da die Herausforderung
der TAP-Teilnahme hauptsächlich im ausserfachlichen Bereich, wie Einfügen im
Team, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit liege. In diesem Sinne ist die
Teilnahme am in Frage stehenden TAP für den Beschwerdeführer durchaus von
Nutzen. Dies entspricht auch der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. So hat das
Bundesgericht im bereits erwähnten Urteil 2P.147/2002 erkannt, das kantonale
Gericht habe willkürfrei davon ausgehen dürfen, dass die von der
Einwohnergemeinde Bern angebotene Tätigkeit bei der Citypflege dem am Recht
stehenden ausgebildeten Innendekorateur/Grafiker zumutbar sei. Eine Schmälerung
der Chancen, eine adäquate Arbeit im angestammten Beruf als Informatiker zu
finden, ist beim Beschwerdeführer bei Annahme des vorübergehenden
niederstufigen Arbeitsangebots nicht zu befürchten, da er gemäss eigenen
Angaben bereits über längere Zeit vergeblich versucht hat, im angestammten
Beruf eine Erwerbstätigkeit zu finden und daher ohnehin verpflichtet ist, auch
ausserhalb dieses Bereichs eine Erwerbsarbeit zu suchen. Nebst der Abklärung
von Arbeits- und Kooperationswille bildet der TAP auch ein
Abklärungsinstrumentarium im Rahmen der Suche nach geeigneten Anschlusslösungen
(Ziff. 3 des Rahmenkonzepts). Eine Teilnahme ist daher durchaus geeignet, die
erwerblichen Aussichten des Beschwerdeführers zu verbessern.
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4.5 Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers verfangen ebenfalls nicht. Das
kantonale Gericht hat mit zutreffender Begründung dargelegt, unter welchen
Voraussetzungen dieser allenfalls einen Anspruch auf spezielle orthopädische
Schuhe geltend machen kann. Ebenso hat es den Einwand, aufgrund der
angeordneten Tätigkeit als Sozialhilfeempfänger gebrandmarkt zu werden, mit
zutreffender Begründung verworfen.

5.

5.1 Für den Fall, dass die Arbeit bei der Citypflege als zumutbar zu
qualifizieren ist und die Sozialhilfe aus diesem Grund für zwei Monate
eingestellt wird, macht der Beschwerdeführer einen unzulässigen Eingriff in den
Kerngehalt des Rechts auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV) geltend. Zudem rügt er
eine willkürliche Rechtsanwendung durch das kantonale Gericht. Die Annahme der
Vorinstanz, das Nichtantreten des TAP stelle eine Pflichtverletzung dar, führe
nicht zur vollständigen Leistungseinstellung infolge fehlender
Anspruchsberechtigung, sondern allenfalls zu einer Leistungskürzung gemäss Art.
36 Abs. 1 SHG, die jedoch den absolut nötigen Existenzbedarf nicht berühren
dürfe.

5.2 Soweit der Beschwerdeführer in grundsätzlicher Hinsicht beanstandet, dass
seine Nichtaufnahme der Arbeit am TAP mit der Verneinung des Anspruchs auf
Sozialhilfe für die Dauer von zwei Monaten geahndet werde, kann auf das in E.
3.3 f. hievor Gesagte verwiesen werden. Das Bundesgericht hat sich in BGE 130 I
71 mit der damit angesprochenen Thematik von Schutzbereich und Kerngehalt von
Art. 12 BV einlässlich auseinandergesetzt und erkannt, dass, wer objektiv
befähigt wäre, sich, insbesondere durch Annahme einer zumutbaren
Erwerbstätigkeit, aus eigener Kraft die für das Überleben erforderlichen Mittel
zu verschaffen, weder die Voraussetzungen für den Anspruch auf Sozialhilfe noch
auf finanzielle Nothilfe gemäss Art. 12 BV erfüllt. Diese Auffassung wurde im
bereits erwähnten Urteil 8C_787/2011 E. 5.1 bestätigt.

5.3 Eine Person, welche eine konkret zur Verfügung stehende Erwerbsmöglichkeit
ausschlägt, steht somit nicht in jener spezifischen Notlage, auf die Art. 12 BV
zugeschnitten ist, weshalb der Schutzbereich des Grundrechts durch die
Einstellung von Hilfeleistungen in einem solchen Fall gar nicht betroffen ist.
Wem es faktisch und rechtlich möglich ist, die erforderlichen Mittel für ein
menschenwürdiges Dasein selbst zu beschaffen, ist nicht bedürftig und ist
BGE 139 I 218 S. 228
damit nicht auf Unterstützung angewiesen. Die so verstandene Anwendung des
Subsidiaritätsprinzips führt jedenfalls dann nicht zu einem Konflikt mit der
Kerngehaltsgarantie von Art. 12 BV, wenn die betroffene Person tatsächlich die
Möglichkeit hat, eine andere Hilfsquelle in Anspruch zu nehmen und die
Inanspruchnahme dieser Hilfsquelle geeignet ist, die Notlage zu überwinden. Im
Falle eines Stellenangebots ist eine Notlage somit jedenfalls so lange nicht
gegeben, als die betroffene Person die Arbeit antreten und damit ein
Erwerbseinkommen erzielen kann. Bei Stellenangeboten auf dem ersten
Arbeitsmarkt werden solche Möglichkeiten in der Regel nur kurzfristig
offengehalten (z.B. während der Bedenkzeit). Anders verhält es sich
grundsätzlich bei Angeboten auf dem ergänzenden Arbeitsmarkt, wo die Stelle
auch nach Ablauf der vereinbarten Frist jederzeit angetreten werden kann. Dies
trifft insbesondere auch auf den hier zur Diskussion stehenden TAP zu, wie die
Einwohnergemeinde in ihrer Vernehmlassung ausdrücklich bestätigt. Gemäss
bundesgerichtlicher Rechtsprechung kommt auch der Teilnahme an einem solchen
Arbeitsprogramm für Sozialhilfeempfänger der Vorrang zu gegenüber dem Bezug von
öffentlichen Unterstützungsleistungen, da mit der Teilnahme Erwerbseinkommen
erzielt wird, welches zur Überwindung der Notlage dient (BGE 130 I 71; Urteil
2P.275/2003 vom 6. November 2003; kritisch dazu: HÄNZI, a.a.O., S. 92). In den
beiden vom Bundesgericht beurteilten Fällen handelte es sich allerdings nicht
um zum Voraus befristete Einsätze, welche die Bedürftigkeit - wie beim
Beschwerdeführer - höchstens kurzzeitig zu beseitigen vermögen. Trotzdem
besteht kein Anlass, bei der vorliegenden Konstellation von der bestehenden
Praxis abzuweichen. Entsprechende Gründe werden vom Beschwerdeführer auch nicht
genannt.

5.4 Das Verwaltungsgericht hat erwogen, mit der Weigerung zur Teilnahme am TAP
widersetze sich der Beschwerdeführer einer Abklärungsmassnahme und schlage
gleichzeitig ein konkretes, befristetes Arbeitsangebot aus. Unter Hinweis auf
die erwähnte bundesgerichtliche Rechtsprechung hat es geprüft, ob es sich dabei
um eine Pflichtverletzung handelt, auf die mit einer Sanktion zu reagieren ist
oder ob ein Sachverhalt vorliegt, welcher die Voraussetzungen zum Bezug von
Hilfeleistungen betrifft. Ausgehend von der Feststellung, dass die TAP-Einsätze
bei vollem Pensum mit einem den Sozialhilfeansatz übersteigenden Lohn
entschädigt werden und bei Antritt der Stelle die Sozialhilfe so lange
ausgerichtet wird, bis
BGE 139 I 218 S. 229
der Lohn bezahlt wird, ging das kantonale Gericht davon aus, dass der
Beschwerdeführer bei einer Teilnahme während zweier Monate selber für seinen
Lebensunterhalt hätte aufkommen können. Es betrachtete daher eine auf zwei
Monate befristete vollständige Einstellung der Unterstützungsleistungen als
rechtmässig.

5.5 War es dem Beschwerdeführer somit zumutbar, die angewiesene Stelle beim TAP
anzutreten, folgt daraus, dass er weder nach dem kantonalen Sozialhilfe- oder
Verfassungsrecht noch aufgrund von Art. 12 BV während der vorgesehenen Dauer
von zwei Monaten einen Anspruch auf wirtschaftliche Unterstützung hat. Die
befristete vollständige Einstellung der Unterstützungsleistungen ist damit
weder willkürlich noch sonst wie verfassungswidrig. Die Frage, ob die
Voraussetzungen für den Eingriff in das Grundrecht auf Existenzsicherung
erfüllt wären, namentlich, ob ein Eingriff in den Kerngehalt dieses Grundrechts
vorläge (vgl. Art. 36 BV), stellt sich bei dieser Rechtslage nicht. Ebenso
wenig muss geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten - welches dem Beschwerdeführer im Übrigen
nicht vorgeworfen wird - allenfalls eine vollständige Verweigerung der
Unterstützungsleistungen rechtfertigen könnte.