Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 I 138



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Urteilskopf

139 I 138

12. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Universität Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_1132/2012 vom 13. Mai 2013

Regeste

Art. 5 Abs. 2, Art. 8 Abs. 1 und Art. 127 Abs. 1 BV; § 41 UniG; Erhöhung der
Kollegiengeldpauschale für Studierende der Humanmedizin an der Universität
Zürich, Legalitätsprinzip im Abgaberecht, Äquivalenzprinzip, Gebot der
Rechtsgleichheit.
Eine einheitliche Kollegiengeldpauschale von Fr. 720.- pro Semester für alle
Medizinstudierenden (inklusive Wahlstudienjahr) hält sich im Rahmen des
verfassungsrechtlich Zulässigen, solange die Gebühr für diejenigen, die wenig
Leistungen beziehen, nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum
objektiven Wert der von ihnen bezogenen Leistung steht (E. 3).

Regeste

Art. 29 Abs. 3 BV; unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren der abstrakten
Normenkontrolle.
Bestätigung der Praxis, wonach im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle in
der Regel kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht. Im Sinne einer
Ausnahme ist der Anspruch auch dann zu bejahen, wenn mit einem sofortigen
Anwendungsakt zu rechnen ist und die Anfechtung zur Wahrung von aktuellen
individuellen Rechten - und nicht bloss aus virtueller Betroffenheit - erfolgte
(E. 4.2 und 4.3).

Sachverhalt ab Seite 140

BGE 139 I 138 S. 140

A. Am 5. März 2012 erliess der Universitätsrat der Universität Zürich die
Verordnung über die Studiengebühren an der Universität Zürich (GebV UZH), die
am 9. März 2012 im Amtsblatt publiziert wurde und auf den 1. Mai 2012 in Kraft
trat (LS 415.321). Nach § 2 Abs. 1 lit. a GebV UZH beträgt die
Kollegiengeldpauschale für ordentliche Studierende einheitlich Fr. 720.- pro
Semester.

B. Am 20. April 2012 erhoben der Fachverein Medizin sowie der Medizinstudent X.
Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, es sei
festzustellen, dass der Universitätsratsbeschluss vom 5. März 2012 resp. die
Verordnung über die Studiengebühren an der Universität Zürich im Sinne der
Beschwerdebegründung unvollständig sei. Weiter sei - entweder vom Gericht oder
auf dessen Anordnung hin durch den Universitätsrat - eine Regelung im Sinne der
Beschwerdebegründung zu erlassen, die den gesetzlichen Anforderungen
übergeordneten Rechts standhalte. Zudem wurde für X. die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege beantragt. Mit Urteil vom 20. September 2012 wies
das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat; zugleich
wies es das Gesuch von X. um unentgeltliche Rechtspflege ab. Die Gerichtskosten
von insgesamt Fr. 8'140.- wurden den Beschwerdeführern je zur Hälfte unter
solidarischer Haftung für den Gesamtbetrag auferlegt.

C. X. erhebt mit Eingabe vom 14. November 2012 Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und wiederholt die vorinstanzlich
gestellten Anträge. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen, subeventualiter die angefochtene Verordnung über die
Studiengebühren ganz aufzuheben. Zudem sei die Sache zur Neubeurteilung und
Bewilligung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessführung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf
eintritt, und hebt den angefochtenen Entscheid insoweit auf, als das Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen und ihm eine
Gerichtsgebühr auferlegt wurde. Im Übrigen weist es die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet nicht die Erhöhung der Gebühr an sich, ist
aber der Meinung, dass im Wahlstudienjahr keine
BGE 139 I 138 S. 141
oder höchstens eine reduzierte Kollegiengeldpauschale zulässig sei, wobei aus
der Begründung der Beschwerde hervorgeht, dass er eine Gebühr in der Höhe von
maximal Fr. 150.- pro Semester als zulässig erachtet. Er rügt eine Verletzung
des Legalitätsprinzips im Abgaberecht (Art. 5 Abs. 1 BV; recte: Art. 127 Abs. 1
BV) und des Äquivalenzprinzips (Verhältnismässigkeitsprinzip; Art. 5 Abs. 2 BV
). Er ist der Meinung, dass die Kollegiengeldpauschale zumindest im Umfang von
Fr. 570.- (Fr. 720.- minus Fr. 150.-) eine Steuer darstellt. Die Studierenden
würden während des Wahlstudienjahrs keine Lehrveranstaltungen besuchen oder
andere universitäre Einrichtungen benützen, so dass die Universität praktisch
keine Leistung erbringe. Die Höhe der Semestergebühr verletze daher das
Äquivalenzprinzip, so dass die Gebühr nicht mehr eine Kausalabgabe, sondern
eine Steuer sei; für eine Steuer fehle aber eine genügend bestimmte
formellgesetzliche Grundlage, was Art. 5 Abs. 1 BV (recte: Art. 127 Abs. 1 BV)
verletze. Zudem seien die Vorgaben gemäss § 41 Abs. 1 des Universitätsgesetzes
vom 15. März 1998 (UniG; LS 415.11) verletzt: Nach dieser Bestimmung seien die
Gebühren unter Berücksichtigung der an den andern Universitäten geltenden
Ansätze zu bemessen. Schliesslich sei die Rechtsgleichheit (Art. 8 Abs. 1 BV)
verletzt, weil die Studierenden im Wahlstudienjahr kaum an der Universität
Lehrveranstaltungen besuchten und von dieser nicht betreut würden, aber
trotzdem die gleichen Gebühren entrichten müssten wie Studierende, die täglich
Lehrveranstaltungen besuchten.

3.2 Es ist unbestritten, dass § 41 UniG keine Grundlage bietet für die Erhebung
einer Steuer. Der Beschwerdeführer bestreitet aber nicht, dass § 41 UniG eine
genügende gesetzliche Grundlage darstellt für die Erhebung einer
Kollegiengeldpauschale, welche das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip
einhält (vgl. dazu BGE 120 Ia 1; BGE 121 I 273; BGE 123 I 254; BGE 130 I 113).
Ebenso wenig rügt er eine Verletzung des Kostendeckungsprinzips, wohl aber eine
Verletzung des Äquivalenzprinzips. Dieses verlangt als abgabenrechtliche
Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsprinzips, dass eine Gebühr nicht in
einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der bezogenen
Leistung stehen darf und sich in vernünftigen Grenzen bewegen muss; sie soll
nach sachlich vertretbaren, objektiven Kriterien bemessen werden (BGE 138 II 70
E. 7.2 S. 76; BGE 132 II 47 E. 4.1 S. 55 f.; je mit Hinweisen).

3.3 Das Verwaltungsgericht hat dazu erwogen, das Medizinstudium sei als eine
Einheit zu betrachten, so dass die Gebühren nicht semesterweise, sondern
gesamthaft zu beurteilen seien. Das
BGE 139 I 138 S. 142
Wahlstudienjahr bilde Teil des Medizinstudiums. Die Kosten für die
Medizinausbildung würden über 40'000.- Franken pro Semester und gesamthaft rund
490'000.- Franken betragen. Demgegenüber würden die Studierenden mit ihren
Semestergebühren pro Semester Fr. 720.- bzw. für das ganze Studium nur Fr.
8'660.- bezahlen, so dass kein Verstoss gegen das Äquivalenzprinzip vorliege;
zudem bewegten sich die Gebühren im Bereich der an anderen Hochschulen
geltenden Ansätze.

3.4 Der Beschwerdeführer stellt diese Zahlen als solche nicht in Frage und
beanstandet auch nicht grundsätzlich, dass die Semestergebühren zu hoch seien.
Die für die Leistungserbringung erforderlichen Kosten können denn auch durchaus
als Indiz für den objektiven Wert der Leistung betrachtet werden (vgl. Urteile
2P.7/2007 vom 26. Juni 2007 E. 4.5; 1P.645/2004 vom 1. Juni 2005 E. 4, in: ZBl
107/2006 S. 478). Der Beschwerdeführer ist jedoch der Meinung, das
Äquivalenzprinzip enthalte auch ein zeitliches Element. Es müsse ein zeitlicher
Zusammenhang zwischen der Leistung und der Gegenleistung bestehen, zumal die
Gebühren semesterweise erhoben würden. Da die Universität im Wahlstudienjahr
keine kongruente Gegenleistung erbringe, sei die in diesem Jahr zu bezahlende
Kollegiengeldpauschale zu hoch.

3.5 Eine Benützungsgebühr darf grundsätzlich nur erhoben werden, wenn effektiv
Leistungen in Anspruch genommen bzw. erbracht werden, ausser wenn die
Inanspruchnahme der Leistung obligatorisch ist (Urteile 2P.223/2005 vom 8. Mai
2006 E. 4.1, in: ZBl 108/2007 S. 493; 2P.117/2003 vom 29. August 2003 E. 4.3.1,
in: ZBl 104/2003 S. 533; 2P.178/1995 vom 23. Dezember 1996 E. 5d, in: ZBl 99/
1998 S. 239). Die Argumentation des Beschwerdeführers ist insoweit
verständlich. In der vorliegenden Konstellation ist aber zu berücksichtigen,
dass das Wahlstudienjahr nicht isoliert, sondern nur als obligatorischer Teil
des Gesamtstudiums absolviert werden kann. Der Studierende kommt also nicht in
die Lage, bloss ein Wahlstudienjahr zu absolvieren und einzig dafür eine Gebühr
zu bezahlen, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Sodann wird die
Semestergebühr ohnehin nicht nach Massgabe der von den einzelnen Studierenden
bezogenen Leistungen, sondern als Pauschale erhoben. Da der Nutzen einer
staatlichen Leistung nicht immer ohne weiteres klar bemessen werden kann, ist
ein derartiger Schematismus in gewissen Grenzen zulässig (vgl. BGE 128 I 46 E.
5b/bb S. 55 f.; BGE 126 I 180 E. 3a/bb S. 188), auch wenn in der Folge die
erhobene Gebühr nicht genau mit der Dauer der Benützung korreliert
BGE 139 I 138 S. 143
(Urteil 2P.191/2004 vom 10. August 2005 E. 4.6, in: ZBl 107/2006 S. 254). Dies
gilt zumindest, solange die schematisch erhobene Gebühr immer noch deutlich
unter den effektiven Kosten bzw. dem objektiven Nutzen liegt (vgl. Urteile
2C_275/2009 vom 26. Oktober 2010 E. 7.2, nicht publ. in: BGE 137 I 107, aber
in: ZBl 113/2012 S. 92; 2P.266/2003 vom 5. März 2004 E. 3.4). Unter diesen
Umständen ist die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung über
das ganze Studium durchaus sachgerecht und verletzt das Äquivalenzprinzip
nicht, jedenfalls solange die gesamthaft erhobene Gebühr deutlich unter den
Gesamtkosten des Studiums liegt, wie das hier der Fall ist.

3.6 Aus analogen Gründen ist auch die Rechtsgleichheit nicht verletzt: Nach den
vom Beschwerdeführer angelegten Massstäben müsste die Studiengebühr nach
Massgabe der im Einzelfall effektiv bezogenen Leistungen erhoben werden. Dies
hätte zur Folge, dass die einheitliche Kollegiengeldpauschale für alle
Studierenden schon im Grundsatz unzulässig wäre. Gerade für Medizinstudierende
wie den Beschwerdeführer müssten die Studiengebühren deutlich höher sein als
für Studierende anderer Fakultäten, da gerichtsnotorisch die Studienkosten in
der Medizin erheblich höher sind als die durchschnittlichen Studienkosten. Wenn
der zuständige Gesetz- und Verordnungsgeber stattdessen die Gebühren
einheitlich und nicht nach Massgabe der konkret festgelegten Leistungen
festsetzt, so hält sich das im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen,
zumindest solange als auch für diejenigen, welche wenig Leistungen beziehen,
die Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert
der von ihnen bezogenen Leistung steht.

3.7 Ist somit das Äquivalenzprinzip nicht verletzt, so ist die streitige Gebühr
als Kausalabgabe zulässig. Eine gesetzliche Grundlage für eine Steuer ist
deshalb nicht erforderlich und damit auch das Legalitätsprinzip nicht verletzt.

3.8 In Bezug auf § 41 Abs. 1 Satz 2 UniG hat das Verwaltungsgericht erwogen,
der Zweck dieser Bestimmung liege darin, den Zugang zum Medizinstudium an der
Universität gegenüber anderen Universitäten im Bereich der Semestergebühren
nicht erheblich zu erschweren; damit müsste aber die Gebührengestaltung anderer
Universitäten nicht für jeden Ausnahmefall und einzelne Semester berücksichtigt
werden. Diese Auslegung des kantonalen Rechts durch das Verwaltungsgericht kann
vom Bundesgericht nur auf Willkür hin überprüft werden (vgl. nicht publ. E.
1.4). Der Beschwerdeführer
BGE 139 I 138 S. 144
erhebt jedoch bloss appellatorische Kritik gegen die Betrachtung der
Vorinstanz, bringt aber nichts vor, was diese als willkürlich erscheinen
liesse.

4. (...)

4.2 Mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 29 Abs. 3 BV
soll eine nicht über genügend finanzielle Mittel verfügende Partei in den Stand
versetzt werden, zur Durchsetzung ihrer Rechte einen Prozess zu führen, und es
soll ihr, gleich wie einer vermögenden Partei, der Zugang zum Gericht
ungeachtet ihrer Bedürftigkeit möglich sein. Die Aufgabe des Staates beschränkt
sich darauf, den Einzelnen dann zu unterstützen, wenn er ohne diese
Unterstützung eines Rechts verlustig ginge oder sich gegen einen als unzulässig
erachteten Eingriff nicht wehren könnte. Der Anspruch besteht deshalb in der
Regel nicht in einem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle, weil derartige
Nachteile in der Regel nicht bereits dann unmittelbar drohen, wenn eine Norm
erlassen wird; erst die Anwendung einer Norm im Einzelfall führt zu einem
massgeblichen Eingriff in Rechte, und es genügt, wenn einer betroffenen
bedürftigen Partei die unentgeltliche Prozessführung in jenem Zeitpunkt
bewilligt wird. Nur ausnahmsweise wird es sich anders verhalten und ein
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bereits für die präventive Anfechtung
einer generell-abstrakten Norm zu bejahen sein, nämlich dann etwa, wenn
aufgrund der Umstände mit einem sofortigen Anwendungsakt zu rechnen ist und der
Betroffene sich gegenüber den rechtsanwendenden Behörden, zum Beispiel mangels
förmlicher Anfechtungsmöglichkeiten, nicht wirksam wird wehren können (BGE 121
I 314 E. 3b S. 317; Urteile 2P.108/2005 vom 5. Juli 2006 E. 2; 2P.184/1999 vom
25. Mai 2000 E. 6; 2P.273/1999 vom 18. November 1999 E. 2; STEFAN MEICHSSNER,
Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], 2008, S.
66).

4.3 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes: Es handelt sich
hier zwar um eine abstrakte Normenkontrolle einer kantonalen Verordnung. Gemäss
der oben erwähnten Praxis ist aber im Sinne einer Ausnahme der Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege bereits für die präventive Anfechtung der
Studiengebührenverordnung zu bejahen, da aufgrund der Umstände mit einem
sofortigen Anwendungsakt zu rechnen ist. Auch wenn der Beschwerdeführer sich
allenfalls noch gegen den Anwendungsakt als solchen (Studiengebührenrechnung)
mit einem Rechtsmittel wehren könnte, wäre es im Rahmen der Prüfung der
unentgeltlichen Rechtspflege überspitzt
BGE 139 I 138 S. 145
formalistisch, ihn auf den (hier sofort folgenden) Anwendungsakt zu verweisen.
Entscheidend ist vielmehr, dass der Beschwerdeführer die
Studiengebührenverordnung zur Wahrung seiner aktuellen individuellen Rechte -
und nicht bloss aus virtueller Betroffenheit - angefochten hat.